Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 21.04.1995, Az.: 4 U 11/94
Anspruch des Besitzers auf Schadensersatz wegen Gebäudeschäden infolge Bauarbeiten des Nachbarn; Mangelnder rechtswidriger deliktischer Eingriff bei Einwilligung des Grundstückseigentümers; Fehlendes Verschulden bei Ausführung duch sorgfältig ausgewählte Fachleute; Verschuldensabhängigkeit der Haftung aus nachbarrechtlichem Gemeinschaftsverhältnis; Gegenwärtige Gefahr bei nicht unmittelbarem Bevorstehen eines Schadens; Unerheblichkeit der Einwilligung des Grundstückseigentumers für Anspruch auf Ausgleich der Duldungspflicht des Besitzers; Erlass eines Grundurteils bei hinreichender Sicherheit eines Mindestschadens; Mangelnde Beschwer des Klägers durch Grundurteil bei Zurückverweisung allein wegen der Anspruchshöhe
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 21.04.1995
- Aktenzeichen
- 4 U 11/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 17644
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1995:0421.4U11.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG ... - 03.11.1994 - AZ: 4 O 280/94
Rechtsgrundlagen
- § 278 BGB
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 904 BGB
- § 8 Abs. 1 NdsNachbarrechtsG
- § 14 Abs. 1 NdsNachbarrechtsG
- § 16 Abs. 1 NdsNachbarrechtsG
- § 20 Abs. 1 NdsNachbarrechtsG
- § 20 Abs. 2 NdsNachbarrechtsG
- § 22 NdsNachbarrechtsG
- § 138 Abs. 3 ZPO
- § 304 Abs. 1 ZPO
- § 304 Abs. 2 ZPO
- § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO
- § 546 Abs. 2 ZPO
Prozessführer
Firma ...
vertreten durch den geschäftsführenden Gesellschafter,
Prozessgegner
Herr ...
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Der Schuldner haftet unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nach § 278 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) nicht ohne jegliches eigenes Verschulden.
- 2.
Eine Gefahr ist auch bei nicht unmittelbarem Bevorstehen eines Schadens dann als gegenwärtig im Sinne von § 904 S. 1 BGB anzusehen, wenn sie sich ständig vergrößert, es als ausgeschlossen erscheint, dass sie wieder verschwindet oder anders als durch die Notstandshandlung abgewendet werden kann, und wenn es bei Beginn ihrer Verwirklichung voraussichtlich zu spät wäre, ihr entgegenzutreten.
- 3.
Die Einwilligung des Grundstückseigentümers in schadensverursachende Bauarbeiten des Nachbarn lässt eines Schadensersatzanspruch des Mieters nach § 904 S. 2 BGB nicht entfallen; Gleiches gilt für eines Schadensersatzanspruch aus § 14 des Niedersächsischen Nachbarrechtsgesetzes.
- 4.
Ein Kläger, zu dessen Gunsten in zweiter Instanz ein Grundurteil unter Zurückverweisung wegen der Betragshöhe ergangen ist, ist durch die Zurückverweisung als nicht beschwert anzusehen.
In dem Rechtsstreit
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 1995
durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts ... vom 3. November 1994 abgeändert.
Der Klageanspruch ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Zur Verhandlung und Entscheidung der Höhe des Anspruchs wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
Der Beklagte ist in Höhe von 118.323,85 DM beschwert.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Ersatz bzw. Ausgleich von Vermögenseinbußen, die ihr durch Bauarbeiten des Beklagten entstanden sind.
Die Klägerin betreibt in vom Grundstückseigentümer ... gemieteten Räumen des Hauses ... in ... ein Herrenausstattergeschäft. Der Beklagte ist Eigentümer des Nachbargrundstücks ... ließ auf dem Grundstück ein neues Gebäude errichten. Die Gründungsarbeiten mit dem zunächst vorgesehenen ... führten Ende Mai/Anfang Juni 1992 an dem anderen Nachbarhaus ... zur Rißbildung. Der vom Beklagten mit Planung und Bauausführung beauftragte Dipl.-Ing. ... zog daraufhin den Sachverständigen ... dem beide Parteien den Streit verkündet haben, hinzu. Auf dessen Rat sollten die Giebelwände der Nachbarhäuser ... unterfangen werden. Als zu diesem Zweck um den 20.06.1992 herum begonnen wurde, die Giebelwand des Hauses ... mit Pressen hochzudrücken, bildeten sich Risse an dieser Giebelwand, die als Überbau auf dem Grundstück ... steht. Daraufhin wurden die Arbeiten abgebrochen. Der Grundstückseigentümer ... ließ Ende 1992 eine Teilsanierung der eingetretenen Schäden durchfuhren.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Ausgleich für Schäden in Anspruch, die sie auf die vom Beklagten veranlaßten Bauarbeiten, die dadurch verursachten Gebäudeschäden und die deswegen notwendig gewordenen Sanierungsarbeiten zurückfuhrt. In einem beim Landgericht ... anhängigen Verfahren (4 a O 32/94) macht sie Mietminderungsansprüche gegen den Vermieter ... geltend.
Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Klägerin, insbesondere zu den eingetretenen Schäden und zur Schadensberechnung, wird auf die Klageschrift vom 30.05.1994 sowie die Schriftsätze der Klägerin vom 07.07. und vom 29.09.1994 Bezug genommen.
Die Klägerin hat (nach Teilrücknahme der Klage in Höhe von 1.744,71 DM) beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 118.323,85 DM nebst 12 % Zinsen seit dem 15.01.1994 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich seines Vorbringens wird auf die Klagerwiderung vom 11.07.1994 sowie die Schriftsätze des Beklagten vom 20.07. und 31.08.1994 Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da weder ein Schadensersatz - noch ein Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten bestehe. Ein Anspruch aus unerlaubter Handlung scheide aus, da der Beklagte die Schadensentstehung nicht verschuldet habe; er habe sorgfältig ausgewählte Fachleute hinzugezogen, so daß auch eine Haftung nach § 831 BGB ausscheide. Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bzw. in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift entfielen deswegen, weil die Schäden nicht durch Einwirkungen vom Grundstück des Beklagten aus entstanden seien, sondern direkt durch Arbeiten an dem Haus ... Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Landgerichtsurteils vom 03.11.1994 Bezug genommen.
Gegen das ihren Prozeßbevollmächtigten am 10.11.1994 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch am Montag, dem 12.12.1994, eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 31.12.1994 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Die Klägerin stützt ihren Zahlungsantrag allein auf den verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gem. § 906 Abs. 2 Nr. 2 BGB und meint, daß das Landgericht dessen Anwendbarkeit zu Unrecht verneint habe. Auch die Preßarbeiten seien vom Grundstück des Beklagten ausgegangen; es sei eine unzulässige formale Betrachtungsweise, auf Arbeiten, die unmittelbar zu einer Schädigung des Nachbargrundstücks geführt hätten, den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nicht anzuwenden. Die Klägerin sei aus tatsächlichen Gründen gehindert gewesen, die Beeinträchtigungen abzuwehren, da sie über den drohenden Schadenseintritt nicht unterrichtet gewesen sei. Zur Höhe ihrer Ersatzansprüche nimmt die Klägern auf den gesamten Vortrag erster Instanz Bezug.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts ... vom 03.11.1994 den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 118.323,85 DM nebst 12 % Zinsen seit dem 15.01.1994 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte behauptet, der Eigentümer des Grundstücks ... sei über die Notwendigkeit der Unterfangung der Giebelwand unterrichtet worden und habe hierin eingewilligt, und zwar einige Tage vor Beginn der Arbeiten. Im übrigen verteidigt der Beklagte das angefochtene Urteil.
In der Berufungsverhandlung hat der mit Zustimmung beider Parteien befragte Streitverkündete ... unter anderem erklärt, er habe für die Giebelwand des Hauses ... akute Einsturzgefahr diagnostiziert; auch an der Kellerwand des Hauses ... sei beginnende Rißbildung zu erkennen gewesen. Daher sei er zu der Auffassung gelangt, daß die Giebelwände beider Nachbarhäuser unterfangen werden müßten.
Die Klägerin hat in einem Schriftsatz, der ihr zur Erklärung auf neues tatsächliches Vorbringen des Beklagten in der Berufungsverhandlung nachgelassen worden war, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Ziff. 1 und Ziff. 2 des NdsNachbarrechtsG bestritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf Berufungsbegründung und Berufungserwiderung sowie das Protokoll der Berufungsverhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist insoweit begründet, als der Klageanspruch dem Grunde nach besteht, während der Rechtsstreit der Höhe nach noch nicht entscheidungsreif ist, so daß der Senat die Sache unter Erlaß eines Grundurteils an das Landgericht zurückverweist (§ 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).
1.
Der Senat ist dadurch, daß die Klägerin in der Berufungsinstanz ihre Ansprüche nur mehr auf entsprechende Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gestützt hat, nicht gehindert, der Klägerin einen gegenüber dem Ausgleichsanspruch weitergehenden Schadensersatzanspruch dem Grunde nach zuzusprechen. Zum einen wäre, wollte man eine derartige Beschränkung für möglich halten, diese nicht widerspruchsfrei erklärt, weil der erstinstanzliche Antrag und die erstinstanzliche Begründung zur Anspruchshöhe, die beide auf Ersatz sämtlicher der Klägerin entstandener Schäden gehen, ausdrücklich in der Berufungsbegründung aufrecht erhalten worden sind. Zum anderen läßt sich den Erklärungen der Klägerin in der Berufungsverhandlung sowie im nachgelassenen Schriftsatz entnehmen, daß sie ihre Ansprüche nunmehr auch auf die in der Berufungsverhandlung erörterten Schadensersatzvorschriften der §§ 904 Satz 2 BGB, 14 Abs. 1 NdsNachbarrechtsG stützen will.
2.
Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt, daß schon die Preßarbeiten am Gebäude ... selbst einen rechtswidrigen Eingriff in den berechtigten Besitz der Klägerin am Gebäude darstellen könnten und der Beklagte für die daraus entstehenden Schadensfolgen, soweit sie adäquat sind, auch ohne - weiteres - Verschulden einzustehen hätte (vgl. BGH VersR 1970, 376, 377). Denn da der Eigentümer des Grundstücks ... in die Durchführung der Unterfangungsarbeiten, zu denen die Preßarbeiten gehörten, eingewilligt hat, war die Durchführung dieser Arbeiten als solche dem Grundstückseigentümer und damit auch der Klägerin gegenüber nicht rechtswidrig. Die vom Beklagten behauptete Einwilligung ist nach § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, da sich die Klägerin in dem ihr nachgelassenen Schriftsatz hierzu nicht erklärt hat.
Soweit erst in der Schadensverursachung ein rechtswidriger Eingriff in den Besitz der Klägerin oder in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegt, scheitern Schadensersatzansprüche nach §§ 823 ff. BGB am fehlenden Verschulden des Beklagten, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Auf diesen Teil der Entscheidungsgründe, den die Klägerin im Berufungsverfahren nicht angegriffen hat, wird Bezug genommen.
Für das Verschulden des Streitverkündeten oder weiterer vom Beklagten für die Bauarbeiten hinzugezogener Personen haftet der Beklagte auch nicht unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nach § 278 BGB ohne jegliches eigenes Verschulden. Eine derartige ausdehnende Anwendung des § 278 BGB ist abzulehnen (vgl. für ähnliche Fälle BGH NJW-RR 1988, 136, 138 [BGH 18.09.1987 - V ZR 219/85]; VersR 1987, 1096, 1097 [OLG Hamm 18.06.1986 - 3 U 269/85]; VersR 1960, 134, 136).
3.
Es besteht jedoch ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten möglicherweise aus § 904 Satz 2 BGB, jedenfalls aber aus § 14 Abs. 1 i.V.m. § 20 NdsNachbarrechtsG. Ob § 904 S. 2 BGB tatsächlich eingreift, kann offen bleiben, da die Rechtsfolge beider Vorschriften gleich ist, nämlich die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz des vollen der Klägerin durch die Preßarbeiten und die darauf beruhenden Gebäudeschäden entstandenen Schadens.
a.
Es liegt nahe, daß die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 904 Satz 2 BGB vorliegen. Wenn hinsichtlich des Hauses ... Einsturzgefahr bestand, war der Beklagte nach § 904 Satz 1 BGB berechtigt, zur Abwendung des daraus drohenden Schadens die Giebelwand des Hauses ... unterfangen zu lassen, was nach dem fachmännischen Rat des Streitverkündeten sinnvoll und geboten erschien und aus der damaligen Sicht größere Schäden am Nachbarhaus nicht befürchten ließ. Dafür, daß eine solche Einsturzgefahr langfristig bestand, spricht die (insoweit nicht protokollierte) Äußerung des Streitverkündeten in der Berufungsverhandlung, daß sich auch am Haus ... erste Anzeichen für Rißbildung zeigten. Die Parteien haben diese Erklärung unwidersprochen gelassen. Wäre demnach, worauf diese Erklärungen des Streitverkündeten schließen lassen, mit weiterer und ständig sich vergrößernder Rißbildung zu rechnen gewesen, so könnte sich hieraus eine gegenwärtige Gefahr i.S.d. § 904 Satz 1 BGB ergeben. Daß eine derartige Rißbildung möglicherweise erst langsam fortgeschritten wäre und deswegen noch nicht der unmittelbare und sofortige Einsturz zu befürchten war, steht der Einstufung als gegenwärtiger Gefahr nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 23.10.1953 (LM Nr. 3 zu § 904 BGB) auch bei nicht unmittelbarem Bevorstehen eines Schadens eine Gefahr dann als gegenwärtig angesehen, wenn sie sich ständig vergrößert, es als ausgeschlossen erscheint, daß sie wieder verschwindet oder anders als durch die Notstandshandlung abgewendet werden kann, und wenn es bei Beginn ihrer Verwirklichung voraussichtlich zu spät wäre, ihr entgegenzutreten. Dem ist zu folgen.
Lagen die Voraussetzungen des § 904 Satz 1 BGB vor, steht der Schadensersatzanspruch aus § 904 Satz 2 BGB nicht allein dem Eigentümer der Sache, in die zur Abwendung der Gefahr eingegriffen worden ist, zu, sondern auch deren berechtigtem Besitzer (RGZ 156, 187, 190), also auch der Klägerin als Mieterin des Gebäudes. Der Schadensersatzanspruch entfällt auch nicht durch die Einwilligung des Grundstückseigentümers in die Unterfangungsarbeiten (BGH LM Nr. 2 zu § 904 BGB). Daß mit der Einwilligung zugleich ein ausdrücklicher oder stillschweigender Verzicht auf Ersatzansprüche erklärt worden wäre, läßt sich dem Beklagtenvorbringen nicht entnehmen, so daß es nicht auf die Frage ankommt, ob derartige Erklärungen des Grundstückseigentümers die Rechte der Klägerin hätten berühren können.
b.
Der nach dem bislang vorgebrachten Sachverhalt nicht abschließend zu beurteilenden Frage, ob die tatsächlichen Voraussetzungen des § 904 Satz 1 BGB, insbesondere die Notwendigkeit der Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr, vorlagen, braucht im Berufungsverfahren nicht mehr nachgegangen zu werden, weil der Klägerin jedenfalls ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus §§ 14 Abs. 1, 20 NdsNachbarrechtsG zusteht. Bei der Giebelwand des Hauses ... handelt es sich um eine Grenzwand nach § 16 Abs. 1 NdsNachbarrechtsG. Eine Nachbarwand (§ 3 NdsNachbarrechtsG) scheidet aus, weil die Giebelwand des Hauses ... nicht auch einem auf dem Grundstück ... errichteten Gebäude als Abschlußwand oder zur Unterstützung oder Aussteifung dienen sollte. Der Umstand, daß die Giebelwand des Hauses ... unstreitig auf dem Grundstück ... steht, steht der Einstufung als Grenzwand nicht entgegen (§ 22 Satz 1 NdsNachbarrechtsG). Da das neu errichtete Gebäude auf dem Grundstück ... nicht an die Giebelwand des Hauses ... angebaut werden, sondern eine eigene Abschlußwand erhalten sollte, kommt § 22 Satz 2 NdsNachbarrechtsG nicht zum Tragen.
Der Beklagte war nach § 20 Abs. 1 NdsNachbarrechtsG berechtigt, die Grenzwand zu unterfangen. Nach seinem unbestritten gebliebenen erstinstanzlichen Vorbringen hat der als Sonderfachmann hinzugezogene Streitverkündete entschieden, daß die beiden angrenzenden Giebelwände ...) unterfangen werden müßten, und die Entstehung von Schäden hierdurch für absolut ausgeschlossen gehalten. Entsprechend hat sich der Streitverkündete auch in der Berufungsverhandlung geäußert, ohne daß die Parteien dem widersprochen haben. Demgemäß hat der Senat davon auszugehen, daß die Unterfangung zur Ausführung des Bauvorhabens des Beklagten unumgänglich war und daß aus der damaligen Sicht eine erhebliche Schädigung des Gebäudes ... nicht zu besorgen war. Daß die Klägerin im Schriftsatz vom 08.03.1995 die Voraussetzungen des § 20 NdsNachbarrechtsG bestreiten will (was ihr rechtlich nur zum Nachteil gereichen könnte), ist unbeachtlich, da ihr der Schriftsatz nur zur Erklärung auf die in der Berufungsverhandlung aufgestellten neuen Behauptungen des Beklagten zur Einwilligung des Grundstückseigentümers nachgelassen war.
Die Duldungspflicht des Grundstückseigentümers ... und damit auch der Klägerin hätte allerdings grundsätzlich nur bestanden, wenn das Vorhaben nach §§ 20 Abs. 2, 8 Abs. 1 NdsNachbarrechtsG zwei Monate vor Beginn der Bauarbeiten angezeigt worden wäre, was vorliegend nicht geschehen ist. Die Klägerin durfte jedoch schon vor Ablauf der Anzeigefrist mit den Unterfangungsarbeiten beginnen, da der Grundstückseigentümer ... hierin eingewilligt und damit auf die Fristeinhaltung verzichtet hatte (§ 8 Abs. 1 Satz 2 NdsNachbarrechtsG). Die Duldungspflicht aus § 20 NdsNachbarrechtsG traf damit auch die Klägerin, der zum Ausgleich hierfür als Nutzungsberechtigter der Schadensersatzanspruch gem. §§ 20 Abs. 2, 14 Abs. 1 NdsNachbarrechtsG zusteht.
Die Einwilligung des Grundstückseigentümers läßt, unabhängig von der Frage, ob davon die Rechte der Klägerin betroffen sein können, den Schadensersatzanspruch aus § 14 NdsNachbarrechtsG entsprechend den obigen Ausführungen zu § 904 BGB nicht entfallen. Da der Grundstückseigentümer die Unterfangung ohnehin dulden mußte (wenngleich außer im Notstandsfall erst nach Ablauf der zweimonatigen Frist), kann seine Einwilligung in die vorzeitige Ausführung der Unterfangungsarbeiten den gesetzlichen Schadensersatzanspruch nicht berühren; erst recht kann hierin kein Verzicht gesehen werden.
4.
Da der Rechtsstreit der Höhe nach noch nicht entscheidungsreif ist, hält es der Senat für angezeigt, die Sache nach § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO unter Erlaß eines Grundurteils an das Landgericht zurückzuverweisen, statt nach §§ 540 ZPO insgesamt in der Sache zu entscheiden.
Die Beklagte hat sämtliche Schadenspositionen zumindest der Höhe nach bestritten. Insofern wird es umfassender Aufklärung des Sachverhalts bedürfen.
Dies steht dem Erlaß des Grundurteils nach § 304 ZPO allerdings nicht entgegen, weil mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, daß der Klägerin ein Mindestschaden entstanden ist. Hinsichtlich der Positionen Personalkosten, Werbekosten und Ertragsverluste mag allerdings eine Vorteilsausgleichung in Betracht kommen, wenn die Klägerin Mietminderungsansprüche gegen ihren Vermieter ... durchsetzt. Von den Mietminderungsansprüchen sind die Schadensersatzansprüche der Klägerin jedoch nicht betroffen, soweit es um ihr entstandene Sachschäden geht (Positionen Teppichboden, Kosten von Montage/Demontage, Glühlampen, Regale). Zumindest hinsichtlich der geltend gemachten Kosten der Montage und Demontage von Einrichtungsteilen in Höhe von 4.057,00 DM wird der Klägerin ein Ersatzanspruch in noch festzustellender Höhe gegen den Beklagten zustehen. Aus dem Vorbringen der Klägerin im Zusammenhang mit dem vorgelegten Gutachten des Architekten ... und der Rechnung der Firma ... vom 25.01.1993 ergibt sich, daß zur Durchführung der Sanierungsarbeiten im Zusammenhang mit den durch die Unterfangungsarbeiten verursachten Gebäudeschäden die Ladeneinrichtung jedenfalls in Teilbereichen abgebaut und anschließend wieder angebracht werden mußte. Im Hinblick auf die vorgetragenen Decken-, Wand- und Fußbodenschäden laut Gutachten ... die der Beklagte nicht substantiiert bestritten hat, liegt es auf der Hand, daß Sanierungsarbeiten ohne vorheriges Ausräumen von Einrichtungsteilen nicht möglich waren. Hierzu reicht das Bestreiten des Beklagten in der Klageerwiderung (S. 9, Bl. 77) nicht aus. Dem Einwand des Beklagten, es sei ohnehin eine Renovierung bzw. völlige Umgestaltung der Räumlichkeiten der Klägerin erforderlich gewesen (Schriftsatz vom 31.08.1994 S. 1, Bl. 87), ist die Klägerin im Schriftsatz vom 29.09.1994 (S. 4, Bl. 92) ausreichend entgegengetreten; außerdem macht es zur Kostenhöhe einen Unterschied, ob lediglich an einer Stelle des Gebäudes ein Wanddurchbruch erfolgt oder ob infolge Rißbildung ausgedehnte und umfangreiche Arbeiten erforderlich werden.
5.
Über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens hat das Landgericht im Betragsverfahren zu entscheiden, da die Kostenverteilung von dem Ausmaß des endgültigen Erfolgs der Klage abhängt.
Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist entbehrlich, da das Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist.
Die Beschwer des Beklagten ist nach § 546 Abs. 2 ZPO entsprechend der Klagesumme festzusetzen. Hingegen fehlt es an einer Beschwer der Klägerin. Zwar ist grundsätzlich bei einer Zurückverweisung jede Partei beschwert, der eine ihr günstige Sachentscheidung versagt wird (BGHZ 18, 107, 108 [BGH 09.07.1955 - VI ZR 116/54]; BGHZ 31, 358, 361 [BGH 15.12.1959 - VI ZR 222/58]; BGH FamRZ 1983, 581). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedoch nicht für einen Kläger, zu dessen Gunsten in zweiter Instanz ein Grundurteil unter Zurückverweisung wegen der Betragshöhe ergangen ist. Es ist anerkannt, daß der Erlaß eines Grundurteils in erster Instanz den Kläger nur beschwert, soweit es Einschränkungen enthält, die sich zu seinem Nachteil auswirken könnten (BGH VersR 1962, 449). Dies kann bei einem im Berufungsverfahren ergangenen Grundurteil nicht anders sein; da die Klägerin eine ihr nachteilige Entscheidung über die Höhe ihres Anspruchs später in vollem Umfang überprüfen lassen kann, ist sie durch die Zurückverweisung als nicht beschwert anzusehen (so auch BGH MDR 1970, 671 zur Stufenklage; vgl. auch BGHZ 70, 365, 366 [BGH 14.02.1978 - GSZ - 1/77], wo die Beschwer des dortigen Beklagten ohne die Berücksichtigung der Zurückverweisung zur Entscheidung über die Höhe der Widerklageforderung bemessen wurde).
Streitwertbeschluss:
Der Beklagte ist in Höhe von 118.323,85 DM beschwert.