Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 17.05.2018, Az.: 5 A 238/15

Beschränkung; Demonstration; Demonstrationsaufzug; Ordner; Ordnerin; Versammlung; Versammlungsfreiheit; Versammlungsleiter; Versammlungsrecht

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
17.05.2018
Aktenzeichen
5 A 238/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74326
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Vorgabe, bei der Durchführung einer Versammlung eine bestimmte Anzahl an Ordnerinnen und Ordnern einzusetzen, ist als beschränkende Anordnung auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 NVersG grundsätzlich möglich. Sie darf aber nur ergehen, soweit der Einsatz von Ordnerinnen und Ordnern zur Abwendung unmittelbarer Gefahren, die aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer herrühren, erforderlich und die beschränkende Vorgabe insgesamt verhältnismäßig ist.

2. Hier: Einzelfall, bei dem die Anordnung, hinsichtlich eines sich bewegenden Demonstrationsaufzugs mit 250 erwarteten Teilnehmern insgesamt 10 Ordnerinnen und Ordner einzusetzen, unverhältnismäßig gewesen ist.

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Bescheid vom 12. Mai 2015 zu Ziff. 2 Sätze 1 und 2 rechtswidrig gewesen ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Hinsichtlich der Kostenentscheidung ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer versammlungsrechtlichen Anordnung, mit der die Beklagte der Klägerin zu einem von ihr durchgeführten versammlungsrechtlichen Aufzug aufgegeben hatte, Ordnerinnen oder Ordner (im Folgenden nur noch Ordner) einzusetzen.

Im Rahmen der Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst des Jahres 2015 hatte die Klägerin, die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, bereits am Dienstag, 7. April 2015, einen versammlungsrechtlichen Aufzug mit Kundgebung im Innenstadtbereich der Beklagten mit circa 600 erwarteten Teilnehmern durchgeführt. Die Beklagte hatte der Klägerin mit Bescheid vom 31. März 2015 insoweit unter anderem aufgegeben, ausgehend von 600 erwarteten Teilnehmern 50 Ordner einzusetzen und deren Anzahl im Verhältnis 1 für jeweils weitere 35 Teilnehmer aufzustocken. Wegen der Einzelheiten der Begründung und der Route des Demonstrationsaufzugs wird auf den Bescheid (Blatt 11 ff. der Beiakte 1) verwiesen. Mit einer E-Mail vom 1. April 2015 beanstandete die Klägerin die angeordnete Anzahl der Ordner. Diese sei nicht tragbar und aus der Gefahrenlage heraus nicht begründbar. Sie weiche von der Verwaltungspraxis anderer Versammlungsbehörden ab. In Absprache mit der Polizei reduzierte die Beklagte die Anzahl der einzusetzenden Ordner auf 30. In einer E-Mail an die Klägerin vom 2. April 2015 führte sie insoweit zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die Anordnung auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 NVersG ergangen sei und dazu diene, eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Diese umfasse unter anderem die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs. Der Demonstrationszug sei mit 600 Teilnehmern vergleichweise groß und stelle für die örtlichen Verhältnisse ein straßenverkehrsuntypisches Geschehen dar. Die Ordner unterstützten den Versammlungsleiter. Weil die Versammlung öffentliche Straßen mit teilweise hohem Fahrzeugaufkommen benutze, sollten die Ordner dafür Sorge tragen, dass die Versammlungsteilnehmer immer geordnet gingen und die Marschformation nicht abreiße. Ein Vergleich mit anderen Kommunen sei nicht möglich, da die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigt werden müssten. Die Klägerin widersprach dieser Bewertung der Beklagten mit E-Mail vom 1. April 2015. Wegen der Einzelheiten wird auf die entsprechenden E-Mails (Blatt 20 ff. der Beiakte 1) verwiesen.

Mit E-Mail vom 8. Mai 2015 zeigte die Klägerin der Beklagten an, dass sie beabsichtige, am Mittwoch, 13. Mai 2015, in der Zeit von 10:00 Uhr bis 11:00 Uhr im Innenstadtbereich der Beklagten auf einer näher bezeichneten Route einen Demonstrationsaufzug und anschließend bis circa 12:30 Uhr eine versammlungsrechtliche Kundgebung auf dem Marktplatz der Innenstadt durchzuführen. Mit einer weiteren E-Mail vom 11. Mai 2015 ergänzte die Klägerin die versammlungsrechtliche Anzeige dahingehend, dass die Gewerkschaft komba sich ebenfalls zur Teilnahme entschieden habe, sodass die Gesamtteilnehmerzahl 200 betragen werde. Wegen der Einzelheiten der Anzeige wird auf die E-Mails (Blatt 29 ff. der Beiakte 1) verwiesen.

Am 12. Mai 2015 fand ein Kooperationsgespräch unter Beteiligung von Vertretern der Beklagten und der Polizei Peine statt, zu dem ein Vertreter der Klägerin im Einvernehmen telefonisch zugeschaltet war. Die Klägerin nannte als voraussichtliche Teilnehmerzahl circa 200-250 Personen. Gegenstand des Kooperationsgesprächs war danach im Wesentlichen die Anzahl einzusetzender Ordner. Die Beklagte legte dar, dass sie auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen beabsichtige, bei erwarteten 250 Teilnehmern den Einsatz von 10 Ordnern anzuordnen. Der Vertreter der Klägerin widersprach dem. Nach einer Diskussion zu diesem Aspekt erklärte der Vertreter der Klägerin, die Anordnung über den Einsatz von Ordnern umzusetzen, sich aber eine spätere rechtliche Überprüfung vorzubehalten. Schließlich kündigte die Beklagte Änderungen zu der von der Klägerin angezeigte Route des Demonstrationszuges an. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vermerk der Beklagten (Blatt 32 der Beiakte 1) verwiesen.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 12. Mai 2015 gab die Beklagte der Klägerin unter anderem gemäß Ziff. 2. Sätze 1 und 2 des Entscheidungstenors auf, ausgehend von bis zu 250 Teilnehmern zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit in Abstimmung mit dem Einsatzleiter der Polizei 10 Ordner einzusetzen und die Anzahl der Ordner im Verhältnis 1 für weitere 35 Teilnehmer aufzustocken. Zur Begründung verwies die Beklagte im Wesentlichen darauf, dass die Anordnung der Abwehr unmittelbarer Gefahren für die öffentliche Sicherheit - namentlich der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs - diene. Die festgesetzte Anzahl der Ordner beschränke das Versammlungsrecht der Klägerin nach Art. 8 Grundgesetz und die Öffentlichkeitswirkung der Versammlung nicht. Sofern die erwartete Teilnehmerzahl unterschritten werde, könne am Tag der Versammlung in Absprache mit der Polizei die Anzahl der Ordner reduziert werden. Wegen der weiteren Einzelheiten – insbesondere auch hinsichtlich der festgesetzten Route des Demonstrationsaufzugs – wird auf den Bescheid (Blatt 5 ff. der Gerichtsakte) verwiesen.

Am 13. Mai 2015 fanden der Demonstrationsaufzug und die Kundgebung nach Maßgabe des Bescheids der Beklagten vom 12. Mai 2015 statt. Ausweislich des Reports des Polizeikommissariats Peine vom 30. Mai 2015 nahmen circa 200 Personen teil. Besondere Vorkommnisse gab es nicht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Report (Blatt 41 der Beiakte 1) verwiesen.

Am 23. Juli 2015 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, mit der sie sich gegen die Anordnung zum Einsatz von Ordnern mit dem Bescheid vom 12. Mai 2015 wendet. Sie begründet diese im Wesentlichen wie folgt: Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft, weil sich der streitgegenständliche Bescheid mit Durchführung des Aufzugs am 13. Mai 2015 erledigt habe. Sie sei auch im Übrigen zulässig. Insbesondere habe sie ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Auflage, weil zu erwarten sei, dass die Beklagte bei zukünftig geplanten ähnlichen Versammlungen inhaltlich gleiche Auflagen erlassen werde. Die Anordnung, 10 Ordner einzusetzen, sei rechtswidrig gewesen und habe sie in ihren Grundrechten verletzt. Es habe bereits keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne von § 8 Abs. 1 NVersG vorgelegen. Es sei nicht Aufgabe von Ordnern, die Polizei in ihrer Aufgabe, die Sicherheit einer Versammlung zu gewährleisten, zu unterstützen. Sofern die Versammlungsbehörde in Absprache mit der Polizei entscheide, den Demonstrationsaufzug nur auf der rechten Fahrbahn einer mehrspurigen Straße laufen zu lassen, müsse die Polizei diesen sichern. Die Anordnung sei zudem deswegen rechtswidrig, weil die Beklagte kein Ermessen ausgeübt habe. Weder der streitgegenständliche Bescheid noch der Verwaltungsvorgang ließen erkennen, dass die Beklagte Ermessen ausgeübt habe. Schließlich habe die Anordnung sie unverhältnismäßig belastet. Trotz erheblicher Bemühungen, sei sie nicht der Lage gewesen, die geforderte Anzahl von Ordnern zu stellen.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass Ziff. 1 Sätze 1 und 2 des Bescheids der Beklagten vom 12. Mai 2015 rechtswidrig waren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Begründung ihres Bescheids und führt ergänzend im Wesentlichen wie folgt aus: Sie habe Ermessen ausgeübt. Dies ergebe sich beispielsweise aus ihrem Vermerk vom 12. Mai 2015 zum Kooperationsgespräch. Die festgesetzte Anzahl an Ordnern entspreche zudem dem nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte A-Stadt und B-Stadt zulässigen Maß. Hinsichtlich der mit dem Bescheid vom 12. Mai 2015 festgesetzten Zahl an Ordnern sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Demonstrationsaufzug teilweise über viel befahrene Straßen geführt habe und im Übrigen einen recht komplizierten Marschweg gehabt habe. Ohne die festgesetzte Anzahl an Ordnern sei eine ordnungsgemäße Leitung dieses Zuges nicht möglich gewesen. Insbesondere hätte eine Absicherung des Demonstrationszuges zu den Seitenstraßen nicht ausreichend sichergestellt werden können. Die Anordnung habe die Klägerin nicht unverhältnismäßig belastet. Dass es der Klägerin nicht möglich gewesen sein soll, 10 Personen als Ordner auszuwählen und in ihre Aufgaben einzuweisen, sei aus Sicht der Beklagten nicht nachvollziehbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Sie ist in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft, nachdem sich die streitgegenständliche Anordnung im Bescheid vom 12. Mai 2015 mit der Durchführung der Versammlung am 13. Mai 2015 - und somit vor Klageerhebung - erledigt hatte (zur entsprechenden Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bei Erledigung eines Verwaltungsakts vor Klageerhebung vgl. bspw. BVerwG, U. v. 01.07.1975 – I C 35.70 –, juris Rn. 23; Riese in: Schoch/Schneider/Bier/Riese, VwGO, Stand: Juni 2017, § 113 Rn. 97 m.w.N.). Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO resultiert bereits aus einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr (vgl. hierzu Riese, a.a.O., § 113 Rn. 126 f.), weil die Beklagte ihre Anordnung weiterhin für rechtmäßig hält und zudem davon auszugehen ist, dass die Beklagte als große Dienstleistungsgewerkschaft auch zukünftig im Zuständigkeitsbereich der Beklagten ähnliche Demonstrationsaufzüge durchführen wird. Eine Klagefrist musste die Klägerin nicht beachten. Eine solche gilt nicht, sofern sich der streitgegenständliche Bescheid - wie vorliegend - vor Klageerhebung und während des Laufs der Rechtsmittelfrist erledigt hat (vgl. Riese, a.a.O., § 113 Rn. 149 m.w.N.).

Die Klage ist auch begründet. Die streitgegenständliche Anordnung im Bescheid vom 12. Mai 2015 über den Einsatz von Ordnern ist rechtswidrig gewesen und hat die Klägerin in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.

Rechtsgrundlage der Anordnung ist § 8 Abs. 1 NVersG. Hiernach kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Eine „unmittelbare Gefährdung“ i. S. d. § 8 Abs. 1 NVersG setzt wiederum eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf in der vom Veranstalter angezeigten Form mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für Rechtsgüter führt, die der Versammlungsfreiheit entgegenstehen. Die Gefahrenprognose hat auf der Grundlage nachweisbarer Tatsachen zu erfolgen; bloße Vermutungen reichen nicht. Das aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters einer Versammlung bezieht sich dabei in der Regel auch auf Ort, Zeitpunkt, Modalitäten und Inhalt der Versammlung, kann allerdings durch Rechte anderer beschränkt sein. Rechtsgüterkollisionen können gegebenenfalls durch versammlungsrechtliche Beschränkungen ausgeglichen werden (vgl. Nds. OVG, B. v. 01.11.2017 – 11 ME 518/17 –, juris Rn. 13 m.w.N.).

Die Vorgabe, bei der Durchführung einer Versammlung eine bestimmte Anzahl von Ordnern einzusetzen, ist als beschränkende Anordnung auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 NVersG grundsätzlich möglich. Dem steht insbesondere nicht die Regelungssystematik des NVersG entgegen (vgl. Nds. OVG, B. v. 01.11.2017 – 11 ME 518/17 –, juris Rn. 23; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 10.02.2010 - 7 A 11095/09 -, juris Rn. 28; Ullrich, NVersG, § 8 Rn. 79 m.w.N.; Wefelmeier in: Wefelmeier/Miller; NVersG, § 8 Rn. 15; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 16. Aufl., § 15 Rn. 48). Hierbei ist jedoch Folgendes zu beachten: Gemäß § 7 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 NVersG gehört es zu den Aufgaben des Versammlungsleiters, den Ablauf der Versammlung zu bestimmen und für Ordnung zu sorgen. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 NVersGkann sich der Versammlungsleiter zur Erfüllung seiner Aufgaben der Hilfe von Ordnern bedienen. Aus der Systematik der zitierten Vorschriften folgt zum einen, dass es eine pauschale gesetzliche Verpflichtung für Versammlungsleiter, Ordner einzusetzen, nicht gibt. Zum anderen ergibt sich aus einer Gesamtschau der in § 7 NVersG enthaltenen Regelungen, dass Ordner ebenso wie Versammlungsleiter nur befugt sind, Störungen der Ordnung aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer zu verhindern. Demgegenüber haben sie keine Befugnisse gegenüber Dritten. Gefahren, die von außen auf die Versammlung einwirken oder die auf das Verhalten von Personen zurückzuführen sind, die nicht an der Versammlung teilnehmen, sind vielmehr durch die Polizei abzuwehren (vgl. Nds. OVG, B. v. 01.11.2017 – 11 ME 518/17 –, juris Rn. 23 m.w.N.). Nur soweit der Einsatz von Ordnern zur Abwendung unmittelbarer Gefahren, die aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer herrühren, erforderlich und verhältnismäßig ist, darf eine beschränkende Anordnung über den verpflichtenden Einsatz von Ordnern gegenüber dem Veranstalter ergehen.

Nach diesem Maßstab haben zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 8 Abs. 1 NVersG vorgelegen. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin einen sich im öffentlichen Verkehrsraum fortbewegenden Demonstrationsaufzug mit maximal 250 Teilnehmern angezeigt hatte, war davon auszugehen, dass der Versammlungsleiter gänzlich ohne eine Unterstützung durch Ordner nicht mit hinreichender Sicherheit gewährleisten konnte, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durch Versammlungsteilnehmer ausgeschlossen ist. Bei dieser Anzahl an Teilnehmern ist beispielsweise damit zu rechnen, dass der Demonstrationsaufzug in Bereichen wie der Luisenstraße, in denen mit Gegenverkehr von Kraftfahrzeugen gerechnet werden musste, die zugewiesene rechte Fahrbahnseite überschreiten und in den Gegenverkehr hineinragen kann. Um in solchen Situationen jederzeit, auch wenn sich der Aufzug nicht als vollständig geschlossene Formation bewegt, sondern sich in die Länge zieht, auf die Versammlungsteilnehmer einwirken und eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer sowie der Versammlungsteilnehmer verhindern zu können, hat ein Erfordernis, Ordner einzusetzen, grundsätzlich bestanden.

Die streitgegenständliche Anordnung ist aber hinsichtlich der Anzahl der Ordner, deren Einsatz der Klägerin vorgegeben wurde, rechtswidrig gewesen. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles hat die Anordnung, für bis zu 250 angezeigte Teilnehmer insgesamt 10 Ordner einzusetzen, die Klägerin in ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt, selbst wenn man der Versammlungsbehörde in der Entscheidung über die erforderliche Anzahl an Ordnern einen gewissen Spielraum zugesteht (so VG Göttingen, U. v. 22.04.2009 – 1 A 355/07 –, juris Rn. 75). Eine besondere Gefahrensituation, die den Einsatz jeweils eines Ordners pro 25 Teilnehmer an der Versammlung erforderlich gemacht hätte, hat nicht bestanden. Vielmehr war der Demonstrationsaufzug dadurch gekennzeichnet, dass die für jeden Aufzug dieser Größenordnung im öffentlichen Straßenraum grundsätzlich bestehende Möglichkeit, andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden, nur in geringem Ausmaß prognostiziert werden konnte. Angesichts dessen war davon auszugehen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auch mit einer deutlich geringeren Anzahl von Ordnern wirksam unterbunden werden konnte.

Der Teilnehmerkreis der angezeigten Versammlung – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – hat die Prognose einer besonderen Gefahrenlage nicht gerechtfertigt. Insbesondere war, dies hat sich schon anhand der Erfahrungen mit früheren vergleichbaren Versammlungen der Klägerin gezeigt, nicht davon auszugehen, dass aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer absichtlich und bewusst Provokationen oder in besonderer Weise fahrlässig Störungen gegenüber Dritten, insbesondere anderen Verkehrsteilnehmern, erfolgen würden; solche Störungen waren allenfalls als Folge unaufmerksamen Verhaltens von Versammlungsteilnehmern zu prognostizieren. Die Gefahrenprognose hat sich zudem zusätzlich dadurch abgeschwächt, dass der Versammlungsleiter in der Durchführung vergleichbarer und auch größerer Veranstaltungen sehr erfahren war. Da ihm - hierauf hat er in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar hingewiesen - im Hinblick auf die Öffentlichkeitswirkung der Versammlung aus eigenem Interesse daran gelegen war, dass der Aufzug möglichst in einer geschlossenen Formation zusammenbleibt, war zusätzlich nicht davon auszugehen, dass sich der Demonstrationsaufzug in besonderer Weise in die Länge ziehen und den Einsatz einer großen Anzahl an Ordnern erforderlich machen würde.

Die erkennende Kammer geht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon aus, dass auch die Aufzugstrecke keine besondere Gefahrenlage begründet hat, sondern dass vielmehr auch insoweit eine besondere Gefährdungssituation weitgehend ausgeschlossen war. Die Aufzugstrecke hat, soweit sie nicht im Bereich der Fußgängerzone verlaufen ist, im Wesentlichen über kleine, teilweise nur in einer Richtung zu befahrende bzw. zu begehende Nebenstraßen im Innenstadtkern der Beklagten geführt wie beispielsweise den Straßen Am Amthof, Windmühlenwall, Pulverturmwall. Insgesamt, auch soweit die Aufzugsroute in Teilstücken über Straßenabschnitte geführt hat, in denen mit Gegenverkehr von Kraftfahrzeugen gerechnet werden musste, wie der Luisenstraße in einer Länge von circa 400 Metern oder der Burgstraße in einer Länge von circa 200 Metern, hat die Beklagten nicht substanziiert dargelegt und ist auch nicht sonst ersichtlich, dass dort eine besondere Gefahrenlage, beispielsweise wegen eines hohen Verkehrsaufkommens oder besonders hoher Geschwindigkeiten des Kraftfahrzeugverkehrs, zu prognostizieren war. Vielmehr war auch insoweit davon auszugehen, dass eine deutlich geringere als die festgesetzte Anzahl an Ordnern genügt hätte, um einen ordnungsgemäßen Ablauf des Demonstrationszuges zu gewährleisten.

Dem steht die von der Beklagten in Bezug genommene verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung nicht entgegen. Soweit in den von der Beklagten benannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Göttingen (U. v. 22.04.2009 – 1 A 355/07 –, juris Rn. 75) sowie des erkennenden Gerichts (VG Braunschweig, B. v. 10.07.2005 - 5 B 414/05 -, juris Rn. 28) jeweils die Anordnung, pro 30 Teilnehmer an einer Versammlung einen Ordner einzusetzen, für rechtmäßig erachtet wurde, geht die Beklagte einerseits mit dem von ihr festgesetzten Verhältnis von einem Ordner je 25 Teilnehmer hierüber hinaus. Insbesondere aber haben diesen Entscheidungen anders zu bewertende Fallkonstellationen zugrunde gelegen, die - wegen einer konfliktträchtigen politischen Ausrichtung der angezeigten Versammlung bzw. zusätzlich einer komplexen Versammlungslage mit einer mehrere tausend Teilnehmer zählenden Gegenveranstaltung oder im Hinblick auf eine besonders gefahrenträchtige Routenführung des Aufzugs - eine weitergehende Gefahrenprognose gerechtfertigt hatten. Hiermit ist die Versammlung der Klägerin vom 13. Mai 2015, wie zuvor ausgeführt, nicht vergleichbar gewesen.

Für die Entscheidung über die Klage kommt es deswegen auf die weitere zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob die Beklagte einen ihr nach § 8 Abs. 1 NVersG eröffneten Ermessensspielraum nicht erkannt hat (sog. Ermessensnichtgebrauch), nicht an. Schon aus dem Geschehen im Zusammenhang mit der Versammlung vom 7. April 2015, aber auch hinsichtlich der in Rede stehenden Versammlung am 13. Mai 2015 zeigt sich aber anhand des Verwaltungsvorgangs, des Umstands, dass die streitgegenständliche Anordnung der wesentliche Gegenstand des Kooperationsgesprächs am 12. Mai 2015 gewesen ist, sowie anhand der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids hinreichend deutlich, dass sich die Beklagte bewusst gewesen ist, über einen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Anzahl der einzusetzenden Ordner zu verfügen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Sätze 1 und 2 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich insoweit an der Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ 2013, Beilage Heft 2, 57 ff. Nr. 45.4).