Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.07.2021, Az.: 2 VAs 8/21
Zulässige Zurückstellung der Strafvollstreckung wegen BTM-Delikt aufgrund ambulanter Substitutionsbehandlung; Einsatz von Diamorphin zur Behandlung von Abhängigen; Berücksichtigung positiven Therapieverlaufs bei Entscheidung über Zurückstellung der Strafvollstreckung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 05.07.2021
- Aktenzeichen
- 2 VAs 8/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 31549
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2021:0705.2VAS8.21.00
Rechtsgrundlagen
- § 35 BtMG
- GVGEG § 23
- GVGEG § 24
- GVGEG § 28
- GVGEG § 30
Fundstelle
- StV 2022, 592
Amtlicher Leitsatz
Die Durchführung einer ambulanten diamorphingestützten Substitutionsbehandlung rechtfertigt eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, wenn die Behandlung auch eine intensive psychosoziale Begleitung umfasst und als Fernziel eine vollständige Abstinenz angestrebt wird.
Gründe
I.
Der Antragsteller, der seit seiner Jugend Heroin konsumiert und bereits vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, wurde am 1. Juli 2019 vom Amtsgericht Hannover wegen Körperverletzung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass er am 3. Juli 2018 im Bereich des Hauptbahnhofes in H. mit der Faust auf eine andere Person eingeschlagen hatte, mit der er zuvor Alkohol getrunken hatte. Außerdem hatte er am 19. Juli 2018 in einem Supermarkt Pralinen entwendet. Vor der Tat am 3. Juli 2018 hatte der Antragsteller verschiedene Rauschmittel eingenommen. Sein Konsum hatte bei beiden Taten nicht ausschließbar zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit geführt. Das Urteil ist seit dem 10. Oktober 2020 rechtskräftig.
Seit Mai 2017 befindet sich der Antragsteller in ambulanter psychiatrischer Behandlung in einer Diamorphin-Ambulanz, die zunächst von der M. H. H. betrieben wurde und mittlerweile vom M. V. P. fortgeführt wird. Dort injiziert sich der Antragsteller täglich zwei- bis dreimal unter fachärztlicher Aufsicht Diacetylmorphin (synthetisches Heroin). Daneben erfolgt im Rahmen der Behandlung eine regelmäßige psychiatrisch-psychotherapeutische Betreuung durch die Fachstelle für Sucht und Suchtprävention "D. H.". Ziel der Behandlung ist eine psychosoziale Stabilisierung des Antragstellers, die nach ärztlicher Einschätzung einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen wird. Langfristiges Ziel ist eine stabile Substanzabstinenz des Antragstellers.
Mit Schreiben vom 29. Oktober 2020 beantragte die Betreuerin des Antragstellers, die Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil vom 1. Juli 2019 gemäß § 35 BtMG im Hinblick auf die ambulante Suchttherapie des Antragstellers zurückzustellen. Das Amtsgericht Hannover beschloss daraufhin am 26. Februar 2021, eine Zustimmung zur Zurückstellung nicht zu erteilen. Zur Begründung führte das Amtsgericht insbesondere aus, dass der Antragsteller bislang in keiner Weise therapiewillig gewesen sei und die sachverständige Beratung in der Hauptverhandlung auch ergeben habe, dass er nicht therapiefähig sei. Der hiergegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft half das Amtsgericht mit Beschluss vom 19. März 2021 nicht ab. Dabei verwies das Amtsgericht insbesondere darauf, dass es dem Antragsteller nicht um eine Abstinenz gehe, sondern er weiterhin mit Heroin versorgt werden wolle, und bei ihm auch weiterhin von einem Beikonsum auszugehen sei. Mit Beschluss vom 26. März 2021 wurde die Beschwerde vom Landgericht Hannover verworfen, weil ein Therapiewille des Antragstellers nicht zu erkennen sei. Es sei insbesondere nicht erkennbar, dass der Verurteilte durch seine Teilnahme an der Therapie zumindest als Fernziel eine völlige Betäubungsmittelabstinenz erreichen wolle und sich seine frühere, gegenüber Therapieangeboten ablehnende Einstellung geändert habe.
Die Staatsanwaltschaft Hannover lehnte daraufhin mit Bescheid vom 6. April 2021 mangels gerichtlicher Zustimmung eine Zurückstellung der Strafvollstreckung ab. Die hiergegen am 22. April 2021 eingelegte Beschwerde wies die Generalstaatsanwaltschaft mit Bescheid vom 7. Mai 2021 zurück und verwies dabei einerseits auf die fehlende gerichtliche Zustimmung und andererseits insbesondere auf einen früheren Beikonsum des Antragstellers neben der Substitutionsbehandlung und das Fehlen einer erkennbaren Therapiewilligkeit.
Mit dem am 16. Juni fristgerecht eingelegten Antrag verfolgt der Antragsteller das Ziel einer Zurückstellung der Strafvollstreckung weiter. Er beantragt eine Aufhebung der Bescheide der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft sowie eine Zustimmung zur Zurückstellung sowie die Anordnung der Zurückstellung selbst. Ferner beantragt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
II.
Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG hat in der Sache weitgehend Erfolg und führt zu einer Aufhebung der angegriffenen Bescheide.
1.
Der gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 BtMG i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG statthafte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, insbesondere in der gesetzlich vorgeschriebenen Form und Frist angebracht worden.
Der Antrag genügt auch noch den Anforderungen des § 24 Abs. 1 EGGVG. Danach muss ein Antrag im Verfahren nach § 23 ff. EGGVG diejenigen Tatsachen, aus denen sich die Möglichkeit einer Rechtsverletzung des Antragstellers ergeben soll, so vollständig und nachvollziehbar darlegen, dass dem Senat die Prüfung der Schlüssigkeit des Antrages möglich ist (st. Rspr. d. Senats, vgl. Senat, Beschluss vom 6. Februar 2013, NdsRpfl 2014, 53). Dies erfordert grundsätzlich nicht nur Ausführungen zu der verhängten Strafe und dem ihr zu Grunde liegenden Sachverhalt, der Betäubungsmittelabhängigkeit des Antragstellers zur Tatzeit und zum Entscheidungszeitpunkt, zum Vorhandensein einer Kosten- und einer Therapieplatzzusage und den Gründen der vorangegangenen ablehnenden Entscheidungen, sondern regelmäßig auch die Mitteilung des Vollstreckungsstandes ebenso wie Ausführungen zu etwaigen früheren, erfolglosen Therapien (vgl. Senat, Beschluss vom 13. August 2020, 2 VAs 18/20). Dabei sind jedoch keine überzogenen Anforderungen an die Darstellung zu stellen, insbesondere kann im Rahmen einer nachvollziehbaren Darstellung auf weitere Schriftstücke Bezug genommen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Februar 2013, NdsRpfl 2014, 53).
Hieran gemessen enthält der im Übrigen ausführliche und strukturierte Antrag ausreichende Angaben auch zum Vollstreckungsstand und dem bisherigen Therapieverlauf, da sich ihm zumindest in einer Gesamtschau mit den in Bezug genommenen Unterlagen und beigefügten Anlagen ausreichend deutlich entnehmen lässt, dass die Vollstreckung noch nicht begonnen hat und andere Therapien als eine Diamorphin-Behandlung beim langjährig heroinabhängigen Antragsteller erfolglos waren und auch in Zukunft keinen Erfolg versprechen.
2.
Der Antrag hat in der Sache Erfolg, soweit er sich auf Erteilung der gerichtlichen Zustimmung zu der Zurückstellung der Vollstreckung richtet.
a)
Gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 BtMG hat der Senat die Versagung der richterlichen Zustimmung durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts Hannover auf Ermessensfehlgebrauch zu überprüfen. Da die Entscheidung über die Zustimmung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts des ersten Rechtszuges liegt, besteht für den Senat nur eine beschränkte Nachprüfungsmöglichkeit der gerichtlichen Ermessensentscheidung gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG. Der Senat überprüft lediglich, ob das Gericht von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und ob es die Grenzen des Ermessens eingehalten hat. Hierzu gehört die Überprüfung, ob überhaupt ein Ermessen ausgeübt wurde (Ermessensausfall), ob die Grenzen des Ermessens eingehalten wurden oder ob eine etwaige Ermessensreduzierung auf Null übersehen wurde (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2015, NdsRpfl 2016, 269; KG, Beschluss vom 6. August 2014, StV 2015, 653). Die Grenzen des Ermessens sind namentlich dann überschritten, wenn die Entscheidung maßgebliche Gesichtspunkte, die bei der Ermessensentscheidung von Belang sein können, falsch bewertet oder außer Acht gelassen hat (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 29. April 2020, 2 VAs 3/20, juris m. w. N.).
b)
Gemessen daran halten die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts Hannover der gebotenen rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Es kann dahinstehen, inwieweit sich das Landgericht die Ermessenserwägungen des Amtsgerichts zu eigen gemacht hat, indem es mit der Beschwerdeentscheidung die Entscheidungsgründe des Amtsgerichts als zutreffend bezeichnet hat. Denn auch die eigenen Erwägungen der Beschwerdekammer, wonach kein ausreichender Therapiewille erkennbar sei, unterliegen durchgreifenden Bedenken.
aa)
Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass auch eine ambulante Substitutionsbehandlung eine zur Rehabilitation geeignete Maßnahme i.S. von § 35 BtMG darstellen kann. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Behandlung nicht auf die Abgabe des Substitutionsmittels beschränkt, sondern eine intensive psychosoziale Begleitung umfasst und die gesundheitliche Stabilisierung sowie die soziale und berufliche Wiedereingliederung des Patienten mit dem Fernziel der Drogenfreiheit anstrebt (OLG Hamburg, Beschluss vom 31. Januar 2003, StV 2003, 290; OLG Oldenburg, Beschluss vom 9. Oktober 1995, StVK 1995, 650; OLG Köln, Beschluss vom 15. August 1995, StV 1995, 649; OLG Oldenburg, Beschluss vom 1. Februar 1994, StVK 1994, 262; Körner/Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG § 35 Rn. 167; Weber, BtMG § 35 Rn. 88; Münchener Kommentar-StGB/Kornprobst, BtMG § 35 Rn. 82).
Diese Maßstäbe gelten für die Behandlung mit herkömmlichen Substitutionsmitteln in gleicher Weise wie für die Substitution mit Diamorphin, also synthetischem Heroin. Die Abgabe von Diamorphin ist aufgrund des im Juli 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung in besonderen, von der zuständigen Landesbehörde zugelassenen Einrichtungen zulässig (§ 13 Abs. 3 BtMG, § 5a BtMVV). Mit der Zulassung sollten eine zusätzliche therapeutische Option zur Behandlung schwerstkranker Opioidabhängiger ermöglicht und verstärkt diejenigen Patienten therapeutisch erreicht werden, die im Rahmen herkömmlicher Substitutionsbehandlungen nicht erfolgreich behandelt werden konnten; sie sollten durch diese Therapieform in höherem Maße als durch die herkömmliche Behandlung gesundheitlich und sozial stabilisiert und von Straftaten wie illegalem Drogenkonsum abgehalten werden (BT-Drs. 16/13021, S. 6, 11). Die seitdem erworbenen Erfahrungen mit dem Einsatz von Diamorphin zur Substitutionsbehandlung haben weder nach Einschätzung der Bundesregierung noch der ärztlichen Behandler Zweifel daran ergeben, dass die Behandlung zur Erreichung dieser Ziele tatsächlich geeignet ist (vgl. BT-Drs. 19/9569, S. 2 ff.; Deutsches Ärzteblatt 2020, S. 16-19). Es besteht deshalb kein Anlass, an der grundsätzlichen Eignung der Diamorphin-Behandlung zur gesundheitlichen und sozialen Stabilisierung eines Abhängigen zu zweifeln, zumal § 35 BtMG für unterschiedliche Therapiekonzepte offen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. März 2011, NStZ-RR 2011, 259 [OLG Karlsruhe 21.03.2011 - 2 VAs 3/11]; Körner/Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG § 35 Rn. 155). In jedem einzelnen Fall unterliegt die Therapie zudem gemäß § 5a Abs. 4 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) einer zweijährigen Überprüfung durch einen externen suchtmedizinisch qualifizierten Arzt.
Besonderheiten bestehen allerdings insoweit, als im Rahmen einer diamorphingestützten Substitutionsbehandlung zunächst keine Abstinenz des Abhängigen von Heroin erreicht wird, sondern ihm das Suchtmittel im Gegenteil weiterhin - in synthetischer Form - verabreicht wird. Dennoch lässt auch dieses Therapiekonzept es zu, die Drogenfreiheit des Betroffenen dergestalt anzustreben, dass sie - wie es auch für die anderen Substitutionsbehandlungen maßgeblich ist - als Fernziel erreicht werden soll. Von einer solchen Zielsetzung der Diamorphin-Behandlung ist auch grundsätzlich auszugehen. Denn gemäß § 5a Abs. 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Satz 1 BtMVV soll im Rahmen der ärztlichen Therapie eine Opioidabstinenz des Patienten im Rahmen der diamorphingestützten Behandlung ebenso angestrebt werden wie bei herkömmlichen Substitutionsbehandlungen.
Den danach für alle Substitutionsbehandlungen gleichermaßen geltenden Anforderungen wird die Behandlung des Antragstellers in der Diamorphin-Ambulanz gerecht. Denn aus den vorgelegten Unterlagen der M. H. H., des M. V. P. und der Fachstelle für Sucht und Suchtprävention "D." ergibt sich, dass über die Abgabe des Diamorphins hinaus - das täglich mehrere Arztkontakte des Antragstellers bedingt - eine regelmäßige und engmaschige psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung des Antragstellers in einem multidisziplinären Team erfolgt. An der Richtigkeit und Tragfähigkeit dieser Beschreibungen bestehen keine Zweifel, zumal der Träger der "D.", die S. gGmbH, dem Senat als Betreiber von gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 BtMG anerkannten Einrichtungen bekannt ist und mit Schreiben vom 27. Oktober 2020 ausdrücklich bescheinigt hat, dass die Betreuung als engmaschige ambulante Maßnahme gemäß § 35 BtMG durchgeführt werden kann. Aus den ärztlichen Stellungnahmen, insbesondere dem Attest des ärztlichen Leiters der Einrichtung vom 20. April 2021, ergibt sich außerdem, dass auch im Fall des Antragstellers als langfristiges Ziel eine Abstinenz angestrebt wird.
bb)
Indem das Landgericht - in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht - trotz dieses Therapiekonzepts von einem fehlenden Therapiewillen des Antragstellers ausgegangen ist, hat es maßgebliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen, die für die Ermessensausübung bedeutsam sind.
In die Ermessensentscheidung ist nicht erkennbar eingegangen, dass bereits die langjährige Teilnahme des Antragstellers an der diamorphingestützten Substitutionsbehandlung dafür spricht, dass er dem zugrundeliegenden Therapiekonzept zustimmt und dementsprechend auch das Fernziel einer späteren Betäubungsmittelabstinenz mitverfolgt. Diese Annahme wird zusätzlich gestützt durch das - nach der Beschwerdeentscheidung vorgelegte - Attest des ärztlichen Leiters des M. V.P. vom 20. April 2021, wonach durch die mehrjährige Behandlung wesentliche Verbesserungen im Hinblick auf den Gesundheitszustand, den Konsum harter Drogen, der Delinquenz, der Wohnsituation und der sonstigen sozialen Reintegration eingetreten seien und diese ohne einen Therapiewillen des Antragstellers nicht möglich gewesen seien.
Auch in weiterer Hinsicht ist der positive Therapieverlauf bei der Ermessensausübung nicht mit dem gebotenen Gewicht berücksichtigt worden. Bereits im ärztlichen Attest vom 11. März 2021 wird beschrieben, dass es dem Antragsteller seit etwa einem Jahr gelungen sei, die Behandlung erfolgreich zu gestalten, sich in Therapiegesprächen zu öffnen, Hilfe anzunehmen und eigene Bedürfnisse besser zu erkennen. Ferner sei in dieser Zeit der Beikonsum von illegalen Droge drastisch zurückgegangen und es zu keinen neuerlichen Straftaten gekommen. Dies sei, so die Ausführungen des ärztlichen Leiters, bei dem zuvor als therapieresistent eingestuften Krankheitsbild ein wichtiger Teilerfolg. Angesichts dieser Stellungnahme begegnet die Erwägung des Amtsgerichts durchgreifenden Bedenken, dass der Antragsteller bislang in keinster Weise therapiewillig gewesen sei. Auch soweit das Amtsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss darauf abgestellt hat, dass der Antragsteller auch nach Beginn der Substitutionsbehandlung noch straffällig geworden sei, berücksichtigt dies nicht ausreichend die Therapiefortschritte, die er ausweislich der ärztlichen Atteste im zurückliegenden Jahr erzielt hat, und den Umstand, dass er nach der Anlasstat vor drei Jahren nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.
Nicht frei von Ermessensfehlern ist darüber hinaus die vom Landgericht gebilligte Erwägung des Amtsgerichts, wonach die fehlende Bereitschaft des Antragstellers zu anderen Therapien, insbesondere im Rahmen einer Maßregelunterbringung, maßgeblich gegen einen ernsthaften Therapiewillen des Antragstellers spreche. Denn insoweit ist nicht berücksichtigt, dass dem Attest vom 11. März 2021 zufolge aus ärztlicher Sicht beim Antragsteller nur eine Behandlung mit Diamorphin erfolgversprechend ist, die nur in der Spezialambulanz und nicht in anderen Therapieeinrichtungen durchgeführt werden kann. Die Ablehnung anderer Therapieformen kann demnach nicht ohne weiteres als allgemeine Therapieverweigerung betrachtet werden, sondern eher noch als eine Absage an ohnehin ungeeignete Therapieversuche, die seinen Willen zu einer wirksamen Therapie nicht in Frage stellt.
c)
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 35 Abs. 2 Satz 3 BtMG Gebrauch, selbst die Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung zu erteilen. In Anbetracht der nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens vorgelegten weiteren ärztlichen Stellungnahmen vom 20. April und 10. Juni 2021 liegen die Voraussetzungen zur Erteilung der Zustimmung vor.
Der Zustimmung steht insbesondere nicht entgegen, dass die Stellungnahme vom 11. März 2021 nur über einen drastischen Rückgang des Beikonsums illegaler Drogen beim Antragsteller berichtet, nicht aber über eine vollständige Aufgabe des Beikonsums. Es kann dahinstehen, ob diese Stellungnahme die Annahme eines fortdauernden Beikonsums des Antragstellers rechtfertigt oder - wie die spätere ärztliche Stellungnahme vom 10. Juni 2021 nahe legt - bei ihm überhaupt keine Anhaltspunkte mehr für einen solchen Konsum bestehen.
Denn auch Beigebrauch von Drogen lässt für sich genommen weder die Eignung der Substitutionstherapie zur Rehabilitation des Antragstellers entfallen, noch begründet sie erhebliche Zweifel an seiner Therapiemotivation (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 31. Januar 2003, StV 2003, 290; Münchener Kommentar-StGB/Kornprobst, BtMG § 35 Rn. 81). Ein Beikonsum schließt auch nach den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger einen Therapieerfolg nicht aus, sondern soll (nur) bei einem fortgesetzt schwerwiegenden Konsum psychotroper Substanzen zu einem Therapieabbruch führen (Ziff. 4.2 der Richtlinie). Dies steht im Einklang mit dem Zweck des § 35 BtMG, auch so genannten Risikopatienten eine Therapiechance zu eröffnen, die erst nach einem längeren Prozess auf einen Beikonsum verzichten können (OLG Hamburg a. a. O.). Anlass zu einem Zweifel an der Therapiemotivation besteht deshalb vornehmlich dann, wenn während der Substitutionstherapie der Beikonsum von Drogen noch ansteigt (Körner/Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG § 35 Rn. 152; Weber, BtMG § 35 Rn. 82). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da der Antragsteller ausweislich der ärztlichen Stellungnahme vom 11. März 2021 im Rahmen der bisherigen Therapie seinen Beikonsum jedenfalls "drastisch reduziert" hat und mit der ärztlichen Stellungnahme vom 10. Juni 2021 mitgeteilt wird, dass von einer illegalen Beschaffung von Substanzen durch den Antragsteller nichts bekannt sei.
3.
Gemäß § 28 Abs. 1 bis 3 EGGVG waren auch die ablehnenden Bescheide der Staatsanwaltschaft Hannover und der Generalstaatsanwaltschaft Celle aufzuheben und die Vollstreckungsbehörde zu einer Neubescheidung zu verpflichten.
Denn die vom Senat erteilte Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung entzieht den Bescheiden die Grundlage, soweit sie die Ablehnung der Zurückstellung mit der fehlenden gerichtlichen Zustimmung begründet haben.
Auch die alternativen Ermessenserwägungen der Generalstaatsanwaltschaft erweisen sich vor dem Hintergrund der vorgenannten Rechtauffassung des Senats als ermessensfehlerhaft, da sie einen früheren Beikonsum des Antragstellers zu Unrecht als Ausschlussgrund für die Substitutionsbehandlung bewerten und die für die Therapiemotivation des Antragstellers sprechenden Umstände - namentlich seine andauernde Teilnahme an der Substitutionstherapie und die dabei erzielten Fortschritte - nicht erkennbar in Betracht ziehen.
Soweit die Generalstaatsanwaltschaft ferner die Auffassung vertritt, dass aufgrund der früheren Rückfälle des Antragstellers in strafbares Verhalten die Substitutionsbehandlung für ihn nicht geeignet sei, lässt der Bescheid auch den wesentlichen Umstand außer Acht, dass der Antragsteller seit nunmehr drei Jahren strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist. Sollten sich hierzu abweichend vom Sachverstand der staatsanwaltschaftlichen Verfügung vom 12. März 2021 neue Erkenntnisse ergeben haben, hätte die Vollstreckungsbehörde Gelegenheit, diese bei der Neubescheidung zu berücksichtigen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 30 EGGVG.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 29 Abs. 4 EGGVG, §§ 114 Satz 1, 121 Abs. 2 ZPO.
Die Festsetzung des Geschäftswertes folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG.
Die Rechtsbeschwerde war mangels grundsätzlicher Bedeutung der Sache nicht zuzulassen, § 29 Abs. 2 EGGVG.