Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.11.2003, Az.: 1 K 10277/00
Festsetzungsfrist bei Steuerhinterziehung; Ablaufhemmung bei Selbstanzeige; Anforderungen an Selbstanzeige
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 10.11.2003
- Aktenzeichen
- 1 K 10277/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20719
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:1110.1K10277.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 10.06.2005 - AZ: VIII B 324/03
Rechtsgrundlagen
- § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977
- § 173 Abs. 1 AO 1977
- § 169 Abs. 2 S. 2 AO 1977
- § 171 Abs. 9 AO 1977
- § 371 AO 1977
Fundstellen
- EFG 2004, 468-469
- PStR 2004, 107-108
- ZAP 2004, 764-765
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Bei Steuerhinterziehung beträgt die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre.
- 2.
Werden über Jahre hinweg grob unrichtige Angaben zur Höhe der Kapitaleinkünfte in den Steuererklärungen gemacht, ist eine Steuerhinterziehung nicht zweifelhaft.
- 3.
Der Lauf der Jahresfrist gem. § 171 Abs. 9 AO beginnt erst, wenn der Stpfl. seine Selbstanzeige hinsichtlich Steuerart und Veranlagungszeitraum konkretisiert. Es gehört zu den Mindestanforderungen an eine Selbstanzeige, dass der Stpfl. Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und die äußeren Umrisse des Sachverhaltes derart schildert, dass erkennbar wird, was Gegenstand der Selbstanzeige sein soll.
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob der Änderung eines Steuerbescheides der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegensteht.
Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin nach ihrem am 23. September 1997 verstorbenen Ehemann L..S. In der im Jahre 1988 beim Beklagten eingereichten Einkommensteuererklärung 1987 gaben die Eheleute S ihre Einnahmen aus Kapitalvermögen mit 2.618,- DM an. Die Veranlagung zur Einkommensteuer 1987 erfolgte mit Einkommensteuerbescheid 1987 vom 12. Dezember 1998 insoweit erklärungsgemäß.
Nach dem Tod des Ehemannes teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 9. November 1998 dem Beklagten mit, dass die Eheleute S nicht sämtliche Einkünfte aus Kapitalvermögen erklärt hätten. Er sei beauftragt worden, die erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen insgesamt zu ermitteln und nach zu erklären. Wegen fehlender Unterlagen seien umfangreiche Ermittlungen erforderlich, für die er eine Frist bis zum 31. Dezember 1998 beantrage. Dieses Schreiben leitete der Beklagte an das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen (FAFuSt) weiter. Dieses teilte wiederum dem Beklagten unter dem Datum des 11. Dezember 1998 mit, dass es die Klägerin aufgefordert habe, ihre Selbstanzeige zu konkretisieren. Am 23. Dezember 1998 übersandte der Prozessbevollmächtigte dem FAFuSt eine Zusammenstellung der von den Eheleuten S erzielten Kapitaleinkünfte sowie des steuerpflichtigen Vermögens. Für das Jahr 1987 ergaben sich danach Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 70.800,- DM.
Nach Beantwortung einer Rückfrage im Oktober 1999 zum Grund des Anstiegs des Kapitalvermögens vom 01.01.1992 auf den 01.01.1993 und der Bitte um Vorlage von Steuerbescheinigungen für zwei Konten änderte den Beklagte den Einkommensteuerbescheid 1987 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) mit Bescheid vom 13. Dezember 1999 und setzte die Einkommensteuer 1987 unter Berücksichtigung der nacherklärten Einkünfte aus Kapitalvermögen herauf. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass der Änderung des Einkommensteuerbescheides 1987 am 13. Dezember 1999 der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegenstehe. Da die Einkommensteuererklärung 1987 im Jahre 1988 beim Beklagten eingereicht worden sei, hätte die Festsetzungsfrist ohne Ablaufhemmung am 31.12.1998 geendet. Durch das Schreiben vom 9. November 1998, das eine Selbstanzeige darstelle, sei der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 9 AO für ein Jahr gehemmt worden. Der Änderungsbescheid vom 13. Dezember 1999, der am 16. Dezember 1999 als zugegangen gelte, sei nach Ablauf dieser Jahresfrist ergangen. Das folge aus dem Umstand, dass dem Beklagten bereits mit Schreiben vom 9. November 1998 klar und unmissverständlich mitgeteilt worden sei, dass die Eheleute S Einkünfte aus Kapitalvermögen in unzutreffender Höhe erklärt hätten. Damit habe die Finanzverwaltung Kenntnis davon erlangt, dass eine unzutreffende Steuer festgesetzt worden sei, die berichtigt werden müsse; für diese Berichtigung stehe ihr ein Jahr und damit ausreichend Zeit zur Verfügung. § 171 Abs. 9 AO stelle nicht auf das Vorhandensein einer vollständigen und wirksamen Selbstanzeige ab. Wären beispielsweise außer dem Schreiben vom 9. Dezember 1998 keine weiteren Aktivitäten entfaltet worden, würde das bedeuten, dass keinerlei Ablaufhemmung eintrete, weil auch nicht die Voraussetzungen des § 171 Abs. 5 AO erfüllt seien. Dies könne nicht richtig sein.
Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 1987 vom 13. Dezember 1999 sowie den Einspruchsbescheid vom 12. April 2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte vertritt demgegenüber die Auffassung, dass im Streitfall noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Seiner Auffassung nach habe erst das Schreiben vom 23. Dezember 1998 als Selbstanzeige die Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO in Lauf gesetzt, so dass der Änderungsbescheid vom 16. Dezember 1999 noch vor Ablauf dieser Frist ergangen sei. Das Schreiben vom 9. November 1998 sei nur als Ankündigung einer Selbstanzeige, für sich aber nicht als Selbstanzeige zu würdigen. Eine wirksame Selbstanzeige setze voraus, dass frühere unrichtige Angaben berichtigt, unvollständige Angaben ergänzt oder unterlassene Angaben nachgeholt würden. Die Angaben über die Besteuerungsgrundlagen müssten so greifbar sein, dass das Finanzamt in die Lage versetzt werde, auf dieser Grundlage ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt aufzuklären und die zutreffende Steuer festzusetzen. Dem genüge das Schreiben vom 9. November 1999 nicht. Es sei weder dargelegt worden, welche konkreten Angaben unrichtig gewesen seien, noch, auf welche Steuer und auf welche Veranlagungszeiträume sich das Schreiben beziehe.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der geänderte Einkommensteuerbescheid 1987 vom 13. Dezember 1999 ist rechtmäßig.
Der Beklagte hat, wie zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, die Einkünfte aus Kapitalvermögen in zutreffender Höhe angesetzt.
Verfahrensrechtlich konnte der Beklagte den Bescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern, weil ihm erst im Zusammenhang mit der Selbstanzeige der Klägerin und damit nach Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 1987 die tatsächliche Höhe der Kapitaleinkünfte der Eheleute S bekannt geworden ist.
Zum Zeitpunkt der Änderung des Einkommensteuerbescheides 1987 am 13. Dezember 1999 war auch noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.
Gem. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird; die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO im Fall der Steuerhinterziehung zehn Jahre. Danach begann im Streitfall die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.1988; ohne Ablaufhemmung hätte sie am 31.12.1998 geendet. Dass eine Steuerhinterziehung vorlag und deshalb die verlängerte Festsetzungsfrist von 10 Jahren zur Anwendung kommt, ist angesichts der über Jahre hinweg grob unrichtigen Angaben zur Höhe der Kapitaleinkünfte in den Steuererklärungen nicht zweifelhaft und wird von der Klägerseite auch nicht in Abrede gestellt.
Die Festsetzungsfrist verlängerte sich im Streitfall nach § 171 Abs. 9 AO dadurch über den 31.12.1998 hinaus, dass die Klägerin vor Ablauf der Festsetzungsfrist Selbstanzeige erstattet hat. Dabei ist das Schreiben vom 23. Dezember 1998 und nicht schon das Schreiben vom 9. November 1998 als Selbstanzeige zu werten
Gem. § 171 Abs. 9 AO endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige, wenn der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach den §§ 153, 371 und 378 Abs. 3 AO erstattet.
Eine Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO liegt nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige der Finanzbehörde die fehlerhaften Angaben nach Art und Umfang offenbart. Das Finanzamt muss durch die Selbstanzeige in die Lage versetzt werden, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären (BGH Urteil vom 5. September 1974 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293). Kann jedoch der Steuerpflichtige die Besteuerungsgrundlagen nicht gleich mitteilen, weil ihm seine Bank beispielsweise die erforderlichen Erträgnisunterlagen nicht sofort zur Verfügung stellt, so wird in der Literatur eine Selbstanzeige "dem Grunde nach" für zulässig erachtet (Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 54; Klein, Kommentar zur AO, § 371 Rn. 9).
Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob eine Selbstanzeige "dem Grunde nach" bereits den Beginn der Jahresfrist in § 171 Abs. 9 AO auslöst und ob die Zeitpunkte, von denen an bei § 171 Abs. 9 und § 371 AO vom Vorliegen einer Selbstanzeige auszugehen ist, notwendig identisch sein müssen. Nach Auffassung des Gerichts gehört es zu den Mindestanforderungen an eine Selbstanzeige i.S.d. § 171 Abs. 9 AO, dass der Steuerpflichtige Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und die äußeren Umrisse des Sachverhaltes derart schildert, dass erkennbar wird, was Gegenstand der Selbstanzeige sein soll.
§ 171 Abs. 9 AO bewirkt nur eine partielle Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsverjährung; gehemmt ist dieser nur für jene Steueransprüche, die auf Sachverhalten beruhen, die der Steuerpflichtige in seiner Selbstanzeige der Finanzbehörde offenbart hat. Wenn aber der Inhalt der Selbstanzeige den Umfang der Ablaufhemmung bestimmt, dann kann die Ablaufhemmung erst dann eintreten, wenn der nach zu versteuernde Sachverhalt gegenständlich bestimmt ist.
Aus dem Schreiben vom 9. November 1998 lässt sich nicht erkennen, dass auch für das Streitjahr 1987 die Höhe der tatsächlich erzielten Kapitaleinkünfte nacherklärt werden sollte. Damit kann das Schreiben nicht als Selbstanzeige angesehen werden.
Ist erst das Schreiben vom 23. Dezember 1998 und nicht schon das Schreiben vom 9. November 1998 als Selbstanzeige i.S.d. § 171 Abs. 9 AO zu werten, so wurde der Ablauf der Festsetzungsfrist bis zum 23. Dezember 1999 gehemmt. Der Änderungsbescheid vom 13. Dezember 1999 ist damit in noch nicht festsetzungsverjährter Zeit ergangen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.