Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.08.2019, Az.: 7 B 2289/19
Beigebrauch; Entziehung der Fahrerlaubnis; Heroin; Methadon; Methadonsubstitution; Mischgebrauch; Polnischer Führerschein; Substitution
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 21.08.2019
- Aktenzeichen
- 7 B 2289/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69962
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 StVG
- § 46 StVG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Grundsätzlich ist derjenige, der unter Einnahme von Methadon an einer Substitutionsmaßnahme teil-nimmt, fahrerlaubnisrechtlich ungeeignet. Die Anforderungen an die Bejahung eines Ausnahmefalls sind hoch.
Der Beigebrauch von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen (einschließlich Alkohol), insbesondere von Heroin, schließt die Annahme eines Ausnahmefalls aus.
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers vom 9. August 2019 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. Juli 2019, durch den dieser dem Antragsteller die ausländische Fahrerlaubnis für die Klasse B entzieht, hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 1 VwGO hat eine Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde - wie hier - gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der angefochtenen Verfügung im öffentlichen Interesse angeordnet hat.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung ist formell rechtmäßig erfolgt, da sie den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt. Diese Vorschrift verpflichtet die Behörde, mit einer schriftlichen Begründung das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung darzulegen. Zweck des Begründungserfordernisses ist es, den Betroffenen über die Gründe, welche die Behörde zur Vollziehungsanordnung bewegt haben, in Kenntnis zu setzen. Die hier in der Vollzugsanordnung des Antragsgegners angeführten Gründe lassen in nachvollziehbarer Weise die ihr zu Grunde liegenden Erwägungen erkennen. Wegen des herausragenden öffentlichen Interesses an der Verkehrssicherheit genügt – wie vorliegend auf Seite 3 des angefochtenen Bescheides – der Hinweis auf die von unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stehenden Fahrerlaubnisinhabern ausgehenden Gefahren für Leib, Leben oder Eigentum der übrigen Verkehrsteilnehmer. Bei Fallgestaltungen, bei denen – wie hier im Straßenverkehrsrecht – die Interessenlage bei einer Vielzahl von Fällen vergleichbar gelagert ist, sind typisierte Begründungen regelmäßig ausreichend. Angesichts der gebotenen effektiven Gefahrenabwehr folgt aus den die Entziehung einer Fahrerlaubnis tragenden Gründen regelmäßig auch die Dringlichkeit ihrer Vollziehung.
Im Rahmen eines Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO kommt es darauf an, ob das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bewerten ist. Bei dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens maßgeblich zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (Suspensivinteresse) das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache offensichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.
Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der genannten Verfügung das Interesse des Antragstellers, vorläufig weiter Kraftfahrzeuge im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland führen zu dürfen, weil die Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis keinen Erfolg haben wird. Die im Bescheid vom 30. Juli 2019 ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat den Antragsteller insbesondere mit Schreiben vom 3. Juli 2019 zu der beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG angehört. Die dem Antragsteller bis zum 17. Juli 2019 gesetzte und als angemessen zu betrachtende Frist zur Stellungnahme ist fruchtlos verstrichen. Auch eine auf Bitte des Antragstellers gewährte Verlängerung der Stellungnahmefrist bis zum 29. Juli 2019 lief ergebnislos ab. Aufgrund des Fristablaufes war der Antragsgegner befugt, mit Bescheid vom 30. Juli 2019 auch ohne eine Stellungnahme des Antragstellers über die Entziehung der Fahrerlaubnis zu entscheiden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 28 Rn. 37 m.w.N.). Die schriftliche Erklärung des Antragstellers, die am 31. Juli 2019 um 17.20 Uhr als Fax beim Antragsgegner einging (Bl. 10 f. d. BA), erfolgte dabei zu einem Zeitpunkt, in dem der Bescheid über die Fahrerlaubnisentziehung bereits die Behörde verlassen hatte. Dies belegt die auf den 1. August 2019 ausgestellte Zustellungsurkunde in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners (Bl. 15 d. BA).
Zudem kann sich der Antragsteller gemäß § 46 VwVfG nicht mit Erfolg auf eine Verletzung von § 28 Abs. 1 VwVfG berufen, weil es sich bei der Entziehung der Fahrerlaubnis (wie hier) um eine gebundene Entscheidung handelt, dazu sogleich.
Die mit Bescheid vom 30. Juli 2019 ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis begegnet auch in materieller Hinsicht keinen rechtlichen Bedenken. Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Nach diesen Vorschriften ist demjenigen Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG und § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, so hat gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens sowohl aufgrund der damit verbundenen Kostenbelastung als auch im Hinblick auf den mit einer medizinisch-psychologischen Begutachtung einhergehenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu unterbleiben (Dauer in Hentschel/König/ders., Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 50 m.w.N.).
Die Nichteignung des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeugs hat der Antragsgegner zutreffend festgestellt. Sie liegt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Ziffer 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11,13 und 14 FeV insbesondere bei der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) vor. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (VGH München, Beschl. v. 5. Februar 2018 – 11 ZB 17.2069 – juris, Rn. 10; OVG Münster, Beschl. v. 23. Juli 2015 – 16 B 656/15 – juris, Rn. 5; Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 8. März 2006 – 12 ME 53/06 – juris, Rn. 5). Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (VGH München, Beschl. v. 14. November 2018 – 11 CS 18.963 – juris, Rn. 11 m.w.N.; std. Rspr., vgl. zuletzt mwN: Beschluss vom 29. März 2019 – 7 B 820/19 -, juris).
So liegt der Fall hier. Im Rahmen einer Substitutionstherapie, welcher sich der Antragsteller bereits seit September 2017 unterzieht, führte Dr. ... am 11. Juni 2019 eine Kontrolluntersuchung durch. Um einen unerlaubten Beikonsum anderer Substanzen auszuschließen, wurde hierbei insbesondere eine Urinprobe des Antragstellers genommen. In dieser Urinprobe ließ sich Heroin nachweisen. Dass der Mitteilung des Dr. ... dabei – wie von Seiten des Antragstellers vorgebracht – keine Angaben zur Menge der Substanz und zur Häufigkeit des ihm vorgeworfenen Konsums enthält, ist unter Verweis auf den vorstehend dargelegten Grundsatz, wonach es auf diese Aspekte gerade nicht ankommt, unbeachtlich. Gleiches gilt für die ebenfalls vorgebrachten Einwände, dass ein regelmäßiger Drogenkonsum nicht festgestellt wurde und der Antragsteller zu keiner Zeit unter dem Einfluss illegaler Drogen am Straßenverkehr teilgenommen hat.
Der Antragsteller hat dadurch den Regeltatbestand von Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV verwirklicht. Bei Heroin handelt es sich um ein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG.
Es begegnet in diesem Zusammenhang keinen rechtlichen Bedenken, dass der behandelnde Arzt Dr. ... den Antragsgegner trotz unterbliebener Entbindung von der Schweigepflicht über die Tatsache des Heroinkonsums in Kenntnis gesetzt hat. Die Mitteilung des behandelnden Arztes begründet keinen Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht. In Anbetracht der erheblichen Gefahr, die von einer weiteren motorisierten Verkehrsteilnahme des zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeigneten Antragstellers für das Leben und die Gesundheit einer Vielzahl unbeteiligter Personen ausgehen konnte, war der Arzt sowohl nach § 34 StGB als auch nach § 9 Abs. 2 Satz 1 der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen in der Fassung vom 1. Juni 2018 auch ohne eine Entbindung von der Schweigepflicht berechtigt, den Antragsgegner zum Zwecke der Abwehr dieser Gefahr für die öffentliche Sicherheit über die von ihm festgestellten Tatsache in Kenntnis zu setzen (vgl. VGH München, Beschl. v. 24. August 2010 – 11 CS 10.1139 – Rn. 72).
Ein etwaiges Verwertungsverbot, das im strafrechtlichen Bereich greifen könnte, liegt im Bereich der Gefahrenabwehr regelmäßig nicht vor, vgl. Beschluss vom 23. Januar 2014 – 7 B 6904/13 -, juris.
Die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen folgt darüber hinaus aber auch aus der Tatsache, dass der Heroinkonsum des Antragstellers in einen Zeitraum fiel, in welchem dieser sich in einer Substitutionstherapie mit 10,0 ml Methadonhydrochlorid befand. In Fällen einer solchen Methadonsubstitution ist eine positive Eignungsbeurteilung noch während ihres Verlaufs zwar grundsätzlich möglich; Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass strenge Anforderungen erfüllt werden. Eine dieser Anforderungen verlangt nach der Freiheit vom Beigebrauch anderer psychoaktiv wirkender Substanzen seit mindestens einem Jahr (VG Oldenburg, Beschl. v. 17. Juni 2016 – 7 B 2377/16 – juris, Rn. 13; VG Oldenburg, Beschl. v. 20. September 2012 – 7 B 4295/12 – juris, Rn. 33). Durch die Kontrolluntersuchung des Dr. ... am 11. Juni 2019 steht fest, dass der Antragsteller im Vorfeld dieser Untersuchung Heroin konsumiert und dadurch die strengen Anforderungen, die an die Annahme einer Fahreignung trotz laufender Methadontherapie gestellt werden, nicht erfüllt hat.
Dem Antragsgegner stand bei seiner Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis kein Ermessen zu. Vielmehr war dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aufgrund der durch den Heroinkonsum feststehenden Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs zwingend zu entziehen. Es verblieb daher kein Raum für eine etwaige weitere Abwägung, zumal mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundene besondere persönliche und berufliche Erschwernisse an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme nichts ändern. Das Interesse, derartige Nachteile zu vermeiden, muss hinter dem öffentlichen Interesse, die übrigen Verkehrsteilnehmer wirksam vor gefährdendem Verhalten zu schützen, zurücktreten (Nds. OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. April 2009 – 12 LA 130/08 – Vnb; VG Oldenburg, Beschl. v. 23. Juli 2019 – 7 B 2033/19 – juris, Rn. 32).Danach müssen selbst bei Berufskraftfahrern, mithin Personen, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit auf eine Fahrerlaubnis angewiesen sind, angesichts der hohen Bedeutung der Verkehrssicherheit und des Interesses der übrigen Verkehrsteilnehmer, dass ungeeignete Kraftfahrer im öffentlichen Straßenverkehr ferngehalten werden, private, insbesondere berufliche Interessen des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers zurücktreten, weshalb auch der drohende Verlust des Arbeitsplatzes bei Entziehung der Fahrerlaubnis nicht dem öffentlichen Interesse am Entzug der Fahrerlaubnis entgegengesetzt werden kann (Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 21. Januar 2000 – 12 M 231/00 – juris, Rn. 5; Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 19. Februar 1997 – 12 L 216/97 – juris, Rn. 2; Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 1. Oktober 1996 – 12 M 5477/96 – Vnb).
Auch die Anordnung in dem angegriffenen Bescheid vom 30. Juli 2019, den Führerschein binnen fünf Tagen zur Eintragung der fehlenden Berechtigung beim Antragsgegner abzugeben, ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Die Verpflichtung zur Vorlage des ausländischen Führerscheins ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 2 Satz 1 u. 2 FeV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, da der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und orientiert sich an Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11). Für die Entziehung einer Fahrerlaubnis der Klasse B ist hiernach ein Streitwert in Höhe von 5.000,00 € vorgesehen. Da im vorliegenden Eilverfahren lediglich eine vorläufige Regelung getroffen wird, ist der Wert nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren (2.500,00 €).