Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.08.2024, Az.: L 11 AS 75/21

Verdienstausfallentschädigungen als zu berücksichtigendes Einkommen hinsichtlich Erstattung und Rücknahme der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.08.2024
Aktenzeichen
L 11 AS 75/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 23235
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 18.01.2021 - AZ: S 39 AS 2553/19

Redaktioneller Leitsatz

1. Die als Schöffe bezogenen Verdienstausfallentschädigungen stellen grundsätzlich zu berücksichtigendes Einkommen nach dem § 11 SGB II dar. 2. Der Kläger kann sich nach Maßgabe des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauensschutz berufen, da er dem beklagten Amt die Ausübung der Tätigkeit als Schöffe bzw. den damit verbundenen Bezug von Entschädigungen für Verdienstausfall nicht angezeigt hat.

In dem Rechtsstreit
A.
- Kläger und Berufungskläger -
gegen
Jobcenter Region Hannover - Rechtsbehelfsstelle -,
vertreten durch die Geschäftsführung,
Vahrenwalder Straße 245, 30179 Hannover
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
hat der 11. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen ohne mündliche Verhandlung am 29. August 2024 in Celle durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht B., den Richter am Landessozialgericht C. und die Richterin am Landessozialgericht Dr. D. sowie die ehrenamtlichen Richter E. und F. für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 18. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Eine Kostenerstattung im Berufungsverfahren findet nicht statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende für die Monate September, November 2015 und Juni 2016 sowie ein damit korrespondierendes Erstattungsverlangen des Beklagten in Höhe von insgesamt 791,97 Euro.

Der am G. geborene Kläger ist Dipl. Bauingenieur. Bis zum 6. Juli 2012 bezog er von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld gemäß § 136 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III - (Alg I). Am 4. Juli 2012 hatte er bei dem Beklagten die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beantragt. Im Rahmen der Antragstellung verneinte er die Frage, ob er eine nebenberufliche gemeinnützige oder ehrenamtliche Tätigkeit ausübe, für die (steuerfreie) Aufwandsentschädigungen aufgrund von Vorschriften des öffentlichen Rechts gezahlt würden (Anlage EK, Blatt 49 der Verwaltungsakten - VA -, Band I). Ebenso verneinte er die Fragen nach dem Bezug von Entgeltersatzleistungen oder nicht regelmäßig erzieltem Einkommen. Der Beklagte gewährte mit Bescheid vom 30. Juli 2012 (vorläufig) Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Juli 2012 bis zum 31. Dezember 2012. Auch in der Folgezeit bezog der Kläger Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende von dem Beklagten (vgl. Bewilligungsbescheid vom 11. März 2013 für die Zeit von März bis August 2013; Bewilligungsbescheid vom 6. September 2013 für die Zeit von September 2013 bis Februar 2014; Bewilligungsbescheid vom 21. August 2014 für die Zeit von September 2014 bis August 2015). Im Rahmen der diesen Bewilligungsbescheiden zugrundeliegenden Weiterbewilligungsanträge hatte der Kläger angegeben, dass keine Änderungen eingetreten seien. In den folgenden Weiterbewilligungsanträgen vom 30. Juli 2015 und 1. Februar 2016 waren die vorgegebenen Ankreuzfelder weitestgehend nicht ausgefüllt. Auf den Formularblättern war jedoch - teilweise mehrfach - handschriftlich eingetragen: "Alles wie bisher!" bzw. "keine Änderungen". Auf der Grundlage der zuletzt genannten Weiterbewilligungsanträge gewährte der Beklagte Leistungen mit Bescheid vom 3. August 2015 für die Zeit von September 2015 bis Februar 2016 (Regelbedarf 399,00 Euro, Mehrbedarf für die dezentrale Warmwasserbereitung 9,18 Euro, KdU 445,79 Euro) und mit Bescheid vom 2. Februar 2016 für die Zeit von März 2016 bis Februar 2017 (Regelbedarf 404,00 Euro, Mehrbedarf für die dezentrale Bereitung von Warmwasser 9,29 Euro, KdU 445,79 Euro; vgl. Blatt 138 VA Bd. I, Bl. 145 VA Bd. II).

Tatsächlich hatte der Kläger jedoch bereits seit dem 1. Januar 2014 eine Tätigkeit als Schöffe beim Landgericht H. ausgeübt. Für diese Tätigkeit hatte er seit 2014 neben dem Ersatz von Fahrtkosten nach § 5 Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) und der Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 16 JVEG in der Zeit vom 7. August 2014 bis zum 10. Januar 2018 Verdienstausfallsentschädigungen nach § 18 JVEG bezogen (vgl. dazu die tabellarische Aufstellung des Landgerichts H. vom 29. Mai 2018 sowie die Mitteilung der Staatsanwaltschaft H. vom 9. September 2018 VA e I - Ausdruck der elektronischen VA I - ohne Blattzahl). Ausweislich der tabellarischen Aufstellung des Landgerichts H. belief sich die Entschädigung für Verdienstausfall in der Zeit von September bis November 2015 auf insgesamt 1.548,32 Euro und im Jahr 2016 auf insgesamt 1.219,57 Euro. Die Berechnung des Verdienstausfalls beruhte auf eigenen Angaben des Klägers. Dieser hatte auf einem Fragebogen betreffend die Entschädigung von Schöffen gegenüber dem Landgericht H. angegeben, den Beruf eines Bauingenieurs und Energieberaters selbstständig auszuüben, ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 3.500,00 Euro zu erzielen und eine tägliche Arbeitszeit von 9 -18 Uhr zu haben. Es findet sich dort auch folgende handschriftliche Ergänzung: "Mo-Fr. 7,5 h/Tag = 21,21 €/h". Der Fragebogen trägt das Datum vom 7. August 2014 sowie die Unterschrift des Klägers (vgl. VA e I ohne Blattzahl). Nach Auskunft des Landgerichts H. wird der Fragebogen einmalig zu Beginn der Schöffenperiode ausgefüllt. Von den zu Schöffen berufenen Personen werde lediglich im Fall einer Änderung eine Mitteilung gemacht. Eine solche sei im Falle des Klägers bis zum 5. Dezember 2018 nicht erfolgt (vgl. E-Mail des Landgerichts H. vom 5. Dezember 2018; VA e I ohne Blattzahl). Die Schöffenperiode dauerte bis zum 31. Dezember 2018.

Nach Anhörung hob der Beklagte mit Bescheid vom 6. Mai 2019 für die Zeit vom 1. September 2015 bis zum 31. Januar 2018 die ergangenen Leistungsbewilligungen teilweise auf und setzte gegen den Kläger eine Erstattungsforderung in Höhe von insgesamt 3.149,60 Euro fest. Zur Begründung gab er an, dass der Kläger neben der anrechnungsfreien Entschädigung für seine ehrenamtliche Tätigkeit als Schöffe Einkommen in Form von Verdienstausfallentschädigungen nach Maßgabe der §§ 15, 18 JVEG erzielt habe. Auf Grund dieses Einkommens sei er in geringerer Höhe als angenommen hilfebedürftig gewesen. Da er diesen Umstand in seinen Weiterbewilligungsanträgen nicht mitgeteilt habe, sei die Bewilligung zurückzunehmen. Dies gelte auch, weil er wusste bzw. habe wissen müssen, dass ihm Leistungen in der ursprünglich bewilligten Höhe nicht zugestanden hätten.

Mit dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, keiner selbstständigen oder angestellten Tätigkeit nachgegangen zu sein. Die für seine Schöffentätigkeit erhaltenen Bezüge seien eine Aufwandsentschädigung, die bis zu einer Höhe von 2.400,00 Euro im Jahr nicht auf den SGB II-Bezug anzurechnen seien. Er habe niemals wissentlich einen Antrag auf Verdienstausfall beim Landgericht gestellt. Vielmehr sei dort bekannt gewesen, dass er SGB II-Leistungsempfänger sei. Auf seinem Konto seien nur Zahlungen mit der Bezeichnung "Schöffenentschädigungen ..." eingegangen. Eine zusätzliche Überweisung einer Verdienstausfallentschädigung sei nicht erfolgt. Er habe dem Jobcenter verschiedentlich mitgeteilt, eine Schöffenentschädigung erhalten zu haben, und darauf vertraut, dass es die erhaltenen Schöffengelder bis zu einem Betrag in Höhe von 2.400 Euro jährlich als anrechnungsfrei behandele.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. September und Änderungsbescheid vom 1. Oktober 2019 änderte der Beklagte den Bescheid vom 6. Mai 2019 ab. Er verfügte lediglich für die Monate September und November 2015 sowie Juni 2016 eine teilweise Leistungsaufhebung über einen Betrag in Höhe von insgesamt 791,97 Euro und setzte nur in diesem Umfang eine Erstattungsforderung gegen den Kläger fest. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab er an, dass auch für den vorliegend lediglich als Einkommen angerechneten Verdienstausfall die Privilegierung nach § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II gelte, so dass ein erhöhter Grundfreibetrag in Höhe von 200,00 Euro zu berücksichtigen sei. Darüber hinaus sei der Erwerbstätigenfreibetrag nach Maßgabe des § 11b Abs. 3 SGB II zu gewähren. Damit errechne sich nur für die genannten Monate September und November 2015 sowie Juni 2016 eine Überzahlung, die der Kläger zu erstatten habe (vgl. "manuelle Berechnung" vom 1. Oktober 2019 sowie die dem Änderungsbescheid vom 1. Oktober 2019 beigegebenen Berechnungsbögen; VA e I ohne Blattzahl).

Der Kläger hat am 16. Oktober 2019 Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben.

Er hat dort weiterhin die Auffassung vertreten, dass die Einnahmen aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit als Schöffe bis zu einer Jahrespauschale in Höhe von 2.400,00 Euro anrechnungsfrei im Hinblick auf den Bezug von SGB II-Leistungen seien. Dies sei ihm aus seiner Tätigkeit bei dem Beklagten in 2008 bekannt. In einem Extra-Beratungsgespräch beim Jobcenter im Jahr 2012 sei ihm dies nochmals bestätigt worden, worauf er vertraut habe.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18. Januar 2021 abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die angegriffenen Bescheide rechtlich nicht zu beanstanden seien. Der Beklagte habe damit zutreffend die ergangene Bewilligung teilweise zurückgenommen und eine entsprechende Erstattungsforderung gegen den Kläger festgesetzt. Der Beklagte habe das aufgrund der Schöffentätigkeit bezogene Einkommen in den streitbefangenen Monaten zutreffend unter Berücksichtigung der zu gewährenden Freibeträge als Einkommen auf den Bedarf des Klägers angerechnet. Entgegen dem Kläger sei nicht eine Jahresgesamtpauschale in Höhe von 2.400,00 Euro maßgeblich, sondern der sich aus dem Gesetz ergebende monatliche Freibetrag. Auch habe der Beklagte nicht die bezogene Aufwandsentschädigung, sondern nur den Verdienstausfall als Einkommen berücksichtigt. Dieser Verdienstausfall sei nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aber wie Einkommen zu betrachten. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung seien weder vorgetragen noch ansonsten festzustellen. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da er grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht habe. So habe er bei keinem seiner Bewilligungsanträge angegeben, Einnahmen aufgrund einer Schöffentätigkeit zu beziehen. Es sei irrelevant, wenn er von einem Freibetrag in Höhe von 2.400,00 Euro jährlich ausgegangen sei, da es hier nicht um eine Aufwandsentschädigung, sondern um einen Verdienstausfall gehe. Wenn er vortrage, diesen nie beantragt zu haben, sei dies nicht zutreffend. So habe er in dem Fragebogen des Landgerichts im Jahr 2014 gerade nicht angegeben, SGB II-Leistungen zu beziehen, sondern ausdrücklich erklärt, selbstständiger Bauingenieur mit einem Einkommen in Höhe von 3.500,00 Euro zu sein. Zusätzlich seien handschriftlich sogar die Arbeitszeit angegeben und ein Stundenlohn ausgerechnet worden. Damit sei eindeutig der Eindruck erweckt worden, dass bei ihm ein Verdienstausfall entstehe.

Gegen das ihm am 23. Januar 2021 zugestellte Urteil richtet sich die am 19. Februar 2021 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegte Berufung des Klägers.

Zur Begründung wiederholt er, dass ihm die "rechtliche Jahrespauschale von 2.400,00 Euro" in einem Extra-Beratungsgespräch beim Jobcenter in 2012 zugesichert worden sei. Dies müsste im Verbis-System des Jobcenters dokumentiert sein. Darauf habe er vertraut. Im Übrigen sei ihn das auch so gelehrt worden, als er 2008 beim Jobcenter gearbeitet habe. Es sei ihm vom Jobcenter am 8. März 2019 telefonisch zugesagt worden, dass seine ehrenamtliche Tätigkeit als Schöffe anerkannt werde. Auf diese Rechtsauskunft habe er sich verlassen. Er könne sich auch deshalb auf Vertrauensschutz berufen, weil er wirtschaftlich nicht in der Lage sei, den Erstattungsbetrag zu begleichen, da er das erhaltene Geld verbraucht habe. Darüber hinaus habe er dem Jobcenter mit einem Schreiben von Dezember 2012 mitgeteilt, vielleicht irgendwann als Schöffe tätig zu sein. Dieses Schreiben habe er als Kopie nochmals im März 2019 beim Jobcenter eingereicht.

Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung bei verständiger Würdigung folgendes Begehren:

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 18. Januar 2021 sowie den Bescheid des Beklagten vom 6. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2019 und des Änderungsbescheids vom 1. Oktober aufzuheben.

Der Beklagte tritt dem Berufungsbegehren unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid und das angegriffene erstinstanzliche Urteil entgegen und beantragt (schriftsätzlich),

die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend führt er aus, dass nicht bestätigt werden könne, dass dem Kläger im Jahr 2012 in einem "Extra-Beratungsgespräch" mitgeteilt worden sei, dass er als Schöffe 2.400,00 Euro jährlich anrechnungsfrei beziehen könne. Es finde sich aus dem Jahr 2012 lediglich ein Verbis-Dokument vom 14. Dezember 2012, das sich auf die Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit als Wahlhelfer beziehe.

Das Gericht hat die vollständigen den Kläger betreffenden Verbis-Vermerke des Beklagten aus dem Jahr 2012 beigezogen und zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die von dem Beklagten als Verwaltungsvorgänge vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die nach §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig.

Rechtsgrundlage dieser Bescheide ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III. Danach ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (vgl. zur gebundenen und rückwirkenden Entscheidung: § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III). Zwar darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauensschutz kann sich der Begünstigte allerdings nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Leistungsbewilligung ohne die Ausübung von Ermessen auf der Grundlage der genannten Vorschriften waren vorliegend gegeben. Aufgrund der von dem Kläger als Schöffe beim Landgericht H. in den Monaten September und November 2015 und Juni 2016 nach Maßgabe der §§ 15, 18 JVEG bezogenen Verdienstausfallentschädigung war er nicht im ursprünglich bewilligten Umfang hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB II, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende in dem vom Beklagten zutreffend errechneten Umfang nicht gegeben waren (vgl. insoweit die "manuellen Berechnungen" des Beklagten vom 1. Oktober 2019 sowie die Berechnungsbögen zum Änderungsbescheid vom 1. Oktober 2019, VA e I ohne Blattzahl).

Die von dem Kläger in den genannten Monaten ausweislich der tabellarischen Aufstellung des Landgerichts H. vom 29. Mai 2018 bezogenen Verdienstausfallentschädigungen stellen grundsätzlich zu berücksichtigendes Einkommen i. S. d. § 11 SGB II dar. Sie sind nicht als zweckbestimmte Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften i. S. d. § 11a Abs. 3 SGB II und damit nicht als anrechnungsfreies Einkommen zu qualifizieren. Denn mit einer Verdienstausfallentschädigung wird kein anderer Zweck als der der Sicherung des Lebensunterhalts verfolgt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 93/10 R, Rn. 17 ff.; vgl. zur Qualifikation als Einkünfte: BFH, Urteil vom 31. Januar 2017 - IX R 10/16 -, Rn. 15 ff.).

Die vom Beklagten der Leistungsrücknahme bzw. der Festsetzung der Erstattungsforderung zugrunde gelegte Berechnung begegnet keinen rechtlichen Bedenken zu Lasten des Klägers.

Ob hinsichtlich der vorliegend einzig vom Beklagten als Einkommen angerechneten Verdienstausfallentschädigung nach § 18 JVEG der erhöhte monatliche Grundfreibetrag ("Ehrenamtsfreibetrag") von 200,00 Euro nach § 11 b Abs. 2 Satz 3 SGB II (in der hier anzuwendenden vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung des Ehrenamtsstärkungsgesetzes vom 21. März 2013, BGBl. I, S. 556, zuletzt in der Fassung vom 26. Juli 2016 BGBl. I, S. 1824; seit dem 1. Januar 2021: monatlich 250,00 Euro, vgl. § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II in der ab da geltenden Fassung vom 21. Dezember 2020, BGBl. I, S. 3096) oder nur der allgemeine Grundfreibetrag von 100,00 Euro nach § 11 b Abs. 2 Satz 1 SGB II berücksichtigt werden musste, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Der erhöhte Grundfreibetrag ist maßgeblich, wenn eine leistungsberechtigte Person mindestens aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen erhält, die nach § 3 Nr. 12, 26, 26a oder 26b Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei sind (vgl. zur Frage der Steuerpflicht einer Entschädigung nach § 18 JVEG bzw. zum Ausscheiden einer Steuerbefreiung bei gleichzeitigem Bezug von Entschädigungen nach den §§ 5 und 16 JVEG: BFH, a.a.O., Rn. 27 ff. u. 35 ff.). Der Kläger ist durch die Berücksichtigung eines höheren Freibetrags nicht belastet.

Entgegen dem Kläger war der Berechnung vorliegend nicht ein Jahresgesamtfreibetrag in Höhe von 2.400,00 Euro zugrunde zu legen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung (vgl. oben) ist maßgeblich ein monatlicher Freibetrag in Höhe von 200,00 Euro. Dass hier von einem monatlichen Freibetrag auszugehen war, wird auch durch die Rechtsentwicklung bestätigt. Denn erst mit dem Wegfall des § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II und der mit Wirkung vom 1. Juli 2023 durch das Bürgergeld-Gesetz vom 16. Dezember 2022 (BGBl. I, S. 2328) erfolgten Überführung der Privilegierung von ehrenamtlichen bzw. nebenberuflichen Einkünften in § 11a Abs. 1 Nr. 5 SGB II ist eine Neuausrichtung vom Monats- auf das Jahresprinzip und vom Freibetragsprinzip auf eine Einkommensprivilegierung erfolgt (vgl. dazu Schmidt/Lange in: Luik/Harich, SGB II, 6. Auflage 2024, § 11a Rn. 12c).

Auch ansonsten sind Berechnungsfehler nicht festzustellen (vgl. nochmals die manuellen Berechnungen sowie die zum Bestandteil des Änderungsbescheids vom 1. Oktober 2019 erklärten Berechnungsbögen).

Der Kläger kann sich nach Maßgabe des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauensschutz berufen, da er dem Beklagten die Ausübung der Tätigkeit als Schöffe bzw. den damit verbundenen Bezug von Entschädigungen für Verdienstausfall nicht angezeigt hat. Entgegen seinen Angaben ergibt sich aus den Verwaltungsvorgängen nicht die Mitteilung der erhaltenen Geldbeträge. Eine Anzeige ist nicht durch sein Schreiben mit dem Datum "12/2012" erfolgt, das er in Kopie dem Beklagten mit Posteingang vom 12. März 2019 vorgelegt hat (vgl. VA e I ohne Seitenangabe). In diesem Schreiben bedankt er sich lediglich für eine Beratung im Hinblick auf eine Schöffentätigkeit und teilt mit, dass er als Schöffe/Hilfsschöffe gemeldet sei und sicherlich gelegentlich zum Einsatz kommen könne. Die erforderliche Mitteilung über eine konkrete Tätigkeitsausübung oder gar erhaltene Entschädigungen enthält dieses Schreiben jedoch nicht. In seiner Berufungsschrift vom 13. Februar 2021 hat er demgemäß selbst ausgeführt, dem Beklagten mitgeteilt zu haben, dass er "vielleicht irgendwann" als Schöffe tätig sei. Es bedarf daher auch keiner Klärung, ob das mit dem Datum "12/2012" versehene Schreiben rechtzeitig, d.h. spätestens bei Aufnahme der Schöffentätigkeit eingereicht wurde oder ob eine Vorlage erst mit dem Schreiben vom 8. März 2019 mit Posteingang vom 11. März 2019 beim Beklagten erfolgte.

Auch kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, eine Anzeige nicht für nötig erachtet zu haben, weil ihm der Beklagte in einem "Extra-Beratungsgespräch" im Jahr 2012 die Auskunft erteilt habe, dass bei einer Tätigkeit als Schöffe ein Bezug von 2.400,00 Euro anrechnungsfrei sei. Es ist bereits nicht festzustellen, dass der Beklagte eine derartige Auskunft erteilt hat. Dies wird entgegen dem Kläger nicht durch die Beratungsvermerke (Verbis-Vermerke) des Beklagten für das Kalenderjahr 2012 bestätigt, die der erkennende Senat vollständig beigezogen und ausgewertet hat. Es findet sich dort lediglich unter dem Datum 14. Dezember 2012 ein Vermerk, dass der Kläger für eine ehrenamtliche Tätigkeit als Wahlhelfer eingeteilt worden sei und insoweit gegen eine Aufwandsentschädigung in Kürze beschäftigt werde.

Soweit der Kläger geltend macht, dass ihm bereits im Rahmen seiner Beschäftigung beim Beklagten bekannt geworden sei, dass Bezüge aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit bis zu einer Jahrespauschale in Höhe von 2.400,00 Euro anrechnungsfrei seien, führt auch dies nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Dies befreit den Kläger nicht von den ihm obliegenden Anzeige- und Mitteilungspflichten nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Dies gilt auch, soweit er vorträgt, es sei ihm vom Jobcenter am 8. März 2019 telefonisch zugesagt worden, dass seine ehrenamtliche Tätigkeit als Schöffe anerkannt werde.

Die Fristen des § 45 Abs. 3, 4 SGB X sind eingehalten.

Der Erstattungsanspruch beruht auf § 50 SGB X.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (vgl. § 160 Abs. 2 SGG).