Amtsgericht Westerstede
Beschl. v. 04.06.2009, Az.: 81 F 1177/08
Ausschluss des Sorgerechts bzw. Umgangsrechts des Kindesvaters mit dem Kind wegen Kindeswohlgefährdung
Bibliographie
- Gericht
- AG Westerstede
- Datum
- 04.06.2009
- Aktenzeichen
- 81 F 1177/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 44926
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGWESTS:2009:0604.81F1177.08.0A
Rechtsgrundlage
- § 1684 Abs. 4 BGB
Fundstellen
- FPR 2009, 427
- FamRZ 2010, 44
Tenor:
- I.
Das Umgangsrecht des Antragsgegners mit dem gemeinsamen Sohn der Parteien ........................, wird bis zum 30.06.2010 ausgeschlossen.
- II.
Dem Antragsgegner wird bis zum 30.06.2010 untersagt, Kontakt zu ... aufzunehmen in jedweder Form, sei es direkt oder über Dritte.
Im Falle einer zufälligen Begegnung wird dem Antragsgegner aufgegeben, sich sofort zu entfernen.
- III.
Dem Antragsgegner wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Anordnungen ein Zwangsgeld bis zu 25.000,00 € angedroht.
- IV.
Die Gerichtskosten tragen die Parteien je zur Hälfte; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
- V.
Der Streitwert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien sind die Eltern des am ..... geborenen ........... Sie haben bis Ende März 1997 zusammengelebt, waren aber nicht verheiratet. Das Sorgerecht steht der Mutter alleine zu.
Im September 1998 hat der Vater erstmalig ein Verfahren auf Regelung des Umgangs auf den Weg gebracht (81 F 424/98). Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich von der Mutter seines weiteren im Mai 1998 geborenen Kindes getrennt. An die in der mündlichen Verhandlung am 04.12.1998 zwischen den Eltern getroffene Vereinbarung eines vom Jugendamt begleiteten Umgangs für einen Zeitraum von rund 3 Monaten hat sich der Vater nur bei den ersten beiden Treffen gehalten. Danach forderte er, alleine mit seinem Sohn zusammen sein zu können. Hierauf hat sich die Mutter nicht eingelassen. Der Vater machte das Jugendamt dafür verantwortlich, dass er .... nicht nach seinen Vorstellungen sehen konnte. Nach einem Anwaltswechsel auf Seiten des Vaters ist auf seinen Antrag hin das Ruhen des Verfahrens am 17.06.1999 angeordnet worden.
Im Juni 2000 hat der Vater erneut die Regelung des Umgangs beantragt (81 F 295/00). Beide Eltern haben vereinbarungsgemäß unter Einschaltung des Kinderschutzbundes einen begleiteten Umgang begonnen, der jedoch nach 2 sehr gut verlaufenden Terminen abgebrochen wurde. Hintergrund war die Idee, dass ... von dem Lebensgefährten der Mutter nach der Hochzeit adoptiert werden sollte. In der mündlichen Verhandlung am 30.03.2001 hielt der Vater die Fortsetzung des Umgangs daher nicht mehr für sinnvoll, weil es für das Wohl von ... nicht förderlich sei. Mit Rücksicht auf die nach Eheschließung geplante Adoption und die Vereinbarung der weiteren Freistellung des Vaters von Kindesunterhaltszahlungen haben die Parteien das Verfahren für erledigt erklärt.
Nach der Hochzeit hat der Ehemann der Mutter, Herr ...., ... nicht adoptiert. Die Eheleute haben sich inzwischen getrennt. Aus dieser Beziehung stammt die am ...... geborene ... . Nachdem der Vater erfahren hatte, dass die Ehe gescheitert und die Adoption gar nicht durchgeführt worden ist, hat er den Kontakt zu ... nach rund 7-jähriger Unterbrechung herstellen wollen. Am 29.06.2007 ist er auf einem Schulfest erschienen und hat sich auf Nachfrage der Schulleitung, wer er sei, als der leibliche Vater von ... vorgestellt. Am 17.07.2007 ist er auf dem Schulhof der Grundschule ...... erschienen, an welcher die Mutter arbeitet und hat an Kinder Kopien der Geburtsurkunde von .... und einen an .... gerichteten Brief verteilt. Zwei Mädchen hat er einen Fotoapparat gegeben mit der Bitte, sie mögen Fotos von ... machen. Der Aufforderung der Schulleitung, das Schulgelände zu verlassen, leistete er nicht Folge. Die herbeigerufene Polizei musste ihn vom Schulgelände verweisen. Zu diesem Zeitpunkt ging der Vater davon aus, ... glaube nach wie vor, dass Herr .... sein Vater sei. Tatsächlich hatte seine Mutter... schon einige Zeit vorher über die Vaterschaft von Herrn .... aufgeklärt. In dem von der Mutter eingeleiteten Verfahren auf Ausschluss des Umgangsrechts (81 F 1096/07) ist mit Beschluss vom 19.07.2007 im Wege der einstweiligen Anordnung ein Kontaktverbot verhängt worden. In der Hauptsache haben sich die Eltern in der mündlichen Verhandlung vom 18.10.2007 in einer Vereinbarung darauf verständigt, zunächst abzuwarten, was die beabsichtigte therapeutische Behandlung von ... ergibt. Zwischen den Eltern bestand "Einvernehmen darüber, dass durch das Handeln des Vaters, insbesondere die "Aktion" vom 17.07.2007 ... traumatisiert sein dürfte. Es bedarf erst einer professionellen Bearbeitung dieses Traumas, bevor ein - auch zufälliger - Kontakt mit ... dessen Kindeswohl nicht mehr widerspricht" (Ziffer 3. der Vereinbarung). Der Vater verpflichtete sich weiter, "bis dahin jegliche Kontaktaufnahme zu .... - auch über Dritte - zu unterlassen und - soweit ihm das möglich ist - nach besten Kräften auf Dritte einzuwirken, sich entsprechend zu verhalten" (Ziffer 4. der Vereinbarung). Im Juni 2008 teilte die Mutter dem Jugendamt mit, dass ... 4 Termine in einer kinder- und jugendpsychologischen Therapeutenpraxis wahrgenommen habe, aber auf eigenen Wunsch nicht mehr weiter dort hingehen möchte. In der ihr dem Jugendamt übersandten Stellungnahme des Therapeuten vom 20.05.2008 schlägt dieser einen Zeitraum von 6-8 Monaten zur Beruhigung und Stabilisierung von ... vor. Nachdem das Jugendamt in seiner Stellungnahme vom 17.06.2008 diesen Vorschlag aufgegriffen und angeregt hat, nach Ablauf dieser Frist "die Thematik von begleiteten Besuchskontakten zu Herrn .... erneut" zu besprechen, hat der Vater mit Schriftsatz vom 27.07.2008 mitgeteilt: "hiermit erkläre ich endgültig und unwiderruflich meinen Verzicht auf ein etwaiges gesetzliches Umgangsrecht nach § 1684 BGB und/oder dessen Ausübung". Damit war dieses Verfahren erledigt.
Mit dem jetzt anhängigen Verfahren möchte die Mutter den Ausschluss des Umgangs und ein Kontaktverbot des Vaters zu ... erreichen. Auslöser dafür war das weitere Verhalten des Vaters im September 2008. Hier nahm er Kontakt mit einer Mitschülerin von .... auf. Gleichzeitig veröffentlichte er im Internet eine Vielzahl von Einzelheiten aus den Umgangsstreitigkeiten der Eltern aus den letzten Jahren. Hiervon erfuhr ... und reagierte panisch.
Nachdem der Vater zunächst mitgeteilt hat (Schriftsatz vom 08.12.2008), zwar ein Umgangsrecht mit dem Kind haben, es jedoch nicht erzwingen zu wollen, hat er im Frühjahr 2009 einen Antrag auf Regelung des Umgangs gestellt (81 F 1010/09).
... lehnt derzeit jeglichen Kontakt zum Vater ab. Das Gericht hat ihn am 20.05.2009 angehört.
Mit den Eltern ist die Sache am 03.06.2009 eingehend erörtert worden. Der Vater hält an seinem Wunsch, regelmäßigen Kontakt zu ... aufzunehmen, weiter fest.
Das Jugendamt ist der Auffassung, dass ein Umgang ausgeschlossen werden müsse.
II.
Der zeitlich begrenzte Ausschluss des Umgangs und das Kontaktverbot sind derzeit geboten, weil nur so eine weitere Kindeswohlgefährdung von .... abgewendet werden kann, § 1684 Abs. 4 BGB. Ein ausreichender Schutz vor weiteren, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden, vergleichbar massiv übergriffigen Handlungen des Vaters, die bei ... u.a. panische Angstreaktionen ausgelöst haben, ist derzeit auf andere Art und Weise nicht sicher zu stellen.
Der Vater verfolgt inzwischen seit rund 2 Jahren beharrlich ohne irgendeine Rücksichtnahme auf.... Befindlichkeiten und Bedürfnisse seine Vorstellung einer Kontaktaufnahme um jeden Preis weiter. Obgleich auch seiner Einschätzung nach die "Aktion" vom 17.07.2007, die Anlass für das Kontaktverbot vom 19.07.2007 war, in keinster Weise kindgerecht war, hat er im September 2008 in vergleichbarer Art und Weise agiert. Es ist diese massive, dem Kindeswohl diametral entgegenstehende Art und Weise einer Kontaktaufnahme, die .... so tief verunsichert. Trotz entgegenstehender Beteuerungen und Vereinbarungen agiert der Vater innerhalb eines Jahres ein weiteres Mal in unverantwortlicher Art und Weise.
Das Gericht hat den Eindruck, dass der Vater sich nicht wirklich verantwortlich und einfühlsam in die Gedanken- und Gefühlswelt von ... hineinversetzen kann. Sofern ihm dies doch möglich ist, ist er dann aber nicht in der Lage, entsprechend sein Handeln darauf einzustellen. Stattdessen gibt er seinen erwachsenen Wünschen und Bedürfnissen freien Lauf, ... zu sehen und dafür zu sorgen, dass ... und seine Umwelt erfährt, dass er (und nicht Herr....) ... Vater ist.
Das Gericht hat weiter die Überzeugung gewonnen, dass der Vater seinen Anteil und seine Verantwortung für den mehrjährigen Kontaktabbruch zu ..... nicht sehen und/oder wahrhaben, sondern anderen zuschreiben will. Dabei scheint er zu verdrängen, dass es (auch) seinem Wunsch entsprach, nach den 2 sehr gut verlaufenden begleiteten Umgangskontakten beim Kinderschutzbund jeden weiteren Kontakt abzubrechen; dies zu einem Zeitpunkt, als ... noch sehr klein war und ihm (auch) mit Wissen und Billigung seines Vaters weiter verheimlicht werden sollte, wer sein Vater ist. Nach über 7 Jahren ohne jede Vorbereitung vor anderen Kindern u.a. Geburtsurkunden von ... zu verteilen und ihn -jedenfalls aus Sicht des Vaters das 1. Mal - mit dem so existenziellen, gleichzeitig auch sehr privaten Thema seiner Abstammung in aller Öffentlichkeit zu konfrontieren, ist vor diesem Hintergrund umso unverständlicher.
Sowohl diese "Aktion" als auch sein weiteres Verhalten im September 2008 haben ... tief verunsichert. Vor diesem Hintergrund lehnt er jeglichen Kontakt - in welcher Form auch immer - zu seinem Vater ab. Aus seiner Sicht kann er sich nur so gegen seinen für ihn übermächtigen, übergriffigen Vater schützen. Dass er die von seiner Mutter initiierte therapeutische Aufarbeitung nach 4 Sitzungen abgebrochen hat, war letztlich ... freie Entscheidung. Es ist nicht ersichtlich, dass die Mutter ihn hierzu gedrängt oder den Abbruch veranlasst hätte. In Anbetracht der Vorgeschichte und des Alters von ... ist aus Kindeswohlgesichtspunkten seine Entscheidung, keinerlei Kontakt zum Vater haben zu wollen, zu respektieren. Ihn zu einem solchen Umgang zwingen zu wollen, ist nicht zu verantworten (zu den nachteiligen, bis ins Erwachsenenalter wirkenden Folgen bei erzwungenem Umgang vgl. Wallerstein/Lewis, FamRZ 2001, 65 ff). Das will der Vater aber offensichtlich auch jetzt noch. Denn wie sich am Ende der mündlichen Verhandlung am 03.06.2009 gezeigt hat, wollte er auch seinen Umgangsrechtantrag entschieden wissen.
Vor diesem Hintergrund bedarf es der Klarheit und Sicherheit durch eine gerichtliche Entscheidung, dass kein Umgang und keine Kontaktaufnahme stattfinden darf.
Die gewählte Frist bis zum 30.06.2010 soll vor allen Dingen dem Vater ermöglichen, seine Verantwortung und seine Anteile beim Zustandekommen der jetzigen Situation zu reflektieren und bei fortbestehendem Wunsch, Kontakt zu .... aufbauen zu wollen, entsprechend kindgerecht agieren zu lernen. Professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, dürfte sicherlich förderlich sein. Dies gilt auch bei der Klärung, ob er ernsthaft einen auf Dauer angelegten Kontakt zu ... will. Denn das widersprüchliche Verhalten des Vaters in all den Jahren lässt trotz aller Beharrlichkeit beim Gericht insoweit erhebliche Zweifel offen.
Der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es zur Überzeugung des Gerichts hier nicht. Denn auch der Vater ist davon überzeugt, dass seine Kontaktaufnahme zu ... nach vielen Jahren des Kontaktabbruchs, beginnend mit der "Aktion" vom 17.07.2007 mit Kindeswohlgesichtspunkten nicht zu vereinbaren war und ist. Weiterhin ist er davon überzeugt, dass es bei ... erst einer professionellen Aufarbeitung dieser Geschehnisse bedarf. Die ist bis heute nicht abschließend erfolgt, weil ... sich dem widersetzt. Angesichts seines Alters und seiner Entwicklung sieht das Gericht keine Möglichkeit und auch keine Veranlassung, sich hierüber hinwegzusetzen. Was ... nach Ansicht des Gerichts braucht, ist nicht nur Zeit, sich in seinem, von ihm für richtig angesehenen Tempo mit dem Thema "Vater" auseinanderzusetzen, sondern gleichzeitig das Gefühl, mit seiner Wirklichkeit auch von seinem Vater verstanden und akzeptiert zu werden. Je eher sein Vater ihm das überzeugend vermitteln kann, umso eher wird ... in die Lage versetzt, sich für Kontakte ausreichend sicher und stark zu fühlen und zu Kontakten zum Vater ja zu sagen.