Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 21.12.1988, Az.: 9 U 270/87
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch Nichtbeachtung der Streupflicht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 21.12.1988
- Aktenzeichen
- 9 U 270/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1988, 19766
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1988:1221.9U270.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 28.10.1987 - AZ: 4 O 185/87
Rechtsgrundlage
Fundstelle
- NJW-RR 1989, 984-985 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 1988
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen vom 28. Oktober 1987 geändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens aus beiden Instanzen zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschwer für den Kläger: 3.069,73 DM.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts bestand im vorliegenden Fall keine Verpflichtung der Gemeinde, den Kreuzungsbereich der Straßen "..."/"..."/"..." in dem Ortsteil ..., wo der Kläger am 7. Januar 1986 gegen 16.10 Uhr mit seinem Fahrzeug auf glatter, ungestreuter Straße ins Rutschen kam und gegen ein Haus prallte, von Schnee und Eis zu räumen oder mit abstumpfenden Mitteln zu streuen.
I.
Eine solche Verpflichtung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 Satz 3 c Nds. StrG und der damit insoweit übereinstimmenden allgemeinen deliktischen Verkehrssicherungspflicht (vgl. BGH NJW 1965, 201, 202 [BGH 12.11.1964 - III ZR 121/64]; Steffen, RGRK, BGB, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 196) schon deshalb nicht, weil es in dem in Rede stehenden Straßenbereich an einem nicht nur unbedeutenden Verkehr fehlt. Vielmehr werden die fraglichen Straßen auch nach dem Vorbringen des Klägers nur von den Einwohnern des kleinen Ortsteils ... benutzt, um entweder in Richtung ... oder in Richtung ... auf die Bundesstraße B 241 zu gelangen. Wie sich aus dem Lageplan (Bl. 15 = Hülle Bl. 88) ergibt, stehen den Einwohnern von ... für diese Zwecke aber zwei weitere Zugangsmöglichkeiten auf die B 241 zur Verfügung, nämlich entweder über die "..." oder über den "...". Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten nicht bestritten, daß die "..." besser ausgebaut sei als die Straße "..." (Bl. 69 d.A.). Im Gegenteil trägt der Kläger selbst vor, die Straße "..." sei nicht geeignet, Geschwindigkeiten von mehr als 50 km/h zuzulassen, weil sie stark geflickt sei (Bl. 91 d.A.). So ist es auch auf dem vom Kläger eingereichten Foto Nr. 1 (Hülle Bl. 83) zu erkennen. Selbst wenn aber die Behauptung des Klägers zutrifft, daß die Einwohner von ... bevorzugt über die hier fragliche Kreuzung jedenfalls in Richtung ... fahren, wofür auch das Verhalten des an der Kreuzung "..."/"..." wohnenden, von der Beklagten als Zeugen benannten Gemeindeamtmanns ... spricht (vgl. den nicht bestrittenen Vortrag des Klägers Bl. 90 d.A.), handelt es sich immer noch lediglich um den Anliegerverkehr eines verhältnismäßig kleinen Wohngebietes. Von überörtlichem oder Durchgangsverkehr kann nicht die Rede sein. Allenfalls in den Morgenstunden und nach Büroschluß konnte, die bevorzugte Benutzung des hier in Rede stehenden Straßenbereichs durch alle Einwohner ... einmal unterstellt, vorübergehend eine nennenswerte Verkehrsbelastung auftreten. Jedenfalls für den Zeitpunkt des Unfalls - 16.10 Uhr - läßt sich nach den unstreitigen Gesamtumständen eine nicht nur unerhebliche Verkehrsbedeutung nicht feststellen. Auf die Beweisantritte der Parteien (vgl. Bl. 69, 80, 86 d.A.), in denen Anzahl und Häufigkeit von Fahrzeugen auf dieser Kreuzung nicht substantiiert, sondern die rechtliche Würdigung in das Wissen der Zeugen gestellt wird, kommt es nicht an.
II.
Jedenfalls kommt hier eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht deshalb nicht in Betracht, weil die Unfallstelle nicht als gefährlich einzuordnen ist. Die Rechtsprechung hat seit jeher auf die begrenzte Leistungsfähigkeit der Gemeinden Bedacht genommen und daher eine Streupflicht auf den Fahrbahnen grundsätzlich verneint; die Streupflicht besteht nur ausnahmsweise, nämlich innerhalb geschlossener Ortschaften nur an gefährlichen und verkehrswichtigen Stellen sowie lediglich tagsüber. Gefährlich in diesem Sinne sind solche Straßenstellen, die wegen ihrer eigentümlichen Anlage oder bestimmter Zustände, die nicht ohne weiteres erkennbar sind, die Möglichkeit eines Unfalls auch für die Fall nahelegen, daß der Verkehrsteilnehmer die im Verkehr im Winter allgemein erforderliche Sorgfalt walten läßt (grundlegend BGH NJW 1965, 201, 202 f) [BGH 12.11.1964 - III ZR 121/64]. Wenn der Bundesgerichtshof im Anschluß an diese allgemeine Definition beispielhaft Straßenstellen aufführt, an denen Fahrzeuge erfahrungsgemäß bremsen, ausweichen oder sonst ihre Fahrtrichtung oder Geschwindigkeit ändern müssen, läßt sich daraus nicht der Schluß ziehen, daß generell jede Kurve und jeder Einmündungsbereich, an dem wegen der Möglichkeit des Auftauchens von vorfahrtberechtigtem Verkehr gebremst werden muß, abzustreuen sind. Vielmehr sind nach der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs die normalen Gefahren, die sich aus den winterlichen Straßenverhältnissen ergeben und die gerade darin bestehen, daß beim Bremsen und Ändern der Fahrtrichtung besondere Vorsicht geboten ist, von den Verkehrsteilnehmern hinzunehmen; erst wenn dies aus besonderen Gründen nicht mehr erwartet werden kann, insbesondere weil die Gefährlichkeit durch Umstände erhöht ist, die der Kraftfahrer auch bei Beachtung der im Winter gebotenen besonderen Aufmerksamkeit leicht verkannt oder nicht ohne weiteres zu bewältigen vermag, setzt die Verkehrssicherungspflicht ein (ständige Rechtsprechung des Senats, z.B. Urteil vom 30.11.1983, 9 U 40/83; Urteil vom 30.7.1986, 9 U 278/85; Urteil vom 7.12.1988, 9 U 264/87; ebenso auch OLG Oldenburg, Urteil vom 14.10.1988, 6 U 206/88).
1.
Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar nicht um eine völlig regelmäßige Kreuzung. Die Straße "..." mündet nicht direkt gegenüber dem Straßenstück der Straße "...", aus der der Kläger kam, auf die Kreuzung ein, sondern versetzt um die Breite des Hauses, in das der Kläger hineingefahren ist. Auch die (aus Sicht des Klägers) von links kommende Straße "..." mündet in einer leichten Rechtsbiegung auf den Kreuzungsbereich ein und ist durch ein vorspringendes Haus aus Richtung des Klägers schwer einzusehen (vgl. das Bild 1 im Gutachten des Sachverständigen Pickart). Eine Verkehrsführung durch Verkehrszeichen besteht nicht. Zwar dürfte ohne ein Abbremsen der Kreuzungsbereich nicht gefahrlos zu passieren sein. Jedenfalls in der Fahrtrichtung des Klägers, der lediglich rechts abbiegen wollte und daher andern Verkehrsteilnehmern gegenüber nicht wartepflichtig war, ergeben sich aber aus der eigentümlichen Anlage der Kreuzung keine besonderen Gefahren, die nicht ohne weiteres erkennbar und bei entsprechend vorsichtigem Fahrverhalten zu beherrschen waren. Es ist nicht ersichtlich, daß die Aufmerksamkeit des Klägers auch unter Berücksichtigung der winterlichen Straßenverhältnisse durch Rücksichtnahme auf eventuell von links kommende, die Vorfahrt des Klägers nicht achtende Fahrzeuge überfordert worden wäre.
2.
Zumindest für den Zeitpunkt des Unfalls ist auch nicht von einer solchen Verkehrsdichte auszugehen, daß - wenn nicht der gesamte Verkehr zum Erliegen kommen sollte - keine Möglichkeit blieb, so langsam und vorsichtig zu fahren, wie es die Anlage der Straßen und das winterliche Wetter erforderlich machten.
3.
Der Kläger behauptet, auf die vorhandene Schneedecke habe es in den Vortagen geregnet, anschließend habe es gefroren, so daß die Straße mit einer dicken und spiegelglatten Eisschicht bedeckt gewesen sei. Er will sich auf die Glätte eingestellt haben und die Straße "..." mit äußerster Vorsicht befahren sein. Daß die Straße an der Unfallstelle mit einer spiegelglatten Eisschicht belegt gewesen sei, soll nach dem Vorbringen des Klägers zweiter Instanz nicht deutlich zu erkennen gewesen sein (Bl. 79 a d.A.).
Selbst wenn die Straßen allgemein am Unfalltage infolge überfrierender Nässe spiegelglatt gewesen sind, folgt daraus auch nach dem Vorbringen des Klägers nicht, daß sie ohne das Streuen abstumpfender Mittel überhaupt nicht passierbar gewesen seien. Die Rechtsprechung geht von dem Lebenserfahrungssatz aus, daß den Gefahren auch einer eisglatten Fahrbahn selbst in Kurven mit seitlicher Überhöhung in der Regel durch besondere Vorsicht bei der Beobachtung der Fahrbahn und der Lenkung des Fahrzeugs begegnet werden kann (BGH VersR 1971, 842). Die überfrierende Nässe als solche kann daher im allgemeinen eine besondere Gefährlichkeit nicht begründen.
An Kreuzungen und Einmündungen, wo erfahrungsgemäß gebremst, eventuell gehalten und langsam wieder angefahren wird, ist in besonderem Maße mit der Bildung von Glatteis zu rechnen, und zwar auch an einzelnen, nicht ohne weiteres erkennbaren Straßenstellen. Auch wenn, wie der Kläger behauptet, die Straße im Unfallbereich glatter gewesen sein sollte als in dem zuvor von ihm befahrenen, geradeaus verlaufenden Teilstück, und dies für ihn nicht auf der Straßenoberfläche deutlich sichtbar gewesen sein sollte, hätte er damit doch rechnen und Schrittgeschwindigkeit (6 km/h) fahren müssen, zumal er ortskundig war. Es ist nicht einzusehen, daß die Gemeinde schon um die fragliche Uhrzeit an einer derartigen Stelle das Passieren von Fahrzeugen mit höherer Geschwindigkeit - der Kläger fuhr nach eigenen Angaben mit 15 km/h - hätte ermöglichen müssen. Danach kommt es auch insoweit auf die Beweisantritte der Parteien nicht an (vgl. Bl. 79 a, 84 f, 89 d.A.).
III.
Bei dieser Sachlage war die Klage - ungeachtet der vom Landgericht nicht berücksichtigten Betriebsgefahr sowie der Anhaltspunkte für ein Mitverschulden des Klägers - schon deshalb abzuweisen, weil sich eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht feststellen läßt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO[...].
Streitwertbeschluss:
Beschwer für den Kläger: 3.069,73 DM.[D]ie Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit [beruht] auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.