Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.02.1995, Az.: 6 B 61040/94

Ausschluss eines Schülers von der kostenlosen Schülerbeförderung; Angemessenheit der Dauer eines Beförderungsausschlusses; Sicherheitsgefährdendes Verhalten eines Schülers bei Busfahrten

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
08.02.1995
Aktenzeichen
6 B 61040/94
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1995, 31728
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:1995:0208.6B61040.94.0A

Verfahrensgegenstand

Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Das Verwaltungsgericht Braunschweig - 6. Kammer - hat
am 08. Februar 1995
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 01. Februar 1994 wird mit Wirkung vom 09. Februar 1994 wiederhergestellt.

Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu 2/3 und der Antragsgegner zu 1/3.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 500,- DM (fünfhundert Deutsche Mark) festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der 11-jährige Sohn ... der Antragsteller besucht seit August 1993 die 6, Jahrgangsstufe der Orientierungsstufe Baddeckenstedt. Für den Weg zwischen seinem Wohnort und der Schule benutzt der Schüler einen Bus der Regionalbus-Braunschweig-GmbH, die auf dieser Strecke im Auftrag des Antragsgegners die Schülerbeförderung durchführt.

2

Im Herbst 1993 beschwerten sich die zur Aufsicht im Bus eingesetzten Schulerlotsen und die Busfahrerin wiederholt bei dem Schulleiter der Orientierungsstufe Baddeckenstedt über das Verhalten des Schülers. Aus diesem Grunde wurden seitens des Betreuers der Schulerlotsen, des Konrektors und des Schulleiters mehrmals Gespräche mit dem Schüler geführt, ohne daß sich das Verhalten änderte. Der Schulleiter forderte daraufhin mit Schreiben vom 10. Dezember 1993 die Antragsteller auf, ihren Sohn Marc zur Vermeidung eines Ausschlusses von der Schulerbeförderung eindringlich zu einem angemessenen Verhalten bei den Busfahrten anzuhalten. Als Vorfälle, an denen der Schüler maßgeblich beteiligt gewesen sein soll, waren dem Schulleiter lärmendes Verhalten und häufiges Wechseln des Sitzplatzes während der Fahrten, Verschmutzung des Busses durch mitgebrachte Eßwaren, freches Benehmen gegenüber den Schulerlotsen und der Busfahrerin sowie die erhebliche Verletzung eines Mitschülers bei einer der mehrfachen Prügeleien im Bus mitgeteilt worden.

3

Am 21. Januar 1994 fühlte sich die Busfahrerin durch das Verhalten des Schülers erneut derart gestört, daß sie ihn in Westerlinde aus dem Bus setzte und die örtliche Polizeidienststelle benachrichtigte. Wegen dieses weiteren Vorfalls verfügte der Schulleiter der Orientierungsstufe Baddeckenstedt mit Bescheid vom 28. Januar 1994 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung für den Zeitraum vom 02.-11. Februar 1994 einen Ausschluß des Sohnes ... der Antragsteller von der Schulerbeforderung. Diese Maßnahme wurde im Hinblick auf die hierfür fehlende Zuständigkeit unter dem 01. Februar 1994 von der Schule wieder aufgehoben.

4

Am 01. Februar 1994 ordnete der Antragsgegner für die Zeit vom 02.-11. Februar 1994 einen Ausschluß von der Schülerbeförderung an und behielt sich vor, bei einem erneuten sicherheitsgefährdenden Verhalten den Schüler ohne eine weitere Ermahnung bis zum Ende des laufenden Schuljahres von der Teilnahme am kostenlosen Schulertransport auszuschließen. Im Hinblick auf die für die Busfahrerin und die beförderten Mitschüler entstehenden Gefahrensituationen wurde außerdem die sofortige Vollziehung angeordnet.

5

Hiergegen erhoben die Antragsteller unter dem 03. Februar 1994 Widerspruch, über den - soweit ersichtlich ist - noch nicht entschieden wurde.

6

Außerdem haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie tragen vor:

7

Die Begründung des Antragsgegners für einen Ausschluß ihres Sohnes ... von der Schülerbeförderung sei nicht ausreichend. Insbesondere sei daraus nicht zu ersehen, daß ... sich sicherheitsgefährdend verhalten habe. Vielmehr hätten die Schule und das Busunternehmen ihre Aufsichtspflicht verletzt, indem ihr Sohn am 21. Januar 1994 in Westerlinde aus dem Bus gesetzt worden sei und auf unbefestigten Landstraßen zu Fuß habe nach Hause gehen müssen. Aus beruflichen Gründen sei es ihnen zudem nicht möglich, ihren Sohn selbst zur Schule zu fahren. Eine öffentliche Verkehrsverbindung zur Schule bestehe nicht.

8

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 03. Februar 1994 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 01. Februar 1994 wiederherzustellen.

9

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

10

Hinsichtlich seiner Antragserwiderung und der diesen Ausführungen beigefügten Äußerungen der Busfahrerin zu den Vorkommnissen wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 07. Februar 1994 besonders verwiesen.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

12

II.

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nur in dem aus der Beschlußformel zu ersehenden Umfang begründet; im übrigen konnte dem Begehren nicht entsprochen werden.

13

Der nach§ 114 Abs. 1 SchG,NI für die Schülerbeförderung in seinem Gebiet zuständige Antragsgegner hat zwar in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichendem Umfang schriftlich begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO), weshalb er das besondere Interesse an einem sofort vollziehbaren Ausschluß des Sohnes der Antragsteller vom Schülerverkehr als gegeben angesehen hat.

14

Unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten erweist sich der Ausschluß von der Schulerbeforderung jedoch nur für einen Teil der angeordneten Dauer als verhältnismäßig und demgemäß der diese Zeit betreffende Sofortvollzug als Rechtens. Insoweit war das Rechtsschutzbegehren der Antragsteller abzulehnen. Hinsichtlich eines weiteren Teils des Beforderungsausschlusses, der den Zeitraum von einer Woche (fünf bzw. sechs Schultage) überschreitet, begegnet die Verfugung des Antragsgegners vom 01. Februar 1994 rechtlichen Bedenken; ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung einer solchen Maßnahme ist in einem derartigen Fall nicht gegeben. In diesem Umfang war deshalb dem Rechtsschutzantrag zu entsprechen.

15

Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 NSchG haben die Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Schülerbeförderung die Schuler der dort im einzelnen aufgezählten Schularten und - jahrgange unter zumutbaren Bedingungen zur Schule zu befördern. Diese Aufgabe umfaßt nicht nur die Verpflichtung, unter dem Gesichtspunkt der mit der Länge und Dauer des Schulwegs verbundenen Belastungen der Schüler Unangemessenheiten zu vermeiden; denn in die Zumutbarkeitserwägungen sind darüber hinaus auch Sicherheitsbelange einzubeziehen, zu denen insbesondere die Aufsicht bei der Durchführung der Schülerbeförderung gehört.

16

Zur Gewährleistung eines geordneten Schulerverkehrs sind deshalb eine Anzahl von Vorschriften ergangen, mit denen Sicherheitsrisiken möglichst vermieden und Störungen umgehend beseitigt werden sollen (z.B. RdErl. MK vom 16.02.1976 - Aufsicht durch Erziehungsberechtigte beim Schulertransport/Nds. MBl. 1976, 358; RdErl. MK vom 05.08.1980 - Aufsicht an Schulbushaltestellen und Aufsicht über Schüler im Bereich der Schule/Nds. MBl. 1980, 1117; RdErl. MK vom 25.08.1980 - Kosten der Richtlinien der Gemeinde-Unfallversicherungsverbände für die Beförderung von Schülern mit Schulbussen/Nds. MBl. 1980, 1285). Diese Regelungen sehen im Falle einer nachhaltigen Störung im Schulerverkehr - wie sie hier offensichtlich vorgelegen hat - u.a. ein gemeinsames Bemühen von Schule, Eitern, Träger der Schulerbeforderung und ggfs. Busunternehmen um eine Wiederherstellung der notwendigen Ordnung vor (RdErl. vom 25.08.1980 a.a.O.). In diesem Sinne haben zunächst Gespräche des Ausbildungsleiters der Schulerlotsen mit dem Schüler und der Lehrer mit den Eltern im November 1993 (Elternsprechtag) stattgefunden, bevor dann der Schulleiter der Orientierungsstufe Baddeckenstedt mit Schreiben vom 10. Dezember 1993 die Antragsteller nochmals aufgeforder hat, ihren Sohn zu einer unverzüglichen Verhaltensänderung bei den Busfahrten zu veranlassen. Kommt es trotz eines solchen Bemühens um die Wiederherstellung der Ordnung gleichwohl zu weiteren erheblichen Störungen des Busbetriebes, kann sowohl der Busunternehmer und sein Betriebspersonal als auch - in entsprechender Anwendung dieser Regelung - der Träger der Schülerbeförderung nach § 14 der VO über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr - BOKraft - i.d.F. der Änderungsverordnung vom 30. Juni 1989 (BGBl. I S. 1273) einen zeitweisen Ausschluß von der Beförderung verfügen (vgl. hierzu: Klügel/Woltering, NSchG, 2; Aufl., § 94 RdNr. 9 m.w.N.).

17

Hiervon hat der Antragsgegner dahingehend Gebrauch gemacht, daß er den Sohn der Antragsteller für einen Zeitraum von 9 Tagen von der Schülerbeförderung ausgeschlossen hat. Dabei hat die Behörde die zunächst von der (unzuständigen) Schule verhängte Frist offensichtlich ohne nähere Darlegungen hinsichtliche des zeitlichen Ausmaßes der Maßnahme übernommen. Andererseits steht jedoch nach den im übrigen gemachten Ausführungen des Antragsgegners außer Frage, daß die Behörde mit einem zeitlich angemessenen Ausschluß des Schülers von der Schülerbeförderung auf eins unerläßlich notwendige Verhaltensänderung hinwirken wollte. Insoweit hatte sich die Kammer in diesem Verfahren vordringlich mit der Angemessenheit der Dauer des Beförderungsausschlusses zu befassen. Denn bei der in diesem Verfahren allerdings nur summarisch möglichen Prüfung des Sachverhalts bestehen nach den von dem Antragsgegner getroffenen Feststellungen keine durchgreifenden Zweifel über das wiederholt sicherheitsgefahrdende Verhalten des Schülers bei den Busfahrten, wie auch davon ausgegangen werden muß, daß weitere Appelle an die Erziehungspflichten der Eltern des Schülers unterhalb der Schwere eines zeitlichen Ausschlusses von der Schülerbeförderung wenig Aussicht auf Erfolg versprachen.

18

Im Hinblick auf die mit einem Ausschluß von der Schülerbeförderung für den betroffenen Schüler verbundenen Belastungen, insbesondere dann, wenn - wie hier - ein Ausweichen auf öffentliche. Verkehrsmittel nicht oder nur schwerlich möglich ist, halt das Gericht für einen Schüler, der noch die Orientierungsstufe besucht, jedenfalls bei der erstmaligen Anwendung einer solchen Maßnahme eine Dauer nicht mehr für verhältnismäßig, die einen Zeitraum von einer Woche (fünf bzw. sechs Schultage) überschreitet. Denn in aller Regel wird ein solcher mehrtägiger Ausschluß ausreichen, um eine Anpassung an die Erfordernisse einer ordnungsgemäßen Schülerbeförderung zu erreichen. Erst im Wiederholungsfall dürfte deshalb eine einschneidendere Maßnahme zulässig und dann regelmäßig auch geboten sein. Hinsichtlich des Zeitraumes, der hier die als noch verhältnismäßig anzunehmende obere Grenze bei einer ersten Ordnungsmaßnahme überschreitet, war deshalb die Anordnung des Sofortvollzuges in der Verfügung vom 01. Februar 1994 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des gegen die Verfügung erhobenen Rechtsbehelfs mit Wirkung vom 09. Februar 1994 wiederherzustellen.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, [...].

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 500,- DM (fünfhundert Deutsche Mark) festgesetzt.

[D]ie Festsetzung des Streitwertes folgt aus den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Bockemüller
Meyer
Kurbjuhn