Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 31.05.2022, Az.: 7 U 289/18

Erwerb eines vom Dieselskandal betroffenen VW Caddy mit einem Motor der Baureihe EA 189; Wirkungen eines außergerichtlichen Vergleichs

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
31.05.2022
Aktenzeichen
7 U 289/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 22021
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2022:0531.7U289.18.00

Verfahrensgang

vorgehend
BGH - 08.12.2021 - AZ: VIII ZR 190/19

Amtlicher Leitsatz

Ein Vergleich zwischen dem Käufer und der Herstellerin eines vom sog. "Abgasskandal" betroffenen Fahrzeugs kann Gesamtwirkung zugunsten eines EU-Reimport-Händlers entfalten.

Es kann einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen, wenn ein Nachlieferungsanspruch hinsichtlich eines vom sog. "Abgasskandal" betroffenen Fahrzeuges gegenüber dem Händler weiterverfolgt wird, obwohl bereits ein Vergleich mit der Fahrzeugherstellerin geschlossen wurde.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 14. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsrechtsstreits wie auch diejenigen des Revisionsrechtsstreits vor dem Bundesgerichtshof - VIII ZR 190/19 - hat der Kläger zu tragen.

Dieses Urteil und dasjenige des Landgerichts Braunschweig vom 14. Mai 2018 sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Berufungsstreitwert wird auf die Gebührenstufe bis 22.000.- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagte als Verkäuferin eines EU-Neuwagens Ansprüche aus Vertrag und Gesetz auf Nachlieferung eines fabrikneuen Pkw gegen Rückgabe des gekauften geltend. Dieses ist mit einem V..-Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet und daher von dem sogenannten "...-Abgasskandal" betroffen.

Wegen des Sach- und Streitstandes sowie der Anträge der Parteien im Rechtsstreit erster und zweiter Instanz wird zunächst auf die Ausführungen unter I. des Senatsurteils vom 13.06.2019 verwiesen (S. 2-18, Bd. V Bl. 925R-933R d.A.). Auf die Revision des Klägers hat der Bundesgerichtshof jenes Senatsurteil mit Urteil vom 08.12.2021 - VIII ZR 190/19 - aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtsstreits, an den Senat zurückverwiesen; wegen des Inhalts der Entscheidung wird auf Bd. VI Bl. 206-230R d.A. Bezug genommen.

Der Kläger lässt darauf mit Schriftsatz vom 06.05.2022 erwidern, der neue Sachvortrag der Beklagten sei verspätet und zum jetzigen Zeitpunkt präkludiert. Im Übrigen habe er das Fahrzeug - unbestritten - bereits am 04.09.2020 zum Kaufpreis von 10.500.- € veräußert. Ferner bringt der Kläger erstmals - und ebenfalls unwidersprochen - vor, neben der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrundeliegenden Klage eine weitere gegen die Fahrzeugherstellerin erhoben zu haben; dieser Rechtsstreit sei durch die dem Schriftsatz beigefügte Vergleichsvereinbarung auf eine Einmalzahlung der dortigen Beklagten i.H.v. 5.000.- € beendet worden. Ansprüche der Klägerpartei gegen die hiesige Beklagte seien dadurch nicht abgegolten worden, da die Beklagte nicht Vertragshändlerin der Herstellerin sei; der Leistungsantrag werde jedoch geändert. Wegen des weiteren Inhalts

- des Klägerschriftsatzes vom 06.05.2022,

- des Vertrages vom 04.09.2020 über den Weiterverkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs (Anlage SN1) und

- des zwischen dem Kläger und der V. AG im Parallelrechtsstreit Landgericht Braunschweig 11 O 7047/19 am 03./13.08.2020 geschlossenen außergerichtlichen Vergleichs (Anlage SN2)

wird auf Bl. 717-730 d.A. Bezug genommen.

Im Senatstermin vom 10.05.2022 hat der Kläger auf Fragen erklärt (Prot. v. 10.05.2022 S. 1f, Bd. IX Bl. 735f), seinem Rechtsanwalt sei der mit der V... AG geschlossene Vergleich bekannt gewesen; er habe erst jetzt erfahren, dass er jetzt vorgetragen worden sei. Auf weitere Nachfrage hat er angegeben, der Vergleich sei auch mit der Kanzlei der Klägervertreter geschlossen worden; er habe sich darauf verlassen, dass er auch vorgetragen werde. Schriftsätze des Rechtsstreits habe er von der Klägervertreterkanzlei immer zur Kenntnisnahme erhalten. Er sei selbst auch an den Vergleichsverhandlungen im hiesigen Rechtsstreit beteiligt gewesen und habe Frau Rechtsanwältin ... die ihm das Vergleichsangebot der Gegenseite übersandt habe, seine Vorstellungen mitgeteilt, wobei der Vergleich mit der Fahrzeugherstellerin nicht Gegenstand seiner E-Mail an Frau ... gewesen sei.

Nachdem der Kläger im Berufungsrechtsstreit ursprünglich die Anträge gestellt hat,

unter "Aufhebung und Abänderung" des erstinstanzlichen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, der Klagepartei ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit gleichartiger und gleichwertiger technischer Ausstattung wie das Fahrzeug V...Caddy 1,6 TDI, Fahrzeug-Ident-Nr. ..., Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeugs V...Caddy 1,6 TDI, Fahrzeug-Ident-Nr. ..., nachzuliefern;

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1 genannten Fahrzeugs in Verzug befindet;

3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerseite von den durch die Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.789,76 € freizustellen,

beantragt er nunmehr unter Rücknahme der Klage im Übrigen,

unter "Aufhebung und Abänderung" des erstinstanzlichen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerseite ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit gleichartiger und gleichwertiger technischer Ausstattung wie das Fahrzeug V... Caddy 1,6 TDI, Fahrzeug-Ident-Nr. ..., Zug um Zug gegen Zahlung eines Wertersatzes statt der Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeugs V... Caddy 1,6 TDI, Fahrzeug-Ident-Nr. ..., nachzuliefern;

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1 genannten Fahrzeugs in Verzug befindet;

3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerseite von den durch die Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.789,76 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte hat im Hinblick auf den Senatstermin vom 10.05.2022 mit Schriftsatz vom 03.05.2022 erneut umfangreich vorgetragen; insoweit wird auf Bd. VII Bl. 240 bis Bd. IX Bl. 715 d.A. verwiesen. Zum Klägerschriftsatz vom 06.05.2022 bringt sie mit weiterem Schriftsatz vom 09.05.2022 (Bd. IX Bl. 732f d.A., im Senatstermin vom Beklagtenvertreter inhaltlich vorgetragen, Prot. v. 10.05.2022 S. 1, Bd. IX Bl. 735 d.A.) unwidersprochen vor, die darin vorgetragene Veräußerung des Fahrzeugs bereits im September 2020, die parallele Inanspruchnahme der Herstellerin in einem weiteren Rechtsstreit und die dortige Vergleichsvereinbarung nebst erfolgter Zahlung von 5.000.- € seien ihr nicht bekannt gewesen. Deshalb sei sie selbst mit Blick auf den vorliegenden Rechtsstreit auf den Kläger zugegangen und habe eine vergleichsweise Einigung vorgeschlagen. Der Kläger habe mitteilen lassen, er könne sich eine Erledigung des Rechtsstreits durch eine Einmalzahlung der Beklagten i.H.v. 5.000.- € nebst voller Kostenübernahme vorstellen. Damit habe der Kläger neben dem Kaufpreis von 10.500.- € und der Vergleichszahlung der Herstellerin von 5.000.- € weitere 5.000.- € haben wollen, ohne den Vergleich mit dem Motorenhersteller zu erwähnen.

Im Übrigen sei der neue Leistungsantrag in der vorliegenden Form unzulässig, die Klage aber insbesondere bei Berücksichtigung des neuen Klägervorbringens unbegründet. Entgegen den Ausführungen des Klägers erfasse der Vergleich sehr wohl auch die Beklagte, da in Ziff. 3.3 der Vereinbarung vom "Händler" die Rede sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie ihre Erklärungen zu Protokoll im Senatstermin ergänzend verwiesen.

Der Senat hat im Termin vom 10.05.2022 darauf hingewiesen, dass der vom Kläger mit der V... AG geschlossene Vergleich einem Anspruch des Klägers gegen die Beklagte unter den Gesichtspunkten der gesamtschuldnerischen Haftung von Fahrzeughersteller und Händler und des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen könnte (Prot. v. 10.05.2022 S. 2, Bd. IX Bl. 736 d.A.).

II.

Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

1. Hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen unter Ziff. II.1 des Senatsurteils vom 13.06.2019 (S. 18f, Bd. V Bl. 933R/934 d.A.) Bezug genommen.

2. Die Berufung ist jedoch unbegründet.

a) Die im Senatsurteil vom 13.06.2019 (S. 19-21, Bd. V Bl. 934-935 d.A.) geäußerten Bedenken gegen die Bestimmtheit des Berufungsantrages zu 1, welche auch den geänderten Antrag zu 1 im Schriftsatz vom 06.05.2022 (Bd. IX Bl. 718 d.A.) betreffen würden, stellt der Senat mit Rücksicht auf Rz. 25-34 des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 08.12.2021 - VI ZR 190/19, Bd. V Bl. 211-213 d.A. - zurück.

b) Der im Senatstermin vom 10.05.2022 gestellte, gemäß Schriftsatz vom 06.05.2022 geänderte Berufungsantrag zu 1 des Klägers ist auch entgegen der Meinung der Beklagten nicht unzulässig wegen Verstoßes gegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 letzter Hs. ZPO infolge mangelnder Bestimmtheit der angebotenen Gegenleistung. Die Formulierung "Zug um Zug gegen Zahlung eines Wertersatzes statt der Rückübereignung..." (Schriftsatz vom 06.05.2022 S. 2, Bd. IX Bl. 718 d.A.) wird vom Senat angesichts des weiteren Klägervortrags in dem genannten Schriftsatz dergestalt ausgelegt, dass der Kläger damit die Neulieferung eines mangelfreien Pkw Zug um Zug gegen Zahlung des beim Weiterverkauf des streitgegenständlichen Fahrzeuges am 04.09.2020 erzielten Erlöses von 10.500.- € verlangt.

c) Das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Sie ist auch mit dem geänderten Antrag unbegründet. Der Kläger hat schon angesichts seiner eigenen Darlegungen im Schriftsatz vom 06.05.2022 gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Neulieferung eines mangelfreien, fabrikneuen, typengleichen Fahrzeuges aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit gleichartiger und gleichwertiger technischer Ausstattung wie das Fahrzeug V... Caddy 1,6 TDI, Fahrzeug-Ident-Nr. ..., gegen Zahlung eines Wertersatzes.

aa) Der Kläger hat von der Beklagten unstreitig mit Bestellung vom 13.06.2015 den streitgegenständlichen Pkw V... Caddy 1,6 TDI mit einem Motor der Baureihe EA189 zum Preis von 19.910.- € gekauft. Der Pkw wurde dem Kläger auch unstreitig kurz darauf, nämlich am 16.06.2015, übergeben und von ihm auch seitdem bis zum - erst mit Schriftsatz vom 06.05.2022 (Bd. IX Bl. 717f mit Anlage SN1 Bl. 719) vorgetragenen und unstreitigen - Weiterverkauf am 04.09.2020 genutzt. Der Pkw war ebenso unstreitig ursprünglich mit einer Motorsteuerungs-Software ausgestattet, die speziell für den Prüfstandsbetrieb die Abgasrückführung zur Reduzierung des Stickoxydausstoßes verstärkt, nur dadurch die Abgaswerte der Schadstoffklasse EU5 einhält und deswegen vom Kraftfahrtbundesamt mit Bescheid an die V... AG vom 15.10.2015 als unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2005 beanstandet worden ist.

bb) Das Landgericht hat jedoch im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass keine Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 433 Abs. 1 S. 2, 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3, 437 Nr. 1, 439 BGB bestehen.

(1) Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 08.12.2021 das Bestehen eines solchen Anspruchs dem Grunde nach und nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts für möglich gehalten (BGH 08.12.2021 - VI ZR 190/19, Rz. 35-103, S. 14-44, Bd. VI Bl. 213-228 -; vgl. auch BGH 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, in Juris Rz. 4ff, 24ff; 21.07.2021 - VIII ZR 254/20, in Juris Rz. 23-70 -).

(2) Unterstellt man nun zugunsten des Klägers, dass er aus den genannten Vorschriften i.V.m. dem Kaufvertrag zwischen den Parteien vom 13.06.2015 infolge der Ausstattung des von der Beklagten gelieferten Pkw mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung einen Anspruch auf Neulieferung eines mangelfreien Fahrzeugs gegen die Beklagte hatte, so haftete die Beklagte darauf gesamtschuldnerisch neben der V... AG. Denn diese war dem Kläger ursprünglich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, welcher sich der Senat in st. Rspr. anschließt, aus §§ 826, 31 BGB auf Schadensersatz in Form der Rückabwicklung des Kaufvertrages vom 13.06.2015 durch Erstattung des Kaufpreises unter Abzug der Nutzungsvorteile Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des erworbenen Fahrzeugs verpflichtet (BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 12-83 -; 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 11-15 -). Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten und der V...AG scheitert weder an der unterschiedlichen Rechtsgrundlage der Ansprüche noch unterschiedlichen Anspruchszielen. Das Ziel des Klägers ist die Beseitigung des aus seiner Sicht ungewollten Kaufvertrages vom 13.06.2015; insoweit befinden sich die Anspruchsgegner in einer "rechtlichen Zweckgemeinschaft" ihm gegenüber (BGHZ 59, 97, in Juris Rz. 11-18 -; OLG Hamm 19.02.2019 - 32 SA 6/19, in Juris Rz. 31f -; OLG Saarbrücken NJW-RR 2019, 1535, in Juris Rz. 6-9 -; OLG Düsseldorf 26.03.2020 - 5 U 19/19, in Juris Rz. 46 -).

(3) Der Kläger muss sich den nach seinem unstreitigen Vorbringen (Klägerschriftsatz vom 06.05.2022 S. 1f mit Anlage SN2, Bl. 717f, 719-730 d.A.) bereits am 13.08.2020 zustande gekommenen außergerichtlichen Vergleich zwischen ihm und der im Parallelrechtsstreit beklagten V... AG über die Abgeltung seiner Ansprüche aus der Ausstattung des Pkw mit der oben bezeichneten ursprünglichen Motorsteuerungs-Software gegen eine Zahlung der V... AG i.H.v. 5.000.- € auch im Verhältnis zur Beklagten des vorliegenden Rechtsstreits entgegenhalten lassen ungeachtet dessen, dass diese zu keinen der in Ziff. 3 des Vergleichs genannten Gruppen gehört.

Gem. § 423 BGB wirkt ein zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner vereinbarter Erlassvertrag auch zugunsten der übrigen Schuldner, wenn die Vertragschließenden das gesamte Schuldverhältnis aufheben wollten. Dies kann auch im Wege der Abgeltung der Ansprüche geschehen; zwar kommt einem Vergleich des Gläubigers mit einem Gesamtschuldner i.d.R. keine Gesamtwirkung zugunsten aller Schuldner zu, sie kommt aber in Betracht, wenn der Vergleich mit demjenigen Schuldner vereinbart wird, der im Innenverhältnis der Schuldner - dem Gläubiger erkennbar - ohnehin allein für den Gesamtbetrag einstehen muss und infolgedessen Regressansprüche der übrigen Gesamtschuldner zu gewärtigen hätte (BGH NJW 2012, 1071 [BGH 22.12.2011 - VII ZR 7/11] - in Juris Rz. 21 -; 2000, 1942 - in Juris Rz. 20, 23 -; OLG Hamm NJW-RR 1998, 486, 487; OLG Karlsruhe NJW 2010, 1671 - in Juris Rz. 11-29 -; OLG Köln NJW-RR 1992, 1398 [OLG Köln 18.05.1992 - 19 W 15/92]- in Juris Rz. 7 -; Palandt / Grüneberg, BGB, 80. Aufl., Rz. 2 zu § 423).

So aber steht die Sache hier, wie der Senat im Termin ausgeführt hat. Nach Wortlaut und Sinn des Vergleichsvertrages vom 13.08.2020 sollten ersichtlich durch die Zahlung von 5.000.- € der V... AG sämtliche denkbaren Ansprüche gegen diese selbst und auch diejenigen gegen etwa mithaftende Gesamtschuldner endgültig erledigt werden. Dies ergibt sich aus Ziff. 3.1 bis 3.3 des Vergleichs (S. 3, Bl. 722 d.A.) mit der Einbeziehung sämtlicher Konzerngesellschaften der AG einschließlich der ggf. finanzierenden V..... Bank GmbH sowie der am Verfahren beteiligten "Händler". Zwar zeigt Ziff. 3.4 des Vergleichstexts (ebenda), dass der Wortlaut mit den "Händlern" nur Vertragshändler des V...-Konzerns meint, zu welchen die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits nicht zählt. Auf das Ziel der Aufhebung des gesamten Schuldverhältnisses zwischen dem Kläger und allen in Betracht kommenden Gesamtschuldnern deutet jedoch schon die umfassende Fassung der Ziff. 3 des Vergleichs. Hinzu kommt hier, dass die V... AG als die beim Einbau der ursprünglichen Motorsteuerung allein Handelnde Regressansprüche anderer Gesamtschuldner aus § 426 BGB zu gewärtigen hatte, wenn sie Ansprüche des Klägers gegen diese nicht miterledigte.

Dies war auch für den - zudem auch im Parallelrechtsstreit und bei den außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen durch seine Prozessbevollmächtigten vertretenen - Kläger deutlich ersichtlich. Der Kläger in Person hat auf Frage im Senatstermin erklärt, die Klägervertreterkanzlei habe bei dem Vergleichsschluss mit der V...AG mitgewirkt; dies ergibt sich auch aus der Unterzeichnung des Vergleichs durch den Geschäftsführer Dr. Stoll für den Kläger (Anlage SN2 S. 11, Bd. IX Bl. 730 d.A.). Er hat weiter eingeräumt, die Schriftsätze im Rechtsstreit seien ihm von seinen Prozessbevollmächtigten stets zur Kenntnisnahme weitergeleitet worden. Soweit der Kläger und seine Prozessbevollmächtigten sich ungeachtet der am 13.08.2020 erklärten Annahme des Vergleichsangebots der V... AG insgeheim vorbehielten, den vorliegenden Rechtsstreit gegen die hiesige Beklagte weiterzuführen, um von ihr ungeachtet des Vergleichsschlusses mit der V... AG gegen Übereignung des beim Kläger wegen des Vergleichs verbliebenen streitgegenständlichen Fahrzeugs bzw. nunmehr gegen Anrechnung des Weiterverkaufspreises von 10.500.- € die Neulieferung eines mangelfreien Pkw zu erlangen, ist ein solcher geheimer Vorbehalt gem. § 116 S. 1 BGB für die Wirksamkeit der Willenserklärung auf Abschluss des Vergleichs vom 13.08.2020 unbeachtlich. Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte bestanden mithin bereits seit dem Zugang der Annahmeerklärung des Klägers vom 13.08.2020 bei der V... AG und damit bereits vor dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 08.12.2021 im vorliegenden Rechtsstreit nicht mehr.

(4) Abgesehen von vorstehenden Erwägungen muss der Kläger sich, wie ebenfalls im Senatstermin erörtert, entgegenhalten lassen, dass die Geltendmachung des Anspruchs auf Neulieferung eines mangelfreien Pkw seit der Annahme des Vergleichs mit der V... AG durch den Kläger am 13.08.2021 unter Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben aus § 242 BGB erfolgt, weil sie rechtsmissbräuchlich ist. Dem Kläger ist mindestens unter einem maßgeblichen Aspekt widersprüchliches Verhalten vorzuwerfen ("venire contra factum proprium").

Zwar lässt die Rechtsordnung grundsätzlich widersprüchliches Verhalten zu. Missbräuchlich ist es jedoch dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (Palandt / Grüneberg a.a.O. Rz. 55 zu § 242 m.w.N. aus der Rspr.; Staudinger / Looschelders / Olzen, BGB [2019], Rz. 221, 284 zu § 242). Hier liegt die letztgenannte Alternative vor.

Auch wenn kein Vertrauenstatbestand begründet worden ist, kann widersprüchliches Verhalten auch aus anderen Gründen anzunehmen sein, so etwa wenn der Berechtigte aus seinem früheren Verhalten bereits erhebliche Vorteile gezogen hat oder wenn sein Verhalten zu einem unlösbaren Selbstwiderspruch führt; das kann unter einzelnen Aspekten auch im Prozessrecht gelten. Jedoch ist nicht etwa jeder Wechsel des Verhaltens oder etwa des Vortrags im Rechtsstreit als unzulässig anzusehen; der Wechsel muß vielmehr zu einer groben, geradezu als unerträglich empfundenen Unbilligkeit führen, die die Gegenpartei als schutzwürdiger erscheinen lassen. Eine solche Feststellung erfordert daher eine Interessenabwägung im Einzelfall (Palandt / Grüneberg a.a.O. Rz. 59 i.V.m. 4 zu § 242; Staudinger / Looschelders / Olzen a.a.O. Rz. 221, 287, 289, 296 zu § 242).

Ein vergleichbarer Fall liegt hier vor, weil der Kläger trotz scheinbarer Aufrechterhaltung seiner anfänglichen Rechtsposition im vorliegenden Rechtsstreit zwischenzeitlich Vorteile aus seinem Verhalten gegenüber der nachträglich zusätzlich in Anspruch genommenen Herstellerin des Fahrzeugs gezogen hat. Ungeachtet des vom Bundesgerichtshof im Urteil vom 08.12.2021 - VI ZR 190/19 - gesehenen Aufklärungsbedarfs ist die Klage schon deshalb unbegründet, weil sich der Kläger entgegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) mit seinem Verlangen nach Nachlieferung eines Neufahrzeugs nunmehr in schlechthin unerträglichen Widerspruch zu seiner Erklärung im Vergleich mit der V... AG vom 13.08.2020 setzt, er sei wegen der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sog. "V...-Abgasskandal" mit Zahlung eines Betrages von 5.000.- € abgefunden.

Der Kläger hat nach eigenen Angaben im Schriftsatz vom 06.05.2022 sowie im Senatstermin vom 10.05.2022 wegen der Ausstattung den von ihm erworbenen Pkw V... Tiguan 2.0 TDI (FIN: ...) mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2007 seit dem Jahre 2019 bewusst zwei parallele Rechtsstreitigkeiten geführt, nämlich

- weiterhin den schon im Mai 2017 begonnenen, vorliegenden Rechtsstreit gegen die Beklagte als Verkäuferin des Fahrzeugs, in welchem der Senat mit Urteil vom 13.06.2019 die Berufung zurückgewiesen und der Kläger dagegen Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt hat (Landgericht Braunschweig 11 O 1170/17 = Senat 7 U 289/18 = Bundesgerichtshof VI ZR 190/19), und

- seit 2019 auch noch denjenigen gegen die V... AG als Herstellerin des Fahrzeugs (Landgericht Braunschweig 11 O 7047/19, vgl. Anlage SN2 S. 1, Bd. IX Bl. 720 d.A.).

Außerhalb des letztgenannten Rechtsstreits hat er sich mit Erklärung vom 13.08.2020 mit der beklagten V... AG auf eine Abgeltung aller Ansprüche gegen diese, ihre Konzernunternehmen und Vertragshändler durch eine Zahlung von 5.000.- € unter Verbleib des Fahrzeugs beim Kläger geeinigt. Damit hat er sich dafür entschieden, das Fahrzeug mit Rücksicht auf die Abfindungszahlung zu behalten und nicht weiter über eine Beseitigung der negativen Folgen des Kaufvertrages vom 13.06.2015 zu streiten. Bereits wenige Tage später, nämlich am 04.09.2020, hat er den Pkw sodann für 10.500.- € weiterverkauft (Anlage SN1, Bd. IX Bl. 719 d.A.).

Im Widerspruch dazu hat er jedoch parallel dazu den vorliegenden Rechtsstreit weiterbetrieben mit dem Ziel der Erlangung eines mangelfreien Neufahrzeugs gegen Rückgabe des erworbenen Pkw. Er hat damit von der hiesigen Beklagten weiterhin Beseitigung der negativen Folgen des Kaufvertrages vom 13.06.2015 verlangt, noch dazu jahrelang unter Verschweigen des Umstandes, dass er über den ursprünglich gelieferten und Zug um Zug zurückzugebenden Pkw gar nicht mehr verfügte. Auch die dies berücksichtigende Umstellung seines Berufungsantrags zu 1 mit Schriftsatz vom 06.05.2022 auf Neulieferung gegen Herausgabe des Weiterverkaufserlöses ändert jedoch nichts daran, dass der Kläger sich mit seinem Verlangen nach Neulieferung gegenüber der Beklagten in unlösbaren Widerspruch zu seiner Erklärung vom 13.08.2020 gesetzt hat, sich mit der Zahlung der V... AG als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs wegen der Ausstattung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung als abgefunden anzusehen.

Entgegen der offenbaren Ansicht des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten (Schriftsatz vom 06.05.2022 S. 2, Bd. IX Bl. 718 d.A.) kann der Kläger die hiesige Beklagte in dieser Situation nicht weiter in Anspruch nehmen; insoweit geht die Abwägung der widerstreitenden Interessen zugunsten der Beklagten aus. Es wäre schlechterdings unerträglich, wenn der Kläger ungeachtet des Abfindungsvergleichs mit der Herstellerin - auf Erhalt von 5.000.- € bei Behalten des Fahrzeugs - noch erfolgreich die Lieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs von der hiesigen Beklagten verlangen könnte; insoweit überwiegt das Schutzbedürfnis der Beklagten sein Interesse am Erhalt weiterer Leistungen deutlich. Die V... AG war als Herstellerin des Fahrzeugs - wie seit dem 22.09.2015 allgemein bekannt geworden ist - für den streitgegenständlichen Mangel allein verantwortlich. Sie hat den Kläger mit einem erheblichen Geldbetrag abgefunden; der Abfindungsvergleich war für den Kläger und seine Prozessbevollmächtigten auch erkennbar als endgültig gemeint. Dann aber ist es mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) unvereinbar, dass der Kläger weiterhin die hiesige Beklagte auf Neulieferung aus dem Kaufvertrag in Anspruch nimmt, als habe er sich nie für abgefunden erklärt, nur weil die Beklagte als EU-Neuwagenhändlerin von dem Abfindungsvergleich mit der alleinverantwortlichen Herstellerin dem Wortlaut nach nicht erfasst ist. Das weitere Verlangen von der Beklagten, einen Neuwagen zu liefern, ist bereits deswegen demjenigen vergleichbar, dass jemand etwas ohne Rechtsgrund von einem anderen Geleistetes behalten will, aber gleichwohl unter Berufung auf die Nichtigkeit des zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts seine Gegenleistung an den anderen zurückverlangt; dieses widersprüchliche Verhalten führt zum Erlöschen seines Anspruchs (RGZ 161, 52, 59; Palandt / Grüneberg a.a.O. Rz. 59 zu § 242). Der Kläger hatte allein durch Abschluss des Abfindungsvergleichs eine erhebliche Summe dafür erhalten, dass er das Fahrzeug unter Verzicht auf weitere Ansprüche behielt; es ist allgemein bekannt, dass dies viele Geschädigte des sog. "V...-Abgasskandals" so gehandhabt haben.

Eine unerträgliche Unbilligkeit des Wechsels im Klägerverhalten liegt erst recht deshalb vor, weil der Kläger nach unstreitigem Beklagtenvortrag auch von der hiesigen Beklagten im April 2022 einen Vergleich auf Zahlung eines Geldbetrages gegen Verbleib des streitgegenständlichen Fahrzeugs angeboten bekommen hat, den er - unter Verschweigen des Abfindungsvergleichs mit der V... AG - gegen Zahlung eines Betrages von 5.000.- € auch abschließen wollte (Beklagtenschriftsatz v. 09.05.2022 S. 2 mit Anlage, Bd. IX Bl. 733f d.A.). Wäre es zu diesem weiteren Vergleichsabschluss gekommen, so hätte der Kläger für ein mangelhaftes Fahrzeug, für welches er im Juni 2013 einen Kaufpreis von 19.910.- € bezahlt hatte, nach gut sieben Jahren der Nutzung und 107.822 km (Anlage SN1, Bd. IX Bl. 719 d.A.) im Laufe der Zeit von drei Seiten

- 5.000.- € von der V... AG,

- 10.500.- € von dem Privatkäufer seines Fahrzeugs und

- nochmals 5.000.- € von der hiesigen Beklagten,

mithin insgesamt 20.500.- € erlangt. Er hätte damit für das streitgegenständliche Fahrzeug trotz langjähriger Nutzung durch sein unredliches Verhalten sogar mehr erlöst, als ihn das Fahrzeug seinerzeit gekostet hat.

cc) Andere Ansprüche des Klägers, nämlich solche aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB oder aus unerlaubter Handlung sind ebenfalls nicht gegeben; insoweit verbleibt es bei den Ausführungen im Senatsurteil vom 13.06.2019, welcher der Bundesgerichtshof gebilligt hat (Senatsurteil vom 13.06.2019, S. 37-40; BGH 08.12.2021 - VI ZR 190/19, in Juris Rz. 114 -).

3. Mangels Anspruchs auf die Hauptforderung des Klägers hat das Landgericht auch zu Recht die Klage auf Zinsen aus der Hauptforderung, auf Feststellung des Annahmeverzuges und auf Freistellung von der Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten abgewiesen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ein Anlass zur Zulassung der Revision i.S.d. § 543 Abs. 2 ZPO war nicht erkennbar; der Senat folgt der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung. Der Berufungsstreitwert war nach dem Neupreis des ursprünglich gekauften Pkw von 19.910.- € auf die Gebührenstufe bis 22.000.- € festzusetzen. Auch beim Anspruch auf Neulieferung ist der von der Klägerseite entsprechend dem Kaufvertrag bezahlte Preis für die verkaufte Sache maßgeblich, weil es damit immer noch um die Hauptleistung des Verkäufers aus dem Kaufvertrag geht und das Interesse des Käufers deshalb nach wie vor darin besteht, für den von ihm gezahlten Preis eine einwandfreie Sache zu erhalten.