Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.04.2023, Az.: 1 K 259/21
50%-Grenze; abgekürzte Leibrente; Berufsunfähigkeitsrente; Berufsunfähigkeitsversicherung; Besteuerungsanteil; ergänzende Absicherung; Ertragsanteil; kombinierte Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherung; Leibrente; zeitliche Befristung; zeitliche Befristung; Zertifizierung; Zusatzversicherung; Besteuerung einer befristeten Berufsunfähigkeitsrente bei einer kombinierten Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 25.04.2023
- Aktenzeichen
- 1 K 259/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 21320
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE::2023:0425.1K259.21.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: X R 15/23
Rechtsgrundlagen
- EStDV § 55 Abs. 2
- EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst b
- EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst b Doppelbuchst aa
- EStG § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst a Doppelbuchst bb
Fundstellen
- DStRE 2024, 457-460
- GStB 2023, 427
- StX 2023, 645-646
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine ergänzende Absicherung des Eintritts der Berufsunfähigkeit, der verminderten Erwerbsfähigkeit und von Hinterbliebenen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 b aa EStG) liegt bei einer kombinierten Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherung nur vor, wenn mehr als 50% der Beiträge auf die Altersvorsorge entfallen. Dabei sind die Beiträge, die auf eine Weiterzahlung des Beitrags für die Altersrente nach Eintritt der Berufsunfähigkeit entfallen, als Beiträge zur Altersvorsorge zu werten.
- 2.
Eine ergänzende Absicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 b aa EStG ist zudem nur dann anzunehmen, wenn die Zahlungen aus der Berufsunfähigkeitsrente nicht vor dem Beginn der Altersrente enden.
Tatbestand
Streitig ist, ob Versicherungsleistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit dem Besteuerungsanteil oder dem Ertragsanteil zu versteuern sind.
Die Kläger sind verheiratet und werden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Im Schreiben vom ... 2017 teilte die X Lebensversicherung AG (künftig X) der am ... 1970 geborenen Klägerin mit, dass sie deren Leistungsanspruch wegen Berufsunfähigkeit anerkenne. Im Jahr 2017 erhielt die Klägerin von der X aus dem Vertrag ... mit der Leistungs-Nummer ... einen Betrag in Höhe von ... € ausgezahlt. Dieser setzt sich wie folgt zusammen:
Rente (monatlich ... €) vom 1. Mai 2014 bis 31. Mai 2015 | ... € |
---|---|
Rente (monatlich ... €) vom 1. Juni 2015 bis 31. Mai 2016 | ... € |
Rente (monatlich ... €) vom 1. Juni 2016 bis 31. Mai 2017 | ... € |
Rente (monatlich ... €) vom 1. Juni 2017 bis 31. Dez. 2017 | ... € |
abzüglich Arzthonorar | ... € |
In den Jahren 2018 und 2019 zahlte die X an die Klägerin jeweils ... € aus.
Diesem Vorgang liegt ein Vertrag zugrunde, den die Klägerin als Fondsgebundene Rentenversicherung am 1. Juni 2006 mit der X abgeschlossen hatte. Er umfasste als Hauptversicherung eine fondsgebundene Rentenversicherung, eine Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung - Beitragsfreiheit - und eine Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung - Rente -. Als vertragliche Leistungen waren vorgesehen aus der "Hauptversicherung" bei Rentenbeginn zum 1. Juni 2035 eine jährliche Rente pro 1.000 € Fondsguthaben von ... €; aus den "Zusatzversicherungen" versichert bis 1. Juni 2025 bei Berufsunfähigkeit die Beitragsfreiheit sowie eine monatliche Rente von ... €.
Vom Tarifbeitrag in Höhe von insgesamt 187,59 €/Monat entfielen auf die Hauptversicherung 90,41 €, auf die Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung - Beitragsfreiheit - 3,39 € und auf die Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung - Rente - 93,79 €.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2011 hatte die X der Klägerin mitgeteilt, damit Beiträge für die von ihr abgeschlossene Versicherung steuerlich als Sonderausgaben abgesetzt werden könnten, verlange der Gesetzgeber, dass der Vertrag zertifiziert und die Summe der gezahlten Beiträge nach Ablauf des Beitragsjahres elektronisch an das zuständige Finanzamt übermittelt werden müsse. Um den Vertrag zertifizieren zu lassen, habe die X die Vertragsbedingungen entsprechend der gesetzlichen Vorgaben angepasst. Damit die Klägerin die Beiträge weiterhin steuerlich geltend machen könne, sei es notwendig, dass sie die neuen zertifizierten Bedingungen als Vertragsbestandteil akzeptiere. Am 2. Februar 2011 hatte die Klägerin die Einwilligungserklärung zur Änderung der Versicherungsbedingungen unterzeichnet.
Mit Schreiben vom 3. März 2018 bzw. 20. März 2020 informierte die X die Klägerin, sie werde in der Rentenbezugsmitteilung als Leistungsart § 22 Nummer 1 Satz 3 a) aa Einkommensteuergesetz (EStG), Leistungen aus einer Basis Rentenversicherung (zum Beispiel Leib- und Berufsunfähigkeitsrente) mitteilen. Ausweislich der e-Daten des Finanzamts hatte die X in den Rentenbezugsmitteilungen angegeben: Leibrente, Rechtsgrundlage § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG, Beginn Rente/Leistung 1. Mai 2014.
In der Einkommensteuererklärung 2017 erklärten die Kläger für die Klägerin eine Leibrente aus inländischen privaten Rentenversicherungen.
Der Einkommensteuerbescheid 2017 vom 7. November 2018 erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Dabei erfasste der Beklagte die Rentenzahlung wie folgt (in €):
Jahresbetrag der Rente | ... | |
---|---|---|
Ab Nachzahlungen für mehrere Jahre | ... | |
Zwischensumme | ... | |
Ab steuerfreier Teil der Rente | ... | |
Steuerpflichtiger Teil der Rente | ... | |
Nachzahlung für mehrere Jahre | ... | |
Ab steuerfreier Teil der Nachzahlung | ... | |
steuerpflichtiger Teil der Nachzahlung | ... |
Auf den steuerpflichtigen Teil der Nachzahlung wandte der Beklagte § 34 Abs. 1 EStG an.
Die Arztrechnung in Höhe von ... € berücksichtigte er als Werbungskosten.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch ein, wobei sie auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 30. Januar 2018 5 K 3324/16 E, EFG 2018, 552 verwiesen.
Mit Schreiben vom 4. Februar 2020 erläuterte der Beklagte, die Rentenzahlungen seien so angesetzt worden, wie die X dies elektronisch übermittelt habe. Die Finanzbehörde sei verpflichtet, die elektronisch übermittelten Daten ohne Abweichung zu übernehmen. Diese Übernahme habe zu einer Versteuerung mit dem Besteuerungsanteil und nicht mit dem Ertragsanteil geführt. Sollten die Daten von der X nicht korrekt übermittelt worden sein, möge sich die Klägerin mit dem Versicherungsinstitut in Verbindung setzen und die Übermittlung korrigierter Daten veranlassen.
Die X teilte der Klägerin mit Schreiben vom 19. Mai 2020 mit, sie habe den Sachverhalt überprüft und sei zu dem Schluss gekommen, dass die Rentenbezugsmitteilung vom 20. März 2020 vollumfänglich korrekt sei. Das Urteil des Finanzgerichts Münster sei lediglich eine Einzelfallentscheidung und habe keine bindende Wirkung für die X.
In den Einkommensteuererklärungen 2018 und 2019 erklärten die Kläger die Zahlungen der X an die Klägerin als Leibrente "aus inländischen Privaten Rentenversicherungen mit zeitlich befristeter Laufzeit" bzw. "aus gesetzlichen Rentenversicherungen, landwirtschaftlichen Alterskassen, berufsständischen Versorgungseinrichtungen, eigenen zertifizierten Basisrentenverträgen" jeweils in Höhe von ... €.
Den Einkommensteuerbescheid 2017 änderte der Beklagte am 16. November 2020 aus vorliegend nicht streitigen Gründen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO), den Vorbehalt der Nachprüfung ließ er bestehen.
Am gleichen Tag ergingen die Einkommensteuerbescheide 2018 und 2019, auch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Darin erfasste der Beklagte die Auszahlung der X jeweils wie folgt (in €):
Jahresbetrag der Rente | ... |
---|---|
ab steuerfreier Teil der Rente | ... |
Steuerpflichtiger Teil der Rente | ... |
ab Werbungskosten-Pauschbetrag | 102 |
Die Kläger legten auch gegen die Einkommensteuerbescheide 2018 und 2019 Einspruch ein.
Mit Einspruchsentscheidung vom 26. November 2011 wies der Beklagte die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 2017, 2018 und 2019 im Hinblick auf die Besteuerung der Leistungen der X als unbegründet zurück, den Vorbehalte der Nachprüfung hob er jeweils auf.
Er führte aus, die Zahlungen aus der kombinierten Renten- und Berufsunfähigkeitsrente der X seien als solche nach § 22 Nr. 1 S. 3 a) aa) EStG mit dem Besteuerungsanteil zu berücksichtigen.
Da nur Beiträge aus zertifizierten Verträgen ab dem 1. Januar 2010 nach § 10 EStG steuerlich hätten geltend gemacht werden können, habe der Anbieter seine bereits bestehenden Verträge nachträglich zertifizieren lassen und aufgrund dessen seine Bestands-Verträge geändert, um seinen Versicherungsnehmern die steuerliche Förderung zu ermöglichen.
Die X habe den seit 2006 bestehenden Vertrag von den vertraglichen Regelungen her so angepasst, dass dieser dem vom Bundeszentralamt für Steuern zertifizierten Mustervertrag zur Basis-Rente inkl. Berufsunfähigkeitsrente entsprochen und der Klägerin so eine steuerliche Förderung ihres Vertrags eröffnet habe, welche sie auch in Anspruch genommen habe.
Die Zertifizierung unter der Zertifizierungsnummer ... des Altvertrags sei zum 3. Januar 2011 (mit der Zustimmung der Klägerin) wirksam geworden. Der Anbieter habe sowohl die Basis-Rente als auch die Berufsunfähigkeitsrente unter der v.g. Zertifizierungsnummer zertifizieren lassen. Im zertifizierten Vertrag sei u.a. zur Leistungsdauer der Berufsunfähigkeitsrente geregelt, dass diese bis zum 55. Lebensjahr maximal jedoch bis zum Zahlungsbeginn der Basis-Rente gezahlt werden solle. Diese v.g. Regelung habe nicht dem in 2010 gültigen Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz (AltZertG)/EStG widersprochen und somit der letztendlich erfolgten Zertifizierung (mit der Folge einer steuerlichen Förderung des Vertrages) nicht im Wege gestanden, da die Regelungen des BMF-Schreibens vom 30. Januar 2008 zu Rn 14 (BStBl I 2008, 390) und die Bekanntmachungen des BMF gegenüber dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. bei der Zertifizierung zu berücksichtigen gewesen seien.
Für die Zertifizierung sei das in 2010 gültige AltZertG maßgebend gewesen. Dazu sei in § 2 Abs. 1 AltZertG geregelt, dass die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG i.d.F. 2010 erfüllt sein mussten. Somit habe nach § 5a AltZertG 2010 eine Zertifizierung nur dann erfolgen können, wenn die notwendigen Unterlagen der Zertifizierungsstelle vorgelegen hätten und die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG i.d.F. 2010 erfüllt gewesen seien. Inwieweit die Erfüllung dieser v.g. gesetzlichen Vorschrift vorgelegen habe, sei durch BMF-Schreiben 24. Februar 2005 (BStBl I 2005, 429) geändert durch BMF-Schreiben vom 30. Januar 2008 (BStBl I 2008, 390) und zusätzlich durch das an den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. bekannt gegebene Schreiben des BMF geregelt gewesen.
Bei einem bestehenden Basisrentenvertrag, der noch nicht den Zertifizierungsvorschriften entsprochen habe, habe im Laufe des Jahres 2010 die Möglichkeit bestanden, den Vertrag nachträglich zu zertifizieren. In diesem Fall seien Beiträge die vor der Zertifizierung geleistet wurden auch als Basisrentenverträge anerkannt worden und die Übertragung auf den zertifizierten Vertrag sei steuerunschädlich gewesen. Verträge, die bereits vor dem 31. März 2010 vertrieben und abgeschlossen wurden und sofern die Kriterien nach dem AltzertG nicht ausdrücklich in die Versicherungsbedingungen aufgenommen wurden, seien ausnahmsweise zertifiziert worden, wenn der Anbieter der Zertifizierungsstelle schriftlich zugesicherte habe, dass die Bedingungen des AltZertG trotzdem eingehalten und ab dem 1. April 2010 keine Verträge dieser Art mehr abgeschlossen würden.
Genau solch ein Fall liege im Streitfall vor. In 2010 habe sich die Zertifizierung vom Gesetzeswortlaut des AltZertG nach den in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG (i.d.F. 2010) genannten Kriterien bestimmt. Auch in 2010 habe die Zertifizierung insoweit den Zweck gehabt, eine einheitliche Rechtsanwendung sicher zu stellen. Seien vor diesem Hintergrund die im BMF-Schreiben vom 30. Januar 2008 (BStBl I 2008, 390) aufgeführten Kriterien für das Vorliegen einer Basis-Rente nicht erfüllt gewesen, so seien auch die im AltZertG/EStG genannten Kriterien für die Zertifizierung eines Basisrentenversicherungsvertrages nicht erfüllt gewesen.
Nach dem BMF-Schreiben vom 30. Januar 2008 (BStBl I 2008, 390) sei eine zeitliche Befristung der Rente aus Berufsunfähigkeit im Hinblick auf die entfallende Versorgungsbedürftigkeit (z.B. bei Ende der Berufsunfähigkeit) nicht zu beanstanden gewesen. Diese Regelung sei dahingehend zu verstehen gewesen, dass die Berufsunfähigkeitsrente nur bezogen auf den Wegfall der Versorgungsbedürftigkeit bzw. den Beginn der Altersrente hätte befristet werden dürfen. Das BMF habe jedoch in Abstimmung mit den Vertretern der obersten Finanzbehörden der Länder die zeitliche Befristung der Leistungsdauer der Berufsunfähigkeitsrente - sofern die übrigen Voraussetzungen für eine Zertifizierung vorgelegen hätten - auch für die Fälle - und damit für eine Zertifizierung derartiger Vertragsmuster in 2010 - zugelassen, in denen die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente auf das 55. Lebensjahr begrenzt gewesen sei. Allerdings hätten diese Vertragsmuster nur dann zertifiziert und damit steuerlich gefördert werden dürfen, wenn sie lediglich bis zum 31. März 2010 vertrieben worden seien, welches der Anbieter der Zertifizierungsstelle schriftlich hätten versichern müssen (vgl. auch NWB 32/2010 S. 2510 und S. 2531ff). Dies habe das BMF auch dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., auf seine Anfrage hin, schriftlich mitgeteilt. Da es sich bei dieser Regelung um eine Einmalregelung für bereits vor 2010 bestehende Verträge (Bestandsverträge) gehandelt habe, habe sie keinen Eingang in das BMF-Schreiben vom 30. Januar 2008 gefunden.
Dies bedeute, dass diese Regelung nur für bereits vor 2010 bestehende Verträge, welche nachträglich zertifiziert werden sollten, maßgebend sei. Die Nichtbeanstandung dieser zeitlichen Begrenzung der Leistungsdauer der Berufsunfähigkeitsrente auf das 55. Lebensjahr führe dazu, dass die Klägerin auf die steuerliche Absetzbarkeit ihrer Beiträge habe vertrauen können und - soweit die übrigen Voraussetzungen vorlagen - eine Zertifizierung des Vertrages habe erfolgen dürften.
Darüber hinaus bestätige die Zertifizierung, dass der Basisrentenvertrag den gesetzlichen Auflagen nach dem AltZertG genüge. Eine zusätzliche Prüfung durch die Finanzverwaltung sei ab dem Veranlagungszeitraum 2010 gesetzlich nicht mehr vorgesehen, da die Zertifizierung einem Grundlagenbescheid entspreche.
Bei den nachfolgenden Änderungen des AltZertG (und den damit zusammenhängenden Änderungen des BMF-Schreibens vom 31. Januar 2008) habe die X auf eine Anpassung bzw. Neuzertifizierung in Bezug auf das jeweils aktuelle AltZertG verzichtet, da es sich bei dem hier betroffenen Zertifikat nur um sog. Altfälle (Bestandsfälle, Vertragsabschluss vor 2010) gehandelt habe, welche keine neuen Vertragsabschlüsse ermöglichten (sonst hätten die Bestands-Verträge komplett neu abgeschlossen werden müssen, zum Nachteil Steuerpflichtiger bzw. Anbieter). Da das Zertifikat nur für bereits vor 2010 bestehende Verträge und damit für Vertragsabschlüsse bis max. zum 31. März 2010 gültig gewesen sei, sei der Anbieter auch nicht verpflichtet gewesen, seine Verträge an das jeweils gültige AltZertG anzupassen. Der Anbieter habe bis zum 31. Dezember 2016 die Möglichkeit gehabt, das vorhandene Zertifikat zu erneuern/anzupassen (Anpassung hinsichtlich der Kostenregelung, vgl. § 2a AltZertG in der am 1. Juli 2013 geltenden Fassung durch Art. 2 des AltersvorsorgeverbesserungGesetzes vom 24. Juni 2013, BGBl I 2013, 1667). Dies habe er nicht getan (da nur Altverträge unter dem Zertifikat), so dass ab 1. Januar 2017 der gesetzlich vorgesehene Verzicht auf das Zertifikat in Kraft getreten sei (gem. § 14 Abs. 2a AltZertG, vgl. auch BT-Drs. 17/10818). Der Anbieter genieße aber für das Zertifikat 005317 Bestandsschutz. Dieser Bestandsschutz umfasse, dass die Vertragsinhalte/vertraglichen Regelungen in den alten Verträgen, wie lt. AltZertG 2010 zulässig und zertifiziert, weiterhin gelten würden und deren Einhaltung vom Anbieter weiterhin sichergestellt werden müsse, mithin die steuerlichen Folgen in der Anspar- und Auszahlungsphase für die sog. Rürup-Renten gelten würden.
Vorliegend handele es sich um einen nach den in 2010 geltenden Gesetzes- und Verwaltungsregelungen zertifizierten Vertrag, welcher Bestandsschutz genieße. Damit seien nicht nur die steuerlichen Vorteile der Ansparphase, sondern auch die steuerlichen Folgen in der Auszahlungsphase umzusetzen.
Das Urteil des FG Münster vom 30. Januar 2014 (5 K 3324/16 E) finde hier keine Anwendung, da die Ausführungen des derzeit gültigen BMF-Schreibens vom 24. Mai 2017 (BStBl I 2017, 820) dem aktuellem AltZertG entsprächen und die zertifizierten Altfälle (Bestandsfälle vor 2010 mit Einmalregelung) lt. AltZertG 2010 nicht mehr abbildeten.
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2021 erhoben die Kläger die vorliegende Klage wegen "Einkommensteuerbescheid 2017 ...", "Einkommensteuerbescheid 2018 ..." und "Einkommensteuerbescheid 2018 ...".
Im Klageverfahren führen sie aus, aus der Tatsache, dass die Klageschrift drei optisch deutlich abgegrenzte Bestandteile enthalte, sei zu entnehmen gewesen, dass alle drei Veranlagungszeiträume 2017, 2018 und 2019 hätten erfasst werden sollen.
Inhaltlich tragen sie vor, die Leistungen der X seien zu Unrecht nach § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG erfasst worden, denn es handele sich um Leistungen, die mit dem Ertragsanteil nach § 55 Abs. 2 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) zu besteuern seien.
Die streitigen Zahlungen stammten aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Sie stelle keine Basisrente dar, die mit dem Besteuerungsanteil zu erfassen sei, da bei einer solchen Versicherung keine Leistungen vor dem 62. Lebensjahr erbracht werden dürften. Die Berufsunfähigkeitsrente werde nur bis zum 55. Lebensjahr gezahlt. Die Leistungen aus der kombinierten Rentenversicherung würden im vorliegenden Fall nach dem 65. Lebensjahr gezahlt, sodass eine Unterbrechung von zehn Jahren gegeben sei.
Die Beiträge seien in den Einkommensteuererklärungen nicht als Beiträge zur Basisversorgung deklariert worden, sondern seien in den weiteren sonstigen Vorsorgeaufwendungen enthalten gewesen, da aufgrund des Versicherungsvertrags keine Basisversorgung anzunehmen gewesen sei. Die Beiträge zu dieser Versicherung würden sich bei erklärungsgemäßer Berücksichtigung aufgrund der Günstigerprüfung der Vorsorgeaufwendungen gar nicht steuermindernd ausgewirkt haben, da die Gesamthöhe aller Aufwendungen den Höchstbetrag bei weitem überschritten hätte. Die Berücksichtigung als Beiträge zur Basis-Rentenversicherung sei von Amts wegen erfolgt.
Es sei unbeachtlich, dass eine nachträgliche Zertifizierung des Bestands-Vertrags durch den Anbieter vorgenommen wurde, die zum 3. Januar 2011 wirksam geworden sei. Die Absicherung der Berufsunfähigkeit sei weiterhin zeitlich begrenzt bis zum 55. Lebensjahr und stelle damit gerade keine Basis-Absicherung dar.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertrete, die elektronische Übermittlungen des Versicherers sei maßgebend und bindend für die Besteuerung, sei dem nicht zu folgen. Die übermittelten Daten eines Versicherers dürften keine Bindungswirkung für die Auswirkungen auf die tatsächliche Besteuerung des betreffenden Sachverhalts haben, wenn die Tatsachen zu einem abweichenden Ergebnis führten.
Die Kläger beantragen,
...
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zu seiner Auffassung in der Einspruchsentscheidung weist er darauf hin, der Klageschriftsatz von 29. Dezember 2021 erwähne den Einkommensteuerbescheid 2019 nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Klage- und Steuerakte (Steuernummer 53/105/06868).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
I. Mit ihrer Klage wenden sich die Kläger neben den Einkommensteuerbescheiden 2017 und 2018 auch gegen den Einkommensteuerbescheid 2019.
Zwar ist im Klageschreiben der Einkommensteuerbescheid 2019 nicht erwähnt, allerdings der Einkommensteuerbescheid 2018 doppelt. Bei verständiger Würdigung ist davon auszugehen, dass nur versehentlich die Zahl 2018 statt 2019 genannt wurde. Dies ergibt sich bereits daraus, dass kein sinnvoller Grund denkbar ist für die doppelte Nennung des Einkommensteuerbescheids 2018.
Diese Einordnung entsprich auch der gebotenen interessengerechten und rechtsschutzgewährenden Auslegung des Klagebegehrens (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25. Juni 2014 I R 29/13, BFH/NV 2015, 27).
II. Der Beklagte hat zu Unecht die ausgezahlten Versicherungsleistungen nach § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG besteuert.
Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG sind sonstige Einkünfte u.a. Leibrenten und andere Leistungen, die aus Rentenversicherungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) EStG erbracht werden, soweit sie jeweils der Besteuerung unterliegen.
§ 10 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) EStG regelt Beiträge zum Aufbau einer eigenen kapitalgedeckten Altersversorgung, wenn der Vertrag nur die Zahlung einer monatlichen, auf das Leben des Steuerpflichtigen bezogenen lebenslangen Leibrente nicht vor Vollendung des 62. Lebensjahres oder zusätzlich die ergänzende Absicherung des Eintritts der Berufsunfähigkeit (Berufsunfähigkeitsrente), der verminderten Erwerbsfähigkeit (Erwerbsminderungsrente) oder von Hinterbliebenen (Hinterbliebenenrente) vorsieht.
Ein solcher Vertrag ist hier jedoch nicht gegeben.
1. Bei der "Zusatzversicherung" Berufsunfähigkeitsrente handelt es sich vorliegend nicht um eine unschädliche ergänzende Absicherung des Eintritts der Berufsunfähigkeit.
a) Der ergänzenden Absicherung steht bereits die Höhe der jeweils auf die Altersvorsorge und die Berufsunfähigkeitsversicherung entfallenden monatlichen Beitragsanteile entgegen.
aa) Die ergänzende Absicherung des Eintritts der Berufsunfähigkeit, der verminderten Erwerbsfähigkeit und von Hinterbliebenen ist nach herrschender Auffassung nur dann unschädlich, wenn mehr als 50% der Beiträge auf die Altersversorgung des Steuerpflichtigen entfallen, da diese Risiken nicht im Vordergrund stehen dürfen (vgl. FG Münster, Urteil vom 30. Januar 2018 5 K 3324/16 E, EFG 2018, 639; BMF-Schreiben vom 24. Mai 2017, BStBl I 2017, 820, Rn 38; Krüger in Schmidt, EStG, 42. Aufl., 2023, § 10 Rn 35; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 10 Rn 64; Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., 2023, § 10 Rn 21; Hoheisel/Tippelhofer in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 10 Rn 254; Lindberg in Frotscher, EStG, § 10 Rn 65; Wilhelm in Kanzler/Kraft/Bäuml/Marx/Geserich, EStG, § 10 Rn 49; Stöcker in Bordewin/Brandt, EStG, § 10 Rn 126). Erreichen die Beiträge für die Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsversicherung dagegen 50% des Gesamtbeitrags, so handelt es sich nicht mehr um eine Ergänzung. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Dafür spricht, wie das FG Münster im Urteil vom 30. Januar 2018 5 K 3324/16 E, EFG 2018, 639 zutreffend ausführt, bereits der Wortlaut "ergänzend". Zudem steht diese Ansicht im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Norm, da der Gesetzgeber durch das zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) private Altersrenten, die ihrer Art nach der gesetzlichen Rente entsprechen, steuerlich mit dieser gleichstellen wollte (vgl. BT-Drucks. 15/2150, S. 22; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 10 Rn 60; Fissenewert in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, EStG, § 10 Rn 156.1).
bb) Soweit die Beiträge zur Berufsunfähigkeitsversicherung dazu verwendet werden, die Weiterzahlung des Beitrags für die Altersrente nach Eintritt der Berufsunfähigkeit sicherzustellen, zählen sie im Rahmen der Anwendung der 50%-Grenze nach herrschender Meinung ebenfalls zur Altersvorsorge (vgl. FG Münster, Urteil vom 30. Januar 2018 5 K 3324/16 E, EFG 2018, 639; BMF-Schreiben vom 24. Mai 2017, BStBl I 2017, 820 Rn 38; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 10 Rn 64; Stöcker in Bordewin/Brandt, Einkommensteuer, § 10 Rn 128; Steiner A. in Lademann, EStG § 10 Rn 176). Dies hält der erkennende Senat für zutreffend und schließt sich insoweit den Ausführungen des FG Münster, Urteil vom 30. Januar 2018 5 K 3324/16 E, EFG 2018, 639 an.
cc) Im Streitfall entfallen nach diesen Grundsätzen nicht mehr als 50% des monatlichen Gesamtbeitrags von 187,59 € auf die Altersversorgung des Steuerpflichtigen, so dass eine schädliche ergänzende Absicherung gegeben ist.
Neben dem Beitrag für die Basisrente (Hauptversicherung) in Höhe von monatlich 90,41 € zählen auch die im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung gezahlten Beiträge für die Beitragsbefreiung in Höhe von monatlich 3,39 € zur Altersversorgung, da diese dazu verwendet werden, die Weiterzahlung des Beitrags für die Altersrente auch im Fall des Eintritts der Berufsunfähigkeit sicherzustellen, mithin insgesamt 93,80 €. Für die "Zusatzversicherung" Berufsunfähigkeitsrente wurden laut Vertrag 93,79 € gezahlt.
Dies sind zwar 0,01 € weniger als der Beitrag für die Altersrente. Angesichts der Gesamthöhe des Betrages ist die Differenz von 0,01 € jedoch so gering, dass nach Ansicht des Senates von einer Verteilung von 50 % zu 50 % auszugehen ist, zumal bei einer ungeraden Zahl die Differenz von 0,01 € auf den Umstand entfällt, dass eine Zahl nach oben und eine nach unten abgerundet werden muss, um eine Darstellung zu ermöglichen.
b) Das Vorliegen einer ergänzenden Absicherung ist im Streitfall auch deshalb abzulehnen, weil die Berufsunfähigkeitsrente nach dem Vertrag bereits am 1. Juni 2025 endet, während die Altersrente erst am 1. Juni 2036 beginnt, also eine "Lücke" von 10 Jahren besteht.
Nach herrschender Meinung ist eine zeitliche Befristung einer Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsminderungsrente ausschließlich im Hinblick auf die entfallende Versorgungsbedürftigkeit (Verbesserung der Gesundheitssituation oder Erreichen der Altersgrenze für den Bezug der Altersrente aus dem entsprechenden Vertrag) nicht zu beanstanden (vgl. FG Münster, Urteil vom 30. Januar 2018 5 K 3324/16 E, EFG 2018, 552; BMF-Schreiben vom 24. Mai 2017, BStBl I 2017, 820 Rn 38 bzw. diesem vorangehend BMF-Schreiben vom 19. August 2013, BStBl I 2013, 1087 Rn 17; Hoheisel/Tippelhofer in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 10 Rn 254; Wilhelm in Kanzler/Kraft/Bäuml/Marx/Geserich, EStG, § 10 Rn 49).
Das FG Münster, Urteil vom 30. Januar 2018 5 K 3324/16 E (EFG 2018, 552) hat hierzu ausgeführt, der Gesetzgeber habe mit dem AltEinkG nur solche Absicherungen begünstigen wollen, die zu einer auf das Leben des Steuerpflichtigen bezogenen Absicherung führen (vgl. BT-Drucks. 15/2150, S. 34). Dies setze voraus, dass der Schutz des Steuerpflichtigen mit Eintritt des Versicherungsfalls zeitlich lückenlos erfolge. Bei kombinierten Alters- und Berufsunfähigkeitsrenten nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) EStG sei dies nur dann gewährleistet, wenn die Zahlungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung erst mit Beginn der Altersrente endeten. Diese Auslegung stehe auch im Einklang mit der zum VZ 2014 neu eingeführten Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) bb) EStG. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) bb) EStG seien Beiträge des Steuerpflichtigen für seine Absicherung gegen den Eintritt der Berufsunfähigkeit oder der verminderten Erwerbsfähigkeit Sonderausgaben, wenn der Vertrag nur die Zahlung einer monatlichen, auf das Leben des Steuerpflichtigen bezogenen lebenslangen Leibrente für einen Versicherungsfall vorsehe, der bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres eingetreten sei. Auch nach dieser Regelung sei ab dem Eintritt der Berufsunfähigkeit eine lückenlose Zahlung bis zum Lebensende vorgesehen. Sonstige Berufsunfähigkeitsversicherungen unterlägen demgegenüber weiterhin nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG nur dem beschränkten Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 4 EStG.
Der erkennende Senat teilt die Auffassung, dass eine "ergänzende" Absicherung nur dann anzunehmen ist, wenn die Zahlungen aus der Berufsunfähigkeitsrente erst mit Beginn der Altersrente enden und folgt insoweit der überzeugenden Begründung des FG Münster, Urteil vom 30. Januar 2018 5 K 3324/16 E (EFG 2018, 552).
2. Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, wegen der für den Vertrag der Klägerin erfolgten Zertifizierung müsse die Versteuerung - unabhängig von der tatsächlich vorliegenden Gestaltung - nach § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG vorgenommen werden, folgt der erkennende Senat dem nicht.
§ 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG verweist (nur) auf § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) EStG, nicht dagegen auf § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG.
III. Die Zahlungen der X sind nach § 22 Nr. 1 Satz 3 a) bb) Satz 5 EStG i.V.m. § 55 Abs. 2 EStDV zu versteuern.
Es handelt sich um eine abgekürzte Leibrente, da sie für die Lebensdauer der Klägerin, längstens aber bis zum 1. Juni 2025, zu zahlen ist.
Die Berechnung der anzusetzenden Einkünfte ergibt sich aus den Probeberechnungen vom 25. April 2023.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V. Die Zulassung der Revision erfolgt gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts (vgl. FG Münster, Urteil vom 30. Januar 2018 5 K 3324/16 E, EFG 2018, 552).