Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 26.03.2012, Az.: 6 B 61/12
Abschiebungsverbot; Asyl; Bosnien-Herzegowina; Erkrankung; Roma
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 26.03.2012
- Aktenzeichen
- 6 B 61/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 44399
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 36 Abs 4 S 1 AsylVfG
- § 60 Abs 1 AufenthG
- § 60 Abs 7 S 1 AufenthG
- Art 16a Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Unter Berücksichtigung des mangelhaften Gesundheitssystems in Bosnien und Herzegowina können sich auch aus einem ärztlichen Attest, das die genaue Erkrankung und den Behandlungsbedarf im Einzelnen nicht erkennen lässt, zum Erfolg eines Eilantrages gegen eine Abschiebungsandrohung führende ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes ergeben, ein gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot abzulehnen.
2. Roma unterliegen in Bosnien und Herzegowina keiner Gruppenverfolgung.
Gründe
Der gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Abschiebungsandrohung ist begründet. Zwar bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin den Asylantrag (§ 13 Abs. 2 AsylVfG) zu Recht als offensichtlich unbegründet angesehen hat (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1, Abs. 1 AsylVfG). Es begegnet aber ernstlichen Zweifeln, dass die Antragsgegnerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Bosnien und Herzegowina, das gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG zur teilweisen Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führen würde, abgelehnt hat.
I. Die Antragsgegnerin hat den Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
Als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1, Abs. 2 AsylVfG kann ein Asylantrag nur dann angesehen werden, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrages geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 15.05.1992 - 2 BvR 207/92 -, InfAuslR 1992, 300, 302 [BVerfG 12.03.1992 - 2 BvR 1353/89]; B. v. 13.10.1993 - 2 BvR 888/93 -, NVwZ 1994, 160, 161). So ist es hier.
Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG besteht nur, wenn Leben oder Freiheit des Asylbewerbers in seinem Heimatstaat wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Einer solchen Verfolgungsgefahr sind Roma aus Bosnien und Herzegowina wegen ihrer Volkszugehörigkeit in ihrer Heimat offensichtlich nicht ausgesetzt.
Aus dem vorliegenden Erkenntnismaterial ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine unmittelbare oder mittelbare staatliche Gruppenverfolgung. Zwar kommt es nach Berichten sachverständiger Stellen in Bosnien und Herzegowina vereinzelt zu Übergriffen der Polizei und häufiger zu verbalen und körperlichen Übergriffen privater Dritter auf Angehörige der Roma-Minderheit (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte v. 24.10.2010, S. 12 und v. 19.02.2012, S. 12, 18 und 20). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt aber eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (s. zu allem BVerwG, U. v. 05.07.1994 - 9 C 158/94 -, juris Rn. 18 = BVerwGE 96, 200). Um zu beurteilen, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden (BVerwG, a. a. O., juris Rn. 23). Nach diesen Maßstäben lässt sich auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Roma nach den aktuellen Zahlen des Auswärtigen Amtes mit ca. 25.000 bzw. 30.000 Personen die größte Minderheit in Bosnien und Herzegowina darstellen (Lagebericht v. 19.02.2012, S. 12), den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht entnehmen, dass Übergriffe auf Roma in einer für eine gruppengerichtete Verfolgung ausreichenden „Verfolgungsdichte“ stattfinden. Dies gilt entsprechend für vom Staat ausgehende Diskriminierungen, zu denen es in Bosnien und Herzegowina immer noch kommt. Derartige Diskriminierungen können als Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu qualifizieren sein, wenn sie so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte oder ähnlich erhebliche Eingriffe darstellen (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i. V. m. Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG). Dass die Diskriminierungen derartige Auswirkungen in einer sehr großen, für jeden Roma ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit begründenden Anzahl von Fällen haben, lässt sich dem zur Verfügung stehenden Erkenntnismaterial nicht entnehmen (vgl. zu allem Auswärtiges Amt, Lageberichte v. 24.10.2010 und 19.02.2012; amnesty international, Report 2011, Bosnien und Herzegowina; Europäische Kommission, Bosnien und Herzegowina - Fortschrittsbericht 2005 - v. 09.01.2006, S. 22 f., 24; im Ergebnis ebenso z. B. VG Dresden, U. v. 25.02.2010 - A 3 K 30049/07 -; VG Berlin, U. v. 28.11.2011 - VG 37 K 99.09 A - ). Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Umsetzung eines staatlichen Verfolgungsprogramms eingeleitet ist bzw. alsbald bevorsteht (vgl. die zitierten Erkenntnismittel und allgem. dazu BVerwG, a. a. O., Rn. 20).
Die schwierige Lage der Roma in Bosnien und Herzegowina führt auch nicht dazu, dass jedem Angehörigen dieser ethnischen Minderheit ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG zusteht (im Ergebnis ebenso z. B. VG Dresden und VG Berlin, jeweils a. a. O.). Nach dieser Vorschrift ist Abschiebungsschutz auch für den Fall einer von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu gewähren, wenn erwiesenermaßen weder der Staat noch Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, noch internationale Organisationen in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten und eine inländische Fluchtalternative nicht besteht. Eine solche Gefahrenlage ist für ethnische Roma in Bosnien und Herzegowina nicht gegeben, obwohl es Hinweise auf fehlenden effektiven Schutz des Staates gegen Übergriffe Privater gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.02.2012, S. 18). Denn jedenfalls kann ein allein an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Minderheit anknüpfender Schutzanspruch nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG nur dann entstehen, wenn die besonderen Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung erfüllt sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 24.04.2008 - A 6 S 1026/05 -, juris; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl., Rn. 1709). Dies ist hingegen für Roma in Bosnien und Herzegowina aus den dargelegten Gründen nicht der Fall. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln finden ethnisch motivierte Übergriffe nichtstaatlicher Akteure insbesondere nicht in der erforderlichen „Verfolgungsdichte“ statt. Insofern genügt auch nicht, dass Roma nach der Auskunftslage in der Bevölkerung verbreitet Diskriminierungen ausgesetzt sind (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.02.2012, S. 12). Solche Diskriminierungen wären für die Feststellungen zur erforderlichen „Verfolgungsdichte“ nur zu berücksichtigen, soweit sie den für die Annahme einer Verfolgungsgefahr im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG hinreichenden Grad der Beeinträchtigung erreichen (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i. V. m. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG). Dass die Diskriminierungen derartige Auswirkungen in der für die Annahme der erforderlichen Verfolgungsdichte notwendigen Vielzahl von Fällen haben, ist dem zur Verfügung stehenden Erkenntnismaterial nicht zu entnehmen.
Aus dem Vortrag des Antragstellers ergeben sich auch keinerlei Anhaltspunkte für die Gefahr einer individuellen Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG und des § 60 Abs. 1 AufenthG. Soweit er im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragen hat, andere Roma hätten ihn wegen Schulden seines Bruders geschlagen und bedroht sowie Fenster bei ihm eingeschlagen, sind die Voraussetzungen für eine Verfolgung im Sinne der zitierten Regelungen schon deswegen nicht erfüllt, weil nicht ersichtlich ist, dass die Übergriffe wegen der Volkszugehörigkeit des Antragstellers oder wegen eines anderen der in § 60 Abs. 1 AufenthG aufgeführten „asylerheblichen“ Merkmale erfolgt sind. Darauf hat auch das Bundesamt zutreffend abgestellt. Weder das Asylrecht noch das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG dient dem allgemeinen Schutz vor kriminellen Handlungen.
II. Ernstliche Zweifel bestehen aber daran, dass die Antragsgegnerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Bosnien und Herzegowina abgelehnt hat.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn er dort einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt ist. Auch die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlechtert, kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift begründen. Dies setzt voraus, dass die dem Ausländer deswegen drohende Gefahr erheblich ist, sein Gesundheitszustand sich also wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde (vgl. BVerwG, U. v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 -, BVerwGE 105, 383, 387). Die Gefahr kann sich aus fehlenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung ergeben, aber auch aus allen anderen zielstaatsbezogenen Umständen, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Ein Abschiebungsverbot kann daher auch dann entstehen, wenn der Ausländer aus persönlichen Gründen keinen Zugang zu einer im Zielstaat an sich möglichen medizinischen Versorgung erhalten wird, weil er diese beispielsweise nicht finanzieren kann (vgl. BVerwG, U. v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 -, BVerwGE 127, 33, 39). Unter Anwendung dieser Grundsätze begegnet es gegenwärtig ernstlichen Zweifeln, dass das Bundesamt ein Abschiebungsverbot abgelehnt hat (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG). Aus dem vorliegenden ärztlichen Attest ergeben sich in Verbindung mit den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnissen über gravierende Defizite der medizinischen Versorgung in Bosnien und Herzegowina erhebliche Gründe dafür, an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung zu zweifeln.
Zur Behandlung psychisch Kranker fehlt es in Bosnien und Herzegowina weitgehend an ausreichend qualifiziertem Personal. Therapien beschränken sich überwiegend auf Medikamentengaben. Die bestehenden psychiatrischen Anstalten verfügen nicht über genügende Kapazitäten und die erforderliche Qualität der Behandlungen (s. zu allem Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.02.2012, S. 26). Insgesamt ist die finanzielle Ausstattung des Gesundheitswesens unzureichend (Auswärtiges Amt, a. a. O., S. 25). Das partielle Versagen der staatlichen Institutionen, insbesondere im Bereich des Gesundheitssystems, führt immer wieder zu Gefahren für das Leben und die Gesundheit kranker Menschen. So sind zum Teil sogar Berufstätige oder auch regulär arbeitslos Gemeldete mit vorheriger Beschäftigung, die nach geltender Rechtslage eigentlich pflichtversichert wären, nicht bei der Sozialversicherung gemeldet, weil derzeitige oder ehemalige Arbeitgeber ihren Anmeldepflichten nicht nachgekommen sind. Dies hat zur Folge, dass die Betroffenen im Falle einer Erkrankung weder kostenlos noch mit angemessener Selbstbeteiligung behandelt werden (Auswärtiges Amt, a. a. O., S. 8). Besondere Probleme bis hin zur Verweigerung der Gesundheitsfürsorge können für nicht arbeitsfähige Personen entstehen (vgl. Auswärtiges Amt, a. a. O., S. 24). Die jährlich zu aktualisierenden kantonalen Listen der Pflichtarzneimittel, also der Medikamente, die ständig verfügbar und für die Patienten weitgehend kostenlos zu beziehen sind, existieren in manchen Kantonen nicht. Daher müssen viele Patienten den vollen Preis für ihre Medikamente zahlen (Auswärtiges Amt, a. a. O., S. 25 f.). Selbst wenn die Krankenversicherung grundsätzlich die Kosten übernimmt, kann eine finanzielle Selbstbeteiligung der Erkrankten erforderlich werden, die je nach Kanton, Behandlung und Krankheitsbild unterschiedlich hoch ist (Auswärtiges Amt, a. a. O., S. 24).
Unter Berücksichtigung dieser Sachlage kann gegenwärtig nicht mit der für ein Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen hohen Gewissheit angenommen werden, dass dem Antragsteller kein Anspruch auf Abschiebungsschutz wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen zusteht (zum Prüfungsmaßstab s. Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 36 Rn. 167, 163 m. w. N.). Aus dem ärztlichen Attest vom 19. Dezember 2011, das der Antragsteller vorgelegt hat, ergibt sich jedenfalls, dass er – nach Auffassung der Ärztin – unter einer psychischen Erkrankung leidet; insoweit rät die Ärztin dem Antragsteller, sich in nervenärztliche Behandlung zu begeben. Behandlungsbedarf besteht nach dem Attest unter anderem wegen Panikattacken und „multipler Beschwerden“. Anhaltspunkte dafür, dass die Ausführungen der Ärztin über den Behandlungsbedarf und die Erkrankung des Antragstellers nicht der Wahrheit entsprechen, gibt es derzeit nicht. Nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial kann aber angesichts des mangelhaften Gesundheitssystems in Bosnien und Herzegowina schon eine psychische Erkrankung oder eine behandlungsbedürftige sonstige Erkrankung genügen, um den Erkrankten im Falle einer Rückkehr erheblichen und konkreten Gefahren für Leib oder Leben auszusetzen. Zwar ist nach dem vorliegenden Attest noch unklar, ob die Diagnose einer psychischen Erkrankung auch einer fachärztlichen Bewertung standhält, unter welcher Erkrankung genau der Antragsteller leidet und welche Behandlung im Einzelnen erforderlich ist, damit sich diese nicht in einer konkrete und erhebliche Gefahren hervorrufenden Weise verschlimmert. Die eingehende Prüfung und gegebenenfalls weitere Ermittlungen, die voraussichtlich einen erheblichen Zeitrahmen in Anspruch nehmen werden, sind aber dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Nach den vorliegenden Unterlagen ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller eine erforderliche und mögliche Behandlung der Erkrankung in seinem Heimatland aus eigenen Mitteln finanzieren könnte.
Der Entscheidung des Gerichts steht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 1997 (10 C 8/07, BVerwGE 129, 251 = juris), auf das sich das Bundesamt bezogen hat, um das vorliegende ärztliche Attest als unzureichend zu qualifizieren und weitere Ermittlungen abzulehnen, nicht entgegen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts befasst sich mit den Anforderungen, die im Klageverfahren an die Substanziierung eines Sachverständigenbeweisantrages zum Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zu stellen sind (a. a. O., juris Rn. 15). Insoweit gelten jedoch andere Maßstäbe als für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 36 Abs. 3 und 4 AsylVfG. Für diese Entscheidung ist bezogen auf das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG maßgeblich, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt vertretenen Auffassung bestehen, Abschiebungsschutz nach dieser Regelung sei nicht zu gewähren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gericht nach den gesetzlichen Vorgaben in kurzer Frist und im schriftlichen Verfahren entscheiden soll. Auch deswegen und angesichts des Gewichts der Rechtsgüter, die nach dem Vortrag des Antragstellers bedroht sind, dürfen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose, die im Rahmen der Prüfung ernstlicher Zweifel zu treffen ist, nicht überspannt werden. Auch aus einem Attest, das die genaue Erkrankung und den Behandlungsbedarf im Einzelnen nicht erkennen lässt, können sich danach ernstliche Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG ergeben, wenn es – wie hier – zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der ärztlichen Feststellungen gibt und wenn sich schon aufgrund der Ausführungen in der Bescheinigung in Verbindung mit der Erkenntnislage zur medizinischen Versorgung im Zielstaat der Abschiebung nicht feststellen lässt, dass Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG im Klageverfahren mit hoher Gewissheit abzulehnen sein wird.
Das Bundesamt kann sich demgegenüber auch nicht mit Erfolg auf die Ausführungen berufen, die der Antragsteller im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt zu seinen gesundheitlichen Beschwerden gemacht hat. Diese Angaben, nach denen er unter Kopfschmerzen und Schwindel leidet, mögen für sich betrachtet nicht auf erhebliche Gefahren bei unzureichender Behandlung hindeuten. Zu berücksichtigen ist aber, dass der Antragsteller nach der ärztlichen Bescheinigung unter einer psychischen Erkrankung leidet und daher schon deswegen möglicherweise nicht in der Lage ist, die Tragweite der Beeinträchtigungen selbst abzuschätzen. Im Übrigen ist nach den Angaben des Antragstellers nicht mit der erforderlichen hohen Gewissheit ausgeschlossen, dass sich seine Erkrankung aufgrund der Verhältnisse in seinem Heimatland verschlimmern wird. Auch der Einwand des Bundesamtes, der Antragsteller habe sich in seiner Heimat nach eigenen Angaben noch nicht in ärztliche Behandlung begeben, steht der Annahme ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Nach der Erkenntnislage kann die fehlende ärztliche Behandlung ihre Ursache auch darin haben, dass der Antragsteller nicht in der Lage gewesen wäre, die Behandlungskosten zu tragen. Derzeit ist jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass seine nicht nachvollziehbaren Einlassungen zu dieser Frage im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt auf die ihm bescheinigte psychische Erkrankung zurückzuführen sind.
Die festgestellten ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes, ein Abschiebungsverbot im Hinblick auf den Heimatstaat des Antragstellers abzulehnen, führen dazu, dass die Abschiebungsandrohung gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG insgesamt unwirksam wird (vgl. Marx, a. a. O., Rn. 182).