Amtsgericht Gifhorn
Urt. v. 12.06.2001, Az.: 2 C 1055/00 (VI)

Verpflichtung zur Auszahlung des einem Treuhänder im Verbraucher-Insolvenzverfahren vom Finanzamt auf das Treuhandkonto überwiesenen Steuerrückerstattungsbetrags; Nichtgewährung wegen Verstoßes gegen Formvorschriften; Begriff der Bezüge im steuerrechtlichen Sinn; Kenntnis der Finanzbehörde von der Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens und der Bestellung eines Treuhänders; Übermittlung der Abtretungserklärung des Schuldners durch den Treuhänder

Bibliographie

Gericht
AG Gifhorn
Datum
12.06.2001
Aktenzeichen
2 C 1055/00 (VI)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 29119
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGIFHO:2001:0612.2C1055.00VI.0A

Fundstellen

  • NZI 2001, 491-492
  • ZInsO 2001, 630-631 (Volltext mit amtl. LS)

Das Amtsgericht Gifhorn hat
auf die mündliche Verhandlung vom 15.05.2001
durch
den Richter am Amtsgericht Rieck
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Dem Kläger wird eingeräumt, die Zwangsvollstreckung wegen des Kostenerstattungsanspruchs des Beklagten gegen Sicherheitsleistung von 600,00 DM abzuwenden, wenn dieser nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, einen ihm in seiner Eigenschaft als Treuhänder im Verbraucher-Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers vom Finanzamt auf das Treuhandkonto überwiesenen Steuerrückerstattungsbetrag an den Kläger auszuzahlen.

2

Im Juni 1999 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet und der Beklagte zum Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren bestellt. Dieses Verfahren befindet sich inzwischen im Restschuldbefreiungsstadium. Eine Abtretungserklärung des Klägers gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt vor. Anfang März 2000 war die Restschuldbefreiung angekündigt und der Beklagte zum Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren bestimmt worden. Anfang April 2000 wurde das Verfahren aufgehoben.

3

Im April 2000 reichte der Kläger beim Finanzamt einen Antrag auf Einkommensteuerausgleich für das Jahr 1999 ein. Einen etwaigen Rückerstattungsanspruch hatte er im Mai 1999 an seine Schwester abgetreten. Das Finanzamt setzte durch Bescheid vom 28.06.2000 eine Rückerstattung von 2 385,32 DM fest und überwies diesen Betrag von sich aus auf das vom Beklagten eingerichtete Treuhandkonto. Im Februar 2001 überwies der Beklagte von diesem Konto einen Betrag von ca. 3 700,00 DM an einen Gläubiger des Klägers.

4

Durch eine im Oktober 2000 abgegebene Erklärung hat sich die Schwester des Klägers mit der Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger einverstanden erklärt.

5

Der Kläger vertritt die Auffassung, der Steuerrückerstattungsbetrag stehe dem Beklagten bereits wegen Verstoßes gegen die Formvorschrift des § 46 AO nicht zu. Außerdem werde der Anspruch auf Steuerrückerstattung nicht von der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO erfasst. Nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens sei eine Auszahlung des Erstattungsbetrages an den Beklagten nicht mehr zulässig gewesen. Zumindest stehe dem Beklagten bei Berücksichtigung von Freibeträgen - die allerdings nicht auf der Steuerkarte eingetragen waren - der Anspruch nicht in voller Höhe zu.

6

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 2 385,32 DM von dem bei der Kreissparkasse Peine geführten Sonderkonto Nr. 174540 auszuzahlen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er bestreitet wegen der Abtretung des Erstattungsanspruchs an die Schwester die Aktiv-Legitimation des Klägers. Er meint ferner, dass § 46 AO nicht anwendbar sei. Der Steuerrückerstattungsbetrag gehöre zum pfändbaren Einkommen des Klägers und werde deshalb von der Abtretungserklärung erfasst. Im Übrigen sei er wegen der Überweisung vom Treuhandkonto an einen Gläubiger des Klägers entreichert.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

11

1.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Auszahlung des Steuerrückerstattungsbetrages in Höhe von 2 385,32 DM aus § 816 Abs. 2 BGB.

12

Die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage liegen nicht vor. Der Beklagte ist nicht Nichtberechtigter im Sinne dieser Vorschrift.

13

a)

Der Anspruch auf Steuerrückerstattung wird von der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO erfasst. Aufgrund dieser Erklärung tritt der Schuldner seine pfändbaren Forderungen aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an einen Treuhänder ab. Zu den abgetretenen Bezügen gehört auch der Anspruch auf Steuerrückerstattung (Kübler/Prütting-Wenzel: Kommentar zur Insolvenzordnung, 9. Lieferung 2001, § 287 Rdnr. 9; a/A. Landgericht Koblenz ZlnsO 2000, S. 507, 508). Der Begriff der Bezüge ist nämlich weit zu verstehen. Es genügt, dass es sich um eine einmalige Zahlung W handelt, die in einem Zusammenhang mit einer Arbeitstätigkeit des Schuldners steht (Kübler/Prütting-Wenzel a.a.O.). Dies ist bei einem Steuerrückerstattungsanspruch der Fall. Es handelt sich hierbei gerade nicht um einen Vermögenszuwachs, der isoliert vom Einkommen des Klägers betrachtet werden kann. Die Zuordnung zu einer Steuerklasse hat ebenso unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe des pfändbaren Teils des Einkommens wie das Eintragen von Freibeträgen, was sogar vom Kläger selbst in Bezug auf die Höhe des abgetretenen Anspruchs angemerkt wird.

14

b)

Die Abtretung des Anspruchs auf Steuerrückerstattung an den Beklagten ist nicht wegen Verstoßes gegen die Formvorschriften des § 46 Abs. 2 und 3 AO unwirksam. § 46 Abs. 2 und 3 AO regeln, dass die Abtretung eines derartigen Anspruchs erst wirksam wird, wenn sie der Gläubiger unter Angabe des Abtretenden, des Abtretungsempfängers sowie der Art und Höhe des abgetretenen Anspruchs und des Abtretungsgrundes auf einem amtlich vorgeschriebenen, unterzeichneten Vordruck der Finanzbehörde nach Entstehen des Anspruchs anzeigt. Obwohl dies nicht beachtet worden ist, ist die Abtretung an den Beklagten wirksam. Eine Auslegung des § 46 AO nach seinem Sinn und Zweck im Zusammenhang mit § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO ergibt nämlich, dass die oben genannten Formvorschriften auf die Abtretung an den Treuhänder im Verbraucherinsolvenzverfahren keine Anwendung finden. Die Formvorschriften haben im Wesentlichen einen Schutzzweck, und zwar in zweierlei Richtung. Zum einen soll der Anspruchsberechtigte die Forderung nicht unüberlegt, zu unangemessenen Bedingungen oder an unseriöse Zessionare abtreten; zum anderen soll die Finanzbehörde vor Falschzahlungen geschützt werden, was sich aus § 46 Abs. 5 AO ergibt (Tipke/Kruse: Kommentar zur Abgabenordnung 1977 und FGO, 1999, § 46 Rdnr. 20 und 40). Unter Berücksichtigung dieses Schutzzweckes und einer bereits vorliegenden Abtretung gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO bedurfte es deshalb im vorliegenden Fall keiner Anzeige an die Finanzbehörde im Sinne des § 46 Abs. 2 und 3 AO. Der Kläger als Schuldner im Verbraucherinsolvenzverfahren hat die Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO bereitwillig abgegeben, um die von ihm begehrte Restschuldbefreiung erlangen zu können. Die Finanzbehörde hatte von der Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens und der Bestellung des Beklagten zum Treuhänder Kenntnis. Sie hat demzufolge auch ohne Aufforderung des Klägers oder des Beklagten den Rückerstattungsbetrag auf das vom Beklagten für den Kläger geführte Treuhandkonto überwiesen. Es wäre bloßer und durch nichts zu rechtfertigender Formalismus, wenn für diese Fallgestaltung eine Anzeige an die Finanzbehörde im Sinne des § 46 Abs. 2 und 3 AO als erforderlich angesehen würde. Insbesondere unter Berücksichtigung des Schutzzweckes dieser Vorschriften macht es keinen Unterschied, ob die Finanzbehörde bereits Kenntnis von der Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens und der Bestellung eines Treuhänders hat und deshalb an diesen eine Zahlung leistet, oder ob sie diese Zahlung erst erbringt, wenn der Treuhänder ihr die Abtretungserklärung des Schuldners gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsOübermittelt, was als ordnungsgemäße Anzeige im Sinne des § 46 Abs. 2 und 3 AO angesehen werden könnte (vgl. Tipke/Kruse, § 46 Rdnr. 31).

15

c)

Wegen dieser insolvenzrechtlichen Besonderheiten lassen sich die unter b) dargestellten Grundsätze nicht auf eine Abtretung des Steuerrückerstattungsanspruchs an eine Privatperson, hier an die Schwester des Klägers, übertragen. Die im Mai 1999 erfolgte Abtretung an die Schwester des Klägers ist deshalb wegen Verstoßes gegen § 46 Abs. 2 und 3 AO unwirksam, was wiederum zur Folge hat, dass die Aktiv-Legitimation des Klägers gegeben ist.

16

d)

Der Anspruch ist auch in voller Höhe wirksam an den Beklagten abgetreten worden. Maßgeblich ist allein, dass. der von der Finanzbehörde zuerkannte und überwiesene Rückerstattungsbetrag Gegenstand der Abtretung ist. Ob für den Fall, dass der Kläger auf der Steuerkarte Freibeträge hätte eintragen lassen, der Differenzbetrag zum tatsächlich erhaltenen monatlichen Einkommen nicht in voller Höhe pfändbar gewesen wäre oder nicht, ist deshalb ohne Belang.

17

2.Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

18

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

19

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 2. Alternative, 711 Satz 1; 123 ZPO.

Rieck, Richter am Amtsgericht