Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 29.10.2002, Az.: 1 A 1197/01

vorübergehende Wehrdienstunfähigkeit; Wehrpflicht; Zulässigkeit einer Anfechtung- und Verpflichtungsklage

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
29.10.2002
Aktenzeichen
1 A 1197/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43680
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Anfechtungsklage gegen einen Musterungsbescheid ist unzulässig, wenn nachträglich ein Bescheid ergeht, mit dem ausgesprochen wird, dass der Wehrpflichtige vorübergehend vom Wehrdienst zurückgestellt wird.

2. Der Bescheid, mit dem ausgesprochen wird, dass der Wehrpflichtige vorübergehend vom Wehrdienst zurückgestellt wird, kann nicht in das gegen den ursprünglichen Musterungsbescheid anhängige Klageverfahren einbezogen werden, wenn er auf neuen, im ursprünglichen Musterungsverfahren noch nicht bekannten Umständen beruht. Es ist ein Vorverfahren durchzuführen.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand:

1

Der am ... geborene Kläger wurde am 05. Mai 1997 gemustert. Mit Musterungsbescheid vom 06. August 1997 setzte das Kreiswehrersatzamt –KWA- den Tauglichkeitsgrad verwendungsfähig mit Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten fest und stellte den Kläger aufgrund einer begonnen Ausbildung gleichzeitig bis einschließlich 31. Juli 1998 vom Wehrdienst zurück. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, der nicht beschieden wurde. Die Zurückstellungsfrist wurde mit Bescheid des KWA bis 31. Juli 2000 verlängert. Mit Bescheid vom 26. Januar 2001 berief das KWA den Kläger zum 01. März 2001 zum Wehrdienst ein. Diesen Bescheid hob das KWA mit Bescheid vom 09. Februar 2001 auf, weil über die Wehrdienstfähigkeit des Klägers noch nicht abschließend entschieden sei. Mit Bescheid vom 05. März 2001 teilte das KWA dem Kläger mit, er sei nach dem Ergebnis der Überprüfungsuntersuchung am 08. Februar 2001 weiterhin wehrdienstfähig, und zwar mit Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten.

2

Den hiergegen im wesentlichen mit der Begründung eingelegten Widerspruch, eine Sprunggelenksverletzung, eine starke Akne, eine Allergie gegen Kantinenessen und eine noch nicht abgeklärte starke Schwellung seiner Brust sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2001 zurück. Die feststellbaren körperlichen Einschränkungen seien zutreffend berücksichtigt worden, hinsichtlich der Abklärung der Sprunggelenksbeschwerden sei der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen.

3

Hiergegen hat der Kläger am 27. April 2001 Klage erhoben.

4

Er vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und meint, wehrdienstunfähig zu sein. Weitere ärztliche Untersuchungen seien nicht erforderlich.

5

Darüber hinaus hat er ein ärztliches Attest des A. Krankenhauses vom 02. Juli 2002 vorgelegt, das anlässlich einer Notfallaufnahme nach Ureterkolik (Nierensteinabgang) ausgestellt worden ist. Daraufhin erließ das KWA am 17. Oktober 2002 einen Bescheid, mit dem dem Kläger mitgeteilt wurde, er sei vorübergehend nicht wehrdienstfähig und werde bis zum 31. Juli 2003 vom Wehrdienst zurückgestellt.

6

Der Kläger verfolgt sein Begehren weiter und beantragt,

7

den Bescheid der Beklagten vom 05. März 2001 und deren Widerspruchsbescheid vom 24. April 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass der Kläger nicht wehrdienstfähig ist.

8

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

9

Sie hält die Klage für unzulässig und tritt dem klägerischen Vorbringen entgegen.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unzulässig.

12

Für das Anfechtungsbegehren fehlt nach dem Erlass des Zurückstellungsbescheides vom 17. Oktober 2002 das Rechtsschutzbedürfnis; die Verpflichtungsklage ist unzulässig weil kein Vorverfahren stattgefunden hat.

13

Erhält ein Wehrpflichtiger, der sich, wie der Kläger, für nicht wehrdienstfähig hält, den Tauglichkeitsgrad „vorübergehend nicht wehrdienstfähig“, so besteht für eine Anfechtungsklage, wie sie der Kläger gegen den Musterungsbescheid vom 05. März 2001 erhebt, kein Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Tauglichkeitsüberprüfungsentscheidung der Beklagten vom 17. Oktober 2002 ist an die Stelle der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Verfügbarkeitsfeststellung getreten, die daher schutzwürdig nicht mehr angegriffen werden kann (BVerwG, Beschl. v. 8.6.1993 –8 B 39.93-, Buchholz 448.0 § 9 WPflG Nr. 15; Beschl. v. 6.1.1988 –8 C 7/87-, NVwZ-RR 1988, 35).

14

Ziel des Rechtsschutzes gegen den Bescheid vom 17. Oktober 2002 kann nur die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO sein, da der Bescheid, der dem Kläger eine vorübergehende Wehrdienstunfähigkeit zugesteht, kein belastender und deshalb anfechtbarer Verwaltungsakt, sondern ein dem Begehren lediglich nicht voll entsprechender Verwaltungsakt ist (BVerwG, Beschl. v. 12.8.1998 –6 B 71/98-, NVwZ-RR 1999, 178).

15

Vor Erhebung einer solchen Klage ist jedoch gemäß § 68 Abs. 2, 1 VwGO ein Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durchzuführen, in dem die Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes von der Beklagten nachzuprüfen ist. Hierauf ist der Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 17. Oktober 2002 zutreffend hingewiesen worden. Ein solches Verfahren hat bisher nicht stattgefunden, so dass die Klage auch hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens unzulässig ist.

16

Ein Verzicht auf die Durchführung des Vorverfahrens und die Einbeziehung des Bescheides vom 17. Oktober 2002 in dieses Verfahren ist nicht möglich, da der Nierensteinabgang, auf dem der Bescheid beruht, nicht bereits Gegenstand des gegen den Bescheid vom 05. März 2001 durchgeführten Widerspruchsverfahrens gewesen ist. Nur wenn ein nachfolgender Bescheid denselben Sachverhalt regelt wie ein vorangegangener, gegen den ein Vorverfahren durchgeführt worden ist, kann auf die Durchführung eines (weiteren) Vorverfahrens verzichtet werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl. § 68 Rdnr. 23 und 24). Die Einbeziehung des Bescheides vom 17. Oktober 2002 in dieses Verfahren würde darüber hinaus auch den Rechtsschutz des Klägers in nicht hinnehmbarer Weise schmälern, weil das Gericht anders als die Widerspruchsbehörde weder die Zweckmäßigkeit des Bescheides überprüfen dürfte noch etwaige Langzeitfolgen des Nierensteinabgangs berücksichtigen könnte, weil es für seine Entscheidung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen hätte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.07.1995 –8 B 37.95-, Buchholz 448.0 § 9 WPflG Nr. 16).

17

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

18

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO:

19

Nach § 34 Satz 1 WPflG ist die Berufung gegen das Urteil ausgeschlossen. Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.