Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 18.01.2007, Az.: 2 A 5477/05

Auslagenpauschale; Behandlungskosten; Beweislast; Beweislastverteilung; Bruttobezüge; Bundeswehr; Dienst; Dienstunfähigkeit; Fahrlässigkeit; Gesundheitsschädigung; grob fahrlässig; grobe Fahrlässigkeit; Kameradschaft; Kausalität; Knalltrauma; normativer Schaden; normativer Ursachenzusammenhang; Pfiff; Pflicht zur Kameradschaft; Pflichtverletzung; Schaden; Schadensberechnung; Soldat; Sonderzuwendung; Tinnitus; Ursachenzusammenhang; Vorschädigung; Vorteilsausgleich; Weckpfiff; Zurechnungszusammenhang

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
18.01.2007
Aktenzeichen
2 A 5477/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71813
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bezieht ein durch Drittverschulden verletzter Beamter/Soldat für die Dauer seiner Dienstunfähigkeit alle Leistungen seines Dienstherrn unverändert weiter, so erleidet er gleichwohl einen (normativen) Schaden, der kraft Gesetzes auf den Dienstherrn übergeht.
2. Eine zum Schaden neigende Konstitution des Geschädigten lässt den Ursachenzusammenhang nicht entfallen.
3. Zur Beweislast für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes.

Tatbestand:

1

In der Mittagspause des 22.07.2003 saß der Kläger gemeinsam mit fünf Kameraden an einem Kartenspielertisch in der A. in B.. Er sah gemeinsam mit dem Hauptmann C. vier Kameraden beim Kartenspiel zu, in dessen Verlauf der Hauptmann C. einnickte. Der Kläger weckte ihn mit einem Pfiff. Hauptmann C. schreckte auf, war ungehalten und wies auf seinen vorhandenen Tinnitus hin. Anschließend begab er sich in ärztliche Behandlung des Truppenarztes, der eine weitere fachärztliche Untersuchung veranlasste. Der Hauptmann C. war in der Zeit vom 23. - 28.07.2003 dienstunfähig krank geschrieben.

2

Im Rahmen des Schadensberichts hörte die Wehrbereichsverwaltung Nord den Hauptmann C. an, der unter dem 21.06.2004 erklärte, er habe durch das Pfeifen eine Art Knalltrauma mit einem neuen verstärkten Tinnitus-Ton erlitten. Diese Aussage wiederholte er mündlich am 17.09.2004 bei einer Zeugenvernehmung. Der ebenfalls als Zeuge vernommene Oberstleutnant D. sagte aus, der Pfiff sei so laut gewesen, dass er für einige Zeit Schwierigkeiten mit seinem linken Ohr gehabt habe. Die Wehrbereichsverwaltung Nord hörte den Kläger daraufhin wegen einer beabsichtigten Inanspruchnahme auf Schadensersatz an und forderte mit Leistungsbescheid vom 17.08.2005 vom Kläger eine Schadensersatzleistung in Höhe von 909,98 EUR. Die Schadenssumme setzt sich zusammen aus der ambulanten Behandlung im Sanitätsbereich (15,47 EUR), der ambulanten Behandlung beim Facharzt (54,33 EUR), Bruttodienstbezügen in der Zeit vom 23. - 28.07.2003 in Höhe von 820,18 EUR sowie einer Kostenpauschale von 20,00 EUR. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Wehrbereichsverwaltung Nord in ihrem Widerspruchsbescheid vom 01.09.2005 als unbegründet zurück. Darin heißt es, der Bundesrepublik Deutschland sei ein Schaden entstanden, weil der Kläger die ihm obliegenden Pflichten (Beachtung der geltenden Gesetze und sonstigen Rechtsnormen) in grob fahrlässiger Weise verletzt habe. Sein lauter Pfiff habe die Gesundheit aller Anwesenden gefährdet und im Fall des Herrn C. auch tatsächlich geschädigt. Ihm habe sich aufdrängen müssen, dass er mit einem lauten Pfiff in einem geschlossenen Raum bei in nächster Nähe Umsitzenden eine Gesundheitsschädigung verursachen könnte.

3

Der Kläger hat am 15.09.2005 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, Herr C. sei derjenige der Kameraden gewesen, der am 6-Tisch von ihm am weitesten entfernt gesessen habe. Zwei Wochen vor dem 22.07.2003 sei dieselbe Situation aufgetreten, auch damals habe er den Kameraden C. durch einen Pfiff geweckt und alle anderen hätten schmunzeln müssen. Erst am Schadenstag habe Herr C. auf seinen vorhandenen Tinnitus hingewiesen. Er habe mit dem Schadenseintritt nicht rechnen können und auch seine Sorgfaltspflichten nicht verletzt.

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Der Kläger beantragt,

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den Leistungsbescheid der Wehrbereichsverwaltung Nord vom 17.08.2005 in Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 01.09.2005 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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und verteidigt den angefochtenen Leistungsbescheid.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Die angefochtenen Bescheide der Wehrbereichsverwaltung Nord erweisen sich als rechtswidrig und verletzen daher den Kläger auch in seinen Rechten. Das Gericht kann nicht feststellen, dass die Beklagte gegen den Kläger einen Schadensersatzanspruch besitzt.

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Ein solcher kann sich hier nur aus § 24 Abs. 1 Satz 1 des Soldatengesetzes (SG) ergeben. Die Haftung eines Soldaten auf Schadensersatz setzt nach dieser Rechtsvorschrift eine vorsätzlich oder grob fahrlässig begangene objektive Pflichtverletzung sowie einen durch diese Pflichtverletzung dem Dienstherrn verursachten Schaden voraus. Ein solcher Schaden ist bei der Bundesrepublik Deutschland eingetreten, allerdings nicht in der hier geltend gemachten Höhe. Die Schadensposition „Auslagenpauschale“ in Höhe von 20,00 EUR kann nicht im Wege des Schadensersatzverlangens geltend gemacht werden. Für den Zeit- und Personalaufwand des Geschädigten bei der außergerichtlichen Abwicklung von Schadensersatzansprüchen besteht kein Ersatzanspruch. Dies gilt auch dann, wenn der Geschädigte für diese Aufgabe besonderes Personal beschäftigt (BGHZ 66, 112; 75, 230; NJW 1977, 35).

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Im Übrigen liegt bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise ein Schaden bei der Bundesrepublik Deutschland vor. Dieses gilt nicht nur für die entstandenen Behandlungskosten im Sanitätsbereich wie für die beglichene Honorarforderung der Ärztin Dr. K., sondern auch für die dem Geschädigten in der Zeit vom 23.- 28.07.2003 gezahlten Bezüge in einer Gesamtsumme von 820,18 EUR. Insoweit ist der Schaden in der Person des Hauptmanns C. eingetreten und gemäß § 30 Abs. 3 SG i. V. m. § 87 a BBG auf die Beklagte übergegangen (vgl. BVerwG, U. v. 30.09.1974, E 47, 55). Der ständigen Rechtsprechung der Zivilgerichte folgend nehmen die Verwaltungsgerichte einen normativen Schaden an, wenn ein durch Drittverschulden verletzter Beamter/Soldat für die Dauer seiner Dienstunfähigkeit alle Leistungen seines Dienstherrn unverändert weiter bezieht. Der BGH bejaht insoweit einen Schaden unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung. Nach dem Zweck des Anspruchs auf Fortzahlung von Besoldung soll dies den Schädiger nicht entlasten und muss deshalb für die Schadensberechnung außer Betracht bleiben (BGHZ 7, 30, 48; 43, 378, 381; 59, 109 f., 154 f.). Zum Schaden zählt danach nicht nur der Bruttobetrag der Dienstbezüge in dem genannten Zeitraum, sondern auch die anteilige Sonderzuwendung, das anteilige Urlaubsgeld, das anteilige Urlaubsentgelt sowie die vermögenswirksame Zulage (zum anteiligen Urlaubsentgelt vgl. insbesondere BGHZ 59, 154 f.).

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Der Kläger hat auch durch die Körperverletzung des Hauptmanns C. gegen Dienstpflichten verstoßen. Er hat die Pflicht zur Kameradschaft gegenüber dem verletzten Soldaten verletzt (§ 12 Satz 2 SG) und zugleich gegen die in § 7 SG normierte Treuepflicht des Soldaten verstoßen. Diese gebietet es auch, den Dienstherrn vor Schäden zu bewahren und unmittelbar oder mittelbar den Dienstherrn schädigende Handlungen zu unterlassen (BVerwG, NJW 1997, 536 [BVerwG 31.07.1996 - BVerwG 2 WD 21.96] und 3455 [BVerwG 19.06.1997 - BVerwG 2 C 21/96]). Diese Pflicht wird objektiv verletzt, wenn ein Soldat durch rechtswidriges Handeln bei einem Bediensteten seines Dienstherrn einen gesundheitlichen Schaden verursacht, für den der Dienstherr einstehen muss.

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Der Anspruch der Beklagten auf Ersatz des Schadens setzt weiter voraus, dass dieser durch eine Dienstpflichtverletzung des Klägers adäquat verursacht worden ist. Dieser geforderte Ursachenzusammenhang zwischen Dienstpflichtverletzung und Schadenseintritt ist gegeben, wenn die begangene Dienstpflichtverletzung nach allgemeiner Lebenserfahrung für einen objektiven Betrachter geeignet war, den Schaden herbeizuführen (BVerwGE 79, 296, 300 [BVerwG 29.04.1988 - BVerwG 9 C 54.87]). Ein solcher Zurechnungszusammenhang besteht auch hier, wo der geschädigte Hauptmann C. schon durch einen bestehenden Tinnitus vorgeschädigt war. Eine zum Schaden neigende Konstitution des Geschädigten lässt den Ursachenzusammenhang nicht entfallen. Wer einen Kranken oder Geschwächten verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als habe er einen Gesunden verletzt, so lange es sich nicht um ein gänzlich ungewöhnliches, keinesfalls zu erwartendes Ereignis handelt (BGH NJW 1974, 1510 [BGH 11.06.1974 - VI ZR 37/73]; 1996, 2425 [BGH 30.04.1996 - VI ZR 55/95]). Eine Vorschädigung des Gehörs eines Soldaten ist aber nicht sehr selten und eine weitere Schädigung durch Schalleinwirkungen nicht gänzlich ungewöhnlich.

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Das Gericht kann aber die erforderliche grobe Fahrlässigkeit des Klägers an der begangenen objektiven Pflichtverletzung nicht feststellen. Das erforderliche Verschulden muss sich lediglich auf die Pflichtverletzung beziehen, der Kläger muss seine Dienstpflicht zumindest grob fahrlässig verletzt haben. Auf die Folgen der Pflichtverletzung, die Art und den Umfang des eingetretenen Schadens muss sich das Verschulden hingegen nicht erstrecken. Das Gericht ist im vorliegenden Fall nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger seine Dienstpflichten in grob fahrlässiger Weise verletzt hat. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit i. S. d. § 24 Abs. 1 SG entspricht dem des Zivilrechts. Danach handelt grob fahrlässig, wer die nach den Umständen im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BVerwG, Buchholz 232, § 78 BBG Nr. 9). Der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens setzt dabei - anders als der einer „normalen, leichten“ Fahrlässigkeit - nicht nur objektiv das Vorliegen einer schwerwiegenden Sorgfaltspflichtverletzung voraus, deren Vorliegen sich nach den typischen Kenntnissen und Fähigkeiten eines Angehörigen der vom Schädiger vertretenen Berufs- oder Personengruppe beurteilt, sondern hat darüber hinaus zur Voraussetzung, dass auch in subjektiver Hinsicht, d. h. von der Person des Schädigers aus gesehen, es sich um ein schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten handelt, welches das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt. Bei Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung und eines dadurch verursachten Schadens geht es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, NJW 1986, 2523 [BVerwG 11.02.1986 - BVerwG 6 B 117.85]; NVwZ 1999, 77 [BVerwG 16.07.1998 - BVerwG 2 C 12/98]) zu Lasten des Beamten bzw. Soldaten, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass er die Pflichtverletzung grob fahrlässig begangen hat, weil ihm nach dem Rechtsgedanken des § 282 BGB a. F. die materielle Beweislast dafür trifft, dass er die Pflichtverletzung ohne ein für die Haftung ausreichendes Verschulden begangen hat. Ob an dieser Beweislastverteilung festgehalten werden kann, mag angesichts des Inkrafttretens des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes mit Wirkung vom 01.01.2002 bezweifelt werden. Zwar ist dort in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB n. F. dieselbe Beweislastverteilung wie in § 282 BGB a. F. angeordnet. Indessen trifft § 619 a BGB n. F. eine davon abweichende Beweislastregelung für das Arbeitsverhältnis. Hier soll im Gegensatz zu § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB das Vertretenmüssen nicht vermutet werden, sondern ist vom Arbeitgeber zu beweisen. Überwiegendes spricht deshalb dafür, dass damit auch für Fälle der vorliegenden Art eine Rechtsänderung eingetreten ist.

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Vorliegend kann die Kammer nicht erkennen, dass dem Kläger eine grobe Fahrlässigkeit an seiner Dienstpflichtverletzung trifft. Dafür ist zum einen maßgeblich, dass der Pfiff in einem großen Raum stattfand und die Soldaten nicht unmittelbar beieinander standen, sondern an einem 6-er-Tisch herumsaßen, wobei der geschädigte Kamerad wie der Kläger an den Stirnseiten des Tisches Platz genommen hatten, so dass sie in der Gruppe den größten räumlichen Abstand voneinander hatten. Vor allem aber ist nach den unwidersprochen gebliebenen Einlassungen des Klägers, wie er sie nicht erst im Termin zur mündlichen Verhandlung, sondern bereits in seinem Anhörungsschreiben vom 05.11.2004 vorgebracht hat, zwei Wochen vor dem schadensauslösenden Vorfall dieselbe Situation aufgetreten. Auch hier war Hauptmann C. eingeschlafen und durch einen Pfiff des Klägers geweckt worden. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Geschädigte den Kläger schon damals auf seinen bestehenden Tinnitus aufmerksam gemacht hat. Auch der Geschädigte selbst hat bei seiner Anhörung am 17.09.2004 nicht erwähnt, den Kläger anlässlich des vorangegangenen Vorfalls zur Rede gestellt zu haben. Nach alldem kann die Kammer nicht feststellen, dass dem Kläger hätte unmittelbar einleuchten müssen, dass er durch sein Pfeifen seine Pflicht, gesundheitliche Schäden bei Kameraden zu vermeiden, verletzt.

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Dem Klageantrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zu entsprechen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 52 Abs. 1 und 3 GKG.