Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 18.01.2007, Az.: 4 B 7750/06
Baugenehmigung für die Errichtung eines Verbrauchermarktes; Abstimmung benachbarter unterschiedlich genutzter Baugebiete; Zulässigkeit des Bauvorhabens gemäß dem Bebauungsplan; Errichtung einer Kfz-Werkstatt; Berücksichtigung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebotes; Regelung des Anfahrtverkehrs und des Abfahrtverkehrs
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 18.01.2007
- Aktenzeichen
- 4 B 7750/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 10885
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2007:0118.4B7750.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO
- § 15 BauNVO
- § 15 Abs. 1 BauNVO
- § 34 BauGB
- Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm
Verfahrensgegenstand
Anfechtung einer Baugenehmigung für ein Einzelhandelsverfahren -
Nachbarwiderspruch-
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 4. Kammer -
am 18. Januar 2007
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Verbrauchermarktes.
Der Antragsteller ist Inhaber einer Baugenehmigung für eine Bebauung der Grundstücke F. mit einer Gesamtgröße von 6.467 qm. Die Grundstücke sind durch eine Baulast vereinigt und stellen ein Baugrundstück gemäß § 4 NBauO dar. Das Grundstück wird zur Zeit baulich nicht genutzt. Zuvor befand sich auf dem Grundstück ein Autohaus.
Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 108 A der Stadt G. . Der Bebauungsplan ist zunächst als Bebauungsplan Nr. 8 A " H. " am 27.02.1974 rechtsverbindlich geworden. Dieser Bebauungsplan setzt den nördlichen und südlichen Teil des Grundstücks jeweils als Mischgebiet und den mittleren Teil des Grundstücks als Gewerbegebiet fest. In der Begründung dazu heißt es u.a.:
"I. Allgemeines
3.
Die bisher geplanten und vorhandenen Nutzungen mussten in einigen Bereichen zwecks besserer Abstimmung neu geregelt werden.II. Einzelbegründung
Abstimmung benachbarter unterschiedlich genutzter Baugebiete bzw. Baugrundstücke
Die Ausgangspunkte für die Bestimmung der Gebietsnutzungen sind die beiden Gewerbegrundstücke Kfz-Werkstatt I., J., und W., K., da diese, bezogen auf das Planungsgebiet, den relativ höchsten Störungsgrad aufweisen. Aufgrund von Feststellungen und des geltenden Rechts müssen beide Betriebe als "zum Gewerbegebiet gehörig" angesehen werden. Ihre unmittelbaren Nachbarschaften können demnach keine Wohngebiete sein, sondern sollen im Übergang zu solchen als Mischgebiete eingeordnet werden. ...
Wegen der Größe des Wirtschaftsgrundstücks I. konnten die einzelnen Grundstücksteile nach Maßgabe der BauNVO und entsprechend ihrer tatsächlichen Nutzung unterschiedlich festgesetzt werden. So ist der nördliche Teil (Abstellfläche - Parkplatz) und der südliche Teil (Büro- und Magazingebäude) als Mischgebiet und der mittlere Teil (Werkstatt) als Gewerbegebiet bestimmt worden.
Die Nutzungen der übrigen als Mischgebiet ausgewiesenen Grundstücke an der Göttinger Straße sind von Grundstück zu Grundstück unterschiedlich, so dass ihre Einordnung zu rechtfertigen ist.
Bereich der Neuplanung
3. Einkaufsbereich
Der Standort der Ladengruppe wurde von der L. an die Berliner Straße verlegt, um damit der zentralen Bedeutung gerechter zu werden."
Der Bebauungsplan wurde in dem hier maßgeblichen Bereich in der Zwischenzeit zweimal geändert, nämlich durch eine 1. Änderung, die am 05.05.1977 rechtsverbindlich wurde, und durch eine 5. Änderung, die am 26.05.1977 rechtsverbindlich wurde.
Mit der 1. Änderung wurde auf dem nördlichen Teil des streitbefangenen Grundstücks und (auf einem Teil) des Grundstücks des Beigeladenen die rückwärtige Baugrenze um 3 Meter nach hinten verschoben, um dem Autohaus M. den Bau einer Ausstellungshalle auf dem nördlichen Grundstücksteil zu ermöglichen, die die bis dahin festgesetzte rückwärtige Baugrenze überspringen würde. Zudem wurde eine geschlossene Bauweise festgesetzt.
Die 5. Änderung betrifft - für das vorliegende Verfahren nicht relevante - Änderungen im südlichen Teil des Grundstücks. Hier wurde die straßenseitige Baugrenze von 12 Meter auf 4 Meter verringert, um städtebauliche und baugestalterische Verbesserungen zu erreichen.
Der Antragsteller ist Eigentümer des in nördlicher Richtung an das Grundstück der Beigeladenen angrenzenden Grundstücks N. Das Grundstück ist seit 1953 mit einem Wohnhaus bebaut. Der Bebauungsplan setzt auch für dieses Grundstück Mischgebiet fest.
Unter dem 06.09.06 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Verbrauchermarktes (Lidl) mit einer Geschossfläche von ca. 1.700 qm und einer Netto-Verkaufsfläche von 1.338 qm. Nummer 6 der Nebenbestimmungen sieht vor, dass die Anlieferzeit auf 6.00 Uhr bis 20.00 Uhr zu beschränken ist. Anlieferungen außerhalb dieser Zeit sind nicht zulässig. Nach der Betriebsbeschreibung, die Bestandteil der Baugenehmigung ist, ist ein Betrieb auf die Zeit von 7.00 bis 20.00 Uhr beschränkt. Mit Bescheid vom 17.10.2006 wurde die Baugenehmigung nach Vorlage eines durch die Genehmigung vom 06.09.2006 verlangten Schallschutzgutachtens der O.vom 04.10.2006, das zum Bestandteil der Genehmigung gemacht wurde, ergänzt. Dieses Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung vorgesehener Lärmminderungsmaßnahmen die Immissionsrichtwerte eines Mischgebietes eingehalten werden. Zugleich schreibt die Genehmigung vom 17.10.2006 die Lärmminderungsmaßnahmen vor, u.a. an der zum Grundstück des Beigeladenen gelegenen Grenze eine Grundstückseinfriedung aus Mauerwerk mit einer Höhe von 1,95 Metern.
Die Baugenehmigung sieht vor, dass die Anlieferung an der südlichen Grundstücksgrenze erfolgt. Im westlichen und nördlichen Teil des Grundstücks sind Stellplätze vorgesehen. Der Abstand des Baukörpers vom Grundstück des Antragstellers beträgt ca. 33 Meter.
Gegen die ihm zugestellte Baugenehmigung und den Änderungsbescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragte er die Aussetzung der Vollziehung, was die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10.10.2006 ablehnte.
Am 20.10.2006 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Zur Begründung macht er geltend, das genehmigte Vorhaben verletze ihn in seinen Rechten.
Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Der zugrunde liegende Bebauungsplan sei funktionslos geworden. Ziel des Bebauungsplans sei es bereits bei seiner Aufstellung gewesen, die vorhandene gewerbliche Nutzung als Kfz-Werkstatt planerisch abzusichern. Eine Nutzung als Kfz-Werkstatt sei nicht mehr zu erwarten.
Selbst wenn der Bebauungsplan gültig sein sollte, widersprächen seine Festsetzungen der genehmigten Nutzung eines großflächigen Einzelhandels. Das Vorhaben überschreite die Geschossfläche von 1.500 qm deutlich. Damit werde gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO 1977 vermutet, dass es zu negativen Auswirkungen führe. Die Bestimmung in § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO 1977 könne nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als Auslegungshilfe für § 11 Abs. 3 BauNVO 1968 herangezogen werden.
Dass das Vorhaben planungsrechtlich unzulässig sei, weil es auf die übergemeindliche Versorgung abziele, ergebe sich auch aus der einfachen mathematischen Überlegung, dass ein Vorhaben mit 110 Stellplätzen bei einer Gesamteinwohnerzahl von ca. 14.500 Einwohnern nicht überwiegend auf die lokale Versorgung abzielen könne.
Das Vorhaben verstoße auch gegen § 15 Abs. 1 BauNVO, weil der zu erwartende an- und abfahrende Verkehr erheblich sei. Es sei daher auch nicht lediglich auf die Richtwerte der TA-Lärm abzustellen. Die Lärmbelastung der P.Straße habe nach ihrer Rückstufung zur Gemeindestraße als Folge der Herstellung der Ortsumgehung erheblich nachgelassen. Die Lärmbelastung werde sich deutlich erhöhen.
Das vorgelegte Lärmschutzgutachten sei schon deswegen fehlerhaft, weil es von falschen Annahmen ausgehe. Statt 1.339 qm sei eine Verkaufsfläche von rd. 1290 qm zugrunde gelegt worden. Auch sei das Gutachten von 108 statt von 110 Einstellplätzen ausgegangen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seine Widersprüche vom 27.09.2006 und vom 20.10.2006 gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 06.09.2006 und den ergänzenden Bescheid vom 17.10.2006 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie hält die Baugenehmigung für rechtmäßig. Der zugrunde liegende Bebauungsplan sei nicht funktionslos geworden. Die Nutzungen "Mischgebiet" und "Gewerbegebiet" könnten nach wie vor realisiert werden. Der Verbrauchermarkt sei mit einer Verkaufsfläche von rd. 1.300 qm als großflächiger Einzelhandel einzustufen. Nach den Maßgaben der BauNVO 1968 sei nicht davon auszugehen, dass er vorwiegend der übergemeindlichen Versorgung diene. Der geplante Markt biete nichts, was die umliegenden Gemeinden nicht auch hätten, und sei daher im Gewerbegebiet und - soweit keine störenden Emissionen erfolgten - im Mischgebiet zulässig.
Solche Immissionen seien nach dem Gutachten nicht zu erwarten. Ein Nachtbetrieb sei nicht Gegenstand der Genehmigung. Der tagsüber auf dem Grundstück des Antragstellers einzuhaltende Immissionsrichtwert von 60 dB(A) werde nach dem Gutachten um 3 dB(A) unterschritten. Die Fahrbewegungen auf der P.Straße seien nicht dem Bauvorhaben zuzuordnen. Die Göttinger Straße bleibe auch nach ihrer Rückstufung eine wichtige Erschließungsstraße.
Der Beigeladene beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Bebauungsplan sei nicht funktionslos geworden. Wäre der Bebauungsplan funktionslos geworden, sei das Vorhaben auf der Grundlage von § 34 BauGB zu beurteilen. Nachbarschutz wäre dann nur für den Fall einer Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme zu gewähren. Von einer solchen Verletzung könne nicht die Rede sein, weil die Grenzabstände eingehalten würden und keine unzumutbaren Lärmimmissionen zu erwarten seien.
Auf der Grundlage eines gültigen Bebauungsplans i.V.m. der BauNVO 1968 sei das Vorhaben planungsrechtlich zulässig, weil es nicht der übergemeindlichen Versorgung diene. Abgesehen davon sei der Markt auch nicht großflächig im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO 1990, weil negative Auswirkungen nicht zu befürchten seien.
Im Hinblick auf das baurechtliche Rücksichtnahmegebot stelle sich die vorhandene Bebauungssituation so dar, dass das Grundstück des Antragstellers auf der Ostseite der Göttinger Straße die einzige Wohnbebauung in einer ansonsten gewerblich geprägten Umgebung darstelle.
Der Beigeladene legt zudem eine Ergänzung des schalltechnischen Gutachtens vor. Der Gutachter kommt darin zu dem Ergebnis, dass sich der Beurteilungspegel bei einer Berücksichtigung der höheren Nettoverkaufsfläche und der beiden weiteren PKW-Stellplätze im ungünstigsten Fall um 0,1 dB(A) erhöhen werde
Neben der Gerichtsakte waren die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin und die Bebauungspläne der Stadt G. Gegenstand der Beratung der Kammer. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Er ist gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 6 VwGO zulässig, weil die Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hat. Nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse des Nachbarn, von der Vollziehung der angegriffenen Baugenehmigung verschont zu bleiben, das Interesse des Bauherrn an ihrer Ausnutzung überwiegt. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist das Risiko des Nachbarn, die Folgen der Verwirklichung der angegriffenen Maßnahme trotz möglichen späteren Erfolges in der Hauptsache dulden zu müssen, mit dem Risiko des Bauherrn abzuwägen, die Verwirklichung des Vorhabens trotz möglicher späterer Klageabweisung aufschieben zu müssen. Bei der zwischen beiden Folgeabschätzungen vorzunehmenden Abwägung spielt die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsbehelfs in der Regel eine entscheidende Rolle. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung lässt sich hier absehen, dass der vom Antragsteller eingelegte Rechtsbehelf keinen Erfolg haben wird.
Die Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn kann nur dann zum Erfolg führen, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und der Nachbar dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Die Zulassung des Bauvorhabens durch die Bauaufsicht verletzt einen Nachbarn dann in seinen Rechten, wenn sie mit Vorschriften nicht vereinbar ist, die - zumindest auch - die Funktion haben, nachbarliche Rechte zu schützen. Das ist hier nicht der Fall; die erteilten Baugenehmigungen verletzen derartig nachbarschützende Vorschriften nicht.
Das genehmigte Vorhaben ist nach der Art der baulichen Nutzung planungsrechtlich zulässig. Es hält die Festsetzungen des zugrundeliegenden Bebauungsplans ein (2.); dieser ist auch nicht funktionslos geworden (1.).
(1.)
Das Vorhaben beurteilt sich bauplanungsrechtlich nach § 30 Abs. 1 BauGB. Es soll im Geltungsbereich des Bebauungsplans Q.der Stadt G. verwirklicht werden. Dieser ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht funktionslos geworden.
Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (BVerwG, Urt. vom 30.06.2004, - 4 C 3.03 -; Urt. vom 28.04.2004, - 4 C 10.03 -; Beschluss vom 29.05.2001, - 4 B 33.01; vgl. auch OVG Lüneburg, Urt. vom 05.12.2006, - 1 KN 278/03 -). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Dabei wird die Plankonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.6.1997 - 4 NB 6.97 -, BRS 59 Nr. 54).
Nach diesen Grundsätzen ist der Bebauungsplan nicht funktionslos geworden. Auf die Frage, ob auf dem streitbefangenen Grundstück in absehbarer Zeit eine Kfz-Werkstatt verwirklicht werden kann, kommt es nicht an, weil der Bebauungsplan eine entsprechende planerische Festsetzung nicht enthält. Der Bebauungsplan enthält für dieses Grundstück und das Grundstück des Antragstellers die zeichnerische Festsetzung GE bzw. MI. Textliche Festsetzungen - und damit Einschränkungen hinsichtlich der Art der Nutzung - enthält der Bebauungsplan insofern nicht. Damit lässt der Bebauungsplan alle Nutzungen zu, die nach den Bestimmungen der entsprechenden BauNVO in diesen Gebieten zulässig sind. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass nach der Begründung des Bebauungsplans die Festsetzungen erfolgt sind, um die tatsächliche Nutzung als Kfz-Werkstatt planerisch abzusichern und einen Ausgleich mit der weiteren Bebauung herbeizuführen. Wenn der Plangeber nur eine bestimmte Art der gewerblichen Nutzung zulassen wollte, hätte er dies in den (textlichen) Festsetzungen zum Ausdruck bringen müssen. Wie weit dies rechtlich zulässig gewesen wäre, mag dahinstehen. Solche Einschränkungen enthält der Bebauungsplan aber nicht mit der Folge, dass nicht lediglich eine Nutzung als Kfz-Werkstatt planungsrechtlich zulässig ist, sondern alle weiteren in einem Gewerbegebiet oder einem Mischgebiet zulässigen Nutzungen. Die Festsetzungen des Bebauungsplans schließen auch Einzelhandelsbetriebe nicht aus. Abgesehen davon, dass es auch insofern an textlichen Festsetzungen fehlt, ergibt sich dies auch nicht aus der Begründung. Der vom Antragsteller zitierte Ausschnitt betrifft die Verlegung einer Ladengruppe von der L. an die R., schließt damit aber nicht Einzelhandel auf dem an der S.gelegenen Grundstück des Beigeladenen aus. Dass in einem Gewerbe- bzw. Mischgebiet zulässige Nutzungen auf diesem Grundstück nach wie vor verwirklicht werden können, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erläuterung.
(2.)
Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich daher nach § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 108 A der Stadt G., der für das Baugrundstück Misch- bzw. Gewerbegebiet festsetzt. Da der Bebauungsplan Nr. 108 A im Jahre 1974 aufgestellt wurde (die weiteren das Grundstück betreffenden Änderungen beziehen sich zum Einen nicht auf die Art der baulichen Nutzung und sind zum Anderen ebenfalls vor Inkrafttreten der BauNVO 1997 rechtsverbindlich geworden), bestimmen sich die in einem Misch- bzw. einem Gewerbegebiet zulässigen Vorhaben nach der BauNVO 1968 und hier insbesondere nach § 6 Abs. 2 Nr. 3, § 8 Abs. 2 Nr. 1, § 11 Abs. 3 BauNVO 1968.
Der Bebauungsplan setzt für Teile des Baugrundstücks als Art der baulichen Nutzung Mischgebiet fest, für einen anderen Teil Gewerbegebiet. Nach der Rspr. des OVG Lüneburg (Beschluss vom 19.07.04, - 1 ME 116/04 -, NVwZ-RR 2005, 231 [OVG Niedersachsen 19.07.2004 - 1 ME 116/04] f), der die Kammer folgt, kann ein Bauvorhaben jedoch nur einheitlich bewertet werden. Daher ist der geplante Markt nur zulässig, wenn er insgesamt den strengeren Anforderungen entspricht. Ein Vergleich der Vorschriften ergibt, dass die planungsrechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit eines Verbrauchermarktes sowohl in einem Mischgebiet als auch in einem Gewerbegebiet vergleichbar sind. Es lässt sich nicht feststellen, dass in einem Mischgebiet strengere Anforderungen gelten würden als in einem Gewerbegebiet und umgekehrt. Ausgangspunkt der planungsrechtlichen Beurteilung ist § 11 Abs. 3 BauNVO 1968. Danach sind Verbrauchermärkte, die außerhalb von Kerngebieten errichtet werden sollen und die nach Lage, Umfang und Zweckbestimmung vorwiegend der übergemeindlichen Versorgung dienen sollen, als Sondergebiete darzustellen und festzusetzen. Verbrauchermärkte, die nicht vorwiegend der übergemeindlichen Versorgung dienen, sind als "Einzelhandelsbetriebe" sowohl in einem Mischgebiet zulässig (§ 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO 1968) als auch als "Gewerbetriebe aller Art mit Ausnahme von Einkaufszentren und Verbrauchermärkten im Sinne des § 11 Abs. 3" in einem Gewerbegebiet (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1968).
Nach der Art der baulichen Nutzung planungsrechtlich zulässig ist der streitbefangene Verbrauchermarkt also dann, wenn er nicht vorwiegend der übergemeindlichen Versorgung dient. Das ist nach Auffassung der Kammer bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung zu bejahen.
Im Hinblick auf die Geschossfläche von ca. 1.700 qm und eine Nettoverkaufsfläche von 1.338 qm handelt es sich - das wird von Antragsgegnerseite auch nicht in Abrede gestellt - um sog. großflächigen Einzelhandel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urt. vom 24.11.2005, - 4 C 10/04 -). Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist bei der Bestimmung der planungsrechtlichen Zulässigkeit aber nicht auf die Vermutungsregel in § 11 Abs. 3 BauNVO 1977 oder BauNVO 1990 zurückzugreifen. Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. vom 24.02.2000, - 4 C 23/98 -) hat zwar entschieden, dass eine spätere Regelung in einer Baunutzungsverordnung als "Auslegungshilfe" eine Interpretation älterer Fassungen einer Verordnung bestätigen kann. Darum geht es hier aber nicht. § 11 Abs. 3 BauNVO hat im Laufe der Zeit materielle Änderungen erfahren. Während § 11 Abs. 3 BauNVO 1968 lediglich auf das Kriterium der übergemeindlichen Versorgung abstellt, kommt es nach den Fassungen der BauNVO 1977 und 1990 auch auf andere Auswirkungen an. Die Anforderungen an die Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe in Misch- oder Gewerbegebieten sind daher strenger geworden. Da es aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplan geltende Fassung der BauNVO ankommt (vgl. etwa BVerwG, Urt. vom 18.06.2003, - 4 C 5/02 -).verbietet sich damit ein Rückgriff auf die Vermutungsregel in § 11 Abs. 3 BauNVO 1977 oder 1990.
Zum rechtlichen Maßstab, wann eine vorwiegend übergemeindliche Versorgung anzunehmen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt (Beschluss vom 01.09.1989, - 4 B 99/89 -):
"Das Berufungsgericht hat angenommen, dass eine "vorwiegend übergemeindliche Versorgung" anzunehmen ist, wenn mehr als 50% des zu erwartenden Umsatzes von außerhalb der Gemeinde kommt. Um dies festzustellen, hat es nicht auf die Absichten des Betreibers, sondern auf objektive Merkmale (geographische Lage und Verkehrsverbindungen, Einwohnerzahlen, Kaufkraft und Umsatzerwartungen) abgestellt. Dies ist auch nach Meinung des Senats richtig, ohne dass es dazu einer besonderen Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. "Vorwiegend" bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch und nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung mehr als die Hälfte, hier bezogen auf die Versorgung, also auf den Warenabsatz an Personen außerhalb des Gemeindegebietes (Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung 3. Aufl. 1971 § 11 RdNr. 132). Als entscheidende Kriterien nennt § 11 Abs. 3 BauNVO 1968 die Lage, den Umfang und die Zweckbestimmung des Vorhabens. Daraus ist zu entnehmen, dass die Ausstrahlung des Versorgungsunternehmens allein nach objektiven Kriterien zu prognostizieren ist. Es kommt daher im wesentlichen auf eine sachkundige Analyse der Marktverhältnisse und nicht etwa auf die subjektiven Vorstellungen oder unternehmerischen Zielsetzungen des Betreibers an."
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe folgt das Gericht bei im Eilverfahren allein summarischen Prüfung der Einschätzung der Antragsgegnerin, dass der genehmigte Verbrauchermarkt nicht vorwiegend der übergemeindlichen Versorgung dient, ohne dass er der Vorlage oder Einholung eines Marktgutachtens bedürfte.
Maßgeblich für diese Einschätzung ist, dass es sich um einen Discounter handelt, wie es ihn in dieser oder ähnlicher Form in den Nachbargemeinden von G. gibt. Für den Verbraucher ergibt sich damit keine Notwendigkeit, für Einkäufe bei Lidl weite Wege in Kauf zu nehmen. Allein Märkte der Firma Lidl gibt es nach dem Ergebnis einer Recherche im Internet in T.(Stadt U.; Entfernung ca. 6 km), in V.(Entfernung ca. 7 km), in W.(Entfernung ca. 12 km), in X.(Entfernung ca. 11 km) und in Y.in den Stadtteilen Z.(Entfernung ca. 7 km), AA.(Entfernung ca. 9 km) und AB.(Entfernung ca. 9 km). Es besteht also ein dichtes Netz von Lidl-Märkten in der Umgebung von G. . Die Einwohner der Gemeinden außerhalb von G. haben damit allesamt die Möglichkeit, einen Lidl-Markt aufzusuchen, der in ihrer Gemeinde liegt oder jedenfalls näher liegt als der Lidl-Markt in G. . Hinzu kommt, dass es in den umliegenden Gemeinden zahlreiche weitere Discounter etwa der Firma Aldi mit einem ähnlichen Warenangebot gibt, die sie aufsuchen können. Märkte der Firma Aldi gibt es etwa in G., AC.(AD.), U., X., AD., W., AE., AF., Z., V.und AG.(AH.und AI.). Es ist deshalb schon nicht realistisch anzunehmen, das Vorhaben des Beigeladenen werde überhaupt einen nennenswerten Umsatz durch Personen außerhalb des Gemeindegebietes haben, geschweige denn mehr als 50%.
Vor diesem Hintergrund führt auch die Größe des Marktes mit einer Verkaufsfläche von 1.338 qm nicht zu einer anderen Einschätzung. Bei vernünftiger Betrachtung wird allein die mit einer größeren Verkaufsfläche verbundene etwa bessere Ausstattung eines Marktes nicht Käufer in nennenswerter Zahl veranlassen, diesen Markt anstatt eines näher gelegenen, möglicherweise kleineren Marktes aufzusuchen.
Auch die Zahl der Stellplätze gibt keinen Anlass, dies in Frage zu stellen. Nach der Berechnung der Antragsgegnerin hätten für das Vorhaben - bezogen auf die Verkaufsfläche - 45 Stellplätze nachgewiesen werde müssen. Die zusätzlichen vom Beigeladenen vorgesehenen Stellplätzen mögen zu einem höheren Kundenkomfort führen. Auch dies wird aber bei realistischer Einschätzung nicht auswärtige Kunden in nennenswerte Zahl dazu bringen, statt des in ihrer Nähe gelegenen Lidl-Marktes oder sonstigen Discounters nach G. zu fahren.
Hinzu kommt: Nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es auf objektive Kriterien an, nicht auf die subjektiven Vorstellungen oder unternehmerischen Zielsetzungen des Betreibers. Bei dieser objektiven Betrachtung ist nicht zu erwarten, dass mehr als 50% des Umsatzes von außerhalb der Gemeinde kommt. Dabei sind zum Gemeindegebiet auch die Ortsteile zu zählen. Das sind neben G. AJ., AK., AL., AM., AN., AO.und AP.. Das genehmigte Vorhaben dient daher vorwiegend der gemeindlichen Versorgung.
Eine Verletzung des aus § 15 BauNVO 1968 folgenden, nachbarschützenden Gebots der Rücksichtnahme ist ebenfalls nicht ersichtlich. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1968 sind Anlagen insbesondere unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen, die für die Umgebung nach der Eigenart des Gebietes unzumutbar sind. Solche Störungen gehen von dem Bauvorhaben nicht aus.
Die von dem Verbrauchermarkt ausgehenden unmittelbaren Geräuschimmissionen durch den Betrieb und die Parkplätze führen nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen, weil auf dem Grundstück des Antragstellers die Werte der TA-Lärm nach dem im Genehmigungsverfahren vorgelegten Gutachten und der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Ergänzung eingehalten werden. Das Gericht sieht - zumal im Eilverfahren und nach der Ergänzung - keinen Anlass, an der Aussagekraft dieser Gutachten zu zweifeln. An dem am stärksten betroffenen Aufpunkt auf dem Grundstück des Antragstellers (Fenster im 1. o.g. des Wohngebäudes) wird der maßgebliche Immissionsrichtwert von 60 dB(A) um rund 3 dB(A) und damit sicher unterschritten.
Auch der mit dem Vorhaben verbundene Verkehrslärm auf der P.Straße führt nicht zu unzumutbaren Störungen. Richtig ist, dass der Verkehr schon deswegen zunehmen wird, weil das streitbefangene Grundstück anders als zur Zeit überhaupt baulich genutzt werden soll. Auf eine Beibehaltung des jetzigen Zustandes hat der Antragsteller aber keinen Anspruch. Er muss hinnehmen, dass das Grundstück entsprechend den Festsetzungen im Bebauungsplan als Misch- bzw. Gewerbegebiet genutzt wird. Eine solche Nutzung führt nahezu zwangsläufig zu einem stärkeren Verkehrsaufkommen, von dem das Grundstück des Antragstellers - soweit die Fahrzeuge aus Richtung Norden kommen oder in Richtung Norden abfahren - betroffen ist. Es ist aber vom Antragsteller weder dargetan noch erkennbar, dass dies allein oder in Verbindung mit dem weiteren Verkehr zu Lärmimmissionen führen würde, die unzumutbar wären.
Nach welchen Regeln der mit dem Vorhaben verbundene An- und Abfahrtsverkehr auf öffentlichen Verkehrsflächen zu berücksichtigen, ist in der Rechtsprechung des OVG Lüneburg ungeklärt (vgl. Beschluss vom 19.12.2006, - 1 ME 207/06 -). Die Kammer neigt dazu, eine Beurteilung nach Nr. 7.4 Abs. 2 der TA Lärm 1998 vorzunehmen. Danach sind die Geräusche des An- und Abfahrtsverkehr - neben weiteren Voraussetzungen, deren Vorliegen hier unterstellt werden soll - nur maßgeblich, wenn die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) überschritten werden. Dieser beträgt tagsüber für Mischgebiete 64 dB(A). Das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Wert überschritten wird, zumal der Antragsteller selbst geltend macht, die Verkehrsbelastung der P.Straße habe sich spürbar verringert und werde sich (ohne den Verbrauchermarkt) weiter verringern.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der für das Hauptsacheverfahren anzusetzende Streitwert ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.