Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 17.11.2011, Az.: 8 D 1461/11

Antragstellerhaftung; Vollstreckung; Auslagen; Gläubigerhaftung; Gerichtsvollzieher; Vollstreckungshelfer

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.11.2011
Aktenzeichen
8 D 1461/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 45264
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Antragsteller (Gläubiger) eines Vollstreckungsverfahrens nach § 169 Abs. 1 VwGO haftet als Gesamtschuldner auch für die vom Gerichtskostenrecht erfassten Auslagen des Vollstreckungsverfahrens (hier: Gerichtsvollzieherkosten).

Gründe

I.

Die Vollstreckungsgläubigerin ist eine Hochschule in staatlicher Trägerschaft des Landes Niedersachsen. Die Vollstreckungsschuldnerin, deren gegenwärtiger Aufenthalt unbekannt ist, hatte bei dem Verwaltungsgericht Hannover im Verfahren 8 C 4012/10 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Gläubigerin gestellt, diesen im Verlauf des Streitverfahren aber zurückgenommen. Daraufhin waren der Schuldnerin mit Beschluss des Berichterstatters vom 27.10.2010 die Kosten des Verfahrens 8 C 4012/10 aufgegeben worden. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat sodann die von der Schuldnerin an die Gläubigerin in dem Eilverfahren zu erstattenden Kosten mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16.11.2010 rechtskräftig auf 489,45 Euro nebst fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 29.10.2010 festgesetzt.

Mit Antragsschrift vom 31.03.2011 hat die Gläubigerin beantragt, ihre Forderung gegen die Schuldnerin aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16.11.2010 zu vollstrecken.

Der Vorsitzende der 8. Kammer des Verwaltungsgerichts hat am 30.06.2011 die Vollstreckung der Kostenforderung sowie der Gerichtsgebühr für den Vollstreckungsantrag und der für den Antrag entstandenen Rechtsanwaltskosten in das bewegliche Vermögen der Schuldnerin verfügt und den Obergerichtsvollzieher D. E. beim Amtsgericht F. mit der Vollstreckung beauftragt. Dieser teilte dem Vorsitzenden am 01.08.2011 mit, dass die Schuldnerin mit unbekanntem Aufenthalt verzogen ist und stellte dem Verwaltungsgericht seine Kosten für den Vollstreckungsauftrag in Höhe von 18,00 Euro in Rechnung. Die Kostenbeamtin des Gerichts hat die von dem Gerichtsvollzieher in Rechnung gestellten Kosten mit Gerichtskostenrechnung vom 28.09.2011 gegenüber der Vollstreckungsgläubigerin in Ansatz gebracht.

Gegen diesen Kostenansatz richtet sich die Erinnerung der Vollstreckungsgläubigerin.

Sie macht geltend, dass sie im Verhältnis zum Obergerichtsvollzieher D. E. nicht Auftraggeberin nach § 13 Gerichtsvollzieherkostengesetz (GVKostG) und damit auch nicht Schuldnerin der Kosten des Gerichtsvollzieherauftrags sei. Auftraggeber sei vielmehr das Verwaltungsgericht. Als Vollstreckungsbehörde des Landes Niedersachsen genieße das Verwaltungsgericht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GVKostG Kostenfreiheit. Dass sie als Behörde nicht für die Vollstreckungskosten hafte, folge daraus, dass auf die Vollstreckung zu Gunsten der öffentlichen Hand durch das Verwaltungsgericht nach § 169 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) das Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) Anwendung finde. Dessen spezielle Regelungen gingen der allgemeinen Haftungsvorschrift des § 22 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) vor. § 19 Abs. 1 Satz 1 VwVG sehe in Verbindung mit § 337 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) ausschließlich die Kostenhaftung des Vollstreckungsschuldners und keine Kostenpflicht der Gläubigerin vor.

Der Bezirksrevisor bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht hat als Vertreter der Landeskasse zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung Stellung genommen.

Er vertritt die Auffassung, dass die Vollstreckungsgläubigerin aufgrund ihrer Antragstellerhaftung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG neben der Vollstreckungsschuldnerin gesamtschuldnerisch für die Kosten des Vollstreckungsverfahrens hafte. Eine persönliche Kostenfreiheit der Vollstreckungsgläubigerin bestehe nicht. Auch enthalte § 334 AO keine Kostenfreiheit für das verwaltungsgerichtliche Vollstreckungsverfahren nach § 169 VwGO. Zu dessen Kosten zählten auch die Kosten des Gerichtsvollziehers als Auslagen des gerichtlichen Verfahrens nach § 13 Abs. 3 GVKostG, denn das Verwaltungsgericht habe den Gerichtsvollzieher nicht als Gläubiger der Hauptforderung sondern als Vollstreckungsgericht beauftragt.

II.

Der nach § 66 Abs. 1 Satz 1 GKG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) gegen den Ansatz der Gerichtskosten ist nicht begründet.

Die Kostenbeamtin des Verwaltungsgerichts hat die im Vollstreckungsverfahren verauslagten Gerichtsvollzieherkosten in Höhe von 18,00 Euro zu Recht gegen die Vollstreckungsgläubigerin in Ansatz gebracht. Rechtsgrundlage der Kostenerhebung ist § 1 Nr. 2 GKG, wonach für Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit Kosten in der Gestalt von Gebühren und Auslagen nach dem Gerichtskostengesetz erhoben werden.

Abweichend von der Rechtsauffassung der Vollstreckungsgläubigerin ist für die angesetzten Gerichtskosten ein Erhebungstatbestand eingetreten. Zwar ist die Gerichtskostenrechnung vom 28.09.2011 insoweit unrichtig, als darin der Kostentatbestand mit den Angaben „Antrag auf Zwangsvollstreckungshandlung (§§ 169, 170 oder § 172 VwGO)“ und „(KVNR: 5301)“ teilweise unzutreffend bezeichnet worden ist. Diese fehlerhafte Rechnungsbegründung ändert aber nichts daran, dass die in der Rechnung im Übrigen genannten Gerichtsvollzieherkosten nach der die Regelung des § 3 Abs. 2 GKG ergänzenden speziellen Gerichtskostenvorschrift des § 13 Abs. 3 GVKostG als Auslagen des gerichtlichen Vollstreckungsverfahrens gelten und damit gemäß § 1 Nr. 2 GKG erhoben werden.

Die Rechtsauffassung der Gläubigerin, ein Auslagentatbestand nach dem GKG sei nicht entstanden, weil gemäß § 337 Abs. 1 Satz 2 AO in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 1 VwVG ausschließlich die Schuldnerin die Kosten des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens trage und dies nach der Verweisung in § 169 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf für die gerichtliche Vollstreckung gelte, ist unzutreffend. Weder die Verweisung des § 169 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf die Regelungen des VwVG noch die Bezeichnung des Vorsitzenden des Verwaltungsgerichts des ersten Rechtszugs als „Vollstreckungsbehörde im Sinne des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes“ machen das in der VwGO und im GKG (s. Nr. 5301 KV Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) vorgesehene gerichtliche Verfahren zur Vollstreckung von Geldforderungen aus verwaltungsgerichtlichen Titeln zugunsten der öffentlichen Hand nicht zu einem Verwaltungsvollstreckungsverfahren. Der Vorsitzende des Verwaltungsgerichts verkörpert auch im Verfahren nach § 169 VwGO das Vollstreckungsgericht (§ 167 Abs. 1 Satz 2 VwGO) und übt dabei eine im bundesrechtlich geregelten Gerichtsverfahren vorgesehene richterliche Tätigkeit im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit aus. Das gilt auch, soweit der Vorsitzende einen Gerichtsvollzieher als Vollstreckungshelfer mit der Einziehung der Geldforderung einer Behörde beauftragt. Auch in diesem Fall wird er für das Vollstreckungsgericht tätig und - abweichend von Verständnis der Vollstreckungsgläubigerin - nicht als Teil der ihre übrigen Kostenforderungen (selbst) vollstreckenden Verwaltung des jeweiligen Bundeslandes.

Da die Zwangsvollstreckung verwaltungsgerichtlicher Titel zugunsten der öffentlichen Hand richterliche und nicht behördliche Tätigkeit ist, wird das gerichtliche Verfahren nach § 169 VwGO nicht von Amts wegen, sondern erst auf einen bei dem Verwaltungsgericht zu stellenden Antrag der Vollstreckungsgläubigerin eingeleitet. Auch die in § 3 VwVG vorgesehene Vollstreckungsanordnung der (Verwaltungs-) Behörde wird demzufolge nicht vom Vorsitzenden des Verwaltungsgerichts, sondern gemäß § 3 Abs. 4 VwVG von der Gläubigerbehörde erlassen, was in der Regel konkludent mit dem bei dem Verwaltungsgericht zu stellenden Vollstreckungsantrag einhergeht (Renck-Laufke, Zwangsvollstreckung aus verwaltungsgerichtlichen Titeln, BayVBl. 1991 S. 44 m.w.N.).

Nur in den Fällen, in denen die Vorschriften des Gerichtskostenrechts einerseits die Erhebung von Auslagen nicht vorsehen, diese andererseits aber tatsächlich durch die Beauftragung von Vollstreckungshelfern (§ 169 Abs. 1 Satz 2 VwGO) oder die Inanspruchnahme von Amtshilfe (§ 169 Abs. 2 VwGO) entstehen, ist eine entsprechende Anwendung der Regelungen des VwVG über die Erhebung von Kosten in der Verwaltungsvollstreckung zulässig (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 169 Rdnr. 162 m.w.N.). Dies ist insbesondere hinsichtlich der Festsetzung der Kosten einer vom Vorsitzenden angeordneten Ersatzvornahme zur Vollstreckung titulierter Handlungspflichten des Schuldners anerkannt (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 18.10.1990 - 9 O 36.90 -, NVwZ-RR 1991 S. 387, 388).

Der Obergerichtsvollzieher D. E. hat die nach Maßgabe des Gerichtskostenrechts zu erhebenden Auslagen unter Hinweis auf das Kostenverzeichnis zu § 9 GVKostG für den Vollstreckungsauftrag des Vorsitzenden vom 30.06.2011 in zutreffender Höhe in Rechnung gestellt. Von diesen Kosten war weder das Verwaltungsgericht noch die Gläubigerin befreit. Dass sich der Vorsitzende gegenüber dem von ihm als Vollstreckungshelfer beauftragten Gerichtsvollzieher nicht auf die Kostenfreiheit des Landes Niedersachsen aus § 2 Abs. 1 Satz 1 GVKostG berufen kann, folgt - abgesehen von seiner Stellung als Vollstreckungsgericht (s. oben) - im Übrigen schon aus § 2 Abs. 1 Satz 2 GVKostG, wonach es bei der Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen für die Kostenfreiheit allein darauf ankommt, wer ohne Berücksichtigung des § 252 der Abgabenordnung oder entsprechender Vorschriften Gläubiger der Forderung ist. Dies ist aber hinsichtlich der zu vollstreckenden Forderung auf Erstattung der Kosten des Verfahrens 8 C 4012/10 nicht das Land Niedersachsen, sondern die Vollstreckungsgläubigerin. Diese wird als Hochschule in der Trägerschaft des Landes Niedersachsen haushaltsrechtlich als Landesbetrieb geführt (§ 49 Abs. 1 Nds. Hochschulgesetz), was zur Folge hat, dass sie weder nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GVKostG noch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG Kostenfreiheit genießt.

Die Vollstreckungsgläubigerin haftet auch für die streitbefangenen Auslagen des Obergerichtsvollziehers D. E.. Ihr an das Verwaltungsgericht Hannover gerichteter Antrag vom 31.03.2011, die Vollstreckung ihrer Kostenforderung aus dem verwaltungsgerichtlichen Titel (Kostenfestsetzungsbeschluss) vom 16.11.2010 durchzuführen, ist unmittelbar auf ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, nämlich das Verfahren zur Vollstreckung einer Geldforderung nach § 169 Abs. 1 VwGO gerichtet. Dies hat gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG zur Folge, dass die Vollstreckungsgläubigerin die in diesem Verfahren nach Maßgabe des Gerichtskostengesetzes zu erhebenden Kosten (Gebühren und Auslagen) schuldet. Sie darf damit für die Kosten des von ihr beantragten Vollstreckungsverfahrens nach § 31 Abs. 1 GKG als Gesamtschuldnerin neben der ebenfalls für die Gerichtskosten haftenden Vollstreckungsschuldnerin (§ 29 Nr. 4 GKG) in Anspruch genommen werden.