Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.07.2021, Az.: 2 Ss 40/21

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
15.07.2021
Aktenzeichen
2 Ss 40/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 72316
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 21.01.2021 - AZ: 36 Ns 108/20

In der Strafsache
gegen A. M. S.,
geboren am ...,
wohnhaft: ...
- Verteidiger: Rechtsanwalt M., H. -
wegen Volksverhetzung
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Landgericht XXX am 15. Juli 2021 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 21. Januar 2021 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hannover - Strafrichterin - hat den Angeklagten am 28.09.2020 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover mit Urteil vom 21.01.2021 verworfen.

Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten. Der Senat hat dem Angeklagten mit Beschluss vom 03.05.2021 (2 Ws 129 /21) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gewährt.

Zum Sachverhalt hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte ließ zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor etwa zwei Jahren einen Aufkleber, den er selbst entworfen hatte, drucken. Auf diesem ist das Symbol der Partei "B. 90/D. G.", nämlich eine gelbe Sonnenblume auf grünem Hintergrund zu sehen, weiter ist rechts oben auf dem Aufkleber folgender Text aufgebracht: "Wir ficken Kinder bei jeder Gelegenheit - egal ob ihr dafür oder ob ihr dagegen seid." Darunter wird die Frage aufgeworfen: "Und Du?" Auf der linken Hälfte des Aufklebers ist in Form von Strichmännchen eine erwachsene Person zu erkennen, die ein auf einer Unterlage liegendes Wickelkind penetriert. Darunter befindet sich der Slogan: "Inzest 90 Die Pädophilen". Diesen Aufkleber verteilte der Angeklagte bei einer politischen Demonstration am 24. Mai 2019 an eine Frau mittleren Alters auf einem Fahrrad, an dem eine Fahne der Partei "B. 90/D. G." befestigt war und an den Zeugen O. Dabei wusste der Angeklagte, dass der Aufkleber alle aktuellen Mitglieder der Partei "B. 90/D. G." anspricht und er mit dem Inhalt des Aufklebers die aktuellen Mitglieder der Partei "B. 90/D. G." beschimpft, böswillig verächtlich macht und verleumdet, weil er die Grenzen der zulässigen Kritik an der geführten Pädophilie-Debatte im Zusammenhang mit der Partei "B. 90/d. G." überschreitet, und dass der Inhalt auch so aufgefasst werden wird. Darauf kam es dem Angeklagten auch an.

Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Landgericht sei schon von einem falschen Inhalt des in Rede stehenden Aufklebers ausgegangen. Dieser zeige nicht die Penetration eines Wickelkindes, das in gebogener Körperhaltung vor dem Wickeltisch stehende Strichmännchen lasse ohne zusätzlichen Kontext keinen sexuellen Bezug erkennen. Der Aufkleber sei vielmehr politisch einzuordnen, was auch für den Textanteil gelte, der ebenfalls nicht auf Bedeutung eines konkreten Geschlechtsaktes, sondern politisch zu beziehen sei. Vor diesem Hintergrund handele es bei dem Aufkleber um eine von der Meinungsfreiheit gedeckte Kritik. Denn der Angeklagte wolle damit eine politische Auseinandersetzung mit der geführten Pädophilie-Debatte bei der Partei "B. 90 /D. G." erreichen. Der Aufkleber strebe daher die Aufnahme einer politischen Diskussion mit jedem Passanten an.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig. Sie hat indes in der Sache keinen Erfolg.

1.

Soweit sich der Revisionsführer gegen die Feststellung des Landgerichts wendet, dass der Aufkleber die Penetration eines Kindes zeigt, kann er mit diesem Vorbringen nicht gehört werden. Denn ein Widerspruch zwischen dem festgestellten und dem tatsächlichen Inhalt eines Augenscheinobjektes kann allenfalls mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 337 Rn. 14 m. w. N.). Eine solche ist nicht zulässig erhoben worden (§ 344 Abs. 2 StPO). Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revisionsbegründung teilt bereits nicht mit, ob und auf welche Weise das von ihr als Abbildung 1 vorgelegte Bild zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden ist. Im Übrigen wäre die Rüge auch unbegründet, da die Abbildung 1 die entsprechende Feststellung des Landgerichts rechtfertigen würde und es hierfür nicht erst der vom Verteidiger erstellten kinderpornographischen (vgl. § 184b Abs. 1 Satz 2 StGB n.F.) Erweiterung in Abbildung 2 bedürfte.

2.

Die von dem Angeklagten erhobene allgemeine Sachrüge deckt keine durchgreifenden Rechtsfehler des Urteils des Landgerichts zum Nachteil des Angeklagten auf.

Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch. Das Landgericht hat das - vom Angeklagten hinsichtlich der objektiven Feststellungen geständig eingeräumte- Verhalten des Angeklagten in Form der Verteilung des von ihm entworfenen Aufklebers rechtlich zutreffend als Volksverhetzung gemäß 130 Abs. 2 Nr. 1 c StGB gewürdigt.

Die Auslegung und Anwendung des § 130 StGB als allgemeines, die Meinungsfreiheit beschränkendes Gesetz i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG hat stets im Lichte der Meinungsfreiheit zu erfolgen (OLG Celle, Beschluss vom 27. Oktober 2017 - 1 Ss 49/17 -, juris). So können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehrdeutige Aussagen nur dann unter einen Straftatbestand subsumiert werden, wenn strafrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten, die nicht völlig fernliegen, mit schlüssigen Argumenten ausgeschlossen werden können (BVerfG, NJW 2001, 61, 62 [BVerfG 06.09.2000 - 1 BvR 1056/95]; NJW 2003, 660, 661 [BVerfG 12.11.2002 - 1 BvR 232/97]; NJW 2008, 2907, 2908; BVerfG, NJW-RR 2017, 1001 ff. [BVerfG 28.03.2017 - 1 BvR 1384/16] jeweils m. w. N.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gibt das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (BVerfGE 93, 266, 289). Dies umfasst auch in überspitzter und polemischer Form zum Ausdruck gebrachte Kritik (BVerfG NJW 1992, 2750 [BVerfG 10.07.1992 - 2 BvR 1802/91]). Vom Schutzbereich erfasst werden Meinungen unabhängig von deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden (vgl. BVerfGE 61, 1, 7; 85, 1, 14 f.; 90, 241, 247). Bei der Subsumtion unter eine strafrechtliche Norm ist vor jeder rechtlichen Wertung daher zunächst der Sinn der Meinungsäußerung zutreffend zu erfassen. Maßgeblich hierfür ist weder die subjektive Absicht des Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 - 4 StR 129/11 -, Rn. 23, juris). Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt (vgl. BVerfG, NJW-RR 2017, 1001 ff. [BVerfG 28.03.2017 - 1 BvR 1384/16] m.w.N.; OLG Dresden, Urteil vom 31. August 2020 - 1 OLG 24 Ss 71/19 -, Rn. 9, juris). Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird daher den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht. Bei der Auslegung darf einer Meinungsäußerung keine Bedeutung beigemessen werden, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit nicht von der zu einer Verurteilung führenden Deutung ausgehen, bevor andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen auszuschließen sind. Dabei haben die Gerichte insbesondere ausgehend vom Wortlaut auch den Kontext und die sonstigen Begleitumstände der Äußerung zu beachten (BVerfG vom 6.9.2000 - 1 BvR 1056/95; BVerfG, Beschluss vom 25. März 2008 - 1 BvR 1753/03 -, Rn. 32, juris, OLG Celle, Beschluss vom - 1 Ss 49/17).

Hier hat das Landgericht zutreffend eine Mehrdeutigkeit des Sinngehalts des vom Angeklagten verteilten Aufklebers verneint. Soweit der Angeklagte mit der Revisionsbegründung anführt, schon die Position der erwachsenen Person vor dem Wickeltisch lasse den Rückschluss auf eine Penetration nicht zu, dies werde auch durch den Wortlaut: "Wir ficken...", der auch in einem nicht sexuellen Kontext verstanden werden könnte, nicht konnotiert, kann der Senat dieser Argumentation nicht folgen.

Soweit der Begriff "Ficken" nach Auffassung des Revisionsführers nicht nur eine sexuelle Bedeutung sondern umgangssprachlich auch andere Bedeutungen in Form der schlechten Behandlung einer Person haben kann, ist es sowohl aufgrund des Zusammenhangs mit der auf dem Aufkleber abgebildeten am Wickeltisch in nach hinten gebogener Körperhaltung stehenden Person, die auch ohne Abbildung eines Geschlechtsteils einen eindeutig sexuellen Bezug hat, sowie im Kontext mit dem Wortlaut: Wir ficken Kinder bei jeder Gelegenheit" fernliegend, dass das Wort "ficken" hier in der vom Angeklagten angeführten Bedeutung einer Schlechtbehandlung benutzt werden sollte. Nur die Nutzung des Wortes im sexualisierten Gesamtzusammenhang führt überhaupt zu einer sinnhaften Aussage des Aufklebers. Eine Mehrdeutigkeit ist damit nicht gegeben.

Dabei ist auch ein konkreter Bezug zu den aktuellen Mitgliedern der Partei ". 90/ D. G." gegeben. Dies ergibt sich schon aus der Nutzung der Gegenwartsform ("wir ficken"). Dass sich der Aufkleber, wie die Revisionsbegründungsschrift argumentiert, an alle Passanten richtet und zur Debatte um den Umgang mit der grünen Grundhaltung zur Pädophilie über die Parteigrenzen hinaus anregen soll, ist nicht ersichtlich. Vielmehr bezieht sich die weitere Aufschrift "Inzest 90 Die Pädophilen" ersichtlich auf den Parteinamen "B. 90/D. G..". Ein überparteilicher Bezug ergibt sich hieraus nicht. Wie das Landgericht zutreffend ausführt, kann der Adressat den Inhalt des Aufklebers nicht als Kritik am Umgang mit Pädophilie in der Vergangenheit durch die Partei 90 /D. G. verstehen. Dieser ist vielmehr vom Empfänger als gegenüber den aktuellen Mitgliedern der Partei herabsetzende Missachtung zu begreifen, weil er wissentlich unwahre Tatsachenbehauptungen (die Mitglieder der Partei begehen schweren sexuellen Missbrauch zum Nachteil von Kindern) aufstellt, die diese verleumdet und gleichzeitig beschimpft und verächtlich macht. Selbst wenn die Verteilung des Aufklebers politisch motiviert ist, bietet der Inhalt des Aufklebers keinen Anhalt für eine inhaltliche Auseinandersetzung und eine Aufforderung zur Diskussion anhand überspitzter Kritik. Vor diesem Hintergrund unterfällt die Verteilung des vom Angeklagten selbst gestalteten Aufklebers auch nicht der Kunstfreiheit.

Das Landgericht hat auch zutreffend darauf abgestellt, dass mangels anderer Interpretationsmöglichkeiten des Sinngehalts des Aufklebers eines Angriffs auf die Menschenwürde anderer vorliegt. Hierfür bedarf es einer feindseligen Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre, sondern einen Angriff auf den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 172/17 -, Rn. 31, juris). Dies ist im Hinblick auf die mit dem Aufkleber aufgestellte unwahre Tatsachenbehauptung, dass die aktuellen Mitglieder der Partei schwere Straftaten zum Nachteil von Kindern begehen, unproblematisch der Fall. Die Verteilung des Aufklebers ist auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.

Der Rechtsfolgenausspruch hält der revisionsrechtlichen Prüfung ebenfalls stand.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.