Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 03.07.2023, Az.: 1 ORs 74/23

Einziehung; Kurier; Verfügungsgewalt; Transitorischer Besitz; Betäubungsmittelhandel

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
03.07.2023
Aktenzeichen
1 ORs 74/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 27997
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 03.01.2023 - AZ: 5 Ns 111/22

Fundstellen

  • NJW-Spezial 2023, 538
  • ZAP EN-Nr. 551/2023

Amtlicher Leitsatz

Zu den Voraussetzungen der faktischen Verfügungsgewalt des Kuriers beim Transport des Veräußerungserlöses aus Betäubungsmittelgeschäften als Grundlage für die Einziehung erlangter Vermögenswerte in Abgrenzung zum sogenannten transitorischen Besitz

In der Strafsache
gegen Herrn AA,
geboren am TT.MM 1957 in (...),
wohnhaft (...),
wegen Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.,
hier: Revision der Staatsanwaltschaft
Verteidiger: (...)
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg in der Sitzung vom
03. Juli 2023, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ...
als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht ... und
Richter am Landgericht ...
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin ...
als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt ..., (...),
als Verteidiger,
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 3. Januar 2023 hinsichtlich der Einziehungsentscheidung dahingehend geändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 12.950,00 € angeordnet wird.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Angeklagte.

Gründe

Das Amtsgericht Osnabrück - Schöffengericht - hatte den Angeklagten am 20. Juni 2022 wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiter hatte das Amtsgericht die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 12.950,00 € angeordnet.

Dieses Urteil hat das Landgericht Osnabrück - 5. kleine Strafkammer - auf die Berufung des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft durch Urteil vom 3. Januar 2023 im Rechtsfolgenausspruch teilweise aufgehoben und insgesamt dahingehend neu gefasst, dass der Angeklagte wegen Veräußerns von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Veräußerns von Betäubungsmitteln in 18 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lingen (Ems) vom 8. März 2022 zum Aktenzeichen 7 Cs 12/21 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wird. Weiter hat das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterlangtem in Höhe von 1.700,00 € angeordnet. Die weitergehenden Berufungen hat die Strafkammer verworfen und die Kosten des Verfahrens dem Angeklagten auferlegt. Während der Berufungshauptverhandlung ist es hinsichtlich eines Vorwurfes (Tat zu II. 20. aus dem amtsgerichtlichen Urteil - Vorwurf der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) zu einer beidseitigen Beschränkung der Berufungen auf den Rechtsfolgenausspruch gekommen.

Gegen das Urteil des Landgerichts richtet sich die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte und auf die Einziehungsentscheidung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Die zunächst ebenfalls gegen das landgerichtliche Urteil geführte Revision des Angeklagten hat der Senat bereits durch Beschluss vom 27. April 2023 gemäß § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe verworfen, dass der Tenor des angefochtenen Urteils im Schuldspruch dahingehend abgeändert wird, dass der Angeklagte der Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des Veräußerns von Betäubungsmitteln in 18 Fällen schuldig ist.

Die Staatsanwaltschaft begehrt mit ihrer Revision in dem beschränkten Umfang die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Osnabrück. In dem angegriffenen Urteil sei zu Unrecht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von weiteren 11.250 € unterblieben.

1.

Nach den Feststellungen des Landgerichts veräußerte der Angeklagte zunächst in 18 Fällen Betäubungsmittel an eine andere Person und erlangte dadurch einen Betrag in Höhe von insgesamt 950,00 €.

In den Nachmittagsstunden des 18. Januar 2021 lieferte der Angeklagte zudem im Auftrag eines Niederländers mit seinem PKW mindestens 3.512,87 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 657,01 Gramm THC an BB, welcher zuvor ein entsprechendes Geschäft zwischen dem Niederländer und einer anderen Tätergruppierung um die Herren CC, DD und EE organisiert hatte. Der Angeklagte fuhr zunächst unter Mitnahme der Betäubungsmittel von Nordhorn zu der Wohnanschrift des BB nach Osnabrück, wo auch die Herren CC und DD erschienen. Alle Personen fuhren sodann an die Wohnanschrift des DD, wo der CC die Tasche mit den Betäubungsmitteln aus dem Fahrzeug des Angeklagten entnahm und in die Wohnung verbrachte. Nach Übergabe der Betäubungsmittel erhielt der Angeklagte hierfür mindestens 12.000 €, die er in der Folge - nach der Rückfahrt nach Nordhorn noch taggleich - an den Niederländer übergab. Als Lohn für die Kurierfahrt erhielt er aus den 12.000 € einen Betrag in Höhe von 750 €.

Dem Angeklagten war in Kenntnis der Betäubungsmitteleigenschaft bewusst, dass er durch sein Handeln den Betäubungsmittelhandel des Niederländers sowie der die Betäubungsmittel abnehmenden Tätergruppierung förderte und nahm dies jedenfalls billigend in Kauf. Er war zuvor kurzfristig als Ersatz für einen anderen Kurier eingesprungen.

2.

Zur Begründung der getroffenen Einziehungsentscheidung führt das Landgericht zunächst aus, dass der Wert der Verkaufserlöse für die 18 Veräußerungen von Marihuana in Höhe von insgesamt 950 € einzuziehen sei. Hinsichtlich der Kurierfahrt vom 18. Januar 2021 habe der Angeklagte indes aus den übergebenen 12.000 € lediglich einen seinem Kurierlohn entsprechenden Betrag in Höhe von 750 € erlangt. In dieser Höhe sei ebenfalls die Einziehung des Wertes des Taterlangten anzuordnen.

Die Anordnung einer Einziehung der diesen Betrag übersteigenden 11.250 € komme hingegen nicht in Betracht, da der Angeklagte diese nicht im Sinne der §§ 73, 73c StGB erlangt habe. Es handele sich dabei lediglich um einen sogenannten transitorischen Besitz, eine eigene Verfügungsgewalt des Angeklagten könne insoweit nicht angenommen werden. Dies gelte auch angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte als Kurier vorliegend von dem Verkäufer der Betäubungsmittel eingesetzt worden sei. Der Wegfall der früheren Härtefallklausel des § 73c Abs. 1 StGB a.F. infolge der Gesetzesänderungen hinsichtlich des Einziehungsrechtes mache es zudem erforderlich, den Begriff des Erlangten im Einzelfall einschränkend auszulegen. Vorliegend habe der Angeklagte das Entgelt weisungsgebunden an den Niederländer überbracht und übergeben und sei zudem nur kurzfristig als Ersatz für einen anderweitig vorgesehenen Kurier eingesprungen. Strafrechtlich sei der Angeklagte bislang nicht in Erscheinung getreten, die Gefahr einer Unterschlagung des Geldbetrages durch den Angeklagten habe vor diesem Hintergrund denkbar fern gelegen. Bei dem für die Zurücklegung der zum Transport des Geldes von Osnabrück nach Nordhorn erforderlichen Wegstrecke benötigten Zeitaufwand von etwa einer Stunde könne zudem von einer nicht unerheblichen Zeitspanne, welche im Einzelfall geeignet sein könne, eine faktische Verfügungsgewalt zu begründen, keine Rede sein.

3.

Den rechtlichen Ausführungen des Landgerichts vermag der Senat nur zum Teil beizutreten.

a)

Zutreffend hat das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterlangtem in Höhe von 950 € sowie weiteren 750 € angeordnet. Beträge in dieser Höhe hat der Angeklagte für die abgeurteilten Veräußerungen und als Kurierlohn im Sinne des § 73 Abs. 1, § 73c StGB erlangt.

b)

Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Anordnung der Einziehung eines weiteren Betrages in Höhe von 11.250 € abgelehnt hat, hält rechtlicher Überprüfung indes nicht stand.

Die insoweit getroffenen tatsächlichen Feststellungen des Landgerichtes erweisen sich allerdings nicht als lückenhaft. Jedenfalls aus der Gesamtheit der Urteilsgründe ergibt sich, dass der Auftrag zum Transport des Entgeltes durch den Niederländer erfolgt ist. Weiter ist den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit zu entnehmen, dass der Angeklagte nach den landgerichtlichen Feststellungen unmittelbar nach Übergabe der 12.000 € eine Strecke von Osnabrück nach Nordhorn innerhalb von etwa einer Stunde zurückgelegt hat, um dort direkt nach Ankunft die Gelder an den dort aufhältigen Niederländer zu übergeben.

c)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert im Rechtssinne aus der Tat erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann (vgl. BGH Urt. v. 6. März 2019, Az. 5 StR 543/18, BeckRS 2019, 5646; BGH Urt. v. 9. Oktober 2019, Az. 1 StR 170/19, BeckRS 2019, 32802). Auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse kommt es dabei nicht an, weil es sich bei dem Erlangen um einen tatsächlichen Vorgang handelt (vgl. BGH, Urt. v. 27. September 2018, Az. 4 StR 78/18 Rn. 8; BGH Urt. v. 24. Mai 2018, Az. 5 StR 623 und 624/17 Rn. 8; BGH, Urt. v. 2. Juli 2015, Az. 3 StR 157/15 Rn. 13, BGH Urt. v. 28. Oktober 2010, Az. 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39 Rn. 19; BGH, Urt. v. 09. Oktober 2019, Az. 1 StR 170/19; BT-Drucks. 18/9525, S. 62).

Eine faktische Verfügungsgewalt liegt jedenfalls dann vor, wenn der Tatbeteiligte im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 21. August 2018, Az. 2 StR 311/18). In Fällen, bei denen eine Person etwas nur kurzfristig und transitorisch für die Begehung einer Straftat erlangt, gilt dies jedoch ausnahmsweise nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 10. Januar 2023, Az. 3 StR 343/22, BeckRS 2023, 2046, zur alten Rechtslage BGH, Beschl. v. 27.10.2009, Az. 5 StR 242/09, BeckRS 2009, 29962).

Ein bloß transitorischer Besitz liegt jedoch regelmäßig dann nicht vor, wenn der Täter oder Beteiligte den durch die Tat erlangten Gegenstand über eine nicht unerhebliche Zeit unter Ausschluss der anderen Tatbeteiligten in seiner faktischen Verfügungsgewalt hält (vgl. BGH, Urt. v. 1. Juni 2022, Az. 1 StR 421/21; BGH Urt. v. 09.10.2019, Az. 1 StR 170/19). Eine solche Verfügungsgewalt kann sich im Einzelfall auch darauf gründen, dass vor der Weitergabe des Taterlangten an eine andere Person eine längere Fahrstrecke zurückzulegen ist, auf welcher der Tatbeteiligte tatsächlich alleine über das Erlangte verfügen kann. Auch gegen den Kurier von für Betäubungsmittelgeschäfte erhaltenen Geldbeträgen ist demnach regelmäßig die Einziehung in voller Höhe auszusprechen, mit Einwendungen kann der verurteilte Kurier unter bestimmten Voraussetzungen dann im Vollstreckungsverfahren gehört werden (vgl. MüKoStGB/Nobis, 4. Aufl., BtMG zu § 33, Rn. 30).

Nach diesen Grundsätzen war es vorliegend rechtsfehlerhaft, von einer Anordnung der Einziehung eines weiteren Betrages von 11.250 € abzusehen. Bereits die fast einstündige Fahrzeit unter Mitnahme des Bargeldes hat eine faktische und ausschließliche Verfügungsgewalt des Angeklagten begründet. Das Schicksal dieser Geldmittel stand während dieser Fahrtzeit über eine erhebliche Strecke und Zeitdauer in dem Belieben des Angeklagten, auf welchen der Betäubungsmittelverkäufer während dieser Zeit keinen unmittelbar wirkenden Einfluss nehmen konnte. Soweit die Strafkammer gegen eine faktische Verfügungsgewalt angeführt hat, dass der Angeklagte erstmalig als Kurier tätig geworden und insbesondere nicht in bestehende Strukturen eingebunden gewesen sei, verfängt dies nicht. Diese Umstände sprechen nicht gegen die Annahme einer faktischen Verfügungsgewalt, zumal sie darauf hindeuten, dass aus einer Täterbeziehung möglicherweise resultierende Zwänge - welche einer faktischen Verfügungsgewalt allerdings ebenfalls nicht entgegenstehen (vgl. BGH Urt. v. 6.3.2019, Az. 5 StR 543/18 Rn. 12) - vorliegend nicht gegeben waren.

Auch die nach der früheren Rechtslage eröffnete Möglichkeit, in Härtefällen gemäß § 73c StGB a.F. von einer Einziehungsanordnung abzusehen, führt vorliegend nicht zu einem anderen Ergebnis. Anlässlich der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat der Gesetzgeber die bewusste Entscheidung getroffen, die Geltendmachung unbilliger Härten einer Einziehungsentscheidung aus dem Erkenntnisverfahren in das Vollstreckungsverfahren zu verlagern (vgl. Trüg, NJW 2017, 1913).

Mithin hat der Angeklagte durch die festgestellte Straftat auch einen weiteren Betrag in Höhe von 11.250 € im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangt. Da ausweislich der Urteilsgründe das Bargeld nicht mehr bei dem Angeklagten vorhanden gewesen ist (Bl. 17 UA), kommt insoweit alleine eine Wertersatzeinziehung nach § 73c StGB in Betracht. Die Einziehungsentscheidung steht dabei nicht im Ermessen des Gerichtes. Gründe, aus denen eine solche nach § 73e StGB ausgeschlossen sein könnte, sind vorliegend nicht gegeben. Mithin liegen die Voraussetzungen vor, nach denen der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO eine eigene Entscheidung in der Sache treffen kann, ohne die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (vgl. BeckOK StPO/Wiedner, 47. Ed. zu § 354 Rn. 72).

4.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.