Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 07.04.2005, Az.: 2 B 14/05

allgemeines Wohngebiet; Freiberufliche Tätigkeit; Milieubedingte Störung; Nutzungsuntersagung; Prostitution; Wohnungsprostitution

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
07.04.2005
Aktenzeichen
2 B 14/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50662
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Wohnungsprostitution ist eine das Wohnen regelmäßig störende gewerbliche Nutzung, die in einem allgemeinen Wohngebiet auch nicht ausnahmsweise zulässig ist. Diese bauplanungsrechtliche Einschätzung wird durch das seit dem 01.01.2002 geltende Prostitutionsgesetz nicht berührt.

2. Bei der Tätigkeit von Prostituierten handelt es sich weder um eine freiberufliche noch um eine "gleichgestellte" Tätigkeit i.S.d. § 13 BauNVO.

Gründe

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I. Der Antragsteller wendet sich gegen eine Bauaufsichtsanordnung der Antragsgegnerin.

2

Er ist seit dem 01.07.2004 Mieter einer im Obergeschoss des Gebäudes D. 20 in E. gelegenen Wohnung. Das Gebäude selbst ist bereits im Jahre 1956 errichtet worden; der Ausbau des Obergeschosses zu Wohnzwecken wurde im Jahre 1981 bauaufsichtlich genehmigt. Im Erdgeschoss des Gebäudes wird bereits seit längerer Zeit eine Bar betrieben, die zwischenzeitlich ebenfalls vom Antragsteller übernommen worden ist; hierfür ist ihm von der Antragsgegnerin eine entsprechende gaststättenrechtliche Konzession erteilt worden. Das Grundstück liegt - ebenso wie die benachbarten Grundstücke - im Geltungsbereich des rechtsverbindlichen Bebauungsplans Nr. 130 der Antragsgegnerin und ist dort als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen.

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Anlässlich einer am 18.01.2005 von Mitarbeitern der Antragsgegnerin und Beamten der örtlichen Polizeiinspektion durchgeführten örtlichen Überprüfung wurde festgestellt, dass sich in der im Obergeschoss des Gebäudes D. 20 gelegenen Wohnung (u.a.) fünf Zimmer befinden, von denen vier zur Ausübung der Prostitution genutzt werden. In der im Erdgeschoss betriebenen Bar wurden mehrere, im Wesentlichen ausländische Frauen angetroffen, von denen nach Einschätzung der ermittelnden Polizeibeamten zumindest vier als Prostituierte tätig waren.

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Mit Verfügung vom 14.02.2005 untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller daraufhin mit sofortiger Wirkung die Nutzung der im Obergeschoss des Gebäudes D. 20 gelegenen Wohnung zum Zwecke der Prostitution. Gleichzeitig ordnete sie die sofortige Vollziehung der Verfügung an und drohte dem Antragsteller für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 € an. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich bei der Nutzung der fraglichen Wohnung zum Zwecke der Prostitutionsausübung um eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handele, die erforderliche Baugenehmigung jedoch nicht vorliege. Eine solche könne auch nachträglich nicht erteilt werden, weil das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig sei. Das Grundstück liege in einem durch Bebauungsplan ausgewiesenen allgemeinen Wohngebiet, innerhalb dessen nur bestimmte Nutzungen allgemein zulässig seien; dazu gehöre der Betrieb eines Bordells nicht. Das Vorhaben sei auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil es sich bei einem Bordell bzw. einer zum Zwecke der Wohnungsprostitution genutzten Wohnung um eine gewerbliche und den Charakter eines Wohngebietes regelmäßig beeinträchtigende Nutzung handele. Angesichts dessen sei die angeordnete Nutzungsuntersagung zur Herstellung baurechtmäßiger Zustände erforderlich; eine mildere, gleich geeignete Maßnahme sei nicht erkennbar. Auf einen etwaigen Vertrauensschutz könne sich der Antragsteller nicht berufen, weil eine Verwirkung bauaufsichtlicher Befugnisse regelmäßig ausgeschlossen und der bestehende baurechtswidrige Zustand in der Vergangenheit auch nicht etwa geduldet worden sei; vielmehr habe sie davon erst anlässlich der im Januar 2005 durchgeführten örtlichen Überprüfung erfahren. Zur Begründung des angeordneten Sofortvollzugs wurde ausgeführt, dass es nicht vertretbar sei, dem gesetzestreuen Bürger das mit dem Genehmigungsverfahren verbundene zeitliche Opfer aufzuerlegen und der Nachbarschaft die mit dem Bordellbetrieb verbundenen Belästigungen weiterhin aufzubürden und statt dessen dem Antragsteller die mit diesem illegalen Betrieb verbundenen wirtschaftlichen Vorteile bis zu einer endgültigen Entscheidung zu belassen.

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Der Antragsteller hat hiergegen Widerspruch eingelegt und gleichzeitig um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er macht geltend, dass die angefochtene Verfügung schon deshalb rechtswidrig sei, weil er vor deren Erlass nicht angehört worden sei. Im Übrigen räumt er ein, dass in vier der in der fraglichen Wohnung gelegenen Zimmern der Wohnungsprostitution nachgegangen werde und dass die für diese Nutzung erforderliche Baugenehmigung nicht vorliege, ist jedoch der Auffassung, dass die angefochtene Verfügung deshalb rechtswidrig sei, weil das Vorhaben - was er zwischenzeitlich auch beantragt habe - nachträglich genehmigt werden könne. Vor dem Hintergrund des seit dem 01.01.2002 geltenden Prostitutionsgesetzes, mit dem der Gesetzgeber eine Grundsatzentscheidung dahingehend gefällt habe, dass Prostitution ein dem Schutz des Grundgesetzes unterfallender Beruf sei, sei das beanstandete Vorhaben nunmehr zumindest als „nicht störende“ gewerbliche Nutzung anzusehen, die auch in einem allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig sei. An die bisherige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, die davon ausgegangen sei, dass ein bordellartiger Betrieb bzw. eine zur Prostitutionsausübung genutzte Wohnung aufgrund der damit typischerweise verbundenen milieubedingten Störungen den Charakter eines Wohngebietes beeinträchtige, könne daher nicht mehr ohne weiteres angeknüpft werden; insoweit habe zwischenzeitlich auch das Bundesverwaltungsgericht in einer jüngeren (gaststättenrechtlichen) Entscheidung festgestellt, dass sich in der genannten Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers ein Wandel der sozialethischen Vorstellungen hinsichtlich der Prostitutionsausübung ausdrücke. Vielmehr sei bei der Frage der Genehmigungsfähigkeit einer solchen Nutzung stets auf die konkreten Verhältnisse des Einzelfalls abzustellen, die hier dadurch gekennzeichnet seien, dass es sich um einen vom Umfang her kleinen und ganz besonders „diskret“, insbesondere ohne irgendwelche Werbemaßnahmen o.ä. geführten Bordellbetrieb handele, der für Anwohner oder Besucher dieses Gebietes in keiner Weise erkennbar sei. Dies werde im Übrigen durch eine von mehreren Anwohnern unterzeichnete Erklärung bestätigt, wonach von der fraglichen Wohnung keine Störungen ausgingen. Insoweit dürfe auch nicht allein darauf abgestellt werden, ob die im vorliegenden Fall beanstandete Nutzung den Bedürfnissen des Wohngebietes diene; denn dies sei beispielsweise auch bei - in einem allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich bzw. ausnahmsweise zulässigen - Handwerks- oder Beherbergungsbetrieben nicht der Fall. Abgesehen davon sei die beanstandete Nutzung auch deshalb genehmigungsfähig, weil es sich bei der selbstständigen Ausübung der Wohnungsprostitution um eine freiberufliche bzw. zumindest um eine Tätigkeit ähnlicher Art handele, die in einem allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig sei. Angesichts dessen sei auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig, weil es tatsächlich keine Belästigungen der Nachbarschaft durch die in der fraglichen Wohnung ausgeübte Prostitution gebe; derartige Belästigungen habe die Antragsgegnerin auch lediglich pauschal behauptet, aber nicht näher belegt. Auf die formelle Rechtswidrigkeit der beanstandeten Nutzung allein könne der angeordnete Sofortvollzug ebenfalls nicht gestützt werden, weil er selbst erst seit dem 01.07.2004 Mieter der fraglichen Wohnung sei, diese Wohnung unter der Regie seines Vormieters - was der Antragsgegnerin (wenn auch möglicherweise nicht den konkret mit der Sache befassten Sachbearbeitern des Bauamtes) im Übrigen seit vielen Jahren bekannt sei - tatsächlich bereits seit dem Jahre 1982 zur Prostitutionsausübung genutzt werde und die Antragsgegnerin während dieses gesamten Zeitraums keinen Anlass gesehen habe, dagegen einzuschreiten. Bislang sei es auch nicht üblich gewesen, für derartige Nutzungen Baugenehmigungen zu verlangen, so dass ihm hier zunächst zumindest die Möglichkeit hätte gegeben werden müssen, eine solche zu beantragen.

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Der Antragsteller beantragt,

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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 14.02.2005 wiederherzustellen.

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Die Antragsgegnerin beantragt unter Vertiefung der Gründe der angefochtenen Verfügung,

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den Antrag abzulehnen.

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II. Der Antrag hat keinen Erfolg.

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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen einen belastenden Verwaltungsakt, dessen sofortige Vollziehung die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung bedarf es einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts andererseits, bei der insbesondere auch die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des im Hauptsacheverfahren eingelegten Rechtsbehelfs insofern zu berücksichtigen sind, als bei einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt regelmäßig ein entsprechendes öffentliches Vollziehungsinteresse besteht, während umgekehrt bei ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts in der Regel dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen der Vorrang einzuräumen ist. Diese Interessenabwägung fällt hier zulasten des Antragstellers aus, weil bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen.

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Nach § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO kann die Bauaufsichtsbehörde die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlichen Maßnahmen treffen, wenn (u.a.) bauliche Anlagen oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht widersprechen; nach Satz 2 Nr. 5 der Vorschrift kann sie dabei u.a. auch die Benutzung von baulichen Anlagen untersagen. Von dieser Befugnis hat die Antragsgegnerin hier aller Voraussicht nach in rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht.

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Das beanstandete Vorhaben ist zunächst formell baurechtswidrig, weil es sich bei der Umnutzung der im Obergeschoss des Gebäudes D. 20 gelegenen Wohnung in Räumlichkeiten, die zum Zwecke der Prostitutionsausübung genutzt werden, um eine nach § 68 Abs. 1 NBauO genehmigungspflichtige Baumaßnahme handelt, die insoweit erforderliche Baugenehmigung jedoch nicht vorliegt; dies wird auch vom Antragsteller selbst eingeräumt. Allein dieser Verstoß gegen das formelle Baurecht rechtfertigt regelmäßig bereits den Erlass solcher Anordnungen, die - wie die angefochtene Nutzungsuntersagungsverfügung - nicht in die Substanz der baulichen Anlage eingreifen; denn nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Vereinbarkeit eines bestimmten Vorhabens mit dem öffentlichen Baurecht vor dessen tatsächlicher Realisierung in einem geordneten Genehmigungsverfahren geprüft wird und außerdem vermieden werden, dass sich derjenige, der eine ungenehmigte Nutzung aufnimmt, ungerechtfertigte Vorteile gegenüber gesetzestreuen Bürgern verschafft (vgl. u.a. OVG Lüneburg, B. v. 08.05.1987 - 6 B 10/87 -, BRS 47 Nr. 199; Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl., § 89 Rn. 22 m.w.N.). Insoweit besteht - anders als der Antragsteller meint - regelmäßig auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung einer derartigen Anordnung, zumal dadurch das Ergebnis eines etwaigen Hauptsacheverfahrens nicht vorweggenommen wird (vgl. OVG Lüneburg, aaO; Große-Suchsdorf/Lindorf/ Schmaltz/ Wiechert, aaO, Rn. 93 m.w.N.), sondern dem Betroffenen lediglich die (ungerechtfertigten) wirtschaftlichen Vorteile der baurechtswidrigen Nutzung einstweilen vorenthalten werden. Etwas anderes mag allenfalls in den - in der Praxis ohnehin selten auftretenden - Fällen gelten, in denen die materielle Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens offensichtlich, d.h. ohne dass es insoweit weiterer Ermittlungen bedarf, gegeben ist; dies ist hier jedoch - wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt - nicht der Fall.

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Im Hinblick darauf, dass die Antragsgegnerin im Rahmen der Nutzungsuntersagungsverfügung - gleichwohl - auch materiell-rechtliche Überlegungen angestellt hat, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Nutzung der fraglichen Wohnung zur Ausübung der Prostitution auch nachträglich nicht genehmigungsfähig ist, weil sie dem öffentlichen Bauplanungsrecht widerspricht.

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Zu den in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässigen Nutzungen gehört diese Nutzung ersichtlich nicht. Sie kann auch nicht nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden, weil es sich dabei zwar - unabhängig davon, ob man sie als Wohnungsprostitution oder als bordellartigen Betrieb umschreibt und ob insoweit im Einzelfall ein Gewerbebetrieb im Sinne der gewerberechtlichen Vorschriften geführt wird - um eine gewerbliche Nutzung handelt (vgl. BVerwG, U. v. 25.11.1983 - 4 C 21.83 -, BRS 40 Nr. 52; B. v. 28.06.1995 - 4 B 137.95 -, BRS 57 Nr. 69), diese aber die in einem allgemeinen Wohngebiet vorrangig zulässige Wohnnutzung regelmäßig „stört“ und deshalb mit dem Charakter eines solchen Gebietes nicht vereinbar ist (vgl. BVerwG, B. v. 28.06.1995, aaO, B. v. 29.10.1997 - 4 B 8.97 -, BRS 59 Nr. 62; ebenso - für Mischgebiete - VGH Mannheim, U. v. 13.02.1998 - 5 S 2570/96 -, NVwZ-RR 1998, 550). Denn bei der insoweit gebotenen, den Regelungen der Baunutzungsverordnung generell zugrunde liegenden typisierenden Betrachtungsweise (vgl. dazu BVerwG, U. v. 07.05.1971 - IV C 76.68 -, BRS 24 Nr. 15; U. v. 03.02.1984 - 4 C 54.80 -, BRS 42 Nr. 50) gehen von der Nutzung bestimmter Räumlichkeiten zu Prostitutionszwecken Beeinträchtigungen der Wohnruhe - etwa ein verstärkter Kraftfahrzeugverkehr, daneben aber insbesondere auch sog. „milieubedingte“ Störungen wie z.B. Belästigungen der Anwohner durch das Klingeln von Freiern an falschen Haus- oder Wohnungstüren, Ruhestörungen durch mehr oder weniger lautstarke Meinungsbekundungen unzufriedener und/oder alkoholisierter Freier u.ä., ggf. sogar gewalttätige Begleiterscheinungen - aus, die sich negativ auf das Wohnumfeld auswirken und mit dem Charakter eines vorwiegend dem Wohnen dienenden Gebietes nicht vereinbar sind (vgl. OVG Berlin, B. v. 09.04.2003 - 2 S 5.03 -, GewArch 2003, 498; OVG Koblenz, B. v. 15.01.2004 - 8 B 11983/03 -, BauR 2004, 644). Angesichts dieser „typisierenden“ Betrachtung kommt es daher auch nicht entscheidend darauf an, ob ein bestimmtes Einzelvorhaben in seinem Umfeld tatsächlich bereits zu konkreten Störungen der Wohnruhe geführt hat (vgl. OVG Koblenz und VGH Mannheim, jew. aaO). Deshalb bedarf es im vorliegenden Fall auch keiner vertiefenden Auseinandersetzung mit der Frage, welche Aussagekraft der vom Antragsteller mit Schriftsatz vom 01.03.2005 überreichten Erklärung zukommt, wonach insgesamt acht Anwohner - darunter die Eigentümerin des Gebäudes - mitgeteilt haben, dass von der fraglichen Obergeschosswohnung „in keinster Weise Belästigungen ausgehen“, bzw. wie der Umstand zu bewerten ist, dass vier dieser Anwohner ihre Unterschrift unter diese Erklärung nachträglich ausdrücklich wieder zurückgezogen haben. Soweit der Antragsteller im Übrigen darauf hinweist, dass die in der fraglichen Wohnung ausgeübte Prostitution in „sehr diskreter Weise“, insbesondere ohne jegliche von außen wahrnehmbare Werbung stattfinde, dürfte dies gerade keine „Besonderheit“ des vorliegenden Falles, sondern den Regelfall der Wohnungsprostitution darstellen; dies allein belegt daher nicht, dass gerade im vorliegenden Fall (ausnahmsweise) keine Störungen für das Wohnumfeld im oben umschriebenen Sinne zu erwarten sind.

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An der Einschätzung, dass die beanstandete Nutzung in einem allgemeinen Wohngebiet regelmäßig nicht auf der Grundlage des § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulässig ist, ändert schließlich auch das zwischenzeitlich in Kraft getretene Prostitutionsgesetz vom 20.12.2001 (BGBl. I, S. 3983) nichts. Die dort getroffenen zivil- und strafrechtlichen Regelungen mögen zwar in diesen Bereichen zu einer generellen Verbesserung der Rechtsstellung der Prostituierten geführt und darüber hinaus einen allgemeinen Wandel der sozialethischen Vorstellungen und Wertungen im Zusammenhang mit der Prostitution bewirkt haben (vgl. dazu BVerwG, U. v. 06.11.2002 - 6 C 16.02 -, GewArch 2003, 122). Dies ändert jedoch nichts an der planungsrechtlichen Einschätzung, dass die Wohnungsprostitution bzw. ein bordellartiger Betrieb negative Auswirkungen auf das Wohnumfeld hat und deshalb dem städtebaulichen Leitbild eines vorwiegend dem Wohnen dienenden Baugebietes widerspricht (vgl. OVG Berlin und OVG Koblenz, jew. aaO). Denn da das Bauplanungsrecht nicht personen-, sondern grundstücksbezogen in dem Sinne ist, dass es innerhalb eines konkreten Baugebietes eine gebiets- und nachbarschaftsverträgliche Bebauung und Nutzung der einzelnen Grundstücke ermöglichen und etwaige Nutzungskonflikte vermeiden bzw. ausgleichen will, kommt es bei der Frage der Zulässigkeit einer bestimmten Nutzung gerade nicht (jedenfalls nicht ausschlaggebend) auf die - allgemein oder in bestimmten Bevölkerungskreisen vorherrschende - sozialethische Bewertung der in Rede stehenden Nutzung an (vgl. OVG Münster, U. v. 19.01.1983 - 11 A 2171/82 -, BauR 1983, 147). Insoweit kann der Antragsteller auch aus dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.11.2002 letztlich nichts für sich herleiten, weil diese Entscheidung eine gaststättenrechtliche Erlaubnis und in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage betraf, ob durch den Betrieb eines (von der Öffentlichkeit „abgeschirmten“) Swinger-Clubs im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG „der Unsittlichkeit Vorschub geleistet werde“. Diese Frage, bei der der vom Bundesverwaltungsgericht allgemein konstatierte Wandel der sozialethischen Vorstellungen durchaus eine entscheidende Rolle spielen mag, stellt sich im vorliegenden Verfahren so jedoch nicht. Denn maßgeblich für die Einschätzung, dass die Wohnungsprostitution bzw. ein bordellartiger Betrieb in einem allgemeinen Wohngebiet regelmäßig unzulässig ist, ist nicht eine - wie auch immer geartete - Bewertung der Tätigkeit der Prostituierten als solche, sondern die damit verbundenen, oben im Einzelnen beschriebenen Störungen für das Wohnumfeld, die im Übrigen zwar durch die Ausübung der Prostitution bedingt sind, in erster Linie aber nicht von den Prostituierten selbst, sondern von potenziellen Freiern ausgehen.

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Die beanstandete Nutzung ist auch nicht auf der Grundlage des § 13 BauNVO genehmigungsfähig, wonach Räume für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben, in den meisten Baugebieten - u.a. in allgemeinen Wohngebieten - zulässig sind. Die Berufsausübung freiberuflich Tätiger ist dadurch gekennzeichnet, dass bestimmte persönliche Dienstleistungen erbracht werden, die vorwiegend auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fertigkeiten beruhen und in der Regel in unabhängiger Stellung einem unbegrenzten Personenkreis angeboten werden (vgl. BVerwG, U. v. 20.01.1984 - 4 C 56.80 -, BVerwGE 68, 324). Da der Begriff des „Freiberuflers“ bauplanungsrechtlich nicht gesondert definiert ist, kann insoweit zur näheren Ausfüllung dieses Begriffs auf die in § 18 Abs. 1 EStG und § 1 Abs. 2 PartGG enthaltenen „Berufekataloge“ zurückgegriffen werden (vgl. BVerwG, aaO; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 13 BauNVO Rn. 17), die die freiberufliche Tätigkeit als „selbstständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit“ bzw. als „persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung“ umschreiben und sodann eine Reihe von Berufen, die diese Merkmale erfüllen - und zu denen die Tätigkeit von Prostituierten ersichtlich nicht gehört - im Einzelnen bezeichnen. Zwar sind diese „Kataloge“ - worauf der Antragsteller im Grundsatz zutreffend hinweist - nicht abschließend; es ist jedoch nicht erkennbar und vom Antragsteller auch nicht substantiiert dargelegt worden, dass und warum es sich bei der Tätigkeit von Prostituierten um eine „wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit“ bzw. um eine „Dienstleistung höherer Art auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferische Begabung“ handeln soll. Diese Tätigkeit kann auch nicht als eine - der freiberuflichen Tätigkeit gleichgestellte - Tätigkeit von Gewerbetreibenden, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben, qualifiziert werden. Denn als „ähnlich“ in diesem Sinne können regelmäßig nur solche gewerbliche Tätigkeiten bzw. Dienstleistungen angesehen werden, die - ebenso wie bei den freien Berufen - auf bestimmten, durch eine entsprechende (akademische oder fachbezogene) Ausbildung erworbenen individuellen geistigen Fähigkeiten oder auf besonderen künstlerischen bzw. schöpferischen Begabungen beruhen; dafür ist hier jedoch ebenfalls nichts ersichtlich. Vielmehr liegen die vom Antragsteller angesprochenen „persönlichen Fertigkeiten“ der in der fraglichen Wohnung tätigen Prostituierten offensichtlich auf anderen Gebieten; diese sind jedoch lediglich als sonstige, „schlichte“ gewerbliche Dienstleistungen anzusehen, die der Verordnungsgeber durch § 13 BauNVO gerade nicht allgemein zulassen wollte (vgl. BVerwG, aaO; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, aaO, Rn. 26 m.w.N.).

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Die angefochtene Verfügung ist auch im Übrigen aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden. Zwar steht ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände gemäß § 89 Abs. 1 NBauO grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Vorschriften des öffentlichen Baurechts und auf die Breitenwirkung etwaiger (ggf. ungeahndeter) Verstöße gegen diese Vorschriften ist ein entsprechendes Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde jedoch regelmäßig geboten und damit auch ohne besondere Abwägung des Für und Wider einer solchen Maßnahme ermessensgerecht (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, aaO, Rn. 44 m.w.N.); dies gilt hier im Übrigen auch deshalb, weil der Antragsteller - worauf an anderer Stelle bereits hingewiesen worden ist - nur auf diese Weise dazu angehalten werden kann, die vom Gesetzgeber vorgesehene Reihenfolge (erst Einholung der erforderlichen Baugenehmigung, dann Realisierung des geplanten Bauvorhabens) einzuhalten. Anhaltspunkte dafür, dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann sich der Antragsteller - worauf Teile seiner Argumentation zur Rechtmäßigkeit des angeordneten Sofortvollzuges abzielen - nicht mit Erfolg auf „Vertrauensschutzgesichtspunkte“ berufen. Eine Verwirkung der Befugnis der Antragsgegnerin, bauaufsichtlich gegen den bestehenden baurechtswidrigen Zustand einzuschreiten, ist von vornherein ausgeschlossen, weil dies allein bei verzichtbaren subjektiven Rechten, nicht dagegen bei hoheitlichen Befugnissen auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr in Betracht kommt; abgesehen davon ist das Interesse des Betroffenen, eine ungenehmigte und auch nicht genehmigungsfähige bauliche Nutzung gleichwohl nicht einstellen zu müssen, rechtlich grundsätzlich nicht schutzwürdig (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/ Wiechert, aaO, Rn. 52 m.w.N.). Auch der Einwand des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe den bestehenden Zustand mehr als zwei Jahrzehnte lang „geduldet“ bzw. zumindest tatsächlich gekannt, greift im Ergebnis nicht durch. Die Antragsgegnerin hat, ohne dass der Antragsteller dem widersprochen hätte, mehrfach darauf hingewiesen, dass ihr - in ihrer Funktion als Bauaufsichtsbehörde - der Umstand, dass die fragliche Wohnung zur Prostitutionsausübung genutzt wird, bis zu der im Januar 2005 durchgeführten örtlichen Überprüfung tatsächlich nicht bekannt gewesen sei. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass es sich bei dieser Wohnung um einen seit 22 Jahren „stadtbekannten“ Ort der Prostitutionsausübung handele, von dem zumindest auch andere Dienststellen/Ämter der Antragsgegnerin Kenntnis gehabt hätten, rechtfertigt dies - unabhängig von der Richtigkeit dieser Behauptung - ebenfalls keine andere rechtliche Beurteilung. Denn allein ein etwaiges - ggf. auch langjähriges - „Untätigbleiben“ der Behörde trotz Kenntnis des bestehenden rechtswidrigen Zustandes führt für sich genommen noch nicht zu einer entsprechenden Bindung der Behörde, zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr gegen diesen Zustand einzuschreiten, weil diese Befugnis - wie bereits dargelegt - grundsätzlich nicht verwirkt werden kann. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn die Behörde den bestehenden Zustand „aktiv geduldet“, d.h. über eine bloße „Untätigkeit“ hinaus ein bestimmtes Verhalten - z.B. durch die Erteilung anderer Genehmigungen, Bescheinigungen o.ä. für das betreffende Bauvorhaben oder durch ausdrückliche Erklärungen wie (schriftliche) Zusicherungen bzw. sonstige „Zusagen“ - an den Tag gelegt hat, das bei dem Betroffenen einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen hat, dass die Behörde gegen den bestehenden baurechtswidrigen Zustand künftig nicht mehr einschreiten wird (vgl. dazu im Einzelnen: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, aaO, Rn. 53-58 m.w.N.). Derartiges wird hier jedoch nicht einmal vom Antragsteller selbst behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich.

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Soweit der Antragsteller darüber hinaus - möglicherweise - geltend machen will, ihn treffe an dem bestehenden baurechtswidrigen Zustand kein Verschulden, weil er die fragliche Wohnung erst im Juli 2004 angemietet und auch nicht gewusst habe, dass es für die dort (im Übrigen bereits seit vielen Jahren) ausgeübte Nutzung einer Baugenehmigung bedürfe, greift dieser Einwand ebenfalls nicht, weil das öffentliche Baurecht - worauf oben in anderem Zusammenhang bereits hingewiesen wurde - nicht personen-, sondern grundstücksbezogen ist; deshalb kommt es - abgesehen von der hier nicht problematischen Frage, wer von den nach §§ 57-62 NBauO Verantwortlichen im Einzelfall in Anspruch zu nehmen ist - nicht darauf an, wem ein bestimmter baurechtswidriger Zustand konkret zuzurechnen oder gar im Sinne eines Verschuldens vorzuwerfen ist. Deshalb musste die Antragsgegnerin dem Antragsteller vor Erlass der angefochtenen Nutzungsuntersagungsverfügung auch nicht zunächst „die Möglichkeit einräumen, eine Baugenehmigung für die beanstandete Nutzung zu beantragen“, zumal eine solche hier nach den vorstehenden Ausführungen ohnehin nicht erteilt werden kann.

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Der Aussetzungsantrag hat schließlich auch nicht allein deshalb Erfolg, weil der Antragsteller selbst vor Erlass der angefochtenen Verfügung nicht gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG angehört worden ist. Dies dürfte zwar - da für ein Eingreifen eines der in § 28 Abs. 2 VwVfG genannten Ausnahmetatbestände nichts ersichtlich und die von der Antragsgegnerin anlässlich der örtlichen Überprüfung im Januar 2005 angesprochene Frau F. offenbar lediglich als Thekenkraft in der im Erdgeschoss des Gebäudes betriebenen Bar beschäftigt und damit nicht (zwingend) für die Verhältnisse in der darüber liegenden Wohnung verantwortlich ist - einen Verfahrensfehler darstellen; dieser kann jedoch gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG im Rahmen des anhängigen Widerspruchsverfahrens geheilt werden. Im Übrigen hat der Antragsteller jedenfalls im vorliegenden gerichtlichen Verfahren - in dem es (allein) um die vorläufige Sicherung der von ihm geltend gemachten Rechtsposition geht - hinreichend Gelegenheit gehabt, seinen Rechtsstandpunkt darzulegen; von daher kann keine Rede davon sein, dass in der Sache „faktisch entschieden werde, bevor er angehört worden sei“. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Antragsteller in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidung des OVG Münster (B. v. 16.12.1977 - IV B 2122/77 -, NJW 1978, 1764 [BVerwG 06.01.1978 - BVerwG 1 B 63/77]). Denn auch dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass allein die unterbliebene, aber noch - u.a. auch in einem gerichtlichen Eilverfahren - nachholbare Anhörung des Betroffenen es noch nicht rechtfertigt, einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattzugeben, sondern allenfalls Anlass geben kann, die sofortige Vollziehung „befristet auszusetzen“, wenn andernfalls - ohne Anhörung - eine später nicht mehr rückgängig zu machende Maßnahme (in jenem Fall die Ausweisung eines Ausländers) sofort vollzogen würde; um einen derartigen Fall handelt es sich bei einer bauordnungsrechtlichen Untersagungsverfügung jedoch ersichtlich nicht.

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Erweist sich die angefochtene Verfügung mithin aller Voraussicht nach als rechtmäßig, so ist es nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin deren sofortige Vollziehung angeordnet hat.