Sozialgericht Aurich
Urt. v. 09.09.2003, Az.: S 5 AL 58/02
Voraussetzung für den Eintritt einer Sperrzeit; Beurteilung der Ursächlichkeit auf Grund der Lehre der rechtlich wesentlichen Bedingung; Grob fahrlässige Verursachung der Arbeitslosigkeit
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 09.09.2003
- Aktenzeichen
- S 5 AL 58/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 31157
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGAURIC:2003:0909.S5AL58.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 44 SGB X
- § 121 Abs. 5 SGB III
Fundstelle
- info also 2004, 15-17 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
hat das Sozialgericht Aurich - 5. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2003
durch
den Direktor des Sozialgerichts Frank - Vorsitzender -, sowie
die ehrenamtlichen Richterinnen E. und F.
für Rechterkannt:
Tenor:
- 1.
Der Bescheid der Beklagten vom 04.04.2002 und der Bescheid vom 17.05.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2002 werden aufgehoben.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 02.01.2002 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
- 3.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist der Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen wegen Arbeitsaufgabe.
Die Klägerin war zunächst von Oktober 1999 bis Dezember 2000 bei der Bäckerei G. in H. beschäftigt wo sie durchschnittlich ca. 2.900,00 bis 3.000,00 DM monatlich brutto verdiente.
Im Anschluss daran war sie nach einem Wohnortwechsel vom 01.01. bis 14.04.2001 bei der Bäckerei I. in J. beschäftigt, wo sie ca. 2.600,00 DM brutto monatlich verdiente.
Die Klägerin kündigte dieses Arbeitsverhältnis und fing zum 17.04.2001 bei der Bäckerei K. in L. an, wo sie 2.771,00 DM brutto monatlich verdiente. Das Arbeitsverhältnis war befristet bis zum 31.12.2001.
Am 02.01.2002 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld. In einer Stellungnahme zu den Gründen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gab die Klägerin an, sie sei bereits früher einmal bei der Bäckerei K. beschäftigt gewesen und habe dieses Beschäftigungsverhältnis seinerzeit wegen eines Umzuges nach M. lösen müssen. Als sich ihr die Gelegenheit geboten habe zu besseren Konditionen wieder bei ihrer alten Firma (Fa. K.) tätig zu werden, habe sie davon Gebrauch gemacht und das Arbeitsverhältnis bei der Firma I. gekündigt. Auch wenn das Arbeitsverhältnis bei der Firma K. befristet gewesen sei, habe sie doch auf Grund der üblichen Praxis der Firma K., gute Arbeitskräfte zu halten, davon ausgehen können, dass sie über die Befristung hinaus dort weiter beschäftigt werde. Dies sei dann aber wegen einer zwischenzeitlichen Schwangerschaft gescheitert. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 04.04.2002 den Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen (Zeitraum 01.01. - 25.03.02) fest, da sie durch Kündigung ihres Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma I. und den Wechsel in ein befristetes Arbeitsverhältnis die Arbeitslosigkeit verursacht habe. Nach einen verfristeten Widerspruch beantragte die Klägerin eine Überprüfung des Sperrzeitbescheides nach § 44 SGB X, was die Beklagte mit Bescheid vom 17.05.2002 ablehnte. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2002 als unbegründet zurück.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie behauptet, das Arbeitsverhältnis wäre verlängert worden, sofern sie nicht schwanger geworden wäre. Darüber hinaus ist sie der Auffassung, dass sie ihre Arbeitslosigkeit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 04.04.2002, den Bescheid vom 17.05.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin bereits ab 02.01.2002 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten (Stamm-Nr. N.) beigezogen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Ferner wurde eine Auskunft der Bäckerei K. eingeholt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, in der Sache ist sie auch begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nicht, da sie ihre Arbeitslosigkeit nicht grob fahrlässig verursacht und darüber hinaus für ihr Verhalten einen wichtigen Grund hat.
Hat der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und hat er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe), ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, so tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen ein (§ 144 Abs. 1 Ziffer 1 SGB III).
Die Klägerin hat ihr unbefristetes Arbeitsverhältnis bei der Firma I. selbst aufgekündigt und ist nahtlos in ein befristetes Arbeitsverhältnis bei der Firma K. gewechselt. Dieses Verhalten ist indes nicht ursächlich für die sich daran anschließende Arbeitslosigkeit.
Voraussetzung für den Eintritt einer Sperrzeit ist u.a., dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und Arbeitslosigkeit besteht (vgl. Niessel, Rn 17 zu § 144 SGB III). Dabei ist die Ursächlichkeit auf Grund der Lehre der wesentlichen Bedingung zu beurteilen. Nach der Kausallehre der wesentlichen Bedingung ist eine Bedingung als ursächlich oder mitursächlich im Rechtssinne anzusehen, wenn sie im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (Urteil des BSG vom 28. Juni 1991, - 11 RAr 81/90 -). Der Begriff der rechtlich wesentlichen Bedingung ist ein Wertbegriff, der auch Billigkeitserwägungen umschließt. Unter Berücksichtigung dessen, ist eine Ursächlichkeit bei einem Wechsel von einem unbefristeten in ein befristetes Arbeitsverhältnis zu verneinen, es sei denn, der Betroffene konnte vernünftigerweise nicht mit einer Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses rechnen (vgl. Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 09.05.2001 - L 6 AL 1328/00 -; Niesel, Kommentar zum SGB III, Rn 19 zu § 144 SGB III).
Vorliegend vermochte die Kammer keinen Anhaltspunkt dafür festzustellen, das ein Vertrauen der Klägerin auf eine Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrages unvernünftig gewesen wäre. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Grund für die unterbliebene Verlängerung des Arbeitsverhältnisses die zwischenzeitlich eingetretene Schwangerschaft der Klägerin- so die Einlassung der Klägerin selbst - oder die wirtschaftliche Entwicklung der Filiale, in der die Klägerin eingesetzt wurde, gewesen ist - so die Auskunft des Arbeitgebers -; beide Varianten sind jedenfalls erst im weiteren Verlauf unvorhersehbar eingetreten und überlagern als eigentliche Ursache der nachfolgend eingetretenen Arbeitslosigkeit die zuvor erfolgte Kündigung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Bestätigt wird diese Einschätzung als wesentliche Ursache der sodann eingetretenen Arbeitslosigkeit auch dadurch, dass nur auf diese Weise ein Wertungswiderspruch zu § 121 Abs. 5 SGB III, der eine befristete Beschäftigung grundsätzlich für zumutbar erklärt, vermieden wird (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts, a.a.O.; Niesel a.a.O.).
Darüber hinaus liegt auch keine grobe Fahrlässigkeit der Klägerin vor.
Voraussetzung für den Eintritt einer Sperrzeit ist, dass die Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Grobe Fahrlässigkeit liegt dabei vor, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Lösung des Arbeitsverhältnisses keine Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz hat und er auf Grund der allgemeinen Verhältnisse auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt vernünftiger Weise mit einem Anschlussarbeitsplatz auch nicht rechnen konnte (vgl. etwa Urteil des BSG vom 12.04.1984 - 7 RAr 28/83; Urteil des BSG vom 28.06.1990 - 7 RAr 124/89 -).
Die Klägerin hatte demgegenüber nahtlos einen Anschlussarbeitsplatz. Sie konnte - wie der Arbeitgeber in seiner Auskunft vom 30.10.02 bestätigt - darüber hinaus auch durchaus damit rechnen im Anschluss an die Befristung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen zu werden. Erst durch im Zeitpunkt des Wechsels nicht vorhersehbare Umstände ist eine weitere Beschäftigung vereitelt worden, wobei es gleichgültig ist, ob die Schwangerschaft oder die schlechte wirtschaftliche Entwicklung der konkreten Filiale der tatsächliche Grund für die Nichtverlängerung waren. Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit lässt sich dadurch nicht begründen.
Schließlich steht der Klägerin auch ein wichtiger Grund für ihr Verhalten zur Seite.
Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft bzw. der Allgemeinheit ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden kann. Entscheidend ist letztlich die Schutzbedürftigkeit des Arbeitslosen in seiner konkreten Situation (vgl. Niesel, Kommentar zum SGB III, Rn. 77 zu § 144).
Die Interessenabwägung ergibt vorliegend, dass das Risiko befristeter Arbeitsverträge von der Solidargemeinschaft mitzutragen ist. Auf Seiten der Klägerin ist dabei das Interesse, durch einen vorübergehenden Wechsel in ein befristetes Arbeitsverhältnis eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu erreichen, als schutzwürdig anzusehen, da sie - wie oben ausgeführt - keinerlei Anhaltspunkte für einen fehlenden Fortsetzungswillen des Arbeitgebers hatte. Die Klägerin konnte durch den Wechsel eine Verbesserung der Entlohnung sowie der örtlichen Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes bewirken. Auf Seiten der Versichertengemeinschaft ist zu berücksichtigen, dass befristete Arbeitsverträge ein erhöhtes Risiko für eine anschließende Arbeitslosigkeit mit sich bringen. Die Sperrzeitregelung beruht auf der Erwägung, dass die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle geschützt werden muss, deren Eintritt der Betroffene selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft. Andererseits ist es nicht Sinn und Zweck einer Sperrzeit jede Beweglichkeit auf dem Arbeitsmarkt sowie das Bemühen um bessere Arbeitsbedingungen zu verhindern oder zu erschweren. Das bloß erhöhte Risiko des im Ergebnis auch bei befristeten Arbeitsverträgen weiterhin ungewissen Eintritts der Arbeitslosigkeit wird vom Versicherungszweck der Arbeitslosenversicherung noch gedeckt. Bestätigt wird diese Interessenabwägung zum einen durch das neue Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz -TzBfG-, BGBl I 2000, 1966), mit dem der Gesetzgeber den Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse unter erleichterten Bedingungen erlaubt hat, sowie durch § 121 Abs. 5 SGB III, der die Vermittlung in befristete Arbeitsverhältnisse durch die Bundesanstalt für Arbeit erlaubt. Zu beachten ist dabei weiterhin, dass auch ein unbefristetes Arbeitsverhältnisses keinen uneingeschränkten Schutz vor Arbeitslosigkeit beinhaltet. Die Einlassung des Arbeitgebers als richtig unterstellt belegt gerade der Fall der Klägerin, das auch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bei einer unbefriedigenden wirtschaftlichen Entwicklung keinesfalls einen absoluten Schutz beinhaltet. Die Schwangerschaft einmal ausgeblendet wäre die Klägerin auch bei einer unbefristeten Beschäftigung einem erhöhten Risiko ausgesetzt gewesen als junge, unverheiratete und seinerzeit kinderlose Arbeitnehmerin, die noch nicht einmal ein Jahr im Betrieb arbeitete, diejenige zu sein, der im Rahmen einer Sozialauswahl nach dem Kündigungsschutzgesetz betriebsbedingt gekündigt worden wäre. Die Arbeitsmarktchancen jüngerer Frauen im gebärfähigen Alter unter Hinweis auf das Risiko einer möglichen Schwangerschaft durch erhöhte Obliegenheiten einzuschränken, verbietet sich dagegen schon vor dem Hintergrund von Artikel 3 und 6 Grundgesetz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.