Finanzgericht Niedersachsen
v. 14.04.2023, Az.: 9 K 10/23

aktive Nutzungspflicht; besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach; Fast Lane; Keine aktive Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs vor Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs"

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
14.04.2023
Aktenzeichen
9 K 10/23
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2023, 23652
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2023:0414.9K10.23.00

Fundstellen

  • AO-StB 2023, 203-204
  • DB 2023, 1313-1314
  • DStRE 2023, 1490-1497

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (§ 86d StBerG) ist grundsätzlich abstrakt geeignet, einen sicheren Übertragungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zu begründen.

  2. 2.

    Dieser sichere Übertragungsweg steht erst mit Abschluss des erstmaligen System-Roll-outs zur Verfügung (§ 52d Satz 2 FGO). Hierbei erscheint es angemessen, auf den Zeitpunkt der Versendung der letzten Registrierungsbriefe im Rahmen des erstmaligen System-Roll-outs zuzüglich einer angemessenen Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs abzustellen.

  3. 3.

    Das Erfordernis der Errichtung im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 FGO ist nicht im Sinne einer Herstellung der individuell-persönlichen Empfangsbereitschaft des einzelnen Normadressaten zu verstehen, die die aktive Nutzungspflicht dieses Einzelnen gemäß § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO von seiner (durch den Empfang des Registrierungsbriefs hergestellten) individuellen Empfangsbereitschaft abhängig machen würde. Vielmehr knüpft der Gesetzestext des § 52d Satz 2 FGO an die abstrakte Existenz des einmal strukturell eröffneten sicheren Übermittlungswegs als solchen an.

  4. 4.

    Eine strikte (ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten ab dem 1. Januar 2023 von einer aktiven Nutzungspflicht ausgehende) Auslegung der Vorschrift würde der freiheitsrechtlichen Relevanz der Vorschrift für die erfassten Normadressaten, die ihrerseits im Lichte der Auswirkungen auf die Grundrechte der drittbetroffenen Steuerpflichtigen auszulegen ist, nicht hinreichend gerecht werden.

  5. 5.

    Dem zeitlichen Zusammenfallen der Verpflichtung der Bundessteuerberaterkammer zur Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs mit Ablauf des 31. Dezember 2022 (§ 86d Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 157e StBerG) und einer ab diesem Zeitpunkt bestehenden Nutzungspflicht (vgl. Nds. FG, Gerichtsbescheid vom 20. März 2023 7 K 183/22) würde bereits konzeptionell die Gefahr einer strukturellen Nichteinhaltung einer derartig verstandenen aktiven Nutzungspflicht innewohnen.

  6. 6.

    Dem Bedürfnis nach einer Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten bei der Auslegung des Merkmals des Zur-Verfügung-Stehens ist nicht bereits durch das sog. Fast Lane -Verfahren Rechnung getragen. Der (künftig) Nutzungsverpflichtete hat die mit der Einrichtung und Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs einhergehenden Beschränkungen seiner Freiheit zwar zu dulden. Ihn trifft indes insbesondere ohne entsprechende gesetzliche Grundlage keine Obliegenheit, sich an dessen Einrichtung abweichend von der diesbezüglich gesetzlich geregelten Aufgabenverteilung durch einen Antrag im Fast Lane -Verfahren zu beteiligen.

  7. 7.

    Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob die Frist des individuellen Nutzungsverpflichteten zur unverzüglichen technischen Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs unter Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 56 Abs. 2 FGO mit zwei Wochen zu bemessen ist, die Errichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach damit mit Ablauf des 31. März 2023 abgeschlossen gewesen ist und der sichere Übermittlungsweg ab diesem Zeitpunkt auch zur Verfügung gestanden hat.

[Tatbestand]

Mit ihrer durch ihre Prozessbevollmächtigte am 9. Februar 2023 per Telefax erhobenen Klage wenden sich die Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid für 2021 vom 9. Mai 2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2023.

Auf den mit der Eingangsverfügung erteilten Hinweis des Gerichts auf die Regelung des § 52d der Finanzgerichtsordnung - FGO - hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger, die neben der Zulassung als Steuerberaterin keine weiteren Zulassungen besitzt, die sie zur Vertretung nach § 62 Abs. 2 FGO ermächtigen würden, mit - ebenfalls per Telefax übermitteltem - Schriftsatz vom 22. Februar 2023 mitgeteilt, dass sie ihre "Zugangsdaten" am 5. Januar 2023 von der Bundessteuerberaterkammer erhalten habe. Mitte Januar 2023 habe sie einen Unfall erlitten, infolgedessen sie vier Wochen ausgefallen sei. Dem Schriftsatz waren die Kopie einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 20. Januar 2023 bis zum 17. Februar 2023 und eine handschriftliche Notiz beigefügt, der zufolge der Unfall am 12. Januar 2023 erfolgt sei, am 13. Januar 2023 Untersuchungen im Krankenhaus stattgefunden hätten, an die sich ein Krankenhausaufenthalt in dem Zeitraum vom 16. bis 18. Januar 2023 angeschlossen habe.

Auf telefonische Nachfrage der Berichterstatterin hat die Bundessteuerberaterkammer, Abteilung Presse und Kommunikation am 12. April 2023 mitgeteilt, dass der "Initialversand" der Registrierungsbriefe mit den Zugangsdaten zum besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach (sog. Registrierungstoken, § 15 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über die Steuerberaterplattform und die besonderen elektronischen Steuerberaterpostfächer - StBPPV -), der in mehreren alphabetischen Tranchen per einfacher Post erfolgt sei, am 17. März 2023 abgeschlossen worden sei. Parallel dazu sei "bis Ende März" das sog. "Fast Lane"-Verfahren (vgl. zu den Einzelheiten dieses Verfahrens Niedersächsisches FG, Urteil vom 20. März 2023 7 K 183/22, juris, Rn. 43) geöffnet gewesen, das Steuerberatern auf Antrag zur Verfügung gestanden habe, die ihre Zugangsdaten vor dem für den Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens vorgesehenen Termin erhalten wollten oder aber auch nach Ablauf dieses Termins noch nicht erhalten hatten.

Den ursprünglich für den 17. Mai 2023 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung hatte der Senat unter Verweis auf § 97 FGO auf die Frage der Formwirksamkeit der Klageerhebung per Telefax beschränkt. Nachdem der Beklagte nach telefonischer Unterrichtung durch die Berichterstatterin über die vorläufige Rechtsauffassung des Senats den Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt hatte, hat der Senatsvorsitzende den Termin mit Verfügung vom 13. April 2023 aufgehoben und angekündigt, dass der Senat beabsichtige, über die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Klageerhebung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Hierüber hat die Berichterstatterin die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger ebenfalls am 13. April 2023 vorab telefonisch informiert.

Entscheidungsgründe

I.

Der Senat entscheidet gemäß § 97 i.V.m. § 90a FGO durch Zwischengerichtsbescheid über die Zulässigkeit der Klage, soweit sie die Frage der Formwirksamkeit der Klageerhebung betrifft.

1. Nach § 97 FGO kann über die Zulässigkeit einer Klage durch Zwischenurteil vorab entschieden werden. Der Erlass des Zwischenurteils steht dabei im Ermessen des Gerichts (vgl. BFH, Beschluss vom 31. Oktober 1996 VIII B 58/96, BFH/NV 1997, 417, Rn. 6). Der Begriff "Zulässigkeit einer Klage" ist weit auszulegen; er bezieht sich auf alle für das Klageverfahren erheblichen Sachurteilsvoraussetzungen (vgl. BFH, Urteil vom 16. Dezember 1971 I R 212/71, BFHE 104, 493, BStBl II 1972, 425; Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG -, Urteil vom 22. Juni 1962 IV C 245/61, BVerwGE 14, 273, zu der gleichlautenden Vorschrift des § 109 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Dem Wortlaut des § 97 FGO ist indes nicht zu entnehmen, dass ein solches Zwischenurteil nur ergehen darf, wenn sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für die betreffende Klage geprüft und bejaht worden sind. Denn § 97 FGO bezweckt, bei Meinungsverschiedenheiten oder Unklarheiten über eine (oder einige) Sachurteilsvoraussetzung(en) möglichst bald eine verbindliche Entscheidung über die strittigen oder unklaren Punkte herbeizuführen. Die Gerichte sollen - zur Vermeidung eines unnötigen Arbeits-, Zeit- und Geldaufwands - über derartige Sachurteilsvoraussetzungen, von denen der weitere Verlauf des Verfahrens abhängt, alsbald gesondert entscheiden können, ohne Rücksicht darauf, ob auch alle anderen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind (vgl. BFH, Beschluss vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352, betreffend die Wirksamkeit einer Klagerücknahme; Urteile vom 7. Juli 1976 I R 242/75, BFHE 120, 7, BStBl II 1976, 787, betreffend die Rechtzeitigkeit der Revisionseinlegung; und vom 14. März 1985 IV R 1/81, BFHE 143, 223, BStBl II 1985, 368 sowie BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1962 IV C 245.61, BVerwGE 14, 273, betreffend die Parteifähigkeit eines Verfahrensbeteiligten).

2. Der Erlass einer Zwischenentscheidung gemäß § 97 FGO ist im Streitfall sachgerecht, da damit die Ungewissheit über die Zulässigkeit der Klage beseitigt wird und der Rechtsstreit sich im weiteren Verlauf auf die materiell-rechtlichen Fragen konzentrieren kann (vgl. BFH, Zwischenurteil vom 25. Oktober 2022 IX R 3/22, BStBl II 2023, 267). Die Entscheidung im Zwischenverfahren nach § 97 FGO kann dabei auch in der Form eines Gerichtsbescheids nach § 90a FGO ergehen (vgl. BFH, Zwischenurteil vom 5. November 2019 X R 15/18, BFH/NV 2020, 526; Urteil vom 27. Oktober 1993 XI R 17/93, BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439 [BFH 27.10.1993 - XI R 17/93], Rn. 7). Insbesondere ist der Zwischengerichtsbescheid nach der zwischenzeitlichen Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung, die ausweislich der Ladung unter Hinweis auf § 97 FGO auf die Frage der formwirksamen Klageerhebung beschränkt worden war, keine Überraschungsentscheidung. Denn das Finanzamt hatte auf den telefonischen Hinweis der Berichterstatterin zur vorläufigen Rechtsauffassung des Senats mit Schriftsatz vom 12. April 2023 den Verzicht auf die mündliche Verhandlung erklärt.

II.

Die Klage ist formwirksam per Telefax erhoben worden. Ihrer Zulässigkeit steht insoweit auch nicht die Reglung des § 52d Satz 2 FGO entgegen. Denn im Zeitpunkt der Klageerhebung unterlag die Prozessbevollmächtigte der Kläger noch keiner aktiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs gemäß § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 i.V.m. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 FGO i.V.m. § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG (3.). Neben der grammatikalischen und systematischen Auslegung des einfachen Rechts (1.) spricht hierfür auch die gebotene verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift (2.).

1. Im Zeitpunkt der Klageerhebung bestand keine aktive Nutzungspflicht nach § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO in der Fassung des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5. Oktober 2021 (BGBl I 2021, 4607). Deshalb kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob die Voraussetzungen der - bezogen auf den konkreten Einzelfall auszulegenden - Ausnahmevorschrift des § 52d Satz 3 FGO (Ersatzeinreichung) vorliegen.

Gemäß § 52d Satz 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Durch den ursprünglich mit Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl I 2013, 3786) mit Wirkung zum 1. Januar 2022 eingefügten Satz 2 der Vorschrift wird diese (aktive) Nutzungspflicht auch auf die nach der FGO vertretungsberechtigten Personen und Bevollmächtigten ausgedehnt, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht.

a) Sicherer Übermittlungsweg im Sinne dieser Vorschrift ist der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts.

b) Zwar ist das durch Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 7. Juli 2021 (BGBl I 2021, 2363) eingeführte besondere elektronische Steuerberaterpostfach (vgl. § 86d Abs. 1 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes - StBerG-) grundsätzlich abstrakt geeignet, einen sicheren Übertragungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zu begründen (aa). Gleichwohl stand dieser im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht "zur Verfügung" (bb).

aa) Gemäß § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG richtet die Bundessteuerberaterkammer über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (sowie für jeden Vertreter, Praxisabwickler, Praxistreuhänder und Zustellungsbevollmächtigten, vgl. § 86d Abs. 3 Satz 2 StBerG) ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach empfangsbereit ein. § 86e Abs. 1 StBerG sieht eine entsprechende Einrichtungspflicht der Bundessteuerberaterkammer hinsichtlich der besonderen elektronischen Postfächer für die im Steuerberaterverzeichnis eingetragenen Berufsausübungsgesellschaften vor. Die Bundessteuerberaterkammer hat dabei in Übereinstimmung mit § 86d Abs. 3 Satz 1 StBerG (ggf. i.V.m. § 86e Abs. 4 StBerG) sicherzustellen, dass der Zugang zu dem besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach nur durch ein sicheres Verfahren mit zwei voneinander unabhängigen Sicherungsmitteln möglich ist. Damit ist das besondere elektronische Steuerberaterpostfach ein auf gesetzlicher Grundlage errichtetes elektronisches Postfach im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO und der Übermittlungsweg zwischen diesem Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne dieser Regelung (vgl. auch BT-Drs. 19/30516, S. 64).

bb) Der durch das besondere elektronische Steuerberaterpostfach grundsätzlich begründbare sichere Übertragungsweg stand indes bei Klageerhebung noch nicht "zur Verfügung".

(1) Dies ergibt sich bereits aus dem gesetzessystematischen Zusammenhang der hier maßgeblichen Vorschriften. Der von § 52d Satz 2 FGO in Bezug genommene § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO benennt als sicheren Übermittlungsweg neben dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach auch ein "entsprechendes, auf gesetzlicher Grundlage errichtetes elektronisches Postfach" und knüpft damit einerseits mit dem Erfordernis der gesetzlichen Grundlage an eine Regelung wie die des § 86d Abs. 1 StBerG an und verdeutlicht andererseits, dass das elektronische Postfach auf dieser Grundlage auch strukturell errichtet worden sein muss (insoweit auch noch ähnlich Niedersächsisches FG, Gerichtsbescheid vom 20. März 2023 7 K 183/22, juris, Rn. 25). Ohne die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen oder deren gesetzesgemäße Umsetzung durch die zuständigen Stellen (hier: der Bundessteuerberaterkammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts) liefe die als Transmissionsriemen fungierende "Blankettnorm" des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 FGO ins Leere.

§ 86d Abs. 1 StBerG liefert eine solche Rechtsgrundlage und konkretisiert das Errichtungserfordernis sodann weiter durch die Pflicht der Bundessteuerberaterkammer zur "empfangsbereiten" Einrichtung. Die Empfangsbereitschaft des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs wird damit über die gesetzliche Verweiskette zur "zeitlichen Untergrenze" auch der aktiven Nutzungspflicht des § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO.

(2) Dabei ist dieses Errichtungserfordernis nicht im Sinne einer Herstellung der individuell-persönlichen Empfangsbereitschaft des einzelnen Normadressaten zu verstehen, die die aktive Nutzungspflicht dieses Einzelnen gemäß § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO von seiner (durch den Empfang des Registrierungsbriefs hergestellten) individuellen Empfangsbereitschaft abhängig machen würde.

Denn der Gesetzestext des § 52d Satz 2 FGO knüpft an die abstrakte Existenz des - einmal strukturell eröffneten - sicheren Übermittlungswegs als solchen, nicht aber an die Einrichtung des konkreten den Zugang zu diesem Übermittlungsweg verschaffenden elektronischen Postfachs des Einzelnen an. Die Verweiskette von § 52d Satz 2 FGO über § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 FGO zu § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG konkretisiert die aktive Nutzungspflicht in sachlicher, nicht in individuell-persönlicher Hinsicht. Sie legt fest, ab wann der sichere Übertragungsweg allgemein zur Verfügung steht, beschreibt aber nicht den zeitlichen Beginn für die individuell-persönliche Nutzungspflicht des Einzelnen, wenngleich beide Zeitpunkte im Einzelfall zusammenfallen können, wenn die individuelle Empfangsbereitschaft des Einzelnen (quasi mit Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs") zeitgleich mit der allgemeinen Eröffnung des sicheren Übertragungswegs hergestellt wird.

(3) Aus diesem Grund kann es entgegen der vom Hessischen FG vertretenen Rechtsauffassung (vgl. Beschluss vom 21. März 2023 10 V 67/23, JurPC Web-Dok. 48/2023) für die aktive Nutzungspflicht gemäß § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO auch nicht auf den Zugang des Registrierungsbriefs ankommen. Vielmehr ist für die Frage des "Zur-Verfügung-Stehens" im Rahmen des § 52d Satz 2 FGO auf den Zeitpunkt abzustellen, wann der erstmalige "System-Roll-out" abgeschlossen ist. Hierbei erscheint es angemessen, auf den Zeitpunkt der Versendung der "letzten" Registrierungsbriefe im Rahmen des erstmaligen "System-Roll-outs" zuzüglich einer angemessenen Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs abzustellen. Ab diesem Zeitpunkt darf das elektronische Postfach im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO auf der Grundlage von § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG (bzw. § 86e Abs. 1 StBerG) als "errichtet" angesehen werden. Mit Abschluss dieses erstmaligen "System-Roll-outs" wird damit auch jeder einzelne - auch künftige - Nutzungspflichtige des nun "errichteten" elektronischen Postfachs aktiv nutzungspflichtig unabhängig davon, ob ein solches konkret für ihn "eingerichtet" oder zugänglich ist.

(4) Der Vorzug dieser Auslegung liegt darin, dass sie nicht nur in der anfänglichen Übergangszeit bis zum Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs", sondern auch danach im laufenden Betrieb zu einheitlichen und sachgerechten Ergebnissen führt. So macht sie die durch § 52d Satz 2 FGO statuierte aktive Nutzungspflicht von Anfang an von der abstrakten strukturellen Eröffnung des jeweiligen sicheren Übermittlungswegs abhängig, was insbesondere bei späteren Neuzulassungen von Berufsträgern individuelle Einzelfallprüfungen und damit zusätzlichen Verwaltungsaufwand vermeidet. Gleichzeitig trägt sie etwaigen Anlaufschwierigkeiten Rechnung, ohne dafür den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des § 52d Satz 3 FGO in der Übergangszeit wider die Gesetzessystematik auch auf die Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung vor der erstmaligen Zur-Verfügung-Stellung des sicheren Übermittlungswegs zu überdehnen.

2. Schließlich erscheint die vom erkennenden Senat vorgenommene Auslegung der Regelung des § 52d Satz 2 FGO - gerade in der Anlaufphase von elektronischen Postfächern im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO wie dem besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach - verfassungsrechtlich auch geboten. Denn eine strikte (ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten ab dem 1. Januar 2023 von einer aktiven Nutzungspflicht ausgehende) Auslegung der Vorschrift, wie sie beispielsweise der 7. Senat des Niedersächsischen FG vertritt (Gerichtsbescheid vom 20. März 2023 7 K 183/22, juris), würde der freiheitsrechtlichen Relevanz der Vorschrift für die erfassten Normadressaten, die ihrerseits im Lichte der Auswirkungen auf die Grundrechte der drittbetroffenen Steuerpflichtigen auszulegen ist, nicht hinreichend gerecht werden.

a) § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO greift in die von Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes -GG- geschützte Freiheit der Berufsausübung der Steuerberater ein.

aa) Zwar schützt die Berufsfreiheit nicht gegen jede Regelung, die Rahmenbedingungen der unternehmerischen Tätigkeit beeinflusst (vgl. BVerfGE 148, 40 [BVerfG 21.03.2018 - 1 BvF 1/13] <50 f. Rn. 27>). Weil nahezu jede Norm oder deren Anwendung unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit haben kann, drohte das Grundrecht sonst, konturlos zu werden (vgl. BVerfGE 97, 228 [BVerfG 17.02.1998 - 1 BvF 1/91] <253 f.>; 155, 238 <277 Rn. 96>). Jedoch können auch Normen, die sich zwar nicht unmittelbar auf die Berufstätigkeit beziehen, aber objektiv berufsregelnde Tendenz haben, in die Berufsfreiheit eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 267 [BVerfG 08.04.1997 - 1 BvR 48/94] <302>; 97, 228 <253 f.>; 113, 29 <48>; 128, 1 <82>; 129, 208 <266 f.>; 155, 238 <277 f. Rn. 97>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 23. März 2022 - 1 BvR 1187/17 -, Rn. 47 - Windenergie-Beteiligungsgesellschaften; Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Dezember 2022 2 BvR 988/16, Rn. 186).

bb) Bei § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO handelt es sich um eine derartige Regelung mit objektiv berufsregelnder Tendenz. Zu den beruflichen Tätigkeiten eines Steuerberaters gehört auch die Vertretung seiner Mandanten im finanzgerichtlichen Verfahren (vgl. § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO, § 33 Satz 1 StBerG). Vor diesem Hintergrund bestimmt die mit § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO angeordnete Nutzungspflicht die prozessualen Rahmenbedingungen dieses Teilbereichs der steuerberatenden Tätigkeiten in nicht lediglich unmaßgeblicher Weise, indem die Übermittlung vorbereitender Schriftsätze, schriftlicher Anträge und Erklärungen auf eine Übertragungsform, nämlich die Übermittlung als elektronisches Dokument, verengt wird.

cc) Als die Berufsausübung betreffende Regelung bedarf der Eingriff zumindest einer Rechtfertigung durch am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messende vernünftige Erwägungen des Gemeinschaftswohls (vgl. BVerfGE 103, 1 [BVerfG 13.12.2000 - 1 BvR 335/97] <10>; 141, 82 <100 Rn. 52>).

(1) Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte die Regelung die Justiz für elektronische Eingänge öffnen und damit die Rahmenbedingungen für eine Umstellung auf elektronische Zustellungen schaffen (vgl. BT-Drs. 19/30516, S. 66). Dabei sollte das besondere elektronische Steuerberaterpostfach eine sichere, schnelle und kostengünstige Alternative zur gesonderten qualifizierten elektronischen Signatur für die Übertragung der in § 52d FGO aufgezählten Dokumente von den Normadressaten an die Gerichte bieten (BT-Drs. 19/30516, S. 64).

Diese gesetzgeberischen Ziele dienen damit der Entlastung der Gerichte und mithin der Prozessökonomie. Sie sind ferner auf die Förderung der Nachhaltigkeit in der Justiz gerichtet (vgl. BT-Drs. 19/28399, S. 25). Hierbei handelt es sich - jedenfalls innerhalb der Grenze des in diesem Kontext ebenfalls zu beachtenden Justizgewährungsanspruchs (siehe hierzu unter II.2.b) - um vernünftige Erwägungen des Gemeinschaftswohls.

(2) Gemessen an diesen gesetzgeberischen Zielen hält die aktive Nutzungspflicht des § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO i.Vm. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO i.V.m. § 86d Abs. 1 StBerG als Regelung grundsätzlich einer Überprüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips stand (a). In der konkreten Gesetzesanwendung bedarf es aber in der Zeit bis zum Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" einer verfassungskonformen Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Zur-Verfügung-Stehens" des § 52d Satz 2 FGO im Sinne der vom erkennenden Senat vorgenommenen Auslegung (b).

(a) Die Einführung der allgemeinen aktiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs durch die Regelungen des § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO i.Vm. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO i.V.m. § 86d Abs. 1 StBerG ist grundsätzlich verhältnismäßig.

(aa) Sie ist zur Erreichung der mit ihr vom Gesetzgeber bezweckten Ziele geeignet. Durch die grundsätzlich verpflichtende Übermittlung elektronischer Dokumente werden Medienbrüche bei der Aktenerstellung und damit personalintensive Scanprozesse vermieden (vgl. allgemein BT-Drs. 19/28399, S. 66). Dies ist der Entlastung der Gerichte sowie der Verfahrensbeschleunigung und mithin der Prozessökonomie förderlich.

(bb) Grundsätzlich, d.h. insbesondere langfristig, ist eine allgemeine aktive Nutzungspflicht auch zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels erforderlich. Denn strukturell kommt es nur dann zu einer Einsparung der personalintensiven Scanprozesse etc. und mithin zur Förderung der Prozessökonomie und der Nachhaltigkeit, wenn die elektronische Einreichung einheitlich als verpflichtend eingeführt wird. Ein Wahlrecht oder ein grundsätzliches längerfristiges Nebeneinander von elektronischen und analogen Einreichungsformaten wären hingegen nicht gleich geeignet. Denn bei diesen Alternativen müsste die Infrastruktur, die zur Verarbeitung und Umwandlung der analogen Formate erforderlich wäre, zusätzlich zu einem elektronischen sicheren Übertragungsweg vorgehalten und auf Eingänge überwacht werden.

(cc) Ferner erscheint eine aktive Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs auch grundsätzlich angemessen. Bei entsprechender technischer Begleitung den freiheitsrechtlichen Belangen hinreichend Rechnung tragender Gesetzesanwendung (vgl. hierzu sogleich (b)) überwiegen die Gemeinwohlinteressen an der Vereinheitlichung der Übermittlungsformen zur Förderung der Prozessökonomie und an der Steigerung der Nachhaltigkeit der Gerichtsverfahren das Interesse der von § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO erfassten Personen an einer Fortgeltung der bisherigen Grundsätze zur Übermittlung der vorbereitenden Schriftsätze und deren Anlagen sowie der schriftlich einzureichenden Anträge und Erklärungen.

(b) Die somit grundsätzlich verfassungsgemäße Regelung bedarf aber zusätzlich einer verfassungskonformen Auslegung im oben dargestellten Sinne, da eine starre, an dem Inkrafttreten der Regelung des § 86d Abs. 1 StBerG mit Ablauf des 31. Dezember 2022 orientierte Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Zur-Verfügung-Stehens" gerade vor dem Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" zu unverhältnismäßigen Ergebnissen der Gesetzesanwendung führen würde.

(aa) Sowohl die vom erkennenden Senat vorgenommene Auslegung, als auch die Auslegung des § 52d Satz 2 FGO durch den 7. Senat des Niedersächsischen FG, die strikt von einer Formunwirksamkeit einer nach Ablauf des 31. Dezember 2022 durch einen Steuerberater nicht als elektronisches Dokument eingereichten Klage ausgeht (vgl. Gerichtsbescheid vom 20. März 2023 7 K 183/22, juris), sind zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele geeignet. Beide Auslegungsergebnisse fördern die Prozessökonomie, insoweit sie jedenfalls nach Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" - vorbehaltlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 52d Satz 3 FGO - § 52d Satz 2 FGO der Gestalt verstanden wissen wollen, dass eine Übermittlung der dort genannten Schriftsätze (nebst Anlagen), Anträge und Erklärungen durch Steuerberater nur noch in elektronischer Form unter Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs zulässig ist. Das Auslegungsergebnis des 7. Senat des Niedersächsischen FG fördert die gesetzgeberisch ins Auge gefasste Prozessökonomie sogar umfassend und - auf dem Bereich der Klageerhebung im elektronischen Rechtsverkehr - in weitestgehender Weise.

(bb) Gleichwohl erscheint während der Übergangsphase bis zum Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" fraglich, ob die vom 7. Senat des Niedersächsischen FG vorgenommene "starre" Auslegung, die im Ergebnis ausschließlich an das Inkrafttreten der Verpflichtung der Bundessteuerberaterkammer, für jedes ihrer Mitglieder ein besonderes elektronisches Postfach einzurichten (§ 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG, § 86e Abs. 1 StBerG, § 157e StBerG) mit Ablauf des 31. Dezember 2022 anknüpft, auch einer Erforderlichkeitsüberprüfung der konkreten Gesetzesanwendung standhält. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es keine gleich geeignete, aber weniger eingriffsintensive Gesetzesanwendung gäbe.

Hintergrund dieser Frage ist das aus der starren Auslegung folgende zeitliche Zusammenfallen der Pflicht der Bundessteuerberaterkammer zur Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs nach § 86d Abs. 1 Satz 1 bzw. § 86e Abs. 1 StBerG mit der aktiven Nutzungspflicht gemäß § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO. Tatsächlich hatten am 1. Januar 2023 nur wenige der von § 52d Satz 2 FGO i.V.m. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO i.V.m. § 86 Abs. 1 bzw. § 86e Abs. 1 StBerG erfassten Personen oder Berufsausübungsgesellschaften überhaupt ihren Registrierungsbrief erhalten und noch weniger die Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs hin zur tatsächlichen Empfangsbereitschaft auch abgeschlossen.

Denn die Verpflichtung der Bundessteuerberaterkammer, für den von § 86d und § 86e StBerG erfassten Personenkreis ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach einzurichten, galt gemäß § 157e StBerG erstmals mit Ablauf des 31. Dezember 2022. Vor dem Hintergrund der datenschutzrechtlichen Relevanz einiger der an die Einrichtung anknüpfenden weiteren Konsequenzen (vgl. beispielsweise die Übermittlung zur Speicherung im Berufsregister gemäß § 86d Abs. 1 Satz 2 FGO) dürfte die Bundessteuerberaterkammer zu einer vollständigen Einrichtung daher auch erst mit dem Inkrafttreten dieser als Rechtsgrundlage dienenden Reglung berechtigt gewesen sein.

Dies hat jedoch zur Konsequenz, dass der Beginn der Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfaches mit dessen aktiver Nutzungspflicht seiner Inhaber zusammenfallen würde, wenn man abstrakt auch für die Frage des "Zur-Verfügung-Stehens" auf das bloße Inkrafttreten der Vorschrift abstellen würde. Bereits dieser systemimmanenten Fehlkonstruktion wohnt die Gefahr einer strukturellen Nichteinhaltung einer derartig verstandenen aktiven Nutzungspflicht inne. Dies gilt umso mehr, als dass derartige technische Systemwechsel (vgl. die Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs) üblicherweise von verschiedenen technischen Komplikationen begleitet werden. Es war somit in gewisser Weise absehbar, dass ein erst mit Ablauf des 31. Dezember 2022 einzurichtendes System nicht flächendeckend betriebsbereit ab dem 1. Januar 2023 zur Verfügung stehen würde.

Die vom erkennenden Senat vertretene (verfassungskonforme) Gesetzesauslegung des § 52d Satz 2 FGO greift dieses Bedürfnis nach einer Berücksichtigung der tatsächlichen Begebenheiten indes auf der Ebene der Gesetzesanwendung auf und erweist sich insoweit als weniger eingriffsintensiv als die starre Gesetzesauslegung. Indem sie auf den erstmaligen "System-Roll-out" als Startzeitpunkt für das "Zur-Verfügung-Stehen" des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs als sicherem Übertragungsweg im Sinne des § 52d Satz 2 FGO abstellt, stellt sie sicher, dass das abstrakte Normverständnis des Tatbestandsmerkmals des "Zur-Verfügung-Stehens" auch durch die Anknüpfungspunkte in der Realität hinreichend tatsächlich untermauert ist.

Dabei wird dem genannten Bedürfnis nach einer Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten nicht bereits durch das sog. "Fast Lane"-Verfahren Rechnung getragen.

Das "Fast Lane"-Verfahren sah vor, dass die Zugangsdaten zum besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach auf Antrag auch außerhalb des - in mehreren Tranchen nach dem Anfangsbuchstaben der Nachnamen organisierten - allgemeinen erstmaligen "System-Roll-outs" übersandt wurden. Für die Möglichkeit der Berücksichtigung des "Fast Lane"-Verfahrens spräche zwar zunächst, dass die (künftig) Nutzungsverpflichteten auf die Option des "Fast Lane"-Verfahrens schon im Vorfeld mit der Ankündigung, die Bundessteuerberaterkammer werde die Zugangsdaten im 1. Quartal des Jahres 2023 gestaffelt versenden, hingewiesen wurden und diese Hinweise auch nach dem 1. Januar 2023 auf der Internetseite der Bundessteuerberaterkammer wiederholt worden sind.

Gleichwohl dringt der Verweis auf das "Fast Lane"-Verfahren im Ergebnis nicht durch. Denn er basiert auf der Prämisse, die Entscheidung der Bundessteuerberaterkammer zur gestaffelten Erfüllung ihrer mit Ablauf des 31. Dezember 2022 bestehenden gesetzlichen Verpflichtung als rechtmäßig anzuerkennen und das Gelingen des fristgebundenen Systemwechsels damit auf den einzelnen (künftigen) Nutzungspflichtigen zu delegieren, der jedenfalls typischerweise mit deutlich weniger personeller wie sachlicher Infrastruktur als die Bundessteuerberaterkammer ausgestattet ist. Eine Gesetzesauslegung, die die gesetzliche Verpflichtung der Bundessteuerberaterkammer zur Bereitstellung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs durch die antragsgebundene Obliegenheit des einzelnen Berufsträger ersetzt, sich aktiv um diese Bereitstellung zu bemühen, ist jedenfalls für den (künftig) Nutzungsverpflichteten nicht weniger eingriffsintensiv. Der (künftig) Nutzungsverpflichtete hat die mit der Einrichtung und Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs einhergehenden Beschränkungen seiner Freiheit zu dulden. Ihn trifft indes - insbesondere ohne entsprechende gesetzliche Grundlage - keine Obliegenheit, sich an dessen Einrichtung abweichend von der diesbezüglich gesetzlich geregelten Aufgabenverteilung durch einen Antrag im "Fast Lane"-Verfahren zu beteiligen.

Ob die vom erkennenden Senat vorgenommene Gesetzesauslegung in Anbetracht des bis zum Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" fortexistierenden Nebeneinanders von elektronischer und nicht elektronischer Übermittlungsformen im Vergleich zu der "starren" Auslegung der Vorschrift auch die gleiche Eignung zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele aufweist, kann letztlich dahinstehen.

(cc) Denn anders als eine (wie vom 7. Senat des Niedersächsischen FG vorgenommene) "starre" Auslegung ist die vom Senat vorgenommene Gesetzesauslegung auch verhältnismäßig im engeren Sinne.

In der vorzunehmenden Abwägung steht dabei den Gemeinwohlinteressen an der Vereinheitlichung zur Förderung der Prozessökonomie und an der Steigerung der Nachhaltigkeit der Gerichtsverfahren das Interesse der von § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO erfassten Personen an der formwirksamen Vertretung ihrer Mandanten auch während der Zeit bis zum Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" gegenüber.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die hier vorgenommene Auslegung von der strengsten Auslegung (vgl. Niedersächsisches FG, Gerichtsbescheid vom 20. März 2023 7 K 183/22, juris) nur dadurch unterscheidet, dass sie den Beginn der (jenseits der von § 52d Satz 3 FGO erfassten Fälle) grundsätzlich ausnahmslos geltenden aktiven Nutzungspflicht lediglich um eine Zeit von wenigen (ca. drei) Monaten verschiebt.

Ferner ist in die Abwägung mit einbeziehen, dass der Grund für die Verzögerung des Systemwechsels und die Anlaufschwierigkeiten überwiegend nicht in der Sphäre der Normadressaten von § 52d Satz 2 FGO liegt. Dabei darf es bereits als systemimmanente Fehlkonstruktion betrachtet werden, dass die gesetzliche Pflicht der Bundessteuerberaterkammer, das besondere elektronische Steuerberaterpostfach empfangsbereit einzurichten, ansonsten zeitgleich mit der durch dieses Postfach begründeten allgemeinen aktiven Nutzungspflicht in Kraft treten würde (vgl. bereits oben unter II.2.a)cc)(2)(b)(bb)). Dies gilt umso mehr, als dass die Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs bereits verdeutlicht hat, dass die Einführung einer derartigen technischen Neuerung für einen hinsichtlich seiner Altersstruktur und seinem Technologisierungsgrad vielfältigen Berufsstand von zahlreichen "Kinderkrankheiten" begleitet wird, denen sich nur begrenzt kurzfristig begegnen lässt, so dass die Einführung auch technisch adäquat begleitet werden will.

Dabei ist zuzugeben, dass die "Anlaufschwierigkeiten" bei der individuell-persönlichen Erschließung des sicheren Übermittlungswegs in denjenigen Fällen - wie im Streitfall -, in denen der Registrierungsbrief im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits zugegangen war und lediglich die nutzerseitige Bewältigung der technischen Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs noch ausstand, schwerpunktmäßig eher in der persönlichen Sphäre der Nutzer als in der Systemumstellung per se zu verorten gewesen sein dürften.

Gleichwohl erscheint eine einheitliche Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Zur-Verfügungs-Stehens", die insbesondere - anders als vom Hessischen FG vertreten (vgl. Beschluss vom 21. März 2023 10 V 67/23) - nicht auf den individuellen Zeitpunkt des Zugangs des Registrierungsbriefs abstellt, dem auf die Förderung der Prozessökonomie gerichteten Ziel des Gesetzgebers besser zu entsprechen. Denn, während die auf den individuellen Zugangszeitpunkt abstellende Auslegungsvariante einzelfallabhängiger Ermittlungen und Feststellungen bedarf, kommt die vom erkennenden Senat vorgenommene Auslegung mit der - für alle Fälle der unterbliebenen Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs geltenden - einheitlichen Feststellung aus, ob der erstmalige "System-Roll-out" schon abgeschlossen ist und der sichere Übertragungsweg damit schon "zur Verfügung" steht.

Auf diese Weise vermeidet die von dem erkennenden Senat vorgenommene Auslegung auch die Klärung der nachgelagerten gleichheitsrechtlichen Frage, ob die Zustellung des Registrierungsbriefs als zulässiges Differenzierungskriterium für den unterschiedlichen Beginn einer freiheitsrechtlich relevanten aktiven Nutzungspflicht taugt. Immerhin werden hier einzelnen Berufsträgern Wochen bis Monate mehr Zeit gegeben, sich mit einer für alle neuen Technik vertraut zu machen. Auch die Frage der Berücksichtigung regionaler Besonderheiten (wie nicht bundeseinheitlich gewährter Feiertage oder Schulferien) stellt sich bei dieser Auslegung nicht.

b) Schließlich ist auch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG als subjektives Recht der von der aktiven Nutzungspflicht ihrer Berater (mittelbar) drittbetroffenen Steuerpflichtigen bei der Auslegung des § 52d Satz 1 i.V.m. Satz 2 FGO angemessen in Rechnung zu stellen.

Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet die richterliche Überprüfung der von der Exekutive erlassenen (Rechts-)Akte. Dieser Rechtsweg, d. h. der Weg zu den Gerichten, steht zwar nicht schrankenlos "offen". Wenn Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger umfassenden Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt gewährt, so ist damit nicht gemeint, dass alle herkömmlichen Grundsätze des Prozessrechts, die rechtlich oder tatsächlich eine Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten bewirken, außer Kraft gesetzt würden; die meisten dieser Grundsätze sollen Rechtssicherheit und geordneten Gang der Rechtspflege verbürgen und dienen damit in weiterem Sinne ebenfalls dem Rechtsschutz des Bürgers. Deshalb ist anerkannt, dass Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsweg nur im Rahmen der jeweils geltenden Prozessordnungen gewährleistet, dass mithin die Anrufung der Gerichte von der Erfüllung der hier bestimmten formalen Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf, wie etwa die Einhaltung bestimmter Fristen, der ordnungsmäßigen Vertretung usw. (BVerfGE 9, 194 [BVerfG 17.03.1959 - 1 BvL 5/57] <199 f.>). Erst wenn durch solche Normen der Weg zu den Gerichten in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert würde, wären sie mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar (vgl. BVerfGE 10, 264 [BVerfG 12.01.1960 - 1 BvL 17/59] <268>).

Diese Schwelle dürfte aber indes überschritten sein, wenn einzelnen Klägern der Klageweg deshalb verschlossen bliebe, weil die von ihrem Prozessbevollmächtigten eingereichte Klage nicht auf einem Übermittlungsweg an das Gericht übermittelt wird, der als solcher noch gar nicht flächendeckend eröffnet worden ist.

Die Kläger sind in derartigen Fällen auch nicht auf den Sekundärrechtsschutz zu verweisen. Abgesehen davon, dass eine derartige Argumentation die Rechtsschutzgarantie auszuhöhlen drohte, spricht gegen diese Alternative zudem, dass die im Rahmen der Erfolgsaussicht der dann als unzulässig abgewiesenen Klage gegebenenfalls erstmals zu klärenden Fragen des (materiellen) Steuerrechts dann nicht vor den für das Steuerrecht eigentlich zuständigen Finanzgerichten, sondern den für die Haftungsfragen in Steuerberaterangelegenheiten zuständigen ordentlichen Gerichten zu klären wären.

3. Nach Maßgabe dieser Grundsätze unterlag die Prozessbevollmächtigte der Kläger im hiesigen Verfahren im Zeitpunkt der Klageerhebung am 9. Februar 2023 noch nicht der aktiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs gemäß § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO. Denn obschon sie ihren eigenen Registrierungsbrief bereits am 5. Januar 2023 erhalten hatte, "profitiert" sie hier von dem Umstand, dass der erstmalige "System-Roll-out" bei Klageerhebung noch nicht abgeschlossen war.

Dabei kann der Senat offenlassen, ob - wofür einiges spricht - die Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs unter Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 56 Abs. 2 FGO mit zwei Wochen zu bemessen ist, und die "Errichtung" des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach damit mit Ablauf des 31. März 2023 abgeschlossen gewesen wäre und der "sichere Übermittlungsweg" ab diesem Zeitpunkt auch "zur Verfügung" gestanden hätte. Denn die Klageerhebung ist im Streitfall noch vor dem Versand der letzten Registrierungsbriefe im März 2023 und damit jedenfalls vor Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs erfolgt.

4. Da die Klage somit mangels aktiver Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs wirksam erhoben werden konnte, kann der Senat die Beantwortung der Frage nach der ggf. - sonst auch von Amts wegen - zu gewährenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dahinstehen lassen.

III.

1. Da der Senat lediglich eine Zwischenentscheidung über eine Zulässigkeitsfrage getroffen und nicht über den gesamten Streitgegenstand entschieden hat, bleibt die Kostenentscheidung dem Endurteil vorbehalten.

2. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen. Ferner bedarf es vor dem Hintergrund des abweichenden Gerichtsbescheids des Niedersächsischen FG vom 20. März 2023 (7 K 183/22) der Zulassung der Revision zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 FGO).