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  • ab 01.06.2020 (aktuelle Fassung)

Abschnitt 3 StPO§154bAV - Absehen von der Strafvollstreckung nach § 456a StPO

Bibliographie

Titel
Absehen von der Strafverfolgung und von der Strafvollstreckung bei Auslieferung und Ausweisung (§§ 154b, 456a StPO)
Redaktionelle Abkürzung
StPO§154bAV,NI
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
34100

3.1 Ein Absehen von der Vollstreckung gemäß § 456a StPO kommt in der Regel nicht in Betracht, wenn das öffentliche Interesse oder die Gefährlichkeit der Straftäterin oder des Straftäters die Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Maßregel der Besserung und Sicherung gebietet. Namentlich in Verfahren wegen

  • organisierter Kriminalität,

  • schwerer Betäubungsmittelkriminalität,

  • gewerbsmäßiger Straftaten und Bandendelikte oder

  • schwerer Sexualstraftaten

wird in der Regel nicht von der Strafvollstreckung abgesehen werden können, es sei denn, eine vollziehbare Ausweisungsverfügung kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr durchgesetzt werden.

3.2 Die Zeitpunkte der Entscheidungen nach § 456a StPO werden wie folgt festgelegt:

  1. a)

    Von der Strafvollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe oder einer Jugendstrafe kann vor Verbüßung der Hälfte abgesehen werden, wenn die bisherige Freiheitsentziehung in dem Verfahren bei anschließender Auslieferung oder Ausweisung zur Einwirkung auf die verurteilte Person ausreichend erscheint. Dies gilt namentlich,

    1. aa)

      wenn mit der bedingten Entlassung gemäß § 57 Abs. 2 StGB oder § 88 JGG nach der Hälfte der Strafzeit zu rechnen ist,

    2. bb)

      wenn die Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt war und der Widerruf der Aussetzung wegen der Verletzung von Auflagen und Weisungen oder wegen einer neuen Straftat erfolgte, die nicht zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe geführt hat,

    3. cc)

      wenn die verurteilte Person im Ausland zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die gesamtstrafenfähig wäre, sofern die Strafe durch ein deutsches Gericht verhängt worden wäre, und ein Härteausgleich bei der Bildung der zu vollstreckenden Strafe noch nicht erfolgt ist.

  2. b)

    Zum Zeitpunkt der Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe oder einer Jugendstrafe soll in der Regel von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden.

  3. c)

    Über die Hälfte der Strafzeit hinaus soll eine zeitige Freiheitsstrafe oder eine Jugendstrafe nur vollstreckt werden, wenn aus besonderen, in der Tat oder in der Person der oder des Verurteilten liegenden Gründen eine weitere Vollstreckung geboten ist; die Gründe sind aktenkundig zu machen.

  4. d)

    Bei lebenslanger Freiheitsstrafe kommt ein Absehen von weiterer Vollstreckung in der Regel nicht vor Verbüßung von 15 Jahren in Betracht. In Ausnahmefällen kann vor diesem Zeitpunkt gemäß § 456a StPO verfahren werden, namentlich wenn der Gesundheitszustand der verurteilten Person schwerwiegend beeinträchtigt ist oder nicht sicher ist, dass eine vollziehbare Ausweisungsverfügung auch zu einem späteren Zeitpunkt durchgesetzt werden kann. Eine Maßnahme nach § 456a StPO kommt nicht in Betracht, wenn die besondere Schwere der Schuld die weitere Vollstreckung gebietet. Das Absehen von der weiteren Vollstreckung bedarf der Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft.

  5. e)

    Bei freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ist stets zu prüfen, ob von der Vollziehung abgesehen werden kann, weil Besserungs- und Sicherungsinteressen dem Heimatstaat der verurteilten Person überlassen bleiben können. Ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten (§§ 66 bis 66b StGB), so kann von der weiteren Vollziehung nur in Ausnahmefällen abgesehen werden, namentlich wenn der Gesundheitszustand der verurteilten Person schwerwiegend beeinträchtigt ist oder nicht sicher ist, dass eine vollziehbare Ausweisungsverfügung auch zu einem späteren Zeitpunkt durchgesetzt werden kann, und ausreichende Vorsorge für eine Sicherung oder Behandlung der verurteilten Person im Ausland getroffen werden kann.

  6. f)

    Von der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe soll im Fall der Auslieferung oder Ausweisung der verurteilten Person abgesehen werden, wenn die tatsächliche Ausreise kurzfristig erfolgen soll. Ist neben der Ersatzfreiheitsstrafe noch eine andere zeitige Freiheitsstrafe zu vollstrecken, so ist diese für die Entscheidung nach § 456a StPO maßgebend. Scheidet danach ein Absehen von der Strafvollstreckung aus, so ist auch die Ersatzfreiheitsstrafe zu vollstrecken.

3.3 Der Verfahrensgang wird wie folgt festgelegt:

  1. a)

    Die Vollstreckungsbehörde prüft

    • bei Einleitung der Vollstreckung,

    • vor Verbüßung der Hälfte der Strafe,

    • vor Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe,

    • auf Antrag der Justiz- oder Maßregelvollzugsanstalt,

    ob und zu welchem Zeitpunkt ein Absehen von der weiteren Vollstreckung in Betracht kommt. Die Vollstreckungsbehörde setzt sich im Fall der Auslieferung und Ausweisung einer oder eines Nichtdeutschen mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um zu klären, ob eine Ausweisungsverfügung ergangen oder zu erwarten ist.

  2. b)

    Regt die Justizvollzugsanstalt das Absehen von der Vollstreckung an, so fügt sie einen Führungsbericht bei.

  3. c)

    Beabsichtigt die Vollstreckungsbehörde, von der weiteren Vollstreckung abzusehen, so unterrichtet sie sowohl die Justizvollzugsanstalt als auch im Fall der Auslieferung und Ausweisung einer oder eines Nichtdeutschen die Ausländerbehörde. Die Vollstreckungsbehörde trifft ihre Entscheidung so frühzeitig, dass die zur Abschiebung aus der Haft notwendigen Vorbereitungen der Justizvollzugsanstalt und der Ausländerbehörde rechtzeitig abgeschlossen werden können und sich eine Prüfung der Frage der bedingten Entlassung (§§ 5757a StGB, § 88 JGG) erübrigt. Entsprechendes gilt für die Vollziehung einer Maßregel der Besserung und Sicherung in einem Landeskrankenhaus und für die Frage einer bedingten Entlassung nach § 67e StGB.

  4. d)

    Die Vollstreckungsbehörde ergreift alle geeigneten Maßnahmen, damit bei einer etwaigen Rückkehr der verurteilten Person die Vollstreckung nachgeholt oder fortgesetzt werden kann (§ 456a Abs. 2 Satz 3 StPO, § 17 Abs. 2 Satz 1 der Strafvollstreckungsordnung). Die Belehrung nach § 456a Abs. 2 Satz 4 StPO, § 17 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 der Strafvollstreckungsordnung soll sich auch darauf erstrecken, dass mit der Nachholung oder Fortsetzung der Vollstreckung bei einer Wiedereinreise auch dann zu rechnen ist, wenn die Wirkung der Ausweisung, Abschiebung oder Zurückschiebung (Verbot der Einreise und des Aufenthalts) bereits durch Ablauf der Befristung aufgehoben ist. Die Vollzugsanstalt erteilt die Belehrung in einer der verurteilten Person verständlichen Sprache. Über die Belehrung fertigt die Vollzugsanstalt eine Niederschrift, die sie der Vollstreckungsbehörde übersendet.

  5. e)

    Sind mehrere Strafen zu vollstrecken, so setzen sich die zuständigen Vollstreckungsbehörden miteinander in Verbindung, um ein Einvernehmen über das weitere Vorgehen herbeizuführen. Bei der Berechnung des Zeitpunktes, zu dem gemäß § 456a StPO von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden soll, ist von der Summe der zu vollstreckenden Strafen auszugehen.

Außer Kraft am 1. Juni 2025 durch Nummer 6 der AV vom 30. April 2020 (Nds. MBl. S. 524, Nds. Rpfl. Nr. 7/2020 S. 229)