Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 19.01.2012, Az.: 1 A 94/10

Ermessen; Fristberechnung; häusliche Gewalt; Platzverweisung; Polizeirecht; Wohnungsverweisung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
19.01.2012
Aktenzeichen
1 A 94/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44507
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei der Ermessensausübung im Rahmen einer Entscheidung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG ist die Erwägung zulässig, man beabsichtige den von häuslicher Gewalt betroffenen Familienangehörigen eine Phase der Ruhe zu verschaffen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ohne das Risiko von Gewalttätigkeiten Entscheidungen über ihre künftige Lebensführung und ggf. die Inanspruchnahme gerichtlichen Schutzes nach dem Gewaltschutzgesetz zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.02.2002
- 1 BvR 300/02 -, NJW 2002, 2225 [BVerfG 22.02.2002 - 1 BvR 300/02]).

2. Zur Berechnung der 14-Tages-Frist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG.

Tatbestand:

Der Kläger wehrt sich im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage gegen eine Platzverweisung aus der gemeinsam mit seiner Ehefrau bewohnten Wohnung.

Der Kläger bewohnte mit der aus Mexico stammenden Beigeladenen und den fünf bzw. neun Jahre alten Söhnen des Ehepaars bis zum 21.04.2010 die Wohnung G. in Rosdorf. An diesem Tag kam es wegen familiärer Streitigkeiten gegen 22.10 Uhr zu einem Polizeieinsatz in der Wohnung. Dabei teilte die Beigeladene mit, man habe am Abend mit ihrem Bruder und dessen Lebensgefährtin, die am nächsten Tag nach Mexico zurückkehren wollten, gefeiert. Die Kinder hätten im Wohnzimmer gespielt und sich dabei gestritten. Daraufhin sei der Kläger "total ausgerastet" und habe den fünfjährigen Sohn angeschrien. Er sei dabei "total verrückt" gewesen und habe immer wieder zu seinem Sohn gesagt "Schau mir in die Augen". Geschlagen habe er ihn nicht. Als sie gemeint habe, nun sei es genug, habe er sie angeschrien. In der folgenden Auseinandersetzung habe er sie geschubst, indem er seine Hand gegen ihren Oberkörper gestoßen habe. Sie habe das Gleichgewicht verloren und mehrere Schritte zurückgehen müssen. Der Kläger sei schon immer sehr aggressiv gewesen. Er sei leicht reizbar und raste bei jeder Kleinigkeit sofort aus. Obwohl er sie in den 13 Jahren ihrer Ehe nie geschlagen habe, befürchte sie nunmehr, von ihm Schläge zu erhalten. Ihr Ehemann sei wegen seines Verhaltens in therapeutischer Behandlung gewesen. In letzter Zeit hätten sich vergleichbare Vorfälle wieder gehäuft. Sie habe Angst, dass er den Kindern etwas antun bzw. sie schlagen könnte. Auch die Kinder hätten Angst vor ihm. Er sei mit ihnen jeweils nach der Schule bzw. dem Kindergarten bis 15.30 Uhr allein. Sie habe schon im letzten September wegen einer Scheidung einen Anwalt aufgesucht. Der Kläger wolle sich jedoch nicht scheiden lassen; er wolle es "immer wieder noch mal probieren".

Der Kläger gab gegenüber den Polizeibeamten zum fraglichen Vorfall an, er habe seine Kinder nur erziehen wollen. Sie seien sehr laut gewesen und hätten nicht auf ihn gehört. Er habe seinen Sohn mit den Worten "Schau mir in die Augen" angeschrien, weil er gewollt habe, dass er ihn ansehe, wenn er mit ihm spreche. Bis Dezember 2009 sei er in der Nervenklinik in ärztlicher Behandlung gewesen.

Der Bruder der Beigeladenen und dessen Lebensgefährtin teilten den Polizeibeamten mit, die Kinder hätten Angst vor dem Kläger und seien in seiner Nähe sehr schreckhaft. Der Kläger sei beim Streit der Kinder „ausgerastet“ und habe "wie ein Irrer rumgeschrien". Dabei habe er immer mit den Fingern zu seinen Augen gezeigt. Sie hätten die Kinder dann aus dem Wohnzimmer heraus mitgenommen. Den jüngeren Sohn hätten sie beruhigen müssen. Er habe große Angst gehabt. Sie hätten gehört, dass der Streit im Wohnzimmer fortgesetzt worden sei. Der Kläger habe "nur geschrien".

Die Polizeibeamten vermerkten in ihrem Bericht, der Kläger habe einen aufgebrachten Eindruck gemacht und sei ihnen gegenüber sehr bestimmend aufgetreten. Ein Alkoholtest habe eine Atemalkoholkonzentration von 0,58 ‰ ergeben. Die Kinder schienen verängstigt zu sein. Zur Gefahrenbewertung führten die Beamten aus, der Kläger habe sich nach den Worten seiner Frau ihr und den Kindern gegenüber verbal schon immer sehr aggressiv gezeigt. Der Beigeladenen sei anzumerken gewesen, dass sie sich vor ihrem Mann fürchte. Es sei davon auszugehen, dass die heutige erstmalige Handgreiflichkeit der Beigeladenen gegenüber nicht die einzige bleiben werde. Der Kläger mache den Eindruck, als ob er schnell von einem Extrem ins andere wechseln könne. Er leide offensichtlich an Stimmungsschwankungen.

Gegen 23.00 Uhr erteilten die Polizeibeamten dem Kläger eine Platzverweisung bis zum 05.05.2010, 23.00 Uhr. In der Begründung des Bescheids stellten sie wiederum darauf ab, der Kläger sei verbal aggressiv gegenüber seiner Frau und den Söhnen gewesen und habe seine Frau geschubst. Seit Jahren sei er leicht reizbar und deshalb schon länger in ärztlicher Behandlung. Die Beigeladene habe Angst vor weiterer psychischer und physischer Gewalt. Laut Polizeivermerk war der Kläger mit dem Platzverweis nicht einverstanden; "mit einer Woche sei er jedoch eher einverstanden".

Am 23.04.2010 hat der Kläger gegen die Wegweisung Klage erhoben und beantragt, deren aufschiebende Wirkung anzuordnen. Zur Begründung führte er aus, er habe seine Ehefrau am 21.04.2010 nicht angegriffen, sondern nur abgewehrt. Die Polizei sei deshalb von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Die eingesetzte Beamtin habe zunächst nur eine Platzverweisung für zwei Tage aussprechen wollen. Nach Rückruf über Funk seien jedoch 14 Tage verhängt worden. Die Polizei spreche den Platzverweis regelmäßig für 14 Tage aus, ohne hinsichtlich der Dauer Ermessen auszuüben. Die Prognose der gegenwärtigen Gefahr müsse sich immer auf den gesamten Zeitraum der Platzverweisung beziehen. Soweit die Polizei das Ziel verfolgt habe, den Familienmitgliedern eine Ruhepause zur Aufarbeitung der Ereignisse einzuräumen, habe sie ihre Befugnisse überschritten, denn dies gehöre nicht mehr zur Aufgabe der Gefahrenabwehr. Ob es Handgreiflichkeiten gegeben habe, sei streitig. Es sei unsinnig, das Ende der Platzverweisung auf 23.00 Uhr festzulegen. Dies führe de facto auch zu einer Überschreitung der 14-Tages-Frist.

Durch Beschluss vom 28.04.2010 (45 F 100/10 EAGS) untersagte das Amtsgericht H. - Familiengericht - dem Kläger mit Wirkung längstens bis zum 28.10.2010 unter anderem, die gemeinsame Wohnung zu betreten und sich ihr bis auf eine Entfernung von 100 m zu nähern. Daraufhin erklärten die Beteiligten das Eilrechtsschutzverfahren in der  Hauptsache für erledigt. Der Kläger führt die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage fort, wobei er ein Feststellungsinteresse in der diskriminierenden Wirkung der Platzverweisung sieht.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 21.04.2010 rechtswidrig gewesen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Polizeibeamten seien am 21.04.2010 aufgrund der in der Wohnung des Klägers und der Beigeladenen vorgefundenen Situation zu Recht zu der Einschätzung gelangt, dass vom Kläger eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für seine Familienangehörigen ausgehe. Die Platzverweisung sei notwendig gewesen, um die akute Gefahrensituation zu unterbinden und der Ehefrau und den Kindern einen Schutzraum im Hinblick auf möglicherweise erneut einsetzende Gewalthandlungen zu bieten, um es ihnen zu ermöglichen, die Ereignisse aufzuarbeiten und sich über weiterführende Maßnahmen und mögliche Hilfen und Beratungsangebote klar zu werden. Weil derartige Hilfen erfahrungsgemäß nicht innerhalb weniger Tage zu erlangen seien, sei auch die Dauer der Platzverweisung nicht zu beanstanden. Insoweit habe eine Beratung der als Unterstützungskräfte im Streifendienst eingesetzten Beamten der Bereitschaftspolizei durch den verantwortlichen Dienstabteilungsleiter stattgefunden. Entgegen der Auffassung des Klägers sei nicht ohne Prüfung des Einzelfalls, sondern aufgrund einer ausführlichen Gefahrenbewertung entschieden worden, die auf die glaubhaften Angaben der Beigeladenen und der Zeugen, die instabile psychische Verfassung des Klägers und den Umstand zurückzuführen gewesen sei, dass dieser mit dem körperlichen Angriff auf die Beigeladene erstmals eine Grenze überschritten habe.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt ihre gegenüber der Polizei gemachten Äußerungen und führt ergänzend aus, der Vorfall am 21.04.2010 sei wesentlich dramatischer gewesen, als der Kläger es darstelle. Insbesondere habe der Kläger sie, als sie die Küche der Wohnung habe verlassen wollen, heftig durch einen Stoß gegen ihren Brustkorb in die Küche zurückgestoßen und sodann die Tür zugehalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Danach spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass ein Verwaltungsakt, der sich erledigt hat, rechtswidrig gewesen ist, soweit die Voraussetzungen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorliegen und wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die gegenüber dem Kläger für den Zeitraum vom 21.04. bis zum 05.05.2010 ausgesprochene Platzverweisung war nach Erlass der einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts H. vom 28.04.2010 gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 des Nds. Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) unwirksam geworden und hatte sich damit erledigt. Ein Feststellungsinteresse i. S. v. § 113 Abs. 4 Satz 1 VwGO ist u. a. zu bejahen, wenn die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zur Rehabilitierung erforderlich ist, weil der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte und sich aus ihm eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen ergab (Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, § 113 Rn. 142). Auf ein solches schützenswertes Rehabilitationsinteresse hat sich der Kläger berufen.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die am 21.04.2010 gegenüber dem Kläger ausgesprochene Platzverweisung war rechtmäßig. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG können die Verwaltungsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Betrifft die Maßnahme eine Wohnung, so ist sie gegen den Willen der berechtigten Personen nur zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr zulässig. Die Polizei kann eine Person aus ihrer Wohnung verweisen und ihr das Betreten der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung für die Dauer von höchstens 14 Tagen verbieten, wenn dies erforderlich ist, um eine von dieser Person ausgehende Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung von in derselben Wohnung wohnenden Personen abzuwehren (§ 17 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nds. SOG). Gemäß § 2 Nr. 1 Lit. b Nds. SOG ist unter einer gegenwärtigen Gefahr eine Gefahr zu verstehen, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Dabei ist nicht erforderlich, dass objektiv eine Gefahr gegeben ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob der handelnde Beamte bei verständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage vertretbar von einer Sachlage ausgeht, die bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut beschädigen wird. Die polizeiliche Gefahrenprognose ist allein daran zu messen, ob sie aus Ex-ante-Sicht, das heißt nach den Verhältnissen und dem möglichen Erkenntnisstand zur Zeit des Erlasses der präventiv-polizeilichen Maßnahme, vertretbar ist (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 22.06.2010 - 1 A 265/09 -; VG Münster, Urteil vom 11.12.2009 - 1 K 1855/08 -, juris, Rn. 30 m.w.N.). Für die Rechtmäßigkeit einer Wohnungswegweisung kommt es darauf an, ob die herbeigerufenen Polizeibeamten aufgrund der Erkenntnislage im Zeitpunkt der Anordnung der Verfügung zu der Einschätzung gelangen durften, von dem Kläger gehe eine gegenwärtige erhebliche Gefahr im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG aus. Dabei darf sich die Polizei auf die Aussagen der Beteiligten stützen, da gerade im Bereich der häuslichen Gewalt die Öffentlichkeit regelmäßig nicht beteiligt ist (vgl. VG Göttingen, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.02.2002 - 5 B 278/02 -, NJW 2002, 2195; VG Aachen, Urteil vom 23.08.2006 - 6 K 3852/04 -, juris, Rn. 46; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, Abschnitt F Rn. 538).

Nach diesen Maßstäben durften die Polizeibeamten, die am 21.04.2010 an dem Einsatz in der Wohnung des Klägers und der Beigeladenen beteiligt waren, davon ausgehen, dass für die Beigeladene und die gemeinsamen Kinder eine erhebliche Gefahr körperlicher Beeinträchtigungen gegeben war, zu deren Abwehr eine Platzverweisung des Klägers erforderlich war.

Die Polizeibeamten fanden den Kläger bei ihrem Eintreffen laut Polizeibericht in aufgebrachter Stimmung vor. Die Beigeladene berichtete, ihr Ehemann sei leicht reizbar und „raste“ bei jeder Kleinigkeit sofort „aus“. Nach einem Streit der Kinder habe er den jüngeren, fünfjährigen Sohn in völlig unangemessener Weise angeschrien; er sei dabei „total verrückt“ gewesen. Während des nachfolgenden Streits habe er sie durch einen Stoß gegen den Oberkörper geschubst. Die Kinder hätten Angst vor ihrem Vater und sie befürchte, dass er ihnen etwas antun werde. Der in der Wohnung anwesende Bruder der Beigeladenen und seine Lebensgefährtin bestätigten, dass der Kläger gegenüber den Kindern „ausgerastet“ sei und „wie ein Irrer rumgeschrien“ habe. Die Kinder seien in der Nähe des Klägers sehr schreckhaft; sie hätten Angst vor ihm. Der jüngere Sohn habe nach der Auseinandersetzung beruhigt werden müssen.

Nach den am fraglichen Abend gewonnenen Erkenntnissen befürchteten die Polizeibeamten nachvollziehbar weitere Handgreiflichkeiten des Klägers gegenüber der Beigeladenen und den Kindern. Der Kläger neige erkennbar zu Stimmungsschwankungen und habe Alkohol getrunken gehabt. Der Beigeladenen sei anzumerken gewesen, dass sie sich vor ihrem Ehemann fürchte. Die von den Beamten getroffene Prognose ist nicht zu beanstanden. Die Polizeibeamten hatten aufgrund der ihnen vorliegenden Erkenntnisse in der konkreten Situation kurzfristig zu entscheiden. Sie hatten nach der dem Gericht bekannten Sachlage keinen Anlass, die Angaben der Beigeladenen und ihrer Verwandten in Zweifel zu ziehen. Zudem haben sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigt, dass der Kläger mit dem Angriff auf die Beigeladene erstmals die Grenze zu körperlichen Übergriffen überschritten hatte und dass er wegen seines aggressiven Verhaltens bereits in therapeutischer Behandlung gewesen war. Es unterliegt keinen Bedenken, dass sie im Rahmen einer Gesamtwürdigung eine gegenwärtige erhebliche Gefährdung der Beigeladenen und der Kinder angenommen und deren rechtlichen Interessen gegenüber denjenigen des Klägers den Vorrang eingeräumt haben.

Die Entscheidung, die Maßnahme für die Dauer von 14 Tagen zu verhängen, ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Das Gericht folgt insoweit der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 12.07.2010 - 11 LA 362/09 -), wonach die Polizei auch hinsichtlich der Dauer der Platzverweisung Ermessen auszuüben und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen hat, ob die gesetzliche Höchstgrenze ausgeschöpft werden muss oder ein kurzfristiger Platzverweis zur Gefahrenabwehr ausreicht. Des Weiteren muss die Begründung des Bescheids die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe erkennen lassen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben (§ 39 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG). Das Gericht merkt hierzu an, dass der angefochtene Bescheid vom 21.04.2010 - wie auch in anderen Verfahren bekannt gewordene Bescheide der Beklagten zu Wohnungsverweisungen - in diesem Punkt nur sehr indirekte bzw. rudimentäre Ausführungen enthält, und empfiehlt für die Zukunft, Bescheide in diesem Punkt ausführlicher zu begründen. Es teilt jedoch nicht die Auffassung des Klägers, der Bescheid lasse überhaupt keine Ermessenserwägungen zur Dauer der Wegweisung erkennen und sei bereits deshalb rechtswidrig. Vielmehr wird in ihm in gerade noch ausreichender Weise deutlich, warum die am Einsatz beteiligten Polizeibeamten es angesichts der in der Wohnung des Klägers vorgefundenen Situation für notwendig hielten, die gesetzliche Höchstfrist für die Platzverweisung auszuschöpfen, und dass sie dabei insbesondere auf die Aggressivität des Klägers gegenüber seinen Familienangehörigen und die hieraus resultierende Angst seiner Kinder abgehoben haben. Dass die Dauer der Maßnahme Gegenstand von Überlegungen war, ergibt sich auch daraus, dass der Kläger sich hierzu geäußert hat, seinem Wunsch nach Verkürzung jedoch im Hinblick auf die Belange der Familienangehörigen nicht entsprochen worden ist. Unschädlich ist es, dass die konkrete Entscheidung über die Dauer der Platzverweisung erst nach Rücksprache mit der Dienststelle getroffen wurde. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, die zur Unterstützung des Streifendienstes eingesetzten Beamten der Bereitschaftspolizei hätten in Bezug auf Platzverweisungen zum Teil nicht die notwendige Erfahrung, sodass es üblich sei, vor einer Entscheidung die Beratung durch den Dienstabteilungsleiter einzuholen. Es ist nicht zu beanstanden, dass sodann unter Würdigung aller bekannten Umstände die Entscheidung über die Länge der Frist getroffen wurde.

Die Beklagte hat zur Ergänzung von Ermessenserwägungen (vgl. § 114 Satz 2 VwGO) im gerichtlichen Verfahren nachvollziehbar ausgeführt, man habe der Beigeladenen durch Ausschöpfung des Zeitraums gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG eine Phase der Ruhe einräumen wollen, um ihr die Möglichkeit zu geben, vor einer Rückkehr des Klägers in die Wohnung hinsichtlich weiterer Maßnahmen wie z. B. eines Antrags auf Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz kompetente Hilfe zu suchen. In H. werde entsprechende Beratung durch den Frauennotruf geleistet, wobei Termine aufgrund von Überlastung nicht vor Ablauf einer Woche zu erhalten seien. Auch etwaige gerichtliche Entscheidungen beanspruchten erfahrungsgemäß eine gewisse Zeit. Deshalb sei es notwendig gewesen, vor einer neuerlichen Einwirkung des Klägers auf seine Familienangehörigen eine ausreichend lange Ruhefrist zu gewährleisten. Die Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, derartige Erwägungen seien im Rahmen einer Entscheidung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG unzulässig, teilt das Gericht nicht. Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu in seinem Beschluss vom 22.02.2002 (1 BvR 300/02, NJW 2002, 2225), in dem es sich mit der in Nordrhein-Westfalen getroffenen Regelung zur Platzverweisung befasst hat, aus (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2004 - 1 S 2801/03 -, NJW 2005, 88; Lisken/Denninger, a.a.O., Rn. 527 und 531):

"§ 34 a NWPolG ermöglicht der Behörde vielmehr eine erste kurzfristige Krisenintervention mit dem Ziel, akute Auseinandersetzungen mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit einer Person zu entschärfen, den Beteiligten Wege aus der Krise zu eröffnen und ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, in größerer Ruhe und ohne das Risiko von Gewalttätigkeiten Entscheidungen über ihre künftige Lebensführung sowie ggf. die Inanspruchnahme gerichtlichen Schutzes nach Maßgabe des Gesetzes zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz - GewSchG -) zu treffen."

Entsprechendes gilt für das niedersächsische Landesrecht, denn nach dem Willen des Gesetzgebers ergänzt die Möglichkeit der Wegweisung neben der akuten Gewaltverhinderung die mit dem Gewaltschutzgesetz verfolgten Ziele des effektiven Schutzes der Opfer und der konsequenten Inverantwortungnahme der gewalttätigen Personen und gewährleistet die maximale Frist des Platzverweises von 14 Tagen das Interesse des Opfers, bis zur Erwirkung der zivilrechtlichen Anordnung vor weiteren Gewaltanwendungen im häuslichen Bereich polizeilich geschützt zu werden (Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes vom 17.06.2003, LT-Drs. 15/240, Seite 11). Dieses Schutzes bedurfte auch die Beigeladene, die die notwendigen Entscheidungen in Anwesenheit des Klägers, der schon in der Vergangenheit ihre Überlegungen zu einer möglichen Trennung beeinflusst hatte, nicht ungestört hätte treffen können.

Auch soweit der Kläger rügt, dass der Fristablauf auf 23.00 Uhr und damit in die Nachtzeit hinein festgesetzt wurde, hat das Gericht keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung. Wie bereits dargelegt, kann eine Wegweisung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG „für die Dauer von höchstens 14 Tagen“ ausgesprochen werden. Mit dem Platzverweis setzt die Polizei dem Betroffenen eine Frist (d. h. einen durch Anfangs- und Endzeitpunkt abgegrenzten, genau bestimmten oder bestimmbaren Zeitraum, vgl. Knack/Henneke, VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 31 Rn. 4 sowie Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 31 Rn. 5), bis zu deren Ablauf er seine Wohnung nicht betreten darf. Dabei bestehen keine Bedenken dagegen, die Frist in vollen Tagen festzusetzen. Das Gesetz spricht bei der Festlegung einer Höchstfrist von Tagen, nicht jedoch von Stunden oder Minuten. Es würde die durch die Vorschrift geschaffene Verpflichtung, auch hinsichtlich der Dauer der Platzverweisung Ermessen auszuüben, überstrapazieren, wenn die Polizeibeamten in der schwierigen Situation des Eingreifens bei häuslicher Gewalt hinsichtlich jeder einzelnen Stunde der Frist eine Abwägung vornehmen und diese dokumentieren müssten.

Für die Berechnung von Fristen gelten gemäß § 31 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 1 NVwVfG die §§ 187 bis 193 BGB entsprechend, soweit nicht durch § 31 Abs. 2 bis 5 VwVfG (für behördliche Fristen) etwas anderes bestimmt ist. Behördliche Fristen sind solche, deren Beginn, Dauer oder Ende die Behörde selbst festsetzt. Demgegenüber müssen Beginn, Dauer und Ende gesetzlicher Fristen (wie beispielsweise der Klagefrist gemäß § 74 VwGO) unmittelbar durch das Gesetz festgelegt sein (Knack/Henneke, a.a.O., Rn. 7 f.). Über Beginn und Dauer der im Rahmen von § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG festgesetzten Frist entscheidet die Polizei weitgehend nach Ermessen, sodass es sich von ihrem Wesen her um eine behördliche Frist handelt. Allerdings ist die Höchstdauer dieser Frist durch das Gesetz festgelegt und steht daher (wie auch eine Fristverlängerung, vgl. § 31 Abs. 7 VwVfG) nicht zur Disposition der Behörde.

Der Lauf einer behördlich festgesetzten Frist beginnt gemäß § 31 Abs. 2 Alt. 1 VwVfG grundsätzlich mit dem Tag, der auf die Bekanntgabe der Frist folgt. Dies führt dazu, dass für behördliche Fristen - ebenso wie für gesetzliche gemäß § 187 BGB - regelmäßig die Berechnungsweise der sog. Zivilkomputation gilt, bei der nur ganze Kalendertage in Rechnung kommen (von Mitternacht zu Mitternacht) und - abgesehen vom Fall des § 187 Abs. 2 BGB - der erste Tag nicht mitgerechnet wird (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., Rn. 17). Teilt die Behörde dem Betroffenen allerdings etwas anderes mit, so beginnt die Frist gemäß § 31 Abs. 2 Alt. 2 VwVfG zu dem von der Behörde ausdrücklich festgelegten Zeitpunkt zu laufen. Sie wird in diesem Fall nach der Berechnungsweise der sog. Naturalkomputation (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 187 Rn. 1) nach ihrem natürlichen Lauf berechnet und endet, sofern sie z. B. nach Tagen bestimmt ist und die Behörde nicht einen abweichenden Endzeitpunkt festlegt, mit dem ihrem Anfangsmoment entsprechenden Zeitpunkt (z. B. um 4.15 Uhr, wenn sie um 4.15 Uhr begann).

In Fällen des Aussprechens von Wohnungsverweisungen verfährt die Beklagte regelmäßig - wie auch vorliegend - nach § 31 Abs. 2 Alt. 2 VwVfG, indem sie dem Betroffenen mitteilt, dass die Frist für die Platzverweisung in dem Zeitpunkt beginnt, in dem sie ausgesprochen wird, und an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit endet. Das Gericht überprüft diese Entscheidung unter Berücksichtigung des natürlichen Verlaufs der Frist daraufhin, ob die Höchstdauer von 14 Tagen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG gewahrt ist. Im Fall des Klägers wurde die Frist für die Zeit vom 21.04.2010, 23.00 Uhr, bis zum 05.05.2010, 23.00 Uhr festgelegt. Der Zeitraum von 14 Tagen wurde womit ausgeschöpft, aber nicht überschritten. Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, ein Fristende um 23.00 Uhr sei unsinnig und schiebe den Zeitraum der Wegweisung faktisch über 14 Tage hinaus. Auch die Berechnungsweise nach der Zivilkomputation geht ohne Weiteres davon aus, dass Fristen um Mitternacht enden. Es bleibt dem Betroffenen unbenommen, zur Nachtzeit in seine Wohnung zurückzukehren, sobald die gesetzte Frist abgelaufen ist.

Soweit das Gericht zur Berechnung der Frist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG in der Vergangenheit eine andere Auffassung vertreten hat, wird hieran nach erneuter Befassung der Kammer mit der Fristenproblematik nicht festgehalten. Auch der nicht näher begründeten Auffassung von Söllner (in Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht - Berliner Kommentar -, 2009, § 29a Rn. 25), das Betretensverbot beginne mit dem Tag der Wegweisung und ende spätestens mit Ablauf des 14. Tags nach der Anordnung, wobei der Tag der Anordnung mitzähle, folgt das Gericht nicht.