Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 11.10.2004, Az.: 12 B 3858/04

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
11.10.2004
Aktenzeichen
12 B 3858/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 43465
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2004:1011.12B3858.04.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Steuerrückstände sind geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen.

  2. 2.

    Weder die Gewerbebehörden noch die Verwaltungsgerichte sind verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörden zu prüfen.

Gründe

1

Der auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber nicht begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 21. September 2004 gegen die im Bescheid des Antragsgegner vom 16. Februar 2004 verfügte Untersagungsverfügung entfällt, da der Antragsgegner die sofortige Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat; diese Anordnung hat er in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 2 VwGO genügenden Weise schriftlich begründet. Soweit der Antragsgegner die Schließung androht, entfaltet die Klage gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 70 NVwVG, § 64 Abs. 4 Satz 1 Nds SOG keine aufschiebende Wirkung.

2

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Gewerbeuntersagung bzw. auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Androhung der Abschiebung ist nicht begründet, wenn das Interesse des Antragstellers an der sofortigen Aussetzung der Vollziehung eines belastenden Verwaltungsaktes das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Durchsetzung nicht überwiegt. Bei dieser Interessenabwägung sind mit der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen Zurückhaltung auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Die Interessenabwägung geht zu Ungunsten des Antragstellers aus, wenn die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.

3

Dies ist bei dem angefochtenen Bescheid des Antragsgegners in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems der Fall. Denn der Antragsgegner hat dem Antragsteller nach der für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung zu Recht das von ihm ausgeübte Gewerbe untersagt. Auch die Erstreckung der Untersagung auf alle anderen Gewerbe ist rechtmäßig. Ebenso ist auch die Androhung der Schließung des Betriebes nicht zu beanstanden. Hierzu ist im Einzelnen auszuführen:

4

Die Voraussetzungen für die Untersagung des vom Antragsteller ausgeübten Gewerbes der Elektroinstallation liegen vor. Gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun und die Untersagung insbesondere zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist.

5

Der Antragsteller ist als gewerberechtlich unzuverlässig anzusehen mit der sich aus dem Gesetz ergebenden Folge, dass ihm die Ausübung des Gewerbes zu untersagen ist. Es ist nämlich derjenige Gewerbetreibende unzuverlässig, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Maßgebend ist, ob die Prognose gestellt werden kann, ob der Gewerbetreibende künftig das Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird oder nicht. Als Mindestvoraussetzung gehört zum ordnungsgemäßen Betreiben eines Gewerbes, dass der Gewerbetreibende die für sein Gewerbe geltenden Vorschriften beachtet. Hierzu zählen insbesondere die steuerrechtlichen Verpflichtungen des Gewerbetreibenden. Steuerrückstände sind geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind. Auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 1996 - 1 B 250.96 -, Buchholz 451.20, § 35 GewO Nr. 65 = GewArch 1999, 72 und Beschluss vom 9. April 1997 - 1 B 81.97 -, Buchholz 451.20, § 35 GewO Nr. 67 = GewArch 1999, 72). Dabei fallen solche Steuern unter den Begriff der "Steuerrückstände", die der Steuerpflichtige noch nicht gezahlt hat, obwohl er sie von Rechts wegen bereits hätte entrichten müssen (BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1996 - 1 B 177.95 -, Buchholz 451.20 § 35 Nr. 62). Die Steuern werden durch Steuerbescheide festgesetzt. Dies gilt auch dann, wenn die Besteuerungsgrundlage nicht exakt ermittelt, sondern geschätzt werden. Wann die Steuerschuld fällig ist, ergibt sich aus den einzelnen Steuergesetzen und im übrigen aus der Abgabenordnung. Ist die Vollziehung ausgesetzt worden (§ 361 AO, § 69 FGO), so braucht der Steuerpflichtige die festgesetzte Steuer noch nicht zu entrichten (BVerwG, Beschluss vom 30. September 1998 - 1 B 100.98 -, GewArch 1999, 31). Weder die Gewerbebehörden noch die Verwaltungsgerichte sind somit verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörden zu prüfen. Zu berücksichtigen sind auch die Abgabenschulden, die aus nicht mit dem Gewerbebetrieb zusammenhängenden Steuern erwachsen sind (BVerwG, Beschluss vom 1. Februar 1994 - 1 B 9.94 - GewArch 1995, 116). Es kommt somit auch bei den Steuerrückständen darauf an, ob das Vorliegen der Steuerrückstände Anlass zu einer ungünstigen Prognose hinsichtlich des gewerblichen Wirkens gibt. Dabei ist es ohne Bedeutung, welche Ursachen zur Überschuldung oder wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit geführt haben. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit setzt weder ein Verschulden noch einen Charaktermangel voraus. Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit unabhängig von den Gründen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb einstellt; dies ist nur dann abweichend zu beurteilen, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 - 1 C 146.80 -, BVerwGE 65, 1; Beschluss vom 16. Februar 1998 - 1 B 26.98 -, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 69).

6

Nach diesen Grundsätzen ist der Antragsteller gewerberechtlich unzuverlässig. Er ist aus den in den Bescheiden genannten Gründen nicht willens oder in der Lage, seine Steuerschulden und Abgabenrückstände zu begleichen. Im Einzelnen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Antragsgegners vom 16. Februar 2004 und dem Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 27. August 2004 Bezug genommen.

7

Neue Gesichtspunkte trägt der Antragsteller nicht vor. Schon im Ausgangsbescheid weisen der Antragsgegner und im Widerspruchsbescheid die Bezirksregierung Weser-Ems zutreffend darauf hin, dass die Nichtzahlung der Steuern und Beiträge die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Antragstellers begründet. Der Antragsteller behauptet zwar - erneut -, keine Steuer- und Abgabenrückstände zu haben und "mit der Abgabe seiner Steuererklärungen auf dem Laufenden" zu sein. Dabei nimmt er Bezug auf seine Schreiben vom 14. März und 17. September 2003 sowie sein Widerspruchsschreiben vom 18. Februar 2004. Dass der Antragsteller die vom Finanzamt Nordenham mitgeteilten Steuerrückstände tatsächlich schuldet, ist offenkundig. Dies billigen die Schreiben des Finanzamtes Nordenham mit den Einzelaufstellungen der Rückstände. Die Hinweise des Klägers dürften so zu verstehen sein, dass er nicht die Steuerforderung selbst in Frage stellt. Er wendet sich vielmehr in seinen Schreiben gegen die Rechtmäßigkeit der Steuererhebungen. Er behauptet, dass seine Einkünfte aus seiner gewerblichen Tätigkeit so gering seien, dass sie nicht steuerpflichtig seien. Außerdem beantrage er Stundung und Erlass der Steuerrückstände. Abgesehen davon, dass der Antragsteller zusätzlich seit Jahren die erforderlichen Steuererklärungen tatsächlich nicht abgegeben hat und auch dies seine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit begründet, kommt es - wie oben festgestellt - im Gewerbeuntersagungsverfahren bei der Frage der Zuverlässigkeit/Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden nur darauf an, ob Steuern nicht entrichtet worden sind, obwohl sie von Rechts wegen hätten gezahlt werden müssen. Maßgebend ist allein, ob der Gewerbetreibende die Steuern zahlen muss. Dies ist der Fall. Anhaltspunkte dafür, dass die Vollziehung der Steuerschuld ausgesetzt ist, liegen nicht vor. Der Antragsteller hat auch nicht geltend gemacht, dass er einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Steuerbescheide gestellt hat oder gar, dass einem solchen Antrag stattgegeben worden ist. Er hat auch keine Vereinbarung mit dem Finanzamt getroffen, die Steuerrückstände in angemessener Zeit auszugleichen. Vielmehr ist das Finanzamt - wie sich aus den vom Antragsgegner überreichten Verwaltungsvorgängen ergibt - nicht bereit, eine Vereinbarung zu treffen, weil der Antragsteller in der Vergangenheit Tilgungsvereinbarungen wiederholt nicht eingehalten habe. Die Entscheidung des Antragsgegners, es sei aller Voraussicht nach nicht zu erwarten, dass der Antragsteller auf der Grundlage eines tragfähigen Sanierungskonzeptes die vorhandenen Steuerrückstände wird beachtlich zurückführen können, ist deshalb nicht zu beanstanden. Auf etwaige Versteigerungserlöse oder andere Sicherheiten, auf die der Antragsteller hinweist, muss sich das Finanzamt nicht verweisen lassen. Der Gewerbetreibende hat seine Steuerschulden durch Zahlung zu begleichen und kann sich nicht mit der Stellung von Sicherheiten begnügen. Im übrigen ist nicht ersichtlich, dass solche Sicherheiten überhaupt bestehen. Schließlich begründen auch die Rückstände bei der Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen von über 7.000,00 Euro die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Antragstellers. Auch insoweit wird auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug genommen.

8

Würde dem Antragsteller gestattet, sein Gewerbe der Elektroinstallation weiterhin auszuüben, wäre zu befürchten, dass er weiterhin die ihm als Gewerbetreibenden obliegenden Pflichten verletzt. Seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten - zusätzlich soll er bereits am 13. Juni 2002 die eidesstattliche Versicherung abgegeben haben - versucht er, auf Kosten insbesondere öffentlicher Gläubiger - neben dem Finanzamt auch die Landesversicherungsanstalt - und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu begegnen. Der Erforderlichkeit der Gewerbeuntersagung steht auch nicht entgegen, dass ihm durch die Gewerbeuntersagung seine Lebensexistenz genommen wird und er möglicherweise Sozialhilfe beziehen muss. Auch insoweit ist in dem Widerspruchsbescheid zutreffend ausgeführt, dass der Gesetzgeber diese vom Antragsteller behauptete Folge der Gewerbeuntersagungsmöglichkeit gesehen und im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit in Kauf genommen hat. Im übrigen bestätigt dieses Vorbringen des Antragstellers nur noch einmal seine Zahlungsunfähigkeit. Dass eine mildere Maßnahme zur Erreichung des Schutzzweckes der Gewerbeuntersagung in Betracht kommen würde, ist nicht ersichtlich.

9

Soweit sich die Gewerbeuntersagung auf alle anderen selbständigen Gewerbe erstreckt, ist diese Verfügung aller Voraussicht nach ermessensfehlerfrei nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ergangen, da aufgrund der bisherigen Umstände davon ausgegangen werden muss, dass sich das gewerberechtlich unzuverlässige Verhalten des Antragstellers auch im Rahmen derartiger Tätigkeiten fortsetzt. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist bereits dann als erforderlich anzusehen, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 - 1 C 17.79 -, BVerwGE 65, 9). Solche besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Antragsteller geht weiterhin von seiner gewerberechtlichen Zuverlässigkeit aus und ist folglich bestrebt, seine gewerbliche Tätigkeit vorzuführen.

10

Des Weiteren ist auch die Androhung der Schließung der Betriebsräume durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs aller Voraussicht nach rechtmäßig. Die Regelung ist so zu verstehen, dass die Schließung für den Fall der selbständigen Fortführung des Gewerbes angedroht wird. Rechtsgrundlage hierfür sind § 70 NVwVG i.V.m. §§ 70, 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 3, 69 Nds SOG.

11

Dabei ist insbesondere die Auswahl des angedrohten Zwangsmittels nicht ermessensfehlerhaft. Die Androhung der Schließung durch Anwendung des unmittelbaren Zwanges ist im Hinblick hierauf verhältnismäßig. Es ist geeignet und erforderlich, da das - grundsätzlich mildere - Zwangsmittel des Zwangsgeldes in diesem Fall ungeeignet ist.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i.V.m. der laufenden Nr. 54.2 des Streitwertkataloges der Verwaltungsgerichtsbarkeit, wonach bei einer Gewerbeuntersagung für das ausgeübte Gewerbe mindestens 15.000,00 Euro und für die erweitere Gewerbeuntersagung 5.000,00 Euro anzunehmen sind.