Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 22.03.2023, Az.: 1 Ss 40/22
Anforderungen an Legalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB; Besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB bei teilweise widerrufendem Geständnis; Keine Aussetzung der Strafvollstreckung bei erheblichen Bedenken des Gerichts; Vollstreckung der Strafe zur Verteidigung der Rechtsordnung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 22.03.2023
- Aktenzeichen
- 1 Ss 40/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 25543
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - 26.01.2022 - AZ: 7 Ns 122 Js 64716/20 (282/21)
- AG Braunschweig - AZ: 2 Ls 122 Js 64716/20
Rechtsgrundlagen
- § 56 StGB
- § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB
- § 267 Abs. 1 StPO
- § 473 Abs. 1 StPO
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die für eine Strafaussetzung nach § 56 Abs. 1 StGB erforderliche günstige Prognose setzt zumindest eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit voraus, dass der Angeklagte keine weiteren Straftaten begehen werde. Hat das Tatgericht hingegen "erhebliche Bedenken" im Hinblick auf die zukünftige Straffreiheit des Angeklagten, darf es die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung aussetzen.
- 2.
Wenn ein zunächst umfassendes und mit einer Entschuldigung verbundenes Geständnis durch weitere Ausführungen des Angeklagten später erheblich eingeschränkt wird, bedarf es zusätzlicher Ausführungen, warum die Entschuldigung des Angeklagten dennoch die Annahme besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB rechtfertigen soll.
- 3.
Die Verletzung des Straftatbestandes des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) gebietet regelmäßig - zumal bei einschlägigen Vorstrafen - eine eingehende Erörterung der Vorschrift des § 56 Abs. 3 StGB.
In der Strafsache
gegen
M. K. ,
geboren am ...... 1993 in M.
alias B. S., geboren am ..... 1993,
alias B. S., geboren am ...... 1999 in C.,
alias M. M., geboren am ... 1993 in A. W.,
alias A. S., geboren am ... 1992 on T./L.,
wohnhaft ....
Verteidiger:
Rechtsanwalt K. H., ..............,
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig in der Sitzung
vom 22. März 2023, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht X
als Vorsitzender
Richterin am Oberlandesgericht Y
als beisitzende Richterin
Richter am Landgericht Z
als beisitzender Richter
Staatsanwältin K.
als Beamtin der Generalstaatsanwaltschaft
Rechtsanwalt K. H.
als Verteidiger
Justizsekretärin H.
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten M. K. gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig vom 26. Januar 2022 (7 Ns 122 Js 64716/20 [282/21]) wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 26. Januar 2022 im Rechtsfolgenausspruch betreffend den Angeklagten M. K. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.
Gründe
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet, das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat überwiegend Erfolg.
I.
Der Angeklagte K. ist durch Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 28.Juni 2021 wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter Körperverletzung und Bedrohung mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr belegt worden, die Vollstreckung der Strafe hat das Gericht zur Bewährung ausgesetzt. Für beide Taten verhängte das Amtsgericht eine Freiheitsstrafe von jeweils sieben Monaten. Das Amtsgericht verurteilte im selben Verfahren den Mitangeklagten I. A. H. wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und versuchter Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten unter Freispruch im Übrigen.
Dagegen haben sowohl der Angeklagte A. H. als auch die Staatsanwaltschaft Braunschweig Berufung eingelegt. Letztere hat ihr Rechtsmittel allerdings beschränkt, so dass, soweit es den Angeklagten K. betrifft, die wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter Körperverletzung und Bedrohung verhängte Einzelstrafe von sieben Monaten seither rechtskräftig ist. Das Landgericht Braunschweig hat - unter Zurückweisung der Berufung des Angeklagten A. H. - mit dem angefochtenen Urteil vom 26. Januar 2022 das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 28. Juni 2021 teilweise aufgehoben. Es hat den Angeklagten A. H. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten belegt. Den Angeklagten K. hat das Landgericht wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl in Tatmehrheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter Körperverletzung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 11 Monaten verurteilt und deren Vollstreckung - wie auch bereits das Amtsgericht -zur Bewährung ausgesetzt.
Nach den Feststellungen der Kammer sprachen die beiden Angeklagten den späteren Geschädigten und Zeugen Th. Sch. am 28. November 2020 kurz nach Mitternacht in der B.-straße in Braunschweig an, die zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Corona-Lockdowns menschenleer war. Der Geschädigte kam gerade von einem nahegelegenen Kiosk und wollte seinen Heimweg antreten. Als er erwiderte, die Angeklagten sollen ihn in Ruhe lassen, griff der Angeklagte K. den Geschädigten an der rechten Schulter und schlug dem Geschädigten, als er sich umdrehte, ohne erkennbaren Grund mit einem heftigen Faustschlag mitten ins Gesicht. Durch die Wucht des Schlages stürzte der Geschädigte zu Boden und schlug mit dem Hinterkopf auf das Straßenpflaster auf. Er erlitt dadurch eine mehrere Zentimeter große Platzwunde am Hinterkopf. Der Angeklagte K. setzte sich sodann auf den Bauch des am Boden liegenden Geschädigten und versetzte ihm dort absichtlich mindestens einen weiteren heftigen Faustschlag ins Gesicht. Aufgrund der Schläge gegen den Kopf verlor der Geschädigte das Bewusstsein und erlitt eine stark blutende Platzwunde über der rechten Augenbraue, einen Bruch der rechten Augenhöhle, sowie blutende Verletzungen an der Nase und am Mund. Noch während der Angeklagte K. auf dem Geschädigten saß und auf ihn einschlug, trat der Angeklagte A. H. im bewussten und gewollten Einvernehmen mit dem Angeklagten K. an den Geschädigten heran und holte mit seinem mit Turnschuhen beschuhten Fuß zu einem Fußtritt in das Gesicht des Geschädigten aus. Dieser war gerade wieder zu Bewusstsein gekommen, hatte dies aus dem Augenwinkel heraus bemerkt und konnte den Tritt mit dem rechten Arm abwehren, so dass er nur am Ellenbogen getroffen wurde. Er erlitt hierdurch eine blutende Verletzung am rechten Ellenbogen und an den Händen. Der Geschädigte verlor sodann erneut aufgrund der massiven Gewalteinwirkung auf seinen Kopf das Bewusstsein. Diese Situation nutzte der Angeklagte K. dazu aus, um aufgrund eines spontan gefassten Tatentschlusses den Geschädigten auf Wertgegenstände zu durchsuchen. Der Angeklagte K. entnahm aus der linken, zuvor mittels Reißverschlusses geschlossenen Außentasche der Jacke des Geschädigten dessen Smartphone mit einem Zeitwert von circa 140,- Euro, um es mitzunehmen und für sich zu behalten. Sodann verließ der Angeklagte K. die Bruchstraße in Richtung W.-straße/F.-W.-Platz und folgte dem schon vorausgegangenem Angeklagten A. H..
Nachdem der Geschädigte wieder zu sich gekommen war, ging er zurück zu dem Kiosk, wo er erstversorgt und nach einer ersten Zeugenbefragung mit dem Rettungswagen ins städtische Krankenhaus gebracht wurde. Die Platzwunden an der Augenbraue und am Hinterkopf mussten geklammert werden. Das rechte Auge schwoll komplett zu und die Nase war blutig und stand schief. Der Geschädigte erlitt zudem eine Gehirnerschütterung und hatte starke Kopfschmerzen, weshalb er tagelang Schmerzmittel einnehmen musste. Er musste sich in der Mund- und Kiefer chirurgie zweimal einem MRT unterziehen und war insgesamt 11 Wochen krankgeschrieben. Außer einer Narbe an der rechten Augenbraue sind jedoch keine bleibenden Verletzungen zurückgeblieben.
Die Angeklagten wurden durch die von dem Kioskbetreiber alarmierten Polizeibeamten im Rahmen einer Nahbereichsfahndung angetroffen, festgenommen und zum Polizeikommissariat Braunschweig-Mitte verbracht. Dort sollten Kleidung und Schuhe der Angeklagten sichergestellt werden, um sie auf Blutspuren zu untersuchen. Beide Angeklagte waren während der gesamten Dauer im Polizeigewahrsam höchst aggressiv und unkooperativ. Währenddessen kam es zunächst zu teils massiven Widerstandshandlungen des Angeklagten A. H., der schließlich von zwei Polizeibeamten zu Boden gebracht und gefesselt werden konnte.
Mangels Berufung des Angeklagten K. und aufgrund der Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf die Tat zum Nachteil des Geschädigten Sch. hat die Kammer ihrem Urteil zu dem nun nachfolgenden Geschehen die folgenden Feststellungen des Amtsgerichts Braunschweig bezüglich des Angeklagten K. als rechtskräftig zugrunde gelegt:
"Während der vorgenannten Handlung des Angeklagten A. H. sprang der Angeklagte K., welcher sich zur gleichen Zeit im Gewahrsamsbereich befand, von einer Bank auf, lief auf den Zeugen PK V. zu und gab diesem zu verstehen, dass die weiteren Polizeibeamten den Angeklagten A. H. nicht weiter anfassen sollen. Dabei führte der Angeklagte K. dergestalt seine Hand vor seinem Hals entlang, dass dies eindeutig als "Kopf ab"-Geste zu verstehen war. Darüber hinaus äußerte er gegenüber dem Zeugen PK V. die Worte: "I kill you". Dabei beabsichtigte er, dass der Polizeibeamte um sein Leben fürchtete. Als der Zeuge den Angeklagten K. sodann von sich wegstieß, kam dieser erneut auf den Zeugen zu und holte mit der linken Hand zu einem Schlag aus, wobei er eine Verletzung des Polizeibeamten billigend in Kauf nahm. PK V. wehrte den Schlag durch einen seinerseits zielgerichtet durchgeführten Schlag gegen den Angeklagten K. ab, sodass der Polizeibeamte nicht verletzt wurde. Als er sodann dem Angeklagten K. Handfesseln anlegen wollte, sperrte sich dieser massiv dagegen."
Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten K. hat die Kammer die folgenden Feststellungen getroffen:
"Die Identität des ledigen Angeklagten, der unter den Führungspersonalien M. K. geführt wird, konnte in der Berufungshauptverhandlung ebenfalls nicht geklärt werden. Papiere aus seinem Herkunftsland liegen nicht vor. In der Bundesrepublik hat der Angeklagte in den vergangenen Jahren folgende Aliaspersonalien benutzt: B. S., geb. ......1993, B. S., geb. ....1999 in C., M. M., geb. ......1993 in A. W., A. S., geb. ....1992 in T./Libyen. Insbesondere konnte auch die Staatsangehörigkeit des Angeklagten nicht geklärt werden. In der Berufungshauptverhandlung behauptete er, ein marokkanischer Staatsangehöriger zu sein, wohingegen er nach dem Urteil erster Instanz tunesischer Staatsangehöriger sein soll.
Die Ersteinreise des Angeklagten in das Bundesgebiet erfolgte im August 2018. Der Angeklagte hat erstmals am 17.08.2018 ein Asylgesuch geäußert und am 27.08.2018 einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren wurde am 04.08.2020 eingestellt. Dem Angeklagten wurde am 15.07.2020 die Abschiebung angedroht. Nach einem Verzug nach unbekannt am 30.09.2020 ist unter dem 02.11.2020 ein Zuzug von unbekannt im Ausländerzentralregisterauszug vermerkt. Der Angeklagte hat erneut ein Asylgesuch geäußert. Bis zum 16.11.2021 verfügte er über eine Duldung. Der seit dem Jahr 2018 in Deutschland lebende Angeklagte wohnt in einer Asylbewerberunterkunft und spricht kein ausreichendes Deutsch.
Auch dieser Angeklagte ist seit seiner Einreise im Jahr 2018 mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die erste Tat datiert vom 26.09.2018, d. h. nur wenige Tage nach seiner Ersteinreise ins Bundesgebiet. Seitdem wurden gegen den Angeklagten mehrere Geldstrafen verhängt. Im Einzelnen:
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 17.02.2020 wurde der Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt. Dem Angeklagten war Folgendes zur Last gelegt worden:
Am 27.07.2019 gegen 7:10 Uhr wurde er am S.-platz in Braunschweig einer Polizeikontrolle durch Beamte des Polizeikommissariat Braunschweig unterzogen. Weil bei ihm im Rahmen dieser Kontrolle Betäubungsmittel gefunden worden sind und seine Wohnanschrift nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, forderten die Beamten ihn auf, diese zur Polizeidienstelle zu begleiten. Anstatt dieser Aufforderung Folge zu leisten, zündete er sich eine Zigarette an und näherte sich wild gestikulierend auf bedrohlich wirkende Art den eingesetzten Beamten. Die brennende Zigarette bewegte er dabei ruckartig in Richtung der PK´in M.. Nachdem er von POK`in H. und PK`in M. unter Einsatz einfacher körperlicher Gewalt zur Abwehr weiterer von ihm zu erwartender Aggressionen zurückgedrückt wurde, bewegte er sich erneut in Richtung der Beamtinnen, wobei er eine bedrohliche Körperhaltung einnahm und Gewaltbereitschaft signalisierte.
Im weiteren Verlauf versuchten die Beamtinnen M. und H. ihn kontrolliert zu Boden zu bringen und zu fixieren, wogegen er sich heftig zur Wehr setzte. Hierbei griff er mit der Hand an die linke Gesäßhälfte der POK`in H. und brachte diese zu Fall, wodurch diese Schmerzen, Hämatome und eine Schwellung am linken Unterarm erlitt, was er zumindest billigend in Kauf nahm. Ebenso nahm er auch die bei PK´in M. eingetretenen Verletzungen, eine schmerzhafte Prellung am linken Oberarm sowie leichte punktuelle Einblutungen am rechten Oberarm, zumindest billigend in Kauf.
Nur unter erheblichem Kraftaufwand gelang es schließlich, ihn am Boden zu fixieren. Während des Geschehens hatte er erkannt, dass es sich bei den ihm gegenüber auftretenden Personen um Polizeibeamte handelte, denn diese gaben sich offenkundig durch Uniformierung zu erkennen. Ihm war auch bewusst, dass er deren rechtmäßigen Anweisungen Folge leisten muss.
Ebenfalls am 17.02.2020 verurteilte das Amtsgericht Braunschweig den Angeklagten im Strafbefehlswege wegen Diebstahls in zwei Fällen und Leistungserschleichung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15,00 €. Dem lagen folgende Feststellungen zugrunde:
1. Am 13.06.2019 nahm (er) im Geschäft P. und C., S.-straße 13-14 in Braunschweig gegen 16:50 Uhr eine Jacke der Marke Tommy Hilfiger (Neupreis 139,- €) mit in die Umkleidekabine. Dort entfernte er mittels einer Kneifzange das Sicherungsetikett, zog die Jacke an und begab sich mit der Jacke in Richtung Ladenausgang, in der Absicht, das Geschäft mit der Jacke zu verlassen, um diese für sich zu behalten, ohne sie bezahlt zu haben.
2. Am 02.07.2019 nahm er gegen 18:52 Uhr im Geschäft K.-S., D. 5 in Braunschweig vier T-Shirts der Marke(n) Nike und Adidas (Neupreis zusammen 124,94 €) mit in eine Umkleidekabine. Dort zog er die vier T-Shirts übereinander an, verließ sodann die Umkleide und begab sich in Richtung Ausgang des Warenhauses mit der Absicht, die T-Shirts mitzunehmen und zu behalten, ohne sie bezahlt zu haben.
3. Am 18.07.2019 nutzte er gegen 16:26 Uhr die Straßenbahnlinie 3 der Braunschweiger Verkehrs GmbH Höhe der Haltestelle A. J., ohne in Besitz einer gültigen Fahrkarte hierfür zu sein, in der Absicht, sich das Entgelt für diese Beförderung (mind. 2,60 €) zu ersparen.
4. Am 20.07.2019 nutzte er gegen 20:10 Uhr die Straßenbahnlinie 3 der Braunschweiger Verkehrs GmbH (in) Höhe der Haltestelle F.- W.-Platz, ohne in Besitz einer gültigen Fahrkarte hierfür zu sein, in der Absicht, sich das Entgelt für diese Beförderung (mind. 2,60 €) zu ersparen.
Beide o.g. Geldstrafen (Anm. des Senats: gemeint sind die Einzelstrafen aus den beiden Strafbefehlen vom 17. Februar 2020) wurden durch Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 03.07.2020 zu einer Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 15,- € zusammengeführt.
Zuletzt wurde der Angeklagte durch Strafbefehl des Amtsgerichts Peine vom 03.12.2021, 14 Js 44081/21, wegen eines Vergehens nach dem Aufenthaltsgesetz zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15,- € verurteilt. Die Geldstrafe ist noch nicht vollständig vollstreckt. In dem somit nicht erledigten Strafbefehl war dem Angeklagten Folgendes zur Last gelegt worden:
Obwohl er aufgrund einer nachvollziehbaren Abschiebungsandrohung infolge seiner Passlosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland derzeit lediglich geduldet wird, erschien er entgegen seiner Ankündigung zu einer Anhörungsmaßnahme am 16.09.2021 nicht und wirkte auch sonst nicht an der Aufklärung seiner Staatsangehörigkeit mit. Dies tat er mit dem Ziel, aufgrund seiner bisher ungeklärten Staatsangehörigkeit weiter im Bundesgebiet geduldet zu werden.
Gegen den Angeklagten sind bei der Staatsanwaltschaft noch mindestens zwei weitere Strafverfahren anhängig, in denen er wegen Strafverfolgung zur Fahndung ausgeschrieben ist."
Das Landgericht hat die erste Tat des Angeklagten K. (zum Nachteil des Geschädigten Sch.) als eine mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangene, mithin gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl gewertet und hierfür eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verhängt. Bei der Strafzumessung hat die Kammer zugunsten des Angeklagten den Zeitablauf von über einem Jahr und die erlittene Untersuchungshaft des Angeklagten berücksichtigt, der als Erstverbüßer und sprachunkundiger Ausländer besonders haftempfindlich sei. Zudem habe der Angeklagte sich in der Verhandlung vor dem Amtsgericht entschuldigt und zumindest die Schläge gegen den Geschädigten sowie den objektiven Tatbestand des Diebstahls in der ersten Instanz eingeräumt. Schließlich habe der Geschädigte bis auf eine Narbe an der Augenbraue keine bleibenden Schäden erlitten. Die Kammer hat strafschärfend berücksichtigt, dass der Geschädigte im Krankenhaus behandelt werden musste und 11 Wochen krankgeschrieben war. Zudem habe der Angeklagte K. einen deutlich größeren Tatbeitrag gehabt und tateinheitlich einen Diebstahl begangen, wobei das Mobiltelefon nur ca. 140,- Euro wert gewesen sei und dem Geschädigten nach der Sicherstellung zurückgegeben worden sei. Jedoch sei der Verurteilte sowohl wegen Diebstahls in zwei Fällen als auch wegen Körperverletzung einschlägig vorbestraft, wobei beide Vorverurteilungen nur neun Monate vor der verfahrensgegenständlichen Tat erfolgten. Mit der für die zweite Tat vom Amtsgericht aufgrund der Berufungsbeschränkung rechtkräftig verhängten Freiheitsstrafe von sieben Monaten und unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Peine vom 3. Dezember 2021 hat die Kammer die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten gebildet.
Die Strafaussetzung zur Bewährung hat die Strafkammer im Wesentlichen damit begründet, dass der Angeklagte bisher nur zu Geldstrafen verurteilt worden sei und sich in der ersten Instanz bei dem Geschädigten entschuldigt habe. Trotz der mangels Sprachkenntnissen und Arbeitstätigkeit sowie der drohenden Abschiebung fehlenden Zukunftsperspektive in Deutschland, den nicht gegebenen gefestigten sozialen Kontakten und der nicht ausreichenden Tagesstruktur könne die Strafe unter Zurückstellung erheblicher Bedenken noch zur Bewährung ausgesetzt werden. Es sei zu erwarten, dass der Verurteilte sich schon die Wirkung der erstmaligen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zur Warnung dienen lassen werde. Der Bewährungsdruck sowie die spezialpräventiv zur Tagesstrukturierung ausgestalteten Auflagen und Weisungen im Rahmen der Bewährungsaufsicht seien geeignet, den Angeklagten anders als bei früheren Ahndungen von weiteren Straftaten abzuhalten. Die Kammer hat die besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB in den zuvor genannten positiven Umständen, insbesondere dem Teilgeständnis und der Entschuldigung erblickt. Diese Gesichtspunkte seien zwar nicht für sich geeignet, trotz der Brutalität und Rohheit sowie der Tatfolgen für den Geschädigten besondere Umstände zu begründen, jedoch in ihrer Gesamtheit. Die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete ebenfalls nicht die Vollstreckung der Strafe.
Gegen dieses Urteil haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch beide Angeklagte Revision eingelegt, die Staatsanwaltschaft mit Telefax vom 27. Januar 2022, die beiden Angeklagten am 26. Januar 2022 durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Braunschweig. Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat mit Verfügung vom 29. November 2022 die Revision bezüglich des Angeklagten A. H. zurückgenommen. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 27. Januar 2023 dessen Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Nach Urteilszustellung am 10. Februar 2022 hat der Angeklagte M. K. mit am 11. Februar 2022 eingegangenem Verteidigerschriftsatz die Revision mit der Verletzung materiellen Rechts begründet.
Die Staatsanwaltschaft rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts, hat die Sachrüge am 12. Juli 2022 ergänzend ausgeführt und mit Verfügung vom 28. Juli 2022 das Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,
die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig zu verwerfen, auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückzuverweisen.
Der Verteidiger beantragt,
die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen, das Urteil auf die Revision des Angeklagten aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Feststellungen des Landgerichts würden die Verurteilung wegen einer mit einem anderen gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung und damit eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht tragen.
II.
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sind zulässig. In der Sache hat jedoch nur die Revision der Staatsanwaltschaft - zumindest vorläufig - einen Teilerfolg; sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung im tenorierten Umfang und entsprechenden Zurückverweisung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Braunschweig. Im Übrigen sind beide Revisionen unbegründet.
1. Revision des Angeklagten
Die Voraussetzungen der vom Landgericht als verwirklicht angesehenen Straftatbestände liegen auf Basis der Urteilsfeststellungen vor. Die Kammer hat auf der Grundlage einer rechtlich nicht zu beanstandenen Beweiswürdigung ausreichende Feststellungen getroffenen.
Im Gegensatz zur Auffassung der Verteidigung ist ihr auch in Bezug auf die Feststellung eines einvernehmlichen Zusammenwirkens zwischen dem Angeklagten K. und dem ehemals Angeklagten A. H. bei der als erste Tat festgestellten Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten Sch. kein revisionsrechtlich beachtlicher Rechtsfehler unterlaufen. Das Landgericht hat diesbezüglich zunächst ausdrücklich festgestellt, der Angeklagte A. H. sei im bewussten und gewollten Einvernehmen mit dem Angeklagten K. an den Geschädigten Sch. herangetreten, während der Angeklagte K. auf ihm saß und auf ihn einschlug. Er habe mit seinem mit einem Turnschuh beschuhten Fuß zu einem Tritt in dessen Gesicht ausgeholt, den der Geschädigte mit dem Arm abwehren konnte, sodass er nur am Ellenbogen getroffen wurde. Zwar hat die Kammer im Rahmen ihrer Beweiswürdigung tatsächlich nicht ausdrücklich erörtert, aufgrund welcher Feststellungen sie zu der Überzeugung gelangt ist, die Angeklagten hätten am Tatort bewusst zusammengewirkt. Unter Berücksichtigung der gesamten Urteilsbegründung kann aus Sicht des Senats jedoch kein Zweifel bestehen, dass die Kammer die Anforderungen des Qualifikationsmerkmals des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erkannt und ihr Vorliegen aufgrund rechtsfehlerfreier Erwägungen zutreffend festgestellt hat. Ausweislich der rechtlichen Würdigung unter lit. F. ist die Kammer von einem Fall sukzessiver Mittäterschaft ausgegangen, bei der jemand in Kenntnis und mit Billigung des bisher Geschehenen in eine bereits begonnene Ausführungshandlung als Mittäter eintritt, in diesem Fall der Angeklagte A. H. in die bereits von dem Angeklagten K. begonnene, aber noch nicht beendete Körperverletzung. Der Angeklagte K. ist durch die von der Kammer angenommene sukzessive Mittäterschaft, die der Senat zugrunde zu legen hat, jedenfalls nicht beschwert. Der Angeklagte K. hatte nach den Feststellungen auch noch nicht aufgehört, auf den Geschädigten einzuschlagen, als der Angeklagte A. H. in Richtung dessen Kopfes trat, sondern vielmehr zeitgleich weiter zugeschlagen, was nur mit einem einvernehmlichen Zusammenwirken erklärbar ist. Diese Feststellung konnte das Landgericht unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen KK L. auch ohne Rechtsfehler treffen. Der Zeuge KK L. hat ausweislich der im Urteil dargelegten Beweiswürdigung die Angaben des Geschädigten vom Tattag in der Hauptverhandlung zeugenschaftlich referiert. Danach habe der Geschädigte seinerzeit angegeben, stolz zu sein, den Tritt (des Angeklagten A. H.) mit dem Ellenbogen abgewehrt zu haben und dass dieser Tritt zeitgleich mit den Schlägen erfolgt sei, die er durch die Person erlitten habe, die auf ihm saß, welche nach den auch insoweit fehlerfreien Feststellungen der Angeklagte K. war. Die Kammer hat sich auch damit auseinandergesetzt, dass der Geschädigte selbst das Geschehen in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht nicht mehr vollumfänglich bekunden konnte und seine Aussage teilweise hinter der des Zeugen KK L. zurückblieb. Sie hat dies in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die von dem Geschädigten erlittene Gehirnerschütterung und den Zeitablauf seit dem Vorfall zurückgeführt.
2. Revision der Staatsanwaltschaft
Die zulässig auf die Rechtfolgen beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg. Die Strafzumessungserwägungen der Kammer weisen zwar keine Rechtfehler auf; die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe hält jedoch einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
a)
Das Landgericht hat sich bei der Legalprognose bereits am falschen Maßstab orientiert. Ihre diesbezüglichen Erwägungen sind zudem lückenhaft und widersprüchlich.
Die Prognoseentscheidung gem. § 56 Abs. 1 StGB ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, dem hierbei zudem ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt, so dass das Revisionsgericht nach ständiger Rechtsprechung im Zweifel die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen muss (BGH, Urteil vom 25. April 2012, Az.: 5 StR 17/12, Rn. 2, m. w. N.; OLG Braunschweig, Urteil vom 24. Oktober 2014, Az.: 1 Ss 61/14, Rn. 13; KG Berlin, Urteil vom 1. September 2008, Az.: (4) 1 Ss 207/08 (114/08), Rn. 5, jeweils zit. nach juris). Es kann nur in Ausnahmefällen eingreifen, wenn erkennbar unzutreffende Maßstäbe angewandt, nahe liegende Umstände übersehen oder festgestellte Umstände fehlerhaft gewichtet wurden (OLG Braunschweig a. a. O.; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 56 Rn. 11; Hubrach in LK, StGB, 13. Aufl. 2022, § 56 Rn. 32). Dabei ist der Tatrichter zwar nicht gehalten, eine umfassende Darstellung aller irgendwie mitsprechenden Erwägungen vorzunehmen, es bedarf jedoch einer Erörterung der wesentlichen nach Lage des Falles bei der Entscheidung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte (Hubrach, a. a. O.).
Nach § 56 Abs. 1 StGB ist eine Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung selbst zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Grundlage der Prognose des Tatgerichts müssen sämtliche Umstände sein, die Rückschlüsse auf die künftige Straflosigkeit des Angeklagten ohne Einwirkung des Strafvollzugs zulassen, insbesondere die in § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB "namentlich" aufgeführten. Dabei ist für die günstige Prognose keine sichere Erwartung eines straffreien Lebens erforderlich. Es reicht schon die durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit aus, dass der Angeklagte künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (OLG Köln, Urteil vom 25. Mai 2016, Az.: 1 RVs 83/16, Rn. 14, m. w. N.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25. Oktober 2005, Az.: 2 St OLG Ss 150/05, Rn. 28, jeweils zit. nach juris).
Für die Annahme einer günstigen Prognose im Sinne des § 56 StGB genügt es indes nicht, dass diese sich nur nicht ausschließen lässt oder dass die Möglichkeit, der Angeklagte werde in Zukunft keine Straftaten mehr begehen, nicht verneint werden kann; Zweifel gehen hier zu Lasten des Angeklagten (BGH, Beschluss vom 28. Februar 1990, Az.: 3 StR 28/90, Rn. 4, zit. nach juris). Zwar darf die Annahme einer günstigen Prognose auch nicht vom Vorhandensein eines hohen Wahrscheinlichkeitsgrads abhängig gemacht werden. Vielmehr reicht es aus, dass die Begehung weiterer Straftaten nicht wahrscheinlich ist, weil die Resozialisierung des Täters auch ohne Vollstreckung der Freiheitsstrafe aussichtsreich ist (BGH, Beschluss vom 6. September 1985, Az.: 3 StR 185/85, Rn. 7, zit. nach juris). Dass die Strafkammer ersichtlich eine von ihr selbst "erheblich" bezweifelte günstige Legalprognose nicht ausschließen will, genügt dagegen nicht und ist sachlich-rechtlich fehlerhaft (Hanseatisches OLG Hamburg, Urteil vom 28. Dezember 2016, Az.: 1 Rev 78/16, Rn. 23, zit. nach juris). Diesen Maßstab hat die Kammer verkannt, indem sie die Strafe "unter Zurückstellung erheblicher Bedenken" zur Bewährung ausgesetzt hat. Wenn das Gericht erhebliche Bedenken im Hinblick auf eine zukünftige Straffreiheit hat, darf es die Strafe aus Rechtsgründen gerade nicht zur Bewährung aussetzen.
Ungeachtet des bereits fehlerhaft angelegten Maßstabs sind darüber hinaus auch die weiteren Ausführungen des Landgerichts zur Legalprognose zu beanstanden. Zwar hat die Kammer zutreffend ausgeführt, dass schon der mit der Gefahr eines möglichen Widerrufs bei einer erstmalig verhängten Freiheitsstrafe verbundene Bewährungsdruck ein gewichtiger Faktor für eine positive Prognose sein kann. Indes erklärt sich nicht von selbst - und wird auch von der Kammer nicht weiter erläutert - warum dies auch für die in der ersten Instanz erfolgte Entschuldigung des Angeklagten gelten soll. Jedenfalls hätte sich die Kammer damit auseinandersetzen müssen, ob der Entschuldigung noch Prognoserelevanz zukommt, nachdem der Angeklagte K. sein zunächst in erster Instanz abgelegtes Geständnis laut den Ausführungen im angefochtenen Urteil (UA S. 13) im Folgenden in erheblicher Weise wieder eingeschränkt hat.
Soweit die Kammer ferner den von ihr erteilten Bewährungsauflagen und -weisungen eine spezialpräventiv tagesstrukturierende und ausgestaltende Wirkung beimisst, stellen sich ihre Ausführungen insoweit als lückenhaft dar; der Inhalt dieser Bewährungsauflagen und -weisungen lässt sich den für die revisionsrechtliche Prüfung allein maßgeblichen Urteilsgründen nicht entnehmen. Für die Prüfung, ob der Tatrichter das materielle Recht richtig angewendet hat, stehen dem Revisionsgericht nur die Urteilsurkunde und (ggf.) die Abbildungen zur Verfügung, auf die nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen wird. Alle anderen Erkenntnisquellen, aus denen sich die Überzeugung des Tatrichters ermitteln oder die Unrichtigkeit seiner Feststellungen herleiten ließe, sind dem Revisionsgericht bei der Sachrüge verschlossen. Das Revisionsgericht darf insbesondere die Urteilsfeststellungen nicht nach dem Akteninhalt ergänzen (BGH, Beschluss vom 17. März 1988, Az.: 1 StR 361/87, Rn. 8, zit. nach juris). Der nach § 268a StGB erforderliche Bewährungsbeschluss selbst hat zwar einen inneren sachlichen Zusammenhang mit dem Urteil, ist jedoch formal nicht Teil des Urteils (BGH, Beschluss vom 28. Mai 1974, Az.: 4 StR 633/73, Rn. 24; Stuckenberg in LR, StPO, 27. Aufl. 2021, § 268a Rn. 2, jeweils zit. nach juris) und sein Inhalt damit der auf die Sachrüge veranlassten revisionsrechtlichen Nachprüfung des Urteils nicht zugänglich. Der Senat konnte mithin nicht überprüfen, ob die von der Kammer erteilten Auflagen und Weisungen tatsächlich geeignet sind, den Alltag des Angeklagten K. sinnvoll zu strukturieren und spezialpräventiv auf ihn einzuwirken.
b)
Das Landgericht hat auch das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB nicht frei von Rechtsfehlern begründet.
Besondere Umstände im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen von besonderem Gewicht sind und eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechtsgehalts und Schuldgehalts der Taten, wie er sich in der Höhe der Strafe widerspiegelt, als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen. Dazu können auch solche gehören, die schon für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen waren. Wenn auch einzelne durchschnittliche Milderungsgründe eine Aussetzung nicht rechtfertigen, verlangt § 56 Abs. 2 StGB keine "ganz außergewöhnlichen" Umstände. Vielmehr können sich dessen Voraussetzungen auch aus dem Zusammentreffen durchschnittlicher Milderungsgründe ergeben. Die besonderen Umstände müssen jedoch umso gewichtiger sein, je näher die Strafe an der Obergrenze von zwei Jahren liegt (BGH, Urteil vom 6. Juli 2017, Az.: 4 StR 415/16, Rn. 25, m. w. N.; BGH, Urteil vom 27. August 1986, Az.: 3 StR 265/86, Rn. 3, zit. nach juris). Bei der Prüfung ist eine Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen. Eine erschöpfende Darlegung aller Erwägungen ist weder möglich noch geboten; nachprüfbar darzulegen sind lediglich die wesentlichen Umstände. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts; das Revisionsgericht hat dessen, ganz maßgeblich auf dem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck beruhende Wertungen bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren (BGH, Urteil vom 6. Juli 2017, Az.: 4 StR 415/16, Rn. 25, m. w. N., zit. nach juris).
Gemessen an diesen Maßstäben entbehrt die Annahme des Vorliegens besonderer Gründe einer tragfähigen Grundlage. Soweit die Kammer die in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht erfolgte Einlassung des Angeklagten als Teilgeständnis für die Annahme besonderer Umstände herangezogen hat, hat sie sich bei der Bewertung dieses Umstandes als für § 56 Abs. 2 StGB bedeutsam ebenfalls nicht damit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten zwar zunächst durch Verteidigererklärung vollumfänglich eingeräumt, in seiner anschließenden Vernehmung aber dieses Geständnis ganz erheblich eingeschränkt und die Taten deutlich abweichend geschildert hat. Die Kammer ist in ihrer Beweiswürdigung vielmehr selbst davon ausgegangen, dass es sich um eine Schutzbehauptung des Angeklagten handelt und er seine Tatbeiträge verharmlost hat. Insofern erscheint es schon fernliegend, die später deutlich relativierte Einlassung sowie die Entschuldigung überhaupt als Milderungsgrund anzusehen. Jedenfalls ist es aber widersprüchlich, wenn die Kammer einerseits eine positive Legalprognose nur unter Zurückstellung erheblicher Bedenken anzunehmen vermag, andererseits aber von Milderungsgründen besonderen Gewichts ausgeht, die eine Strafaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe von einem Jahr und elf Monaten widerspiegelt, als nicht unangebracht erscheinen lassen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 21. März 2017, Az.: 4 RVs 18/17, Rn. 15, 16, zit. nach juris).
c)
Die Bewährungsentscheidung der Kammer stellt sich schließlich auch als lückenhaft dar, weil die sie es unterlassen hat, die Frage zu erörtern, ob die Verteidigung der Rechtsordnung nach § 56 Abs. 3 StGB die Vollstreckung der Strafe gebietet.
Die Beurteilung dieser Frage ist zwar in erster Linie ebenfalls Sache des Tatrichters; ihre ausdrückliche Erörterung in den Urteilsgründen ist aber unerlässlich, wenn Grundlage der Verurteilung ein Sachverhalt ist, der die Notwendigkeit der Strafvollstreckung zur Verteidigung der Rechtsordnung nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lässt (KG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2022, Az.: (5) 121 Ss 116/21 (44/21), Rn. 24, zit. nach juris, m. w. N.). Ist dies der Fall, bedarf das Urteil einer spezifischen und sorgfältigen Gesamtwürdigung der tat- und täterbezogenen Umstände (BGH, Beschluss vom 24. April 1997, Az.: 4 StR 662/96, Rn. 10, zit. nach juris). Zu erörtern ist, ob eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung im Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des Einzelfalles für das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich erscheinen müsste und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts und in den Schutz der Rechtsordnung vor kriminellen Angriffen dadurch erschüttert werden könnte (KG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2022, Az.: (5) 121 Ss 116/21 (44/21), Rn. 24, zit. nach juris). Angesichts dieser Grundsätze liegt es nahe, dass bei gewissen Taten die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Strafe eher gebieten kann als bei anderen. Dazu zählen insbesondere Delikte, die gerade dem Schutz der Personen dienen, die die Rechtsordnung im Besonderen schützen. Der vorliegend verletzte Tatbestand des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) dient neben dem Individualschutz des Amtsträgers auch dem Schutz des überindividuellen Interesses an staatlicher Dienstausübung. Er ist im Jahr 2017 gerade wegen einer zu verzeichnenden Zunahme von Gewaltdelikten zum Nachteil von Polizisten und anderen Vollstreckungsbeamten eingeführt worden (KG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2022, Az.: (5) 121 Ss 116/21 (44/21), Rn. 25, zit. nach juris; Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 114 Rn. 2). Dass gegen Polizeibeamte gerichtete Gewaltdelikte in der jüngeren Vergangenheit offenkundig weiter zugenommen haben, ist der aktuellen Medienberichterstattung zu entnehmen. Schließlich können auch eine Häufung von Straftaten und einschlägige Vorstrafen Anlass für eine Erörterung geben (KG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2022, Az.: (5) 121 Ss 116/21 (44/21), Rn. 24, zit. nach juris, m. w. N.).
Nach diesen Maßstäben konnte auf eine eingehende Erörterung der Vorschrift des § 56 Abs. 3 StGB angesichts der Vorstrafen des Angeklagten und der Tatumstände der zweiten Tat nicht verzichtet werden. Der Angeklagte hat erneut eine Gewalttat gegen Polizeibeamte begangen.
III.
Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler ist das Urteil im Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 353 Abs. 1 StPO mitsamt den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückzuverweisen.
IV.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision des Angeklagten beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Soweit es das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft betrifft, war die Kostenentscheidung - einschließlich der Entscheidung über die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen - dem Landgericht vorzubehalten, weil der endgültige Erfolg dieses Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.