Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 21.08.1996, Az.: 6 A 208/95

Übernahme von Tagespflegekosten nach Jugendhilferecht; Gegenstand einer Verpflichtungsklage im Jugendhilferecht; Großeltern als Tagespflegepersonen

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
21.08.1996
Aktenzeichen
6 A 208/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 16590
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOSNAB:1996:0821.6A208.95.0A

Verfahrensgegenstand

Tagespflegekosten nach § 23 SGB VIII

Prozessführer

Frau ...

Prozessgegner

Landkreis Emsland,
vertr. d. d. Oberkreisdirektor, Ordeniederung 1, 49716 Meppen

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Zum Gegenstand einer Verpflichtungsklage kann - ungeachtet der Zulässigkeit einer Klage bei Untätigkeit des Jugendhilfeträgers nach Maßgabe des § 75 VwGO - immer nur ein Leistungsbegehren gemacht werden, das zuvor von der Behörde geprüft und beschieden worden ist.

  2. 2.

    Die Übernahme von Tagespflegekosten kann nicht mit der Begründung versagt werden, dass ein Großelternteil des Kindes als nahe Familienangehörige keine Tagespflegeleistungen im Sinne des § 23 SGB VIII erbringen könne. Es handelt sich hierbei nicht etwa um eine familieninterne Angelegenheit, die nicht der Tagepflege zuzuordnen wäre. Eine derart einschränkende Auslegung ist weder mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang zu bringen noch entspricht sie dem Sinn und Zweck des Gesetzes.

  3. 3.

    Kosten, die ein Sozialhilfeträger für die Unterbringung eines sozialhilfeberechtigten Kindes oder Jugendlichen in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als seinen Eltern oder bei einem Elternteil aufgewendet hat, sind von dem sachlich zuständigen Träger zu erstatten, in dessen Bereich das Kind oder der Jugendliche vor der Unterbringung zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. Dabei ist unerheblich, ob es sich bei der anderen Familie etc. um nahe Angehörige wie Großeltern oder Geschwister handelt.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Osnabrück - 6. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 21. August 1996
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. Thies,
den Richter am Verwaltungsgericht Specht,
die Richterin Müller sowie
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid der Stadt Papenburg vom 25.10.1994 betr. die Versagung von Jugendhilfeleistungen sowie deren Widerspruchsbescheid vom 01.02.1995 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum November 1994 bis Januar 1995 Tagespflegekosten für die Betreuung ihrer Tochter ... durch Frau ... in Höhe von insgesamt 690,- DM zu gewähren.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die 1964 geborene und seit September 1991 geschiedene Klägerin beantragte im Juni 1993 bei der Stadt Papenburg die Übernahme von Tagespflegekosten nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) für ihre am 17.02.1988 geborene Tochter ... Zur Begründung gab sie an: Nach 14-jähriger Berufstätigkeit müsse sie auf Grund einer Berufskrankheit ihren Beruf als Friseurmeisterin aufgeben. Ab 01.08.1993 werde sie die Fachoberschule besuchen, um ihr Abitur nachzumachen. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse ihre Tochter ganztägig anderweitig untergebracht werden. Als Pflegeperson sei die (nicht in ihrem Haushalt lebende) Großmutter des Kindes vorgesehen.

2

Die Stadt Papenburg lehnte den Antrag durch Bescheid vom 25.10.1994 mit der Begründung ab, Erziehung und Pflege für einen Teil des Tages durch Familienangehörige und nahe Verwandte sei eine interne Familienangelegenheit und in der Regel der Tagespflege nicht zuzuordnen, so daß sich die Frage des Aufwendungsersatzes nicht stelle.

3

Durch weiteren Bescheid vom 25.10.1994 stellte die Stadt Papenburg die bis dahin der Klägerin für ihre Tochter in Höhe von monatlich 220,- DM gewährte Sozialhilfe zum 01.11.1994 ein. Dies entsprach dem zwischen der Klägerin und ihrer Mutter vereinbarten Entgelt.

4

Die Klägerin legte gegen den Ablehungsbescheid mit folgender Begründung Widerspruch ein: Seit September 1994 studiere sie an der Fachhochschule Wilhemshaven. Da sie nur noch am Wochenende in Papenburg sei, sei für ihre Tochter eine Wochenpflege erforderlich. Zur Fortsetzung ihres Studiums und zum Aufbau einer neuen beruflichen Existenz sei sie auf die Hilfe angewiesen. Ihre Tochter befinde sich seit dem 1. Lebensjahr bei ihrer Mutter in Tagespflege. Das Kind dürfe nicht aus der durch langjährige Pflege gewachsenen Beziehung zu seiner Großmutter herausgerissen und bei einer anderen Pflegefamilie in Wochenpflege untergebracht werden. Auch im Falle der Verwandten pflege sei eine Übernahme der Pflegekosten durch das Jugendamt möglich. Auf Grund ihrer besonderen Situation beantrage sie daher einen Zuschuß zur Wochenpflege.

5

Die Stadt Papenburg wies den Widerspruch durch Bescheid vom 01.02.1995 mit folgender Begründung zurück: Tagespflege nach § 23 KJHG setzte voraus, daß Pflege und Erziehung des Kindes durch Familienangehörige und nahe Verwandte nicht möglich sei. Im Falle der Klägerin werde die Pflege und Erziehung durch eine sehr nahe Familienangehörige ausgeübt.

6

Die Klägerin hat am 01.03.1995 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie ergänzend vor: Seit April 1995 studiere sie an der Fachhochschule Emden und pendele täglich zwischen Wohn- und Studienort. In dem Zeitraum von Januar 1995 bis Januar 1996 habe sie an ihre Mutter für die Betreuung ihres Kindes monatlich 250,- DM gezahlt. - Der von der Beklagten vertretene Rechtsstandpunkt bedeute im Ergebnis, daß sie ihre Tochter entgegen dem Kindeswohl in fremde Hände geben müßte, um Jugendhilfeleistungen beanspruchen zu können. Dies werde dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG) nicht gerecht. - Für den Fall, daß der Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII nicht dem Personensorgeberechtigten, sondern der Pflegeperson zustehen sollte, leite sie ihren Anspruch hilfsweise aus abgetretenem Recht her.

7

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Stadt Papenburg vom 25.10.1994 betr. Ablehnung der Gewährung von Jugendhilfeleistungen sowie deren Widerspruchsbescheid vom 01.02.1995 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr die ab dem 01.11.1994 für ihre Tochter Lena entstandenen Tagespflegekosten zu erstatten;

8

hilfsweise,

ihren Antrag auf Übernahme der Tagespflegekosten für ihre Tochter ... unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

9

Der Beklagte ist zum 01.01.1996 in das Verfahren eingetreten, da die Stadt Papenburg seitdem gemäß RdErl. des MK v. 03.04.1995 (Nds. MBl. S. 1320) nicht mehr örtlicher Jugendhilfeträger ist. Er tritt dem Klagevorbringen im wesentlichen aus den Gründen der ablehnenden Bescheide entgegen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Die Verwaltungsvorgänge der Stadt Papenburg bzw. des Beklagten haben der Kammer vorgelegen und sind in ihrem wesentlichen Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist zulässig. Dabei legt die Kammer den gestellten Klageantrag, welcher bzgl. des geltend gemachten Leistungszeitraums nur einen Anfangszeitpunkt enthält, dahin aus, daß lediglich der Zeitraum von November 1994 bis Januar 1995 Streitgegenstand sein soll. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde: Bei den streitigen Tagespflegekosten handelt es sich nicht um eine rentengleiche Dauerleistung. Vielmehr sind die Voraussetzungen ihrer Bewilligung auf der Grundlage der aktuellen Verhältnisse, die sich ändern können, vom zuständigen Jugenhilfeträger jeweils zeitabschnittsweise zu prüfen. Daher kann zum Gegenstand einer Verpflichtungsklage - ungeachtet der Zulässigkeit einer Klage bei Untätigkeit des Jugendhilfeträgers nach Maßgabe des § 75 VwGO - immer nur ein Leistungsbegehren gemacht werden, das zuvor von der Behörde geprüft und beschieden worden ist (vgl. BVerwG, U. v. 26.11.1981 - FVES 31, 89/93). Letzteres trifft hier nur für den Zeitraum bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 01.02.1995 zu. An behördlicher Untätigkeit für den Folgezeitraum im Sinne des § 75 VwGO fehlt es, da für den Jugendhilfeträger wegen unveränderter Sachlage bezüglich des aus seiner Sicht maßgeblichen Ablehnungsgrundes bis zu dessen gerichtlicher Klärung keine Veranlassung zu weiterer Bescheidung des fortbestehenden Leistungsbegehrens bestand und letztere von der Klägerin folgerichtig auch nicht beansprucht wurde.

12

Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Übernahme der ihr durch die Betreuung ihres Kindes in dem genannten Zeitraum entstandenen Tagespflegekosten zu.

13

Gemäß § 23 SGB VIII kann zur Förderung der Entwicklung eines Kindes, insbesondere in den ersten Lebensjahren, eine Person vermittelt werden, die das Kind entweder im eigenen oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten betreut (Abs. 1). Wird eine geeignete Tagespflegeperson vermittelt und ist die Förderung des Kindes in Tagespflege für sein Wohl geeignet und erforderlich, so sollen dieser Person die entstehenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung ersetzt werden. Entsprechendes gilt, wenn der Personensorgeberechtigte eine geeignete Tagespflegeperson nachweist (Abs. 3).

14

Im vorliegenden Falle war eine Tagespflege für die jetzt 8-jährige Tochter der Klägerin erforderlich. Dies ergibt sich ohne weiteres daraus, daß die personensorgepflichtige und alleinerziehende Klägerin tagsüber ausbildungsbedingt ortsabwesend war und das Kind in dieser Zeit der Betreuung bzw. Versorgung bedurfte. Gleichermaßen war die Unterbringung des Kindes in Tagespflege für dessen Wohl auch grundsätzlich geeignet, zumal eine andere Betreuungsform unter den gegebenen Umständen offensichtlich nicht in Betracht kam. Schließlich bestehen auch keinerlei Bedenken hinsichtlich der Eignung der hier in Rede stehenden Tagespflegeperson. Nach den aktenkundigen Feststellungen seitens des Jugendamtes der Stadt Papenburg ist die noch nicht 60-jährige Großmutter seit dem 1. Lebensjahr des Kindes dessen feste Bezugsperson und wird aus sozialpädagogischer Sicht als Tagespflegeperson befürwortet.

15

Zu Unrecht hat die Stadt Papenburg die Übernahme von Tagespflegekosten mit der Begründung versagt, daß die Großmutter des Kindes und Mutter der Klägerin als nahe Familienangehörige keine Tagespflegeleistungen im Sinne des § 23 SGB VIII erbringen könne. Es handelt sich deswegen nicht etwa um eine "familieninterne" Angelegenheit, die nicht der Tagepflege zuzuordnen wäre. Eine derart einschränkende Auslegung ist weder mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang zu bringen noch entspricht sie dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Vielmehr erfüllt die Großmutter alle Voraussetzungen einer sog. Tagesmutter. Daß insbesondere bei alleinerziehenden Müttern und Elternpaaren, bei denen beide Partner einer Berufstätigkeit oder Ausbildung nachgehen, die Kinderbetreuung in der entsprechenden Lebensphase vielfach von Großeltern wahrgenommen wird, ändert daran nichts. Zum einen sind diese zu derartigen Betreuungsleistungen rechtlich nicht verpflichtet (arg. § 1626 BGB). Zum anderen ist dafür eine entsprechende Belastbarkeit und Einsatzbereitschaft der Großeltern Voraussetzung. Zwar wird es in vielen Familien, um letztere zu fördern, keiner besonderen finanziellen Zuwendungen bedürfen mit der Folge, daß Jugendhilfeleistungen nur "mitgenommen" würden. Gleichwohl wird in einer zunehmend durch materielle Werte bestimmten Gesellschaft von Großeltern, auch wenn diese noch über die erforderliche Belastbarkeit verfügen, nicht mehr ohne weiteres die (unentgeltliche) Übernahme der Betreuung von Enkelkindern erwartet (vgl. Wiesner u.a., SGB VIII, 1995, § 23 Rz. 32 f.). Daß sich der Gesetzgeber dieser Realität verschließen wollte, ist nicht anzunehmen. Insbesondere ergeben sich dazu aus den Gesetzesmaterialien keine tragfähigen Anhaltspunkte (abw. Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsoge i.d.F. vom 23.03.1994, NDV 1994, 207/209 [Ziff. 4.2]). Dazu heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drs. 11/5948, S. 64):

Der Entwurf zählt dazu im Gegensatz zum geltenden Recht neben der Form der Tagesbetreuung in einer anderen Familie ("Tagesmutter") auch die Betreuung durch eine fremde Person in der eigenen Familie. Aus der Sicht des Kindes ist nicht einzusehen, weshalb bei entsprechendem erzieherischem Bedarf nur die Betreuung in einem anderen Haushalt durch die öffentliche Jugendhilfe förderungswürdig sein soll, die Betreuung im eigenen Haushalt aber ausgeschlossen bleibt.

16

Danach hat der Gesetzgeber lediglich die Haushaltszugehörigkeit der Pflegeperson im Blick gehabt und unter einer fremden Person ausschließlich eine nicht zum Haushalt zählende Person verstanden wissen wollen, ohne dabei auf verwandtschaftliche Beziehungen abzustellen. Hätte er nicht zum Haushalt des Personensorgeberechtigten gehörende nahe Verwandte generell als Pflegeperson ausschließen wollen, um einen sog. Mitnahmeeffekt zu vermeiden, wäre eine entsprechende Einschränkung ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen worden oder doch jedenfalls aufzunehmen gewesen. Dies machen entsprechende Regelungen in anderen Sozialleistungsbereichen deutlich. So hat der Gesetzgeber etwa im Bereich der Pflegeversicherung durch die Gewährung von Pflegegeld nach § 37 SGB XI den Pflegebedürftigen in die Lage versetzen wollen, sich die erforderliche Pflegeleistung auch durch Angehörige im familiären Umfeld - unabhängig von deren Haushaltszugehörigkeit - zu erschließen (vgl. BT-Drs. 12/5262, S. 112 f.). Demgegenüber besteht etwa - vergleichbar der Regelung des § 23 SGB VIII - ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 3 SGB V nur dann nicht, wenn eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann, ohne daß der Gesetzgeber Einschränkungen bei verwandten Pflegepersonen gemacht hätte. Entsprechendes gilt für die Gewährung von Haushaltshilfe bei Krankenhausbehandlung (vgl. § 38 Abs. 3 SGB V). Schließlich ist in diesem Zusammenhang auf die Regelung des § 104 BSHG zu verweisen. Danach sind die Kosten, die ein Sozialhilfeträger für die Unterbringung eines sozialhilfeberechtigten Kindes oder Jugendlichen in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als seinen Eltern oder bei einem Elternteil aufgewendet hat, von dem sachlich zuständigen Träger zu erstatten, in dessen Bereich das Kind oder der Jugendliche vor der Unterbringung zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. Dabei ist unerheblich, ob es sich bei der anderen Familie etc. um nahe Angehörige wie Großeltern oder Geschwister handelt (vgl. E. der Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten Hamburg v. 05.11.1993 - EuG 50, 98 = ZfF 1996, 161 [Ls.]).

17

Ferner ist die Klägerin für den geltend gemachten Anspruch aktivlegitimiert. - § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII spricht zwar davon, daß bei behördlicher Vermittlung einer Tagespflegeperson dieser Person die entstehenden Kosten ersetzt werden sollen. Dies deutet darauf hin, daß in derartigen Fällen allein die Pflegeperson Anspruchsinhaber des Aufwendungsersatzanspruchs sein soll, obwohl der Tagespflegeperson ein Vergütungsanspruch für die erbrachte Pflegeleistung zusteht und Gegenstand eines Aufwendungsersatzanspruchs insoweit nur die einem Dritten dadurch entstehenden Kosten sein können. Im Falle einer von dem Personensorgeberechtigten gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII "nachgewiesenen" Tagespflegeperson handelt es sich demgegenüber um eine vom Personensorgeberechtigten in Eigeninitiative beschaffte Jugendhilfeleistung (vgl. Hauck, SGB VIII, Stand: 01.05.1996, K § 23 Rz. 18). Die Aufgabe des Jugendamtes, soweit es um die Pflegeperson geht, beschränkt sich darauf, im Zusammenhang mit der Gewährung von Aufwendungsersatz deren Eignung festzustellen. Eine unmittelbare jugendhilferechtliche Beziehung zwischen Pflegeperson und Jugendhilfeträger kommt dadurch nicht zustande, da bei einer vom Personensorgeberechtigten "nachgewiesenen" Person für deren "Vermittlung" im Sinne des Abs. 1 bzw. Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift kein Raum ist. Die Pflegeperson gleichwohl auch im Falle des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII wegen ihres Vergütungsanspruchs unmittelbar an den Jugendhilfeträger zu verweisen, würde mithin die Rechtswirklichkeit verfehlen. Vielmehr entsteht ausschließlich eine zivilrechtliche Beziehung zwischen dem Personensorgeberechtigten und der Pflegeperson, so daß auch der Vergütungsanspruch jedenfalls bei der vom Personensorgeberechtigten "nachgewiesenen" Pflegeperson ausschließlich zivilrechtlich begründet ist und sich allein gegen den Personensorgeberechtigten richtet. Jugendhilferechtliche Bedeutung erlangt letzterer erst als Aufwendungsersatzanspruch des Personensorgeberechtigten gegenüber dem Jugenhilfeträger, was nicht ausschließt, daß letzterer ggf. mit befreiender Wirkung unmittelbar an die Pflegeperson leisten kann. - Daß in der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BT-Drs. 11/5948, S. 65) im vorliegenden Zusammenhang von einem Anspruch der Pflegeperson die Rede ist, steht nicht entgegen, da der zugrundeliegende Gesetzentwurf noch keine dem § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII entsprechende Regelung enthielt, letztere vielmehr erst auf eine Bundesratsinitiative (vgl. BT-Drs. 12/2866) durch das 1. SGB VIII-ÄndG eingefügt wurde (abw. - im Sinne eines Anspruchs der Pflegeperson - Wiesner, aaO, Rz. 20; Hauck, a.a.O., Rz. 20 f.).

18

Dem geltend gemachten Aufwendungsersatzanspruch steht weiter nicht entgegen, daß sich die Klägerin während des hier in Rede stehenden Zeitraums nur an den Wochenenden zu Hause aufhielt und ihre Tochter während der Woche durchgängig, also tags und nachts, von ihrer Mutter betreut wurde. Es handelt sich deswegen - unter dem Gesichtspunkt des zeitlichen Ablaufs - nicht etwa um Vollzeitpflege, deren Kosten jugendhilferechtlich nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 33 SGB VIII erstattungsfähig wären, ohne daß diese hier vorgelegen hätten, weil es bei der Unterbringung nicht um eine Hilfe zur Erziehung im Sinne des § 27 SGB VIII, also um eine Maßnahme mit erzieherischer Zielrichtung ging, sondern lediglich die Kindesbetreuung während der ausbildungsbedingten Abwesenheit der Mutter sicherzustellen war und dieses Anliegen jugendhilferechtlich allein nach § 23 SGB VIII zu beurteilen ist (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 11.12.1992 - 4 M 5204/92). - Daß sich unter den besonderen Umständen des Einzelfalles auch eine vom Gesetzgeber als solche nicht ausdrücklich geregelte sog. Wochenpflege, wie sie hier vorgelegen hat, als Tagespflege im Sinne des § 23 SGB VIII darstellen kann, folgt aus dem Zweck der Vorschrift, der vorrangig darin liegt, alleinerziehenden Eltern oder Elternpaaren, bei denen beide Partner berufstätig sind bzw. sich in Ausbildung befinden, die Möglichkeit zu geben, neben der weiterhin von ihnen verantwortlich wahrgenommenen Kindererziehung einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit nachzugehen und auf diese Weise Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren (vgl. Begründung des RegEntw, BT-Drs. 11/5948, S. 61 u. 63). Diese Zielsetzung ist auch im vorliegenden Falle einschlägig. Wegen der durch Berufsunfähigkeit notwendig gewordenen auswärtigen Ausbildung der Klägerin war eine Tagespflege für die Tochter hier ausnahmsweise durchgehend für fünf Tage in der Woche erforderlich, ohne daß die Klägerin dadurch für einen längeren zusammenhängenden Zeitraum vom Umgang mit ihrem Kind ausgeschlossen war und die Wahrnehmung der erzieherischen Verantwortung im wesentlichen auf die Pflegeperson überging, wie dies etwa bei einem - sich nicht mehr als Tagespflege im Sinne des § 23 SGB VIII darstellenden - längerfristigen Internatsaufenthalt wegen Ausbildung oder Erwerbstätigkeit der Eltern im Ausland anzunehmen wäre (vgl. Wiesner, a.a.O., § 23 Rz. 13 u. § 33 Rz. 19 f.; ferner Hauck, a.a.O., K § 23 Rz. 9).

19

Der geltend gemachte Aufwendungsersatz ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Insoweit gilt als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Grundsatz der Angemessenheit und Erforderlichkeit, wie dies auch in anderen Sozialleistungsbereichen vielfach der Fall ist (vgl. Giese/Krahmer, SGB I, Stand: Mai 1996, § 39 Rz. 6 a.E.). Das zwischen der Klägerin und deren Mutter nach Aktenlage für "Pflege und Beaufsichtigung" vereinbarte Entgelt in Höhe von 220,- DM bzw. ab Januar 1995 250,- DM monatlich ist jedenfalls für die Zeit des Studiums in Wilhelmshaven, während der die Betreuung einen erheblichen zeitlichen Umfang beansprucht hat, bei dem sich ergebenden außerordentlich niedrigen Stundensatz offensichtlich nicht unangemessen. Die Kammer geht davon aus, daß die Klägerin die genannten Beträge auch an ihre Mutter gezahlt hat, ihr die geltend gemachten Aufwendungen also tatsächlich entstanden sind. Dies folgt zum einen aus dem bei den Verwaltungsvorgängen in Ablichtung befindlichen Beleg über einen entsprechenden Dauerauftrag, zum anderen aus den ergänzenden Ausführungen ihrer Prozeßbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, die in Frage zu stellen keine Veranlassung besteht. Sofern die Klägerin nicht zusätzlich tatsächliche Auslagen (etwa für Verpflegung) erstattete, würde dies keinen entsprechenden Abzug rechtfertigen, da diese ggf. als Schenkung zu qualifizieren wäre, die jugendhilferechtlich unberücksichtigt zu bleiben hätte, weil eine Pflegeperson - dies gilt insbesondere bei nahen Verwandten - rechtlich nicht gehindert ist, sich ausschließlich die jugendhilferechtlich relevante Pflegeleistung vergüten zu lassen.

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Schließlich hat die Klägerin auch einen Anspruch auf Übernahme der Tagespflegekosten in der geltend gemachten Höhe und muß sich nicht auf eine ermessensfehlerfreie Bescheidung ihres Leistungsbegehrens verweisen lassen. - Nach der Regelung des § 23 Abs. 3 SGB VIII sollen die Aufwendungen einer geeigneten und erforderlichen Pflegeperson ersetzt werden. Mithin besteht im Regelfall, d.h. sofern nicht besondere, eine ablehnende Entscheidung rechtfertigende Umstände vorliegen, eine entsprechende Rechtspflicht der Behörde. Zwar enthält § 26 SGB VIII einen ausdrücklichen Vorbehalt landesrechtlicher Vorschriften zur näheren Ausgestaltung der in den §§ 22 bis 25 SGB VIII vorgesehenen Leistungen, den der Landesgesetzgeber, soweit es um die Tagespflege geht weder durch das Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetztes vom 05.02.1993 (Nds. GVBl. S. 45) i.d.F. vom 08.06.1995 (Nds.GVBl. S. 156) noch das Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder i.d.F. vom 25.09.1995 (Nds. GVBl. S. 303) eingelöst hat. Ein Individualanspruch auf Tagespflege wäre bei dieser Gesetzeslage bereits dem Grunde nach jedoch nur ausgeschlossen, wenn es sich bei den §§ 22, 23 SGB VIII um bloße Rahmenvorschriften handelte. Dies ist indessen nicht der Fall. Soweit in der Rechtsprechung ein gegenteiliger Standpunkt vertreten wird (vgl. OVG Hamburg, B. v. 09.08.1991 - FamRZ 1992, 233; daran anschließend OVG Lüneburg, B. v. 11.12.1992 - 4 M 5204/92 -; B. v. 11.01.1995 - Nds. Rpfl. 1996, 64), vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Dies entspricht zwar der ursprünglichen Gesetzesfassung, steht jedoch im Widerspruch zu späteren Gesetzesänderungen. Während § 22 SGB VIII (Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen) unverändert geblieben ist und in § 23 Abs. 3 SGB VIII durch Art. 1 Nr. 11 des 1. Ges. z. Änd. d. SGB VIII v. 16.02.1993 (BGBl. I S. 239) lediglich der geltende Satz 2 angefügt wurde, hatte § 24 SGB VIII in der ursprünglichen Fassung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes vom 26.06.1990 (BGBl. I S. 1163) folgenden Wortlaut:

Alle Kinder, für deren Wohl eine Förderung in Tageseinrichtungen (§ 22) oder in Tagespflege (§ 23) erforderlich ist, sollen eine entsprechende Hilfe erhalten. Die Länder regeln die Verwirklichung dieses Grundsatzes durch Landesrecht und tragen für einen bedarfsgerechten Ausbau Sorge.

21

Damit hatte der Gesetzgeber unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er sich im Sinne eines rahmen rechtlichen Regelungsauftrages ausschließlich an den Landesgesetzgeber wenden und mit den §§ 22, 23 SGB VIII keine anspruchsbegründenden Normen mit unmittelbarer Rechtswirkung gegenüber dem begünstigten Personenkreis schaffen wollte. Daß bereits die ursprüngliche Gesetzesfassung neben dieser Regelung den Landesrechtsvorbehalt des § 26 im Sinne lediglich konkretisierender Bestimmungen enthielt, macht dabei zugleich deutlich, daß nicht auf Grund der letzgenannten Vorschrift die §§ 22, 23 SGB VIII ausschließlichen Rahmencharakter hatten. Diese Gesetzeslage hat durch Art. 5 Ziff. 1 des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom 27.07.1992 (BGBl. I S. 1398) eine grundlegende Änderung erfahren, indem § 24 SGB VIII - abgesehen von einer im vorliegenden Zusammenhang unwesentlichen späteren Änderung durch das 1. SGB VIII-ÄndG - seine geltende Fassung erhalten hat. Damit hat der Gesetzgeber offensichtlich entsprechende Individualansprüche begründen wollen, was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kommt, daß er sich veranlaßt gesehen hat, zunächst in Art. 5 Ziff. 2 des o.a. Ges. und später durch das 2. SGB VIII-ÄndG v. 15.12.1995 (BGBl. I S. 1775) - im übrigen ausschließlich für die Bereitstellung von Kindergartenplätzen - entsprechende Übergangsregelungen zu schaffen. Der o.a. Rechtsprechung ist mit dieser Gesetzesänderung die Grundlage entzogen (ebenso Wiesner, a.a.O., Rz. 21).

22

Das Fehlen von Ausführungsbestimmungen nach Maßgabe des § 26 SGB VIII würde danach ein subjektives Recht der Klägerin auf Gewährung von Tagespflege gemäß § 23 SGB VIII nur ausschließen, wenn und soweit es derartiger Ausführungsbestimmungen bedürfte, um die bundesgesetzliche Vorschrift in der Rechtspraxis überhaupt umsetzen zu können. Dies ist indessen nicht der Fall. Vielmehr ist eine unmittelbare Anwendung auch ohne konkretisierendes Landesrecht möglich (ebenso Wiesner u.a., a.a.O. Rz. 21). Soweit es um die Bestimmung des Leistungsumfanges im Einzelfall, insbesondere um die zugrundezulegenden Stundensätze, geht, obliegt es der Behörde, darüber unter Beachtung des Grundsatzes der Angemessenheit und Erforderlichkeit als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung zu entscheiden. Daß dies auch im vorliegenden Falle ohne weiteres möglich ist, zeigen die bisherigen Ausführungen. Als rechtliche Orientierungshilfe mag dabei auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsoge (a.a.O.) zurückgegriffen werden. Nur insoweit steht dem Beklagten, solange es an entsprechenden landesrechtlichen Ausführungsvorschriften fehlt, im Rahmen des § 23 Abs. 3 SGB VIII ein Konkretisierungsspielraum zu, bei dem es sich jedoch nicht um Handlungsermessen im Rechtssinne, sondern um gebundenes Verwaltungshandeln handelt.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.

24

Die Kammer hat die Berufung gemäß § 131 Abs. 2 und 3 VwGO zugelassen, da die Rechtssache bzgl. der Erstattungsfähigkeit von Tagespflegekosten bei verwandtschaftlich nahestehenden Pflegepersonen, der Einbeziehung sog. Wochenpflege in den Anwendungsbereich des § 23 SGB VIII sowie der Aktivlegitimation für den Aufwendungsersatzanspruch nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII wegen obergerichtlicher Klärungswürdigkeit rechtsgrundsätzliche Bedeutung hat und in der Frage eines Anspruchs auf Übernahme von Tagespflegekosten die vorliegende Entscheidung von der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts abweicht. - Für die vom Beklagten beantragte Zulassung der Sprungrevision fehlte es im Zeitpunkt der Verkündung dieses Urteils an der gemäß § 134 Abs. 1 VwGO erforderlichen Zustimmung der Klägerin bzw. einem entsprechenden Antrag ihrerseits.

Thies
Specht
Müller