Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 05.07.2019, Az.: 1 A 600/18
Beschäftigungsduldung; Erteilungsverbot; Laissez-passer; Libanon; Mitwirkungspflicht; Nationalpass
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 05.07.2019
- Aktenzeichen
- 1 A 600/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 69510
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 48 Abs 3 AufenthG
- § 60a Abs 2 S 4 AufenthG
- § 60a Abs 6 S 1 Nr 2 AufenthG
- § 60a Abs 6 S 2 AufenthG
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Ausbildungsduldung.
Der 25 Jahre alte Kläger ist libanesischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben erstmals im November 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 13.09.2016 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Im Rahmen seiner Anhörung am 29.06.2017 gab er an, im Libanon einen Reisepass, Personalausweis und einen Führerschein besessen zu haben. Mit dem Reisepass sei er ausgereist, er habe ihn auf der Fahrt zwischen der Türkei und Griechenland aber verloren, die beiden anderen Dokumente seien im Libanon. Den Asylantrag lehnte das Bundesamt gemäß § 30 Abs. 1, 2 AsylG als offensichtlich unbegründet ab. Die hiergegen gerichtete Klage (Az.: 1 A 54/18) ist beim Verwaltungsgericht noch anhängig; den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage lehnte das Gericht mit Beschluss vom 16.08.2017 (Az: 2 B 579/17) ab. Seitdem ist der Kläger vollziehbar zur Ausreise aus dem Bundesgebiet verpflichtet. Seiner Ausreisepflicht kam der Kläger bislang nicht nach. Sein Aufenthalt wird geduldet.
Mit Schreiben vom 05.03.2018 forderte der Beklagte den Kläger unter Fristsetzung zur Vorlage eines Nationalpasses oder einer Bescheinigung über die Beantragung eines Nationalpasses des Konsulats oder der Botschaft auf und wies auf seine diesbezügliche Mitwirkungspflicht aus § 48 Abs. 3 AufenthG hin. Der Kläger reagierte zunächst nicht, woraufhin der Beklagte bei der Staatsanwaltschaft Göttingen Strafanzeige wegen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG stellte. Der Kläger reichte ein Dokument der Botschaft des Libanon in Berlin ein, nach dem er am XX.XX.2018 vorgesprochen habe. In dem Dokument wird auf die für die Beantragung des Nationalpasses erforderlichen Dokumente, darunter einen Aufenthaltstitel, hingewiesen. Außerdem reichte er einen Berufsausbildungsvertrag zum Kraftfahrzeugmechatroniker ein, nach dem die Ausbildung am 01.08.2018 beginnen sollte. Für die Dauer der vertraglich vereinbarten Probezeit von vier Monaten erklärte der Beklagte unter dem 31.07.2018 seine Zustimmung. In der Bemerkung heißt es: „Die Zustimmung gilt zunächst für die Dauer der im Ausbildungsvertrag angegebenen Probezeit. Einer Zustimmung für die Dauer der Berufsausbildung (bis 31.10.2022) steht nach Klärung der Identität nichts entgegen.“
Unter dem 04.12.2018 hörte der Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags an und gab ihm Gelegenheit, bis zum 12.12.2018 Stellung zu nehmen.
Der anwaltlich vertretene Kläger hat am 10.12.2018 Klage erhoben und beantragt, ihm die Ausbildung zum KfZ-Mechaniker zu gestatten und ihm insoweit einen Aufenthaltstitel für die Dauer der Ausbildung zu erteilen.
Mit Bescheid vom 19.12.2018 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung sowie Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung ab. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf das Beschäftigungsverbot nach § 60 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG und führte aus, der Kläger hätte Ausweisdokumente über seine Verwandten im Libanon beschaffen können.
Am 10.01.2018 änderte der Kläger seine Klage und richtete diese nunmehr gegen den Bescheid vom 19.12.2018. Er macht im Wesentlichen geltend, er habe sich um die Passausstellung bemüht, wenn auch ohne Erfolg. Seine Eltern seien geschieden, er habe auch keinen Kontakt zu ihnen. Er werde durch die ständige Belastung destabilisiert.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 19.12.2018 zu verpflichten, ihm eine Ausbildungsduldung zu erteilen und der Ausübung einer Beschäftigung als Auszubildender zuzustimmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf den streitgegenständlichen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Einzelrichterin entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist nach erfolgter zulässiger Klageänderung (§ 91 VwGO) zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungsduldung; der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 19.12.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 dieser Vorschrift nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen. Nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG darf einem Ausländer, der - wie der Kläger - eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. Nach § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG hat ein Ausländer diese Gründe insbesondere dann zu vertreten, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Bei den in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG angegebenen Fällen einer Täuschungshandlung oder der Kundgabe falscher Angaben handelt es sich nur um Beispielsfälle („insbesondere“) für das Vertretenmüssen i.S.d. Satzes 1 Nr. 2 handelt. Die Voraussetzungen einer Ausbildungsduldung sind auch dann nicht gegeben, wenn der Ausländer bei der Passbeschaffung oder bei der Beschaffung von Identitätspapieren vorwerfbar nicht mitwirkt (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 26.11.2018 - 12 S 2460/18 -, juris Rn. 5; Sächs. OVG, Beschl. v. 15.09.2017 - 3 B 245/17 -, juris Rn. 6; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.11.2016 - OVG 12 S 61.16 -, juris Rn. 4; vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v. 14.12.2018 - 13 ME 480/18 -, juris Rn. 11, wonach die Unterdrückung eines Reisepasses ein Fall der Identitätstäuschung ist; Bauer/Dollinger, in: Bermann/Dienelt, Ausländerrecht, § 60a AufenthG, Rn. 54).
Die Annahme des Beklagten, der Kläger habe vorwerfbar an der Beschaffung von libanesischen Passpapieren nicht mitgewirkt, ist nach dieser Maßgabe nicht zu beanstanden.
Der Kläger gab in seiner Anhörung im Asylverfahren selbst an, im Libanon neben dem Reisepass, den er auf dem Weg nach Griechenland verloren haben will, auch noch über einen Personalausweis und einen Führerschein verfügt zu haben. Außerdem gab er an, seine Mutter, zwei Brüder und Mitglieder seiner Großfamilie lebten noch im Libanon. Dass es ihm nicht möglich sein sollte, seine im Libanon lebenden Anverwandten zu bitten, ihm die Dokumente mit der Post zu schicken, ist nicht nachvollziehbar. Sein diesbezüglicher Vortrag im gerichtlichen Verfahren, seine Eltern seien geschieden und er habe keinen Kontakt mehr zu ihnen, ist pauschal und erklärt auch dann, wenn man ihm folgen wollte, nicht, aus welchem Grund er nicht seine Brüder oder weitere Verwandte um Nachsendung der Ausweispapiere bitten sollte. Dass diese nicht mehr vorhanden sein könnten, hat er weder vorgetragen noch gibt es darauf anderweitige Hinweise.
Der Kläger hat außerdem keine Bemühungen nachgewiesen, über die Libanesische Botschaft ein Ausweispapier zu erlangen. Unerheblich ist hierbei, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren ein Dokument der Libanesischen Botschaft in Berlin vorlegte, aus dem sich ergibt, dass die Beantragung eines Nationalpasses einen gültigen Aufenthaltstitel für Deutschland bzw. eine Bescheinigung der zuständigen Ausländerbehörde, dass ein gültiger Aufenthaltstitel vorliegt, erfordert (BA 001, Bl. 141). Danach konnte der Kläger keinen Nationalpass erlangen, weil sein Aufenthalt im Bundesgebiet seit dem 16.08.2017 lediglich geduldet wird. Es ist aber nicht von vornherein aussichtslos, ein Laissez-passer zu erhalten und damit die Identität nachzuweisen. In der Libanesischen Botschaft in Berlin gibt es eine gesonderte Stelle, die für die Ausstellung eines Personaldokuments für Personen ohne einen deutschen Aufenthaltstitel zuständig ist. Dort wird ein besonderes Antragsformular mit der Bezeichnung „Beantragung eines Rückreisedokumentes für eine sich illegal in Deutschland aufhaltende Person“ vorgehalten, in dem nicht nach einem deutschen Aufenthaltstitel gefragt wird (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16.10.2018 - OVG 3 B 4.18 -, juris Rn. 24). Den zumutbaren Bemühungen zur Beschaffung eines Laissez-passer ist der Kläger bislang nicht nachgekommen. Dass der Beklagte in erster Linie die Vorlage eines Nationalpasses verlangte, entlastet den Kläger nicht. Bereits im Schreiben vom 05.03.2018 wies der Beklagte den Kläger auf dessen Pflicht nach § 48 Abs. 3 AufenthG hin, alle sonstigen Urkunden, die zur Klärung der Identität betragen können, vorzulegen. Im Schreiben vom 22.11.2018 sowie im streitgegenständlichen Bescheid stellte der Beklagte auf Dokumente zur Identitätsklärung ab.
Der Kläger hat seine Passlosigkeit auch zu vertreten im Sinne von § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2. AufenthG. Spätestens aufgrund des Schreibens des Beklagten vom 05.03.2018 kannte er seine diesbezüglichen aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten. Geht man davon aus, dass die abverlangten Leistungen – wie vorliegend – nicht von vornherein aussichtslos sind, besteht jedenfalls hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen einer Verletzung von Mitwirkungspflichten und der Erfolglosigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen, die immer nur hypothetisch beurteilt werden können, eine tatsächlich widerlegbare Vermutung zu Lasten des Ausländers (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16.10.2018, a.a.O., Rn. 2, mit Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 -, juris Rn. 20). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vermutung hier nicht zutreffen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.