Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.03.1986, Az.: 2 Ss (OWi) 17/86
Sozialrechtlicher und arbeitsrechtlicher Mindestschutz von Arbeitnehmern im Rahmen des Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung; Gelegentliche entgeltliche Überlassung von Arbeitnehmern als Ordnungswidrigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 11.03.1986
- Aktenzeichen
- 2 Ss (OWi) 17/86
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1986, 16050
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1986:0311.2SS.OWI17.86.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AZ: 10 Js 16672/85
Rechtsgrundlagen
- Art. 1 Abs. 1 AÜG
- § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG
Verfahrensgegenstand
Ordnungswidrigkeit nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts ...
vom 13. November 1985
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht
am 11. März 1986
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Amtsgericht ...
beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Der Betroffene wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Betroffenen darin erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
Durch die angefochtene Entscheidung hat der Amtsrichter den Betroffenen wegen zweier vorsätzlicher Ordnungswidrigkeiten nach Artikel 1 §§ 1 Abs. 1, 16 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) wegen Überlassens von Arbeitnehmern an Drittfirmen ohne behördliche Erlaubnis zu Geldbußen von je 500,00 DM verurteilt.
Die hiergegen gerichtete zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat Erfolg.
Die getroffenen Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch, ergeben vielmehr, daß der Betroffene nicht den Tatbestand der ihm zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit erfüllt hat. Das angefochtene Urteil ist deshalb entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht aufzuheben und der Betroffene freizusprechen.
Der nach den getroffenen Feststellungen im vorliegenden Fall als Bußgeldvorschrift allein in Betracht kommende Artikel 1 Abs. 1 AÜG in Verbindung mit § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG setzt voraus, daß der Arbeitgeber Arbeitnehmer Dritten gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung überläßt, ohne über eine entsprechende Erlaubnis zu verfügen. Der Tatrichter hat die von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu Unrecht dahin gewertet, daß der Betroffene gewerbsmäßig gehandelt habe.
Maßgebend für die Auslegung dieses Begriffes sind Ziel und Zweck des AÜG. Es soll den wilden Handel mit Arbeitnehmern unterbinden und den sozial- und arbeitsrechtlichen Mindestschutz der Arbeitnehmer sicherstellen. Dieser Zweck wird zwar nur erreicht, wenn entgegen früherer Auffassung (BayObLG NJW 1977, 1891; amtliche Begründung Bundestags-Drucksache VI 2303 Seite 10) nicht darauf abgestellt wird, ob die unerlaubte Überlassung von Arbeitnehmern den Hauptzweck des Betriebes, d.h. dessen überwiegenden Betriebszweck darstellt. Vielmehr ist nach jetzt herrschender Ansicht Gewerbsmäßigkeit im erörterten Sinne dann zu bejahen, wenn die Überlassung von Arbeitnehmern eine auf gewisse Dauer berechnete und auf die Erzielung unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen Vorteils von einigem Umfang gerichtete Tätigkeit darstellt.
Nicht dagegen fällt hierunter die gelegentliche entgeltliche Überlassung, die eine fortgesetzte planmäßig ausgeübte Tätigkeit vermissen läßt (BayObLG NJW 1980, 1861; OLG Düsseldorf NJW 1979, 1313 [OLG Düsseldorf 11.12.1978 - 5 Ss OWi 52/78]; BAG MDR 1979, 703; Sandmann- Marschall, AÜG, Anm. 35 zu Artikel 1 § 1; Becker/Wulfgramm, AÜG, Rdn. 25 ff. zu § 1; 4. Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des AÜG, Drucksache 8/4479, Seite 25). Eine solche gelegentlicheÜberlassung liegt insbesondere dann vor, wenn der Arbeitnehmer regelmäßig Arbeitsleistungen im Betrieb des überlassenden erbringt und nur ausnahmsweise zur Überbrückung einer ungünstigen Auftragslage in diesem Betrieb einem anderen Unternehmen zur Arbeitsleistung überlassen wird (u.a. Sandmann-Marschall, a.a.O., Randnotiz 30 zu § 1).
Hiervon ausgehend hat der Betroffene hinsichtlich seiner von ihm in den Monaten September bis Dezember 1984 zu unterschiedlichen Zeiträumen überlassenen Arbeitnehmer ... und ... nur gelegentlich und damit nicht gewerbsmäßig gehandelt. Nach den vom Tatrichter getroffenen Feststellungen war das Auftragsvolumen der von ihm als Geschäftsführer vertretenen Firma ... im Spätsommer 1984 sehr gering. Einzelne Mitarbeiter - u.a. ... und ... - hatten bereits entlassen werden müssen. Die Urteilsgründe ergeben im Zusammenhang, daß der Betroffene aus diesem Grunde ausnahmsweise von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ... und ... an andere Firmen zum Arbeitseinsatz zu vermitteln, wobei ihr Arbeitsverhältnis zum Unternehmen des Betroffenen unberührt blieb und dieses auch weiterhin die Sozialabgaben für die Arbeitnehmer abführte. Es kam demnach dem Betroffenen ersichtlich nicht darauf an, die genannten Arbeitnehmer für längere Zeit an andere zu vermitteln mit dem Ziel, daraus wirtschaftliche Vorteile zu ziehen.
Dies gilt im Ergebnis auch für die vom Betroffenen in der Zeit vom 3. Oktober bis 23.11.1984 der Firma ... zur Verfügung gestellten ... und ... Zwar waren die Genannten vor ihrer Überlassung nicht mehr Arbeitnehmer der Firma des Betroffenen; denn sie waren kurze Zeit vorher wegen der ungünstigen Auftragslage entlassen worden. Es kann jedoch vom Sinn und Zweck des AÜG ausgehend keinen entscheidenden Unterschied machen, ob die Vermittelten im Zeitpunkt ihrer Zurverfügungstellung an Drittunternehmen noch formal Arbeitnehmer der Firma des Betroffenen waren oder kurze Zeit vorher aus betrieblichen Gründen ihre Entlassung erfolgt war. Denn auch bei dem Einsatz von ... und ... ging es dem Betroffenen nach den Feststellungen vorrangig nicht um die Erzielung eines wirtschaftlichen Vorteils, sondern im wesentlichen darum, sich bewährte Arbeitnehmer zu erhalten und durch die Überlassung als Arbeitskräfte an andere Firmen die Möglichkeit zu schaffen, sie umgehend wieder im eigenen Betrieb einzustellen.
Damit ist die vom Amtsrichter festgestellt Verhaltensweise des Betroffenen als eine gelegentliche in einer Ausnahmesituation erfolge Überlassung von Arbeitnehmern zu werten, die nicht den Bußgeldtatbestand des Artikel 1 § 16 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 AÜG erfüllt.
über die Frage, wie es rechtlich zu werten ist, wenn ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer wegen Auftragsmangels langfristig anderen Unternehmen überläßt, frühere Arbeitnehmer nach längerfristigem Ausscheiden aus seinem Betrieb neu einstellt, oder ihm bisher unbekannte Arbeitnehmer einstellt, um sie Dritten zur Arbeit überlassen zu können, hatte der Senat nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG.