Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.09.2016, Az.: 1 Ws 434/16

Rücknahme der gerichtlichen Zustimmung zur Erteilung einer Telefonerlaubnis für Untersuchungsgefangene

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.09.2016
Aktenzeichen
1 Ws 434/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 29717
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2016:0908.1WS434.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 17.08.2016 - AZ: 12 Ks 17 Js 20201/16

Fundstelle

  • StRR 2016, 3

Amtlicher Leitsatz

Eine gerichtliche Zustimmung zur Erteilung einer Telefonerlaubnis für einen Untersuchungsgefangenen kann vom Gericht mit bindender Wirkung für die Vollzugsbehörde zurückgenommen oder widerrufen werden, wenn nachträglich Umstände eintreten oder bekannt werden, unter denen eine Zustimmung versagt werden könnte.

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeschuldigten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Der Angeschuldigte befindet sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Holzminden vom 23. Juni 2016 in Untersuchungshaft in der JVA R. Unter dem 12. Juli 2016 hat die Staatsanwaltschaft Hildesheim gegen ihn Anklage wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur 1. großen Strafkammer des Landgerichts Hildesheim - Schwurgericht - erhoben.

Mit Beschluss vom 17. August 2016 hat der Vorsitzende der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Hildesheim einen Antrag des Angeschuldigten auf Erteilung einer Erlaubnis für Telefonate mit seiner Mutter unter deren Festnetznummer abgelehnt und eine vor Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft Hildesheim erteilte Erlaubnis für Telefonate mit seiner Mutter unter deren Mobiltelefonnummer widerrufen. Gestützt worden ist diese Entscheidung auf die Besorgnis, der Angeschuldigte werde bei Telefonaten mit seiner Mutter auch mit seiner Lebensgefährtin, der Zeugin S. V., sprechen und dabei mit dieser, die eine wichtige Tatzeugin sei, Absprachen bezüglich deren Zeugenaussage in einer Hauptverhandlung treffen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeschuldigte mit seiner Beschwerde vom 17. August 2016. Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Die Beschwerde ist nach § 168 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG i.V.m. § 304 StPO zulässig. Danach ist gegen eine Maßnahme des Gerichts zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Vollzuges der Untersuchungshaft oder ihre Ablehnung oder Unterlassung die Beschwerde zulässig, wenn der Beschwerdeführer geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Angeschuldigte ist durch die angefochtene Entscheidung des Vorsitzenden des Schwurgerichts unmittelbar in eigenen Rechten betroffen.

Dem steht nicht entgegen, dass gemäß § 148 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG über die Erteilung einer Telefonerlaubnis nicht das Gericht, sondern die Vollzugsbehörde abschließend entscheidet und diese vorab die Zustimmung des Gerichts einholen muss. Denn bei dieser Entscheidung des Gerichts handelt es sich nicht lediglich um eine reine vorbereitende Verfahrenshandlung ohne eigenen Regelungscharakter, die nicht eigenständig, sondern nur inzident zusammen mit der Hauptentscheidung - also einer Ablehnung der Telefonerlaubnis durch die Vollzugsbehörde - anfechtbar wäre. Hier kommt der gerichtlichen (Zustimmungs-)Entscheidung als einer vorbereitenden Handlung vielmehr ausnahmsweise eigener Regelungscharakter zu, weil § 148 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG ausschließlich dem Gericht die Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung einer Telefonerlaubnis unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer eventuellen Verdunkelungsgefahr überantwortet (vgl. LT-Drucks. 15/3565, S. 190) und die Verweigerung der Zustimmung des Gerichts zwingend zur Ablehnung der Telefonerlaubnis führt, also Bindungswirkung für die Vollzugsbehörde hat (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2009 - 1 Ws 392/09, NStZ 2009, 399).

2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg und war deshalb als unbegründet zu verwerfen.

a) Zwar hat der Vorsitzende des Schwurgerichts dem Wortlaut des angefochtenen Beschlusses nach die Erteilung einer Telefonerlaubnis für Gespräche mit der Mutter des Antragstellers unter deren Festnetznummer abgelehnt und die bestehende Telefonerlaubnis für Gespräche mit der Mutter des Antragstellers unter deren Mobilfunknummer widerrufen, während § 148 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG - wie ausgeführt - festlegt, dass für die Entscheidung über die Erteilung sowie über einen Widerruf oder eine Zurücknahme einer Telefonerlaubnis die Vollzugsbehörde - hier die Justizvollzugsanstalt R. - zuständig ist und das Gericht - hier nach § 134a Abs. 1 Satz 3 NJVollzG der Vorsitzende - "lediglich" dazu berufen ist, vorab seine Zustimmung zu einer positiven Entscheidung der Vollzugsbehörde zu erteilen beziehungsweise - mit für die Vollzugsbehörde bindender Wirkung - zu versagen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2009 - 1 Ws 392/09, NStZ 2009, 399).

Hier allerdings können die angefochtenen Entscheidungen des Vorsitzenden des Schwurgerichts vor dem Hintergrund der Zuständigkeitsregelung des § 148 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG dahingehend ausgelegt werden, dass der Vorsitzende der Erteilung einer Telefonerlaubnis mit der Mutter des Antragstellers unter deren Festnetznummer nicht zugestimmt hat und dass er zugleich die vorliegende Zustimmung zur Telefonerlaubnis mit der Mutter des Antragstellers unter deren Mobilfunknummer widerrufen hat (vgl. zur Zulässigkeit einer solchen Umdeutung OLG Celle, Beschluss vom 30. September 2013 - 1 Ws 401/13).

b) Der Vorsitzende war auch dazu befugt, eine bereits erteilte Zustimmung im Sinne des § 148 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG zu widerrufen. Aus dem Regelungszusammenhang und dem Regelungszweck des § 148 NJVollzG ergibt sich, dass - über den Wortlaut der Norm hinaus - nicht nur die Vollzugsbehörde nach § 148 Abs. 2 i.V.m. § 143 Abs. 2 Satz 3 NJVollzG eine von ihr erteilte Telefonerlaubnis bei nachträglichem Eintreten oder Bekanntwerden von Umständen im Sinne des § 148 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG widerrufen oder zurücknehmen kann, sondern auch das Gericht eine bereits erteilte Zustimmung zur Erteilung einer Telefonerlaubnis bei nachträglichem Eintreten oder Bekanntwerden von Umständen, welche eine Versagung der Zustimmung gerechtfertigt hätten, widerrufen beziehungsweise zurücknehmen kann. Dies hat dann zur Folge, dass die Vollzugsbehörde eine von ihr erteilte Telefonerlaubnis zwingend wegen Wegfalls des Erfordernisses einer fortbestehenden Zustimmung ihrerseits zu widerrufen beziehungsweise zurückzunehmen hat.

Denn der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 148 Abs. 1 NJVollzG eine Aufteilung der von Gericht und Vollzugsbehörde jeweils zu prüfenden Belange beabsichtigt. Nach den Gesetzesmaterialien prüft das Gericht "das Vorliegen einer eventuellen Verdunkelungsgefahr", während die Vollzugsbehörde "das Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen" prüft (vgl. LT-Drucks. 15/3565, S. 190; siehe auch OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2009 - 1 Ws 392/09, NStZ 2009, 399). Diese vom Gesetzgeber gewollte Aufgabenteilung gebietet es, dem Gericht die Befugnis zuzuerkennen, eine einmal erteilte Zustimmung bei nachträglichem Eintreten oder Bekanntwerden von Umständen, welche eine Versagung der Zustimmung wegen Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt hätten, zu widerrufen oder zurückzunehmen (so auch schon OLG Celle, Beschluss vom 24. März 2016 - 1 Ws 28/16).

c) Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat zu Recht seine Zustimmung zur Erteilung einer Erlaubnis für Telefonate des Angeschuldigten mit seiner Mutter unter deren Festnetznummer versagt und eine vor Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft Hildesheim - auf der Basis einer Zuständigkeitsübertragung nach § 134 Abs. 3 Satz 1 NJVollzG - erteilte Zustimmung für Telefonate des Angeschuldigten mit seiner Mutter unter deren Mobiltelefonnummer widerrufen. Denn es sind neue Umstände zu Tage getreten, die befürchten lassen, dass der Angeschuldigte Telefongespräche unter Verwendung der Telefonanschlüsse seiner Mutter zu Verdunkelungshandlungen nutzen wird.

Die Lebensgefährtin des Angeschuldigten, die Zeugin S. V., die bei der mutmaßlichen Tat des Angeschuldigten zugegen war und damit als unmittelbare Tatzeugin in Betracht kommt, hat in einem Brief an dem Angeschuldigten verklausuliert vorgeschlagen, sie und der Angeschuldigte sollten sich nach außen hin als Verlobte gerieren. Sie hat damit implizit vorgeschlagen, der Angeschuldigte möge dazu beitragen, dass sie unter Berufung auf ein ihr zuzubilligendes Zeugnisverweigerungsrecht eine Aussage vor Gericht vermeiden und eine Unverwertbarkeit ihrer gegenüber der Polizei gemachten Angaben erreichen könne. Der Inhalt eines Briefes des Angeschuldigten an S. V. mit der Formulierung, "... aber es war nicht so und du warst dabei und hast es gesehen," belegt jedenfalls eine Einflussnahme auf die Zeugin und begründet den Verdacht einer versuchten Anstiftung zu einer Falschaussage. Damit besteht die tatsachenfundierte Besorgnis, dass die Zeugin V. und der Angeschuldigte Kontakte zu verdunkelnden Absprachen nutzen werden.

Zwar bezieht sich die erteilte Telefonerlaubnis auf Gespräche des Angeschuldigten mit seiner Mutter und soll sich auch die neu erstrebte weitere Telefonerlaubnis auf Gespräche des Angeschuldigten mit seiner Mutter erstrecken. Jedoch hat die Zeugin V. in einem weiteren Brief an den Angeschuldigten vom 12. August 2016 erklärt, sie werde das nächste Mal hoffentlich einen Anruf des Angeschuldigten mitbekommen, weil sie am nächsten Tag zu seiner Mutter gehen werde. Diese Angabe der Zeugin V. begründet - wie der Vorsitzende des Schwurgerichts zu Recht angenommen hat - die weitere Besorgnis, dass die Zeugin V. bei Telefonaten des Angeschuldigten mit seiner Mutter anwesend ist beziehungsweise selbst mit dem Angeschuldigten unter Nutzung von Telefonanschlüssen der Mutter des Angeschuldigten telefoniert. Damit besteht die Befürchtung, dass die Telefonerlaubnisse, um die es vorliegend geht, für Verdunkelungsabsprachen zwischen dem Angeschuldigten und der Zeugin V. genutzt werden. Dabei ist naheliegend, dass solche Gespräche in Kenntnis und mit Billigung der Mutter des Angeschuldigten geführt werden. Vor diesem Hintergrund sind ungeachtet des Umstandes, dass Kontakte zwischen dem Angeschuldigten und seiner Mutter unter dem besonderen Schutz von Art. 6 Grundgesetz stehen, die Versagung und der Widerruf der Zustimmung zu Telefonerlaubnissen nicht nur rechtlich statthaft, sondern auch in der Sache geboten.

Durch eine akustische Gesprächsüberwachung könnte die begründete Befürchtung von Verdunkelungsaktivitäten nicht hinreichend abgewendet werden, weil bei einer akustischen Gesprächsüberwachung in der Regel erst im Anschluss an eine bereits erfolgte Absprache und damit erst zu spät reagiert werden könnte (vgl. insofern OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 - 2 Ws 276/09, NStZ-RR 2010, 159).

Ohne Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang, dass der Haftbefehl nicht auf Verdunkelungsgefahr gestützt ist; Maßnahmen zur Vermeidung von konkret zu befürchtenden Verdunkelungshandlungen können auch in einem solchen Fall ergriffen werden (OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 - 2 Ws 276/09, NStZ-RR 2010, 159; OLG Celle, Beschluss vom 24. März 2016 - 1 Ws 28/16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 119 Rn. 5).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO).