Verwaltungsgericht Hannover
v. 18.11.2011, Az.: 6 A 4240/10

Rechtsschutzinteresse; Schülerbeförderung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
18.11.2011
Aktenzeichen
6 A 4240/10
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2011, 45261
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Kein Rechtsschutzinteresse für eine Verpflichtungsklage auf Durchführung der Schülerbeförderung, solange der Schüler im Besitz eines gültigen, ihm vom Verwaltungshelfer des Beförderungsträgers versehentlich überlassenen Schülersammeltickets ist.

Tatbestand:

Die Kläger sind die Eltern des Schülers G. B., der gegenwärtig den 6. Jahrgang des Gymnasiums D. besucht. Mit ihrem Sohn wohnen die Kläger im Ortsteil H. der Stadt D.. Der Schulweg des Schülers führt teilweise durch den Außenbereich der Stadt D. und weist nach Feststellung des Beklagten eine Länge von ca. 3.800 Meter auf.

Mit Bescheid vom 2. September 2010 lehnte es der Beklagte ab, für den Sohn der Kläger eine Schülerbeförderung einzurichten oder die in seinem Fall entstehenden Beförderungsaufwendungen zu erstatten, weil G.s Schulweg die in der Satzung des Beklagten über die Schülerbeförderung festgelegte Mindestentfernung von 4 Kilometer nicht erreiche.

Die Kläger haben am 1. Oktober 2010 Klage erhoben, mit der sie zunächst einen Anspruch auf Einrichtung einer kostenfreien Schülerbeförderung ihres Sohnes im Schuljahr 2011/2012 verfolgt haben. Nach Ablauf des vergangenen Schuljahres machen sie nunmehr mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2011 einen inhaltsgleichen Anspruch für das laufende Schuljahr 2011/2012 und die weiteren Schuljahre geltend.

Die Kläger tragen vor, dass ihrem Sohn zu Beginn des gegenwärtigen Schuljahres ein Schülersammelticket ausgehändigt worden ist. Dies stehe aber dem Rechtsschutzinteresse für ihre Klage nicht entgegen, denn der Beklagte habe erklärt, dass die Fahrkarte zu Unrecht an ihren Sohn herausgegeben worden sei und er diese zurückfordern wolle.

Zur weiteren Klagebegründung machen die Kläger geltend, von der festgelegten Mindestentfernung müsse abgewichen werden, weil der Schulweg ihres Sohnes G. im Bereich der D. - Straße auf einer Strecke von 400 Metern besonders gefährlich sei. Der Schulweg sei hier nicht beleuchtet, auf einer Straßenseite befinde sich ein Waldstück bzw. dichtes Unterholz und weite Teile des Straßenverlaufs könnten von anderen Verkehrsteilnehmern nicht eingesehen werden.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 2. September 2010 zu verpflichten, eine kostenlose Schülerbeförderung ihres Sohnes G. B. während des Besuchs des Gymnasiums D. zu gewährleisten und ihm für die jeweiligen Schuljahre ein Schülersammelticket zur Verfügung zu stellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, das Gymnasium D. habe bei dem Linienbetreiber des Schülerverkehrs für den Sohn der Kläger eine Fahrkarte bestellt, weil es irrig angenommen haben, dass ein Beförderungsanspruch bestehe. Der Verkehrsbetrieb habe die Fahrkarte ausgestellt und diese der Schule zur Aushändigung übersandt. Beides sei nicht im Auftrag des Landkreises und ohne dessen Wissen geschehen. E beabsichtige daher, das Schülersammelticket zurückzufordern.

In der Sache bleibe es dabei, dass ein Beförderungsanspruch nicht bestehe, weil der streitbefangene Schulweg entlang der D. - Straße für Schülerinnen und Schüler des Sekundarbereichs I keine besondere Gefährlichkeit aufweise und aus diesem Grund eine Ausnahme von der festgesetzten Mindestentfernung nicht in Betracht komme.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakte A) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die das Verwaltungsgericht nach erfolgter Anhörung der Beteiligten gemäß § 84 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden kann, ist abzuweisen.

Nach der mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 3. August 2011 erfolgten Klarstellung machen die Kläger für die seit Erlass des angegriffenen Bescheids verstrichenen Zeiträume keinen Anspruch auf Erstattung von Beförderungsaufwendungen aus § 114 Abs. 1 Satz 2 NSchG geltend.

Das mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2011 erklärte Ziel der Klage ist es vielmehr, den Beklagten zu einer kostenfreien Beförderung ihres Sohnes G. B. zum Gymnasium D. für das verbleibende Schuljahr 2011/2012 und die sich anschließenden Schuljahre zu verpflichten.

Die mit diesem Inhalt geänderte Klage ist unzulässig, soweit sie auf die Verpflichtung des Beklagten gerichtet ist, eine kostenfreie Schülerbeförderung des Sohnes der Kläger durch Überlassung eines Schülersammeltickets für das Schuljahr 2011/2012 zu gewährleisten. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Verpflichtung des Beklagten mit diesem Inhalt besteht gegenwärtig nicht.

Der Sohn der Kläger ist nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten gegenwärtig im Besitz eines Schülersammeltickets für das Schuljahr 2011/2012. Dass diese Fahrkarte für seinen Schulweg nicht benutzbar wäre, haben weder die Kläger noch der Beklagte vorgetragen. Der Umstand, dass die Jahresfahrkarte für das Schuljahr 2011/2012 nach Auffassung des Beklagten zu Unrecht ausgestellt worden ist, nach Auffassung der Kläger dagegen ein Anspruch auf die Ausstellung dieser Fahrkarte besteht, ändert nichts an der Tatsache, dass der Schüler von der Möglichkeit einer kostenfreien Schülerbeförderung durch das vom Landkreis üblicherweise vorgesehene Verkehrsmittel Gebrauch machen kann. Seine Eltern, die Kläger, benötigen daher gegenwärtig keinen gerichtlichen Rechtsschutz, damit ihr Sohn den von ihnen befürchteten Gefahren auf dem fußläufigen Schulweg entlang der D. - Straße entgeht.

Dass der Beklagte die Rückforderung des Schülersammeltickets für das Schuljahr 2011/2012 angekündigt hat, weil sein Verwaltungshelfer (Gymnasium D.) von einer falschen Tatsachenlage ausgegangen ist, ändert nichts daran, dass die Eltern des Schülers nach dem gegenwärtigen Sachstand keine gerichtliche Hilfe zur Verwirklichung des Beförderungsanspruchs benötigen. Die Rückforderung der Jahresfahrkarte wäre als Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) gesondert anfechtbar, wobei sich aller Voraussicht nach nicht nur die vorliegend ausgetragene Streitfrage eines Beförderungsanspruchs des Schülers G. stellen würde. Vielmehr wäre zu prüfen, ob die im vorliegenden Fall erfolgten Schritte der Überlassung des Schülersammeltickets dem praktizierten Verfahren des Beklagten bei der Bewilligung einer Schülerbeförderung durch den Öffentlichen Personennahverkehr entsprechen und deswegen für die Rückforderung des Tickets auch die Voraussetzungen der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte (§ 48 VwVfG) einzuhalten wären.

Angesichts der in § 42 Abs. 1 VwGO wiedergegebenen Voraussetzungen für die Erhebung einer Verpflichtungsklage bestehen auch Zweifel an der Zulässigkeit der Klage, soweit mit ihr nach der erfolgten Klageänderung auch die Verpflichtung des Beklagten verfolgt wird, den Sohn der Kläger in den noch kommenden (Folge-) Schuljahren zum Gymnasium D. zu befördern. Diese Zweifel stützen sich auf die Verwaltungspraxis der kommunalen Beförderungsträger, die auch auf Antrag der Erziehungsberechtigten stets nur eine auf das unmittelbar bevorstehende oder laufende Schuljahr bezogene Beförderungsentscheidung treffen.

Diese Zweifel können aber im Ergebnis offen bleiben. Jedenfalls ist die Klage insoweit unbegründet:

Nach heutigem Sachstand lässt sich nicht zur ausreichenden Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) feststellen, dass und für welchen konkreten Zeitraum die Voraussetzungen für eine gesetzliche Pflicht des Beklagten zur Beförderung des Schülers G. B. zum Gymnasium D. aus § 114 Abs. 1 Satz 2 NSchG in der Zeit nach dem 31. Juli 2012 erfüllt sein werden.

Die Beurteilung, ob der Schulbesuch einer Schülerin oder eines Schüler die differenzierten persönlichen und sachlichen Voraussetzungen des § 114 NSchG für eine Schülerbeförderung erfüllt, kann in aller Regel mit ausreichender Sicherheit nur für den Zeitraum des Schuljahres vorgenommen werden, das entweder unmittelbar bevorsteht oder bereits begonnen hat. Denn im Anschluss an ein besuchtes Schuljahr können sich jederzeit Änderungen des persönlichen Bildungsweges einer Schülerin oder eines Schülers ergeben. Auch können sich die für die Bestimmung der nächsten Schule nach § 114 Abs. 3 NSchG maßgeblichen Verhältnisse ändern, zum Beispiel durch Änderung der Schulbezirke, der Schulformen oder der Organisationsformen der Schulen, in deren Einzugsbereiche die Schülerinnen oder Schüler ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Nicht absehbare, für die Entscheidung über die Schülerbeförderung bedeutsame Änderungen der Beförderungsvoraussetzungen können schließlich auch jederzeit durch Veränderungen im Bereich der in Betracht kommenden Schulwege hervorgerufen werden.

Das gilt auch für die Beurteilung zukünftiger Beförderungs- oder Erstattungsansprüche zugunsten des Schülers G. B.. Ob er in den kommenden Schuljahren nach Maßgabe des § 114 NSchG zum Gymnasium D. oder zu einer anderen Schule zu befördern sein wird und ob bei unverändertem Schulbesuch auch die übrigen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse seiner Schülerbeförderung unverändert bleiben werden, lässt sich aus den vorstehend genannten Gründen aus heutiger Sicht allenfalls vermuten, keinesfalls aber mit der für ein stattgebendes Urteil notwendigen Sicherheit feststellen.