Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.09.2016, Az.: 2 Ss 103/16

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.09.2016
Aktenzeichen
2 Ss 103/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 33183
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2016:0905.2SS103.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 01.06.2016 - AZ: 29 Ns 51/16

Fundstellen

  • NStZ-RR 2017, 81-82
  • RÜ 2017, 517

Amtlicher Leitsatz

1. Die Weitergabe von Sachverhalts- und Lösungsskizzen des juristischen Staatsexamens an Prüfungskandidaten durch einen Referatsleiter des Landesjustizprüfungsamts erfüllt den Tatbestand des Geheimnisverrats gemäß § 353b Abs. 1 StGB.

2. Ein Prüfungskandidat, der sich nicht darauf beschränkt, die Sachverhalts- und Lösungsskizzen rein passiv entgegenzunehmen, kann sich wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat gemäß §§ 353b Abs. 1, 27 StGB strafbar machen.

3. Durch die mit der Tatbegehung einhergehende Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit, Unbestechlichkeit und Funktionsfähigkeit öffentlicher Institutionen werden wichtige öffentliche Interessen im Sinne des § 353b Abs. 1 StGB gefährdet.

4. Eine weitere strafschärfende Berücksichtigung dieses Umstandes bei der Strafzumessung verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB.

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Lüneburg zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zu einer Verletzung des Dienstgeheimnisses erfolgt.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Lüneburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 25. Januar 2016 wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht Lüneburg mit Urteil vom 1. Juni 2016.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

Nach den Feststellungen des Landgerichts besuchte der Angeklagte, nachdem er im Frühjahr 2013 bei dem Versuch gescheitert war, das zweite juristische Staatsexamen zu bestehen, anschließend einen zur Vorbereitung auf die Wiederholungsprüfung beim niedersächsischen Landesjustizprüfungsamt in C. eingerichteten Ergänzungsvorbereitungsdienst. Hierbei wurde er unter anderem von dem gesondert verfolgten J. L. betreut. Dieser war 2013 im Landesjustizprüfungsamt als Referatsleiter tätig. In dieser Funktion hatte er Zugriff auf sämtliche für das zweite juristische Staatsexamen relevanten Prüfungsinhalte und die entsprechenden Unterlagen wie insbesondere auch Sachverhalte und Lösungsskizzen für Klausuren. Dabei oblag ihm die Pflicht, diese Inhalte und Unterlagen sowie die im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit hierüber erlangten Kenntnisse vertraulich zu behandeln, was ihm und dem Angeklagten bekannt war.

Im Dezember 2013 nahm der gesondert verfolgte J. L. per SMS Kontakt zum Angeklagten auf und bot ihm bei einem anschließenden Treffen in einem Cafe in H. an, ihm gegen eine Geldzahlung die Inhalte und Lösungen der vom Angeklagten im Januar 2014 im Rahmen seiner Wiederholungsprüfung anzufertigenden Klausuren mitzuteilen, damit der Angeklagte das Examen bestehen werde. Nachdem der Angeklagte dem gesondert verfolgten J. L. erklärt hatte, dass er kein Geld habe, um zu zahlen, hielt dieser sein "Hilfs"-Angebot gleichwohl aufrecht. Der Angeklagte erklärte daraufhin, dass er über das Angebot zunächst nachdenken wolle und anschließend Bescheid geben werde, ob er es annehme. Ein oder zwei Tage später teilte der Angeklagte dem gesondert verfolgten J. L. mit, dass er das Angebot annehmen wolle, also Lösungshilfen zu den anstehenden Klausuren entgegennehmen werde. Im Zuge eines zweiten Treffens in H. übergab der gesondert verfolgte J. L. dem Angeklagten Sachverhalts- und Lösungsskizzen für vier der anstehenden acht Klausuren zum zweiten juristischen Staatsexamen. Geld zahlte der Angeklagte hierfür nicht. Der Angeklagte nahm die Sachverhalts- und Lösungsskizzen wie angekündigt entgegen und bereitete sich anhand der Skizzen auf die Klausuren vor. Da er zu einer der Skizzen eine Frage hatte, rief er einige Tage später noch bei dem gesondert verfolgten J. L. an und ließ sich diese erklären. Unter Verwendung seines so erlangten Wissens fertigte der Angeklagte die Klausuren an und bestand letztlich das zweite juristische Staatsexamen mit 6,82 Punkten (befriedigend). Später gab er nach Bekanntwerden des Sachverhalts das Examen freiwillig zurück.

Das Landgericht hat das Tatgeschehen für den Angeklagten rechtlich als Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß §§ 353b Abs. 1 Satz 1, 27 StGB eingeordnet. Hierzu wird im angefochtenen Urteil unter anderem ausgeführt, dass das Offenbaren der Prüfungsinhalte durch den gesondert verfolgten J. L. gegenüber dem Angeklagten im Sinne des § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB wichtige öffentliche Interessen gefährdet habe. Es habe sich um Prüfungsinhalte zu einer Prüfung zum zweiten juristischen Staatsexamen und somit einer Prüfung von besonderer Wichtigkeit für die spätere Laufbahn des Angeklagten gehandelt, deren Ergebnis unter anderem auch entscheidend für die Frage einer staatlichen Anstellung hätte sein können.

Bei der Strafzumessung hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten unter anderem berücksichtigt, dass sein Verhalten dazu angetan gewesen sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Organe des Staates, insbesondere die Justizbehörden, zu gefährden.

III.

Die zulässige Revision hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang - zumindest vorläufig - Erfolg.

Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der allgemeinen Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. In diesem Umfang verwirft der Senat die Revision auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Angesichts der Ausführungen in der Revisionsbegründung und der Gegenerklärung vom 1. September 2016 ist entsprechend der bereits zutreffenden Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft nochmals darauf hinzuweisen, dass als Beihilfe im Sinne des § 27 StGB jede Form der Hilfeleistung von der Vorbereitung der Tat an bis zu ihrer Beendigung in Betracht kommt (vgl. Fischer, StGB, 63. Auflage, § 27 Rn. 5f. m. w. N.). Vorliegend hat der Angeklagte sich auch keinesfalls darauf beschränkt, rein passiv Sachverhalts- und Lösungsskizzen vom gesondert verfolgten J. L. entgegenzunehmen. Vielmehr war es nach Ablauf der erbetenen Bedenkzeit der Angeklagte selbst, der durch die Mitteilung an den gesondert verfolgten J. L., dass er dessen Angebot annehmen möchte, das zweite Treffen in H. initiiert hat, bei dem dann die entsprechenden Schriftstücke übergeben worden sind. Damit hat er bereits im Stadium der Tatvorbereitung wesentlich zur späteren Tatbegehung beigetragen.

Entsprechend der amtlichen Überschrift des § 353b StGB hatte abweichend von der insofern unzutreffenden Bezeichnung durch das Amtsgericht Lüneburg im Urteil vom 25. Januar 2016 eine Klarstellung zu erfolgen, dass der Schuldspruch erfolgt wegen Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses.

Im Rechtsfolgenausspruch war das angefochtene Urteil jedoch mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf die Sachrüge hin aufzuheben und die Sache insoweit zu erneuter Verhandlung und Entscheidung gemäß §§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Lüneburg zurückzuverweisen.

Das Urteil konnte im Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben, da sich die Strafzumessung im Hinblick auf das in § 46 Abs. 3 StGB normierte Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen als rechtsfehlerhaft erweist. Danach dürfen Umstände, die schon Merkmal des Tatbestandes sind, nicht noch bei der für die Strafzumessung gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB vorzunehmenden Abwägung der für und gegen einen Angeklagten sprechenden Umstände berücksichtigt werden. Die vom Landgericht im Rahmen der Strafzumessung im angefochtenen Urteil gewählte Formulierung, wonach sich zu Lasten des Angeklagten auswirken müsse, dass sein Verhalten dazu angetan gewesen sei, das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Organe, insbesondere die Justizbehörden, zu gefährden, lässt besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten die Tatbegehung bzw. seine Beihilfe zur Tatbegehung durch den gesondert verfolgten J. L. als solche strafschärfend angelastet hat. Es ist nämlich bereits Tatbestandsvoraussetzung der Verletzung von Dienstgeheimnissen nach § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB, dass durch die Tat wichtige öffentliche Interessen gefährdet werden. Als eine solche Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen kann insbesondere auch angesehen werden, dass durch das Tatgeschehen das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit, Unbestechlichkeit und Funktionsfähigkeit öffentlicher Institutionen erschüttert wird, etwa - wie vorliegend - durch die Weitergabe von Prüfungsinhalten (vgl. BGHSt 11, 401; Fischer a. a. O., § 353b Rn. 23). Eine weitere strafschärfende Berücksichtigung dieses Umstandes im Rahmen der Strafzumessung verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (vgl. auch - für einen gleichgelagerten Fall der Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses - Senat, Beschluss vom 29. August 2016, 2 Ss 96/16, sowie - für den vergleichbaren Fall der Bestechungsdelikte BGH StV 1997, 129).