Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 10.12.2008, Az.: 7 A 12/08
Abschiebung; Abschiebungshindernis; Abschiebungsverbot; Anerkennung; Asylantrag; Asylberechtigung; Attentat; beachtliche Wahrscheinlichkeit; Flüchtling; Flüchtlingseigenschaft; Folter; Herkunftsland; Inhaftierung; Oppositionstätigkeit; politische Verfolgung; Togo; Verfolgung; Verfolgungsmaßnahme; Vorverfolgung; Wahrscheinlichkeitsmaßstab; Widerruf; Wiederholung; Zuerkennung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 10.12.2008
- Aktenzeichen
- 7 A 12/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 55114
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs 1 AsylVfG
- § 60 Abs 1 AufenthG
- § 51 Abs 1 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ob ein vorverfolgt ausgereister Togoer inzwischen mit hinreichender Sicherheit keine erneute Verfolgung mehr zu erwarten hat, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Eine generelle Verfolgungssicherheit für alle Vorverfolgten kann trotz der positiven Entwicklung in Togo nicht festgestellt werden.
2. Bei einer Person, die in Togo wegen angeblicher Mitwisserschaft an einem Attentatsplan auf den ehemaligen Präsidenten verhaftet und gefoltert wurde, kann eine Wiederholung der Verfolgung auch heute noch nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Flüchtling im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG).
Der Kläger ist togoischer Staatsbürger. Am 2. August 2001 stellte er in Deutschland einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 18. September 2001 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten ab, stellte aber fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in Bezug auf Togo vorliegen. Der Kläger habe die erlittene Verfolgung glaubhaft und anschaulich geschildert. In seiner Anhörung durch das Bundesamt hatte der Kläger zuvor dargelegt, dass er in Togo Mitglied einer Organisation, die das politische Bewusstsein der Bevölkerung stärken wollte, gewesen ist. Unter anderem habe er auf dem Universitätsgelände Flugschriften verteilt. Am 16. Juli 2001 sei er dann auf offener Straße festgenommen, inhaftiert und gefoltert worden. Dabei habe sich herausgestellt, dass die Sicherheitskräfte ihm nicht seine wirkliche Oppositionstätigkeit vorwarfen, sondern ihn fälschlich verdächtigten, Informationen über ein geplantes Attentat auf den Präsidenten zu besitzen. Nach mehrtätiger Folterhaft habe er fliehen können.
Am 29. Oktober 2007 leitete das Bundesamt wegen der veränderten politischen Verhältnisse in Togo ein Widerrufsverfahren hinsichtlich des Bescheides vom 18. September 2001 ein und hörte den Kläger hierzu an. Der Kläger erklärte, dass eine Rückkehr nach Togo für ihn derzeit immer noch einem Selbstmord gleich käme. Auch nach dem Tod von Präsident Eyadema Gnassinbé hätten die Vertreter seines Regimes in Polizei, Geheimdienst, Militär und Parlament überwiegend das Sagen.
Mit Bescheid vom 12. Dezember 2007 widerrief das Bundesamt die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen. Dem Kläger drohe in Togo keine politische Verfolgung mehr. Präsident Eyadema Gnassingbé sei im Februar 2005 verstorben. Sein Nachfolger und Sohn Faure Gnassingbé habe nach schweren Unruhen im April 2006 einen Dialog mit der Opposition begonnen. Im Sommer 2006 habe dies zu einem politischen Abkommen von Regierung und Opposition geführt. Im Herbst 2006 sei eine neue Regierung unter Einbeziehung großer Teile der bisherigen Opposition gebildet worden. Die Parlamentswahlen vom Oktober 2007 seien von internationalen Beobachtern als frei und fair bezeichnet worden. Zwar habe die Partei des Präsidenten - der RPT - die absolute Mehrheit behalten, die Opposition könne aber heute frei agieren. Gezielte Übergriffe auf Oppositionelle seien seit Ende 2005 nicht mehr bekannt geworden. Feststellungen zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG müssten nicht getroffen werden, da die Ausländerbehörde derzeit keine Abschiebung des Klägers beabsichtige.
Der Widerrufsbescheid wurde am 13. Dezember 2007 zur Post gegeben.
Der Kläger hat am 31. Dezember 2007 Klage erhoben.
Er beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Dezember 2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf den angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Anfechtungsklage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere wurde die zweiwöchige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 AsylVfG gewahrt. Der Bescheid wurde am 13. Dezember 2007 als Einschreiben zur Post gegeben. Ein Rückschein befindet sich nicht im Verwaltungsvorgang. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG gilt der Bescheid daher als am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post zugestellt. Dies war hier der 16. Dezember 2007. Die Klagefrist hätte somit eigentlich am 30. Dezember 2007 geendet. Da dies aber ein Sonntag war, endete die Frist nach § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 2 ZPO erst am Montag, 31. Dezember 2007, 24 Uhr. Die im Laufe dieses Tages beim Verwaltungsgericht eingegangene Klage war daher noch fristgerecht.
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylVfG liegen nicht vor. In der Person des Klägers sind in Bezug auf Togo nach wie vor die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG n. F. bzw. § 51 Abs. 1 AuslG a. F. gegeben.
Nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (früher § 51 Abs. 1 AuslG, nunmehr § 60 Abs. 1 AufenthG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen Verfolgung droht (BVerwG, Urt. vom 20. März 2007 - 1 C 21.06 - NVwZ 2007, 1089 und Urt. vom 1. November 2005 - 1 C 21.04 - DVBl. 2006, 511 = InfAuslR 2006, 244). Dieser herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt jedenfalls bei vorverfolgt ausgereisten Flüchtlingen (vgl. Renner, AuslR, 8. Aufl., § 73 AsylVfG Rn. 8; Marx, AsylVfG, 6. Aufl., § 73 Rn. 113). Beruft sich der anerkannte Flüchtling darauf, dass ihm bei der Rückkehr in seinen Heimatstaat nunmehr eine gänzlich neue und andersartige Verfolgung drohe, ist der allgemeine Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden (BVerwG, Urt. vom 20. März 2007 - 1 C 21.06 - und vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243).
Bei der Anwendung des herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs sind an die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter Verfolgung wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen der schon einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen zu stellen. Es muss mehr als nur überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Asylsuchende im Heimatstaat vor politischer Verfolgung sicher ist. Andererseits braucht die Gefahr des Eintritts politischer Verfolgungsmaßnahmen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu werden, so dass jeder auch noch so geringfügige Zweifel an der Sicherheit des Klägers vor politischer Verfolgung seinem Begehren zum Erfolg verhelfen müsste. Lassen sich aber ernsthafte Bedenken nicht ausräumen, so wirken sie sich nach diesen Maßstäben zugunsten des Flüchtlings aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 1984 - 9 C 17/84 -, BVerwGE 70, 169 ff.; ähnl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1982 - 9 C 308/81 -, BVerwGE 65, 250 ff.; Urteil vom 18. Februar 1997 - 9 C 9/96 -, BVerwGE 104, 97 ff.).
Die Prognose, ob die Gefahr politischer Verfolgung entfallen ist, darf nicht pauschal ausfallen, sondern hat in Ansehung der besonderen, in der Person des politisch Verfolgten liegenden Umstände und Verhältnisse zu erfolgen (vgl. Marx, AsylVfG,6. Aufl., § 73 Rn. 106 f.:). Grundlage der Prüfung sind dabei die im Asylverfahren getroffenen Feststellungen. An diese sind Gericht und Behörde im Widerrufsverfahren gebunden. Daher darf im Widerrufsverfahren keine erneute Glaubhaftigkeitsprüfung hinsichtlich der dem Anerkennungsbescheid zugrunde liegenden "alten" Fluchtgründe vorgenommen oder deren objektives Gewicht abweichend beurteilt werden (Marx. aaO., § 73 Rn. 107).
Die Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland muss ferner von grundlegender Natur und von Dauer sein. Umfassende politische Veränderungen sind eine der typischen Situationen, in denen es zum Widerruf kommt. Entwicklungen, die bedeutende und grundlegende Änderungen zu offenbaren scheinen, müssen sich aber zunächst konsolidieren können, bevor ein Widerruf in Erwägung gezogen wird. Dies ist z. B. der Fall, wenn freie und demokratische Wahlen mit einem echten Wechsel der Regierung, die der Achtung der fundamentalen Menschenrechte verpflichtet ist, stattgefunden haben. Eine beginnende Liberalisierung allein ist jedoch noch kein starkes Indiz für eine signifikante Änderung der Verhältnisse (vgl. Marx, AsylVfG, 6. Aufl., § 73 Rn. 77 ff.).
An diesen Maßstäben gemessen ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig.
Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts, anhand des vorliegenden Falles zu entscheiden, ob die politischen Verhältnisse in Togo dergestalt sind, dass ein Widerruf der Flüchtlingseigenschaft von Togoern generell zulässig oder generell unzulässig ist. Dies ist der Natur der Sache nach nicht möglich, da es - wie oben ausgeführt - in jedem Einzelfall darauf ankommt, das im Anerkennungsbescheid festgestellte persönliche Verfolgungsschicksal des jeweiligen Klägers in Beziehung zu den veränderten Verhältnissen im Heimatland zu setzen und danach zu entscheiden, ob gerade bezüglich dieser Einzelperson eine Wiederholung der bereits erlittenen Verfolgung nunmehr mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Sollte die Rechtsprechung der früher für Togo zuständigen Berichterstatterin der erkennenden Kammer (vgl. bspw. das Urteil vom 19. November 2007 - 7 A 3486/04 -) dahingehend missverstanden worden sein, dass bezüglich vorverfolgt ausgereister togoischer Oppositionellen nunmehr grundsätzlich und in jedem Falle eine erneute Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, so wird daran ausdrücklich nicht länger festgehalten. Im Falle des Klägers des vorliegenden Verfahrens bestehen trotz der deutlich verbesserten Menschenrechtslage in Togo nach wie vor ernsthafte Zweifel, ob er nicht erneut verhaftet und gefoltert würde.
Die Lage in Togo stellt sich derzeit wie folgt dar:
Präsident Faure Gnassingbé hat ein großes, ambitioniertes Reformprogramm begonnen. Widerstand hiergegen kommt allerdings nicht nur von der „radikalen“ Oppositionspartei UFC, sondern v. a. von Anhängern der Regierungspartei RPT und den Würdenträgern des alten Regimes. Die Regierungspartei ist in zwei Lager gespalten, einen Reformflügel unter Führung des Präsidenten und einen konservativen Flügel unter Führung seines Halbbruders Kpatcha Gnassingbé (vgl. SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 4). Letztgenannter ist zwar inzwischen nicht mehr Mitglied der Regierung (vgl. VG Schwerin, Urteil vom 2. September 2008, 5 A 603/08 As, S. 11 d. UA), die Erkenntnislage enthält jedoch keinerlei Hinweise darüber, ob damit auch sein faktischer Einfluss im Machtapparat und seine Fähigkeit, den politischen Wandlungsprozess zu gefährden, signifikant gesunken ist. Die diesbezüglichen Vermutungen des VG Schwerin (Urteil vom 2. September 2008, 5 A 603/08 As, S. 11 d. UA) sind Spekulationen, die nicht mit substantiierte Erkenntnissen über die realen Machtverhältnisse innerhalb des Staates und der RPT gestützt werden. Die derzeit verfügbaren Erkenntnismittel gehen vielmehr davon aus, dass die aktuelle sozio-politische Lage in Togo nur schwer erahnen lässt, wie dieses Land mittel- oder langfristig aussehen wird (vgl. z. B. SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 5). Die Institutionen des Staates (Justiz, Ordnungskräfte, Militär) wie auch die politischen Parteien seien schwach und demokratisch unerfahren, so dass von einer Konsolidierung Togos noch keine Rede sein könne (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. Januar 2008, S. 4). Auch die staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Strukturen im Bereich der Menschenrechte seien schwach und wenig aktiv (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. Januar 2008, S. 7). Bei genauerer Betrachtung der politischen Verhältnisse fällt insbesondere auf, dass wichtige Schaltstellen der Macht immer noch von Personen und Parteien besetzt sind, die eine Nähe zur früheren Diktatur von Eyadema Gnassingbé aufweisen und/ oder für die gewaltsame Unterdrückung der Opposition in den ersten Monaten nach dessen Tod und der Amtseinführung des neuen Präsidenten beteiligt waren. Dies gilt zunächst für den Staatspräsidenten Faure Gnassingbé selbst (vgl. U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 9). Die alte Regimepartei von Eyadema Gnassingbé, der RPT, stellt nach wie vor den Präsidenten, verfügt über eine absolute Mehrheit im Parlament und stellt die Mehrheit der Mitglieder des Verfassungsgerichts (vgl. SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 5). Gerade die jüngsten Entwicklungen auf der Ebene der Regierung haben gezeigt, dass in Togo nach wie vor schnelle Veränderungen möglich sind und diese durchaus auch wieder in Richtung eines Machtzuwachses des RPT gehen können. Die am 20. September 2006 gebildete Mehrparteienregierung unter Führung des Oppositionspolitikers Yawovi Agboyibo (CAR) - der vom Auswärtigen Amt als ausgewiesener Menschenrechtsexperte bezeichnet wurde (vgl. S. 6 des Lageberichts vom 29. Januar 2008) und dessen Berufung zum Premierminister als wichtiges Signal des Wandels gewertet worden war (so VG Schwerin, Urteil vom 19. August 2008, 5 A 510/08, S. 8 d. UA) - ist nicht mehr im Amt. Präsident Faure Gnassingbé hat am 13. Dezember 2007 stattdessen Komlan Mally zum Premierminister ernannt (vgl. VG Schwerin, Urteil vom 19. August 2008, 5 A 510/08; ai Report Togo 2008). Bereits wenige Monate später wechselte die Regierung jedoch erneut: Seit dem 7. September 2008 ist Gilbert Houngbo Premierminister Togos. Seine Regierung wird im Parlament nur noch vom RPT getragen. Die Abgeordneten der größten Oppositionspartei UFC stimmten gegen ihn; die Abgeordneten der zweiten im Parlament vertretenen Oppositionspartei, des CAR, enthielten sich (http://de.wikipedia.org/wiki/Gilbert_Houngbo#cite_note-equipe-5 besucht am 4.12.2008). Nur noch zwei Mitglieder des neuen Kabinetts gehören nicht mehr dem RPT, sondern einer kleinen Oppositionspartei an (vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01-Laender/Togo.html, besucht am 4.12.2008; http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Togo/Innenpolitik.html, besucht am 19.12.2008). Von einer Einbeziehung wichtiger Teile der ehemaligen Opposition in die Regierung kann also heute - anders als noch bei Veröffentlichung des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 29. Januar 2008 (vgl. dort die S. 4 und 6) - nicht mehr die Rede sein. Hinzu kommt, dass die zivilen Behörden und das Parlament keine effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte und die paramilitärischen Milizen haben (vgl. U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 1, S. 9; SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 8). Das Militär ist immer noch ein rechtsfreier Raum, von dem die massivsten Bedrohungen für den Demokratisierungsprozess ausgehen (vgl. SFH, Auskunft vom 20. September 2007, S. 4). Die Armee spielt faktisch immer noch eine große Rolle im Bereich der inneren Sicherheit (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 3). Innerhalb der Streitkräfte ist die Ethnie des Präsidenten, die Kabye, auf die schon das Regime seines Vaters Eyadema maßgeblich gestützt war, nach wie vor bei weitem überrepräsentiert (vgl. U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 3). Die angekündigten Reformen des Justizapparates scheinen bisher noch keine greifbaren Ergebnisse gebracht zu haben (vgl. SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 10; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. Januar 2008, S. 6). Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit wurden bislang nicht strafrechtlich aufgearbeitet (vgl. SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 8; ai Jahresbericht 2007 Togo; ai Report 2008 Togo; U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 1 f.). Angesichts dessen kann - ungeachtet der wohl im Großen und Ganzen freien und fairen Parlamentswahlen von 2007 (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. Januar 2008, S. 6; U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 1; zu Kritik auch an dieser Wahl vgl. aber VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2008 - 20 A 176/08 -, juris, S. 11 des UA) - noch nicht von einem tiefgreifenden und stabilen Regimewechsel gesprochen werden (so im Ergebnis auch VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2008 - 20 A 176/08 -, juris; VG Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2008, 20 A 75/08, juris; VG Hamburg, Urteil vom 14. April 2008, 20 A 419/07, juris; VG Freiburg, Urteil vom 26. Juni 2008, A 1 K2160/07, juris; VG Würzburg, Urteil vom 20. Mai 2008, W 1 K 08.30035, juris und VG Neustadt a. d. W., Urteil vom 27. März 2008, 2 K 1329/07.NW; VG Osnabrück, Urteil vom 20. November 2007, 5 A 209/07; a. A. VG Schwerin, Urteil vom 2. September 2008, 5 A 603/08 As; VG Schwerin, Urteil vom 19. August 2008, 5 A 510/08, juris; VG Schwerin, Urteil vom 27. Mai 2008, 5 A 229/08, juris; VG Schwerin, Urteil vom 8. Januar 2008, 5 A 763/07, juris; VG Schwerin, Urteil vom 5. Juni 2007, 5 A 750/06, juris; VG Osnabrück, Urteil vom 18. August 2008, 5 A 155/08; VG Osnabrück, Urteil vom 9. Juni 2008, 5 A 104/08, juris, VG München, Urteil vom 22. September 2008, M 25 K 08.50200).
Was die menschenrechtliche Lage angeht, so stellt sich diese zwiespältig dar: Trotz unbestreitbarer Verbesserungen bleiben wohl ernsthafte menschenrechtliche Probleme bestehen (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 1; ähnl. ai Report 2008 Togo).
Hinsichtlich der Einzelheiten ist die Erkenntnislage oft widersprüchlich.
Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. Januar 2008 wurden gezielte Übergriffe staatlicher Organe oder regierungsnaher Gruppen gegen Oppositionelle seit dem Beginn des "nationalen Dialogs" nicht mehr gemeldet. Oppositionsparteien, Medien, Gruppierungen der Zivilgesellschaft und Kirchen könnten frei agieren (S. 4). Die Printmedien befassten sich inzwischen mit allen politischen Fragen. Gezielte Übergriffe gegen Oppositionspolitiker und Journalisten seien 2006 und 2007 nicht bekannt geworden (S. 5 f.). Es soll gegenwärtig keine politischen Gefangenen geben (S. 8). Seit Beginn des nationalen Dialogs gebe es keine Beschwerden über politisch motivierte Festnahmen mit Folter oder Misshandlungen und keine Vorwürfe wegen extralegaler Tötungen mehr. Über die Festnahme von politischen Gegnern oder konstruierte Anklagen gegen diese gebe es keine Erkenntnisse (S. 10). Die togoischen Behörden seien „in der Regel“ um korrekte Behandlung von Rückkehrern bemüht (S. 12).
Andere, nicht weniger vertrauenswürdige Quellen zeichnen dagegen ein kritischeres Bild. Sie berichten auch für die heutige Zeit noch von schweren Menschenrechtsverletzungen, wenngleich wohl in quantitativ weit geringerem Umfang als früher. Das Verbot willkürlicher Inhaftierung werde von der Regierung in der Praxis nicht immer respektiert; es gebe willkürliche und geheime Inhaftierungen (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 3). Anhänger der Opposition würden nach wie vor ohne Gerichtsverfahren in Haft gehalten (ai Jahresbericht 2007 Togo). Obwohl die Regierung die Existenz politischer Gefangener bestreite, seien auch 2007 noch immer einige im Jahre 2005 inhaftierte Regimekritiker ohne Prozess im Zentralgefängnis von Lomé und in einem Gefängnis in der Nähe von Kara inhaftiert gewesen (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 4 f.). Ferner seien 6 Oppositionspolitiker bzw. Militärangehörige, die 2005 unter dem Verdacht, sie hätten einen Putsch geplant, verhaftet wurden, immer noch in Haft, ohne dass ein Prozess geplant sei (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 4 f.; SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 12). Auch nach den Wahlen sollen 2007 dutzende Personen inhaftiert worden und teilweise in Geheimgefängnisse des Militärs oder der RTP-Miliz gebracht worden sein (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 4 f.; SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 13). Das Recht auf freie Meinungsäußerung bleibe trotz der Reformen weiterhin eingeschränkt (ai Report 2008 Togo). Beschränkungen der Pressefreiheit durch die Regierung gebe es nach wie vor, vor allem in Bezug auf den Rundfunk. Journalisten praktizierten wegen der Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit mit gewalttätigen Repressalien der Regierung gemacht haben, Selbstzensur. Gleichwohl gebe es eine lebendige unabhängige Printpresse. Der praktisch bedeutendere Rundfunk sei dagegen politisch zurückhaltender; im Januar 2007 sei beispielsweise eine Rundfunkstation wegen Kritik am damaligen Vorsitzenden des nationalen Fußballverbandes für 15 Tage geschlossen worden (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 6). Am 3. August 2007 seien geplante Demonstrationen mehrerer Oppositionsparteien von der Regierung verboten worden. Am 20. Oktober 2007 sei es nach eine Demonstration zu gewalttätigen Übergriffen der Polizei auf UFC-Anhängern gekommen (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 7). Aus der jüngsten Vergangenheit ist hinzufügen, dass der Oppositionspolitiker Kokouvi Agboli im Sommer 2008 unter mysteriösen Umständen tot am Strand aufgefunden wurde. Es gibt substantiierte Behauptungen, denen zufolge er von Sicherheitskräften zu Tode gefoltert worden sei; der Sachverhalt ist bislang noch nicht endgültig geklärt (vgl. VG Schwerin, Urteil vom 2. September 2008, 5 A 603/08 As, S. 12 f. d. UA).
Einigkeit besteht in allen Erkenntnisquellen jedenfalls darüber, dass die Misshandlung von Gefangenen durch Sicherheitskräfte auch heute noch in Togo weit verbreitet ist. So heißt es im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. Januar 2008, dass Festgenommene durch die Sicherheitskräfte geschlagen würden, käme auch heute noch immer wieder vor (S. 11). Auch eine unkorrekte Behandlung von rückkehrenden Asylbewerbern durch Sicherheitskräfte am Flughafen könne in Einzelfällen nicht ausgeschlossen werden (S. 12). Ai und das U. S. Außenministerium berichten in ihren Lageberichten ebenfalls über Misshandlung und Folterung von Gefangenen (vgl. ai-Jahresbericht 2007 Togo; ai Report 2008 Togo; U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 1 f.). Der UN-Sonderberichterstatter für Folter habe bei einem Besuch in Togo einerseits die jüngsten Fortschritte hervorgehoben, aber auch seiner Besorgnis darüber Ausdruck gegeben, dass eine Vielzahl von Personen ohne eindeutige Rechtsgrundlage festgenommen und für lange Zeiträume unter extrem schlechten Bedingungen in Haft gehalten würde; Polizisten schlügen oftmals Häftlinge, um Geständnisse zu erpressen (ai Report 2008 Togo). Nach Angaben des U.S. Außenministeriums konnte der Sonderbeauftragte zwar Gefängnisse in Togo besuchen, im Militärlager von Kara wurden Mitglieder seiner Delegation aber von Soldaten beschimpft, bedroht und an einer Inspektion der Haftzellen des Lagers gehindert (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 3).
Aus den vorstehenden Erkenntnissen über die Menschenrechtslage in Togo ergibt sich, dass eine „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ politischer Verfolgung heute in vielen Fällen nicht mehr gegeben sein dürfte (so auch VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2008 - 20 A 176/08 -, juris; VG Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2008, 20 A 75/08, juris; VG Hamburg, Urteil vom 14. April 2008, 20 A 419/07, juris; VG Freiburg, Urteil vom 26. Juni 2008, A 1 K2160/07, juris). Dazu sind die Verfolgungshandlungen, über die heute noch teilweise berichtet wird, zu vereinzelt und die Erkenntnismittel zu widersprüchlich. Denn bei Anwendung des Maßstabs der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ muss feststehen, dass in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Urteil vom 15. März 1988, 9 C 278.86, BVerwGE 79, 143, 150).
In Fällen, in denen der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab (hinreichende Sicherheit vor der Wiederholung der Verfolgung) zur Anwendung gelangt, werden dagegen häufig auch heute noch in Bezug auf Togo die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bejaht werden müssen (so auch VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2008 - 20 A 176/08 -, juris; VG Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2008, 20 A 75/08, juris; VG Hamburg, Urteil vom 14. April 2008, 20 A 419/07, juris; VG Freiburg, Urteil vom 26. Juni 2008, A 1 K2160/07, juris). Denn hier ist es nicht erforderlich, dass eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit zweifelsfrei feststeht, sondern es reichen - wie Eingangs dargelegt - schon ernsthafte Zweifel an der Sicherheit vor Verfolgung aus. Zweifel und Widersprüche in der Erkenntnislage hinsichtlich der Frage, ob heute noch Verfolgung droht, gehen daher beim „Normalmaßstab“ zu Lasten des Asylbewerbers, beim herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstab dagegen zu seinen Gunsten. Die oben dargestellte Erkenntnislage zwingt zu der Feststellung, dass zwar einerseits viel dafür spricht, dass zurückkehrende Flüchtlinge meist nicht erneut verfolgt werden dürften, ihre Sicherheit vor Verfolgung aber andererseits auch nicht generell über jeden vernünftigen Zweifel erhaben ist.
Dies gilt jedenfalls im Falle des Klägers. Dieser ist nach den hier bindenden Feststellungen im Bescheid des Bundesamtes vom 18. September 2001 aus Togo vorverfolgt ausgereist, so dass der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden ist. Nach den Feststellungen dieses Bescheides wurde er Opfer derjenigen Kategorie von Menschenrechtsverletzungen, die auch heute noch in Togo nach allen Erkenntnismitteln relativ weit verbreitet ist: der Misshandlung als Gefangener durch die Sicherheitskräfte. Die Personen, die ihn damals gefoltert haben, sind aller Wahrscheinlichkeit nach noch immer unbehelligt im Sicherheitsapparat beschäftigt, da eine strafrechtliche Aufarbeitung vergangener Menschenrechtsverletzungen nicht stattgefunden hat. Erschwerend kommt beim Kläger hinzu, dass die bei der Vorverfolgung gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht rein politischer Natur waren, sondern eine große Nähe zum gewöhnlichen Strafrecht aufweisen: der Kläger sollte Informationen über ein geplantes Attentat auf den damaligen Präsidenten besitzen. Nach den oben zitierten Erkenntnissen des U. S. Außenministeriums und der SFH gehören zu den relativ wenigen heute noch in Togo inhaftierten politischen Gefangenen insbesondere auch sechs Personen, die persönliche Angriffe auf den Präsidenten (dort: Putschversuch) geplant haben sollen. Es ist vor diesem Hintergrund nicht ohne ernsthaften Zweifel auszuschließen, dass auch der Kläger, dem durchaus Vergleichbares (nämlich die Mitwisserschaft bei einem gegen den Präsidenten gerichteten Attentatsplan) vorgeworfen wurde, bei einer Rückkehr nach Togo erneut inhaftiert würde, was nach allen Erkenntnismitteln auch die ernsthafte Gefahr erneuter Misshandlung und Folter mit sich brächte. Dies ist insbesondere deswegen nicht von der Hand zu weisen, weil der Kläger, der in Wahrheit gar nichts über die Attentatspläne weiß, den Sicherheitskräften bei den Verhören im Jahr 2001 keine Namen nennen konnte. Da die Sicherheitskräfte aber nach wie vor an der Identität von Terroristen, die zu einem Attentat auf den Staatschef bereit waren, interessiert sein dürften, ist es in der Tat nicht auszuschließen, dass sie erneut versuchen könnten, den Kläger zu foltern. Durch seine Unkenntnis hinsichtlich der wahren Täter wäre er dann gezwungen, entweder die Folter zu ertragen oder aber willkürlich Unschuldige zu bezichtigen. Die diesbezüglich vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Bedenken sind nachvollziehbar.