Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 16.08.2019, Az.: 7 A 2008/19

Armenien; Inländische Fluchtalternative; Interner Schutz; Schutzfähig- und -willigkeit des Staates

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
16.08.2019
Aktenzeichen
7 A 2008/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69958
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der armenische Staat ist schutzfähig und -willig gegenüber Übergriffen Dritter.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Kläger sind armenische Staatsangehörige und reisten nach eigenen Angaben am 4. Dezember 2017 über Georgien, Griechenland und Italien nach Deutschland, wo sie am 8. Dezember 2017 einreisten. Ihre Reisepapiere hätte der Schlepper einbehalten. Sie seien in Besitz eines italienischen Schengen-Visums gewesen. In einem der EU-Mitgliedstaaten der Durchreise oder des kurzfristigen Aufenthaltes, wie z. B. Italien, hätten sie keinen Asylantrag gestellt, weil sie wegen des Aufenthaltes der Eltern des Klägers und eines jüngeren Bruders in Deutschland (Bochum) nach Deutschland hätten reisen wollen. Zum Zeitpunkt der Ausreise dieser Familienangehörigen sei der Kläger zu 1. noch wehrpflichtig und bei der armenischen Armee gewesen, weshalb er damals nicht habe mitkommen können. Die Ausreise habe etwa 3.500,00 € pro Person gekostet. In Armenien lebten noch weitere Mitglieder der Großfamilie, z.B. die Großeltern.

Am 28. Februar 2018 wurden die Kläger in Bad Fallingbostel bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angehört (vgl. dazu die Niederschrift auf Seiten 105 bis 114 der Beiakte 1 hinsichtlich des Klägers, Seiten 120 bis 128 hinsichtlich der Klägerin). Sie bezogen sich auf kriminelles Unrecht (z. B. Schutzgelderpressung), dessen Opfer sie geworden seien, und brachten vor, dass zwischen den Familien der beiden Kläger bereits seit mehr als 20 Jahren ein Konflikt bzw. Spannungen existierten, auch hätten den Kläger Angehörige der Familie der Klägerin um Schutzgeld erpresst, so sei er zusammengeschlagen und das Familienhaus zerstört worden. Später – nach dem Wehrdienst – sei es zu einem Todesfall mit anschließender Brandstiftung und Bedrohung mit einer Waffe gekommen. Die Verlobung mit der Klägerin habe geheim gehalten werden müssen, dennoch sei die Klägerin von Familienangehörigen zweimal mit einem Messer bedroht worden. Gegen diese Bedrohungen und anderen Szenarien durch die Familie der Klägerin habe man aber nichts unternommen. Ein Umzug innerhalb Armeniens wäre wegen der geringen Größe des Landes unsinnig gewesen, eine Ausreise in die Russische Föderation zu dort lebenden Verwandten nicht möglich gewesen, da sie dort keinen Platz für ihn gehabt hätten, außerdem würden sich seine Eltern in Deutschland (Bochum) aufhalten. Sie hätten Armenien problemlos verlassen können, weitere Schwierigkeiten mit Privaten oder Behörden oder staatlichen Stellen oder der Polizei hätten sie nicht.

Mit später aufgehobenem Bescheid vom 3. Mai 2018 (Blatt 221 ff. Beiakte 1) des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Bochum, lehnte die Beklagte ihre Anträge als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen, ordnete die Abschiebung nach Italien an und befristete das Wiedereinreiseverbot. Der Vollzug der Abschiebung nach Italien scheiterte, weil die abzuschiebenden Kläger nicht angetroffen wurden (siehe Seite 335 Beiakte 1, Überstellungsversuch vom 20. Juli 2018). Schließlich wurde der o.a. Bescheid nach Ablauf der Überstellungsfrist aufgehoben (siehe Seite 346 Beiakte 1) und festgehalten, dass die Entscheidung im Nationalen Verfahren ergehe (Seite 347 Beiakte 1).

Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Bad Fallingbostel, vom 1. Juli 2019 (Seiten 365 ff. Beiakte 1) lehnte die Beklagte die Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus und die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten ab, forderte die Kläger unter Abschiebungsandrohung nach Armenien zur Ausreise binnen 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Verfahrens auf und befristete das Wiedereinreiseverbot. Die Beklagte würdigte das Vorbringen der Kläger dahingehend, dass damit die Voraussetzungen der maßgeblichen Ansprüche nicht erfüllt seien. Insbesondere hätten sie sich darum bemühen müssen, internen Schutz zu erlangen.

Die Kläger haben am 9. Juli 2019 erhoben.

Die Kläger beantragen:

„Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 01.07.2019 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, sie als Asylberechtigte anzuerkennen, ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie hilfsweise verpflichtet, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthaltsG vorliegen sowie darüber hinaus verpflichtet, das gesetzliche Einreise-/Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des AufenthaltsG auf 0, hilfsweise auf unter 30 Monate ab dem Tage der Abschiebung gemäß der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichtes zu befristen.“

Dem tritt die Beklagte bezugnehmend auf die Gründe des angegriffenen Bescheides entgegen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen; er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die das Gericht nach Übertragungsbeschluss der Kammer vom 10. Juli 2019 durch den Einzelrichter entscheidet, ist unbegründet.

Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger, deren geltend gemachte Ansprüche unbegründet sind, nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO.

Es ist insbesondere auch ansatzweise nichts dafür ersichtlich,

- dass Leben oder Freiheit der Kläger wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung in Armenien bedroht sind (§ 3 Abs. 1 AsylVfG),

- ihnen in Armenien ein ernsthafter Schaden gemäß § 4 Abs. 1 AsylG droht (Satz 2 Nr. 1: Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Satz 2 Nr. 2: Folter oder menschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder Satz 2 Nr. 3: eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts),

- dass die Abschiebung unzulässig ist, weil sich dies aus der Anwendung der MRK ergibt (§ 60 Abs. 5 AufenthG),

- ihnen Ansprüche auf Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG zustehen könnten.

Da die Kläger mit Klageerhebung und danach keine Gründe im gerichtlichen Verfahren vorgebracht haben und im Übrigen die Gründe des angegriffenen Bescheides zutreffend sind, denen das Gericht folgt, bezieht sich das Gericht zur Begründung seines Urteils auf diese Gründe, § 117 Abs. 5 VwGO, § 77 Abs. 2 AsylG, zumal die Durchführung der mündlichen Verhandlung nichts für die Kläger Günstigeres erbracht hat. Insbesondere hätten sie sich intensiver gegenüber dem von ihnen geschilderten Unrecht seitens Dritter Schutzes vergewissern müssen, durch die Polizei und andere Dienststellen; sie hätten insoweit eine interne Schutzmöglichkeit. Der armenische Staat ist willens und in der Lage, vor den Übergriffen privater Dritter zu schützen, vgl. Urteil vom 1. Dezember 2017 – 7 A 8006/17 – und Gerichtsbescheid vom 8. März 2018 – 7 A 803/18 –, beides juris. Ergänzend hält das Gericht Folgendes fest:

Armenien ist ein Binnenstaat im Kaukasus im Bergland zwischen Georgien, Aserbaidschan, Iran und der Türkei und entspricht dem nordöstlichen Teil des früheren, ehemals viel größeren armenischen Siedlungsgebietes. Die Bevölkerungszahl beträgt etwa drei Millionen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991 erlangte die vormalige Armenische Sozialistische Sowjetrepublik ihre Unabhängigkeit. Innerhalb der seitherigen demokratischen Verfassung nach westlichen Muster hat die Republik Armenien als Staatsoberhaupt einen Präsidenten und als Regierungschef einen Premierminister.

Nach den Verfassungsänderungen von 2005 ist die Gewaltenteilung in der Verfassung der Republik Armenien formell gestärkt. Insoweit lässt sich allerdings in der Realität auch anderes feststellen. Die Unabhängigkeit der Gerichte leidet noch unter Korruption und Nepotismus (sog. Vetternwirtschaft). Im Dezember 2015 kam es zur Billigung weitreichender Verfassungsänderungen durch ein Referendum und damit zur Ausweitung des Grundrechtekatalogs, zur Umwandlung von einem semi-präsidialen zu einem parlamentarischen System und gleichzeitig auch zur Stärkung der Rechte der Opposition. Der Staatspräsident billigte im Februar 2015 den Strategieplan 2014 bis 2016 zur Umsetzung der internationalen Verpflichtungen Armeniens im Bereich der Menschenrechte durch die zuständigen Staatsorgane. Es kommt dennoch in Armenien zu politisch motivierten strafrechtlichen Verurteilungen und auch Haftstrafen. Friedensverhandlungen zur Beilegung des Bergkarabach-Konflikts mit Aserbaidschan werden geführt, eine Beilegung des Konfliktes ist aber derzeit nicht ersichtlich. Zuletzt kam es im Jahr 2016 zu Konflikten. Defizite sind im Bereich der Medien-und Informationsfreiheit weiterhin zu verzeichnen. Demonstrationen werden regelmäßig genehmigt; die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit wird allerdings durch das Gesetz über administrative Haft und das Versammlungsgesetz reglementiert. Auch im Laufe des Jahres 2015 ging die Polizei teilweise hart gegen verschiedene Demonstrationen vor. Die Proteste richteten sich beispielsweise gegen Strompreiserhöhungen oder gegen das Referendum zur Verfassungsreform (s.o.). Die Religionsfreiheit wird durch die Verfassung prinzipiell gewährt, unterliegt allerdings in der Praxis gewissen Einschränkungen. Die armenisch-apostolische Kirche genießt eine privilegierte Stellung, was in der Praxis zuweilen zu einer Zurücksetzung anderer Religionsgemeinschaften führen kann. Einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen sind seit 2003 nicht mehr strafbar. Männer und Frauen sind gleichberechtigt; eine rechtliche Diskriminierung von Frauen gibt es nicht; die Rolle der Frau ist durch die traditionelle patriarchalische Gesellschaftsstruktur geprägt. Es gibt nur wenige Frauen in wichtigen Ämtern, schlechtere Bezahlung und mangelnde Aufstiegschancen sind die Regel. Die medizinische Versorgung ist grundsätzlich gewährleistet.

Die Erkenntnisse, die Grundlage der voranstehenden Einschätzung der Lage in Armenien sind, werden durch den

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar 2017)“ des Auswärtigen Amtes vom 21. Juni 2017

bestätigt, dessen damalige ‚Zusammenfassung‘ (S. 5 ebd.) wörtlich wie folgt lautete:

- Die im Dezember 2015 durch Referendum gebilligten weitreichenden Verfassungsänderungen sehen zum einen die Ausweitung des Grundrechtekatalogs, zum anderen die Umwandlung von einem semi-präsidialen zu einem parlamentarischen System bei gleichzeitiger Stärkung der Rechte der Opposition vor.

- Die Menschenrechtslage bleibt jedoch trotz Fortschritten in einigen Teilbereichen weiterhin unbefriedigend.

- Grundsätzlich ist keine staatliche Beschränkung der Aktivitäten von Vertretern der Zivilgesellschaft oder eine Einschränkung der Meinungsfreiheit festzustellen. Gleichwohl sind Defizite im Bereich der Medien- und Informationsfreiheit zu verzeichnen. Die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit ist in der Praxis durch das Gesetz über administrative Haft und das Versammlungsgesetz eingeschränkt. Auch geht die Polizei weiterhin gelegentlich unangemessen hart gegen Demonstranten vor.

- Obwohl in der armenischen Verfassung das Verbot von Folter sowie von unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung festgeschrieben ist, kommen körperliche Misshandlungen in Polizeigewahrsam weiter vereinzelt vor. Das armenische Strafgesetzbuch steht weiterhin nicht in Übereinstimmung mit der VN Konvention gegen Folter. Die Situation in den Strafanstalten des Landes entspricht größtenteils nicht den internationalen Mindeststandards der Häftlingsbetreuung.

- Die Verfassung gewährt prinzipiell Religionsfreiheit. Diese unterliegt in der Praxis jedoch gewissen Einschränkungen. Die privilegierte Stellung der armenisch-apostolischen Kirche führt in der Praxis zuweilen zu einer Zurücksetzung anderer Religionsgemeinschaften.

Daran ändern die jüngeren Lageberichte Armenien, der

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: März 2018)“ des Auswärtigen Amtes vom 17. April 2018, und der

„Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar 2019)“ des Auswärtigen Amtes vom 7. April 2019,

nichts, die im Wesentlichen vielmehr bestätigend zu denselben Ergebnissen gelangen und insbesondere aber nun auch die positiven Entwicklungen in Armenien beschreiben. Insoweit heißt es nunmehr in der ‚Zusammenfassung‘ (Seite 5 Bericht vom 7. April 2019) wörtlich wie folgt:

- Die im Dezember 2015 durch Referendum gebilligten weitreichenden Verfassungsänderungen sehen zum einen die Ausweitung des Grundrechtekatalogs, zum anderen den Übergang von einem semi-präsidialen zu einem parlamentarischen System bei gleichzeitiger Stärkung der Rechte der Opposition vor. Dieser Übergang wurde im März/April 2018 mit den Wahlen eines neuen Staatspräsidenten (Armen Sarkissian) bzw. eines neuen Premierministers (Serzh Sargsyan, zuvor von 2008 - 2018 Staatspräsident) durch das Parlament abgeschlossen. Vor allem wurde die Rolle des Parlaments gestärkt.

- Völlig neue Rahmenbedingungen haben sich durch die friedlich verlaufende sog. „Samtene Revolutionen“ im April/Mai 2018 ergeben. Aufgrund von Massenprotesten gegen die Wahl von Serzh Sargsyan zum Premierminister trat Sargsyan am 23. April 2018 von seinem Amt zurück, und es wurde der Anführer der Proteste, der Abgeordnete Nikol Pashinyan, am 8. Mai 2018 zum neuen Premierminister gewählt. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 9. Dezember 2018 errang das Wahlbündnis „Mein Schritt“ von Pashinyan mit über 70 % der Wählerstimmen einen überwältigenden Sieg.

- Seit Pashinyans Machtübernahme hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert. Die in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrschende Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit ist einem spürbaren Optimismus gewichen. Die Absicht vieler Armenier, das Land zu verlassen, ist gesunken. Vor allem im Kampf gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität, beim Aufbrechen der alten verkrusteten Strukturen und bei der Förderung einer unabhängigen Justiz hat Pashinyan bereits sichtbare Erfolge erzielt.

- Die Regierung Pashinyan geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an. Die Menschenrechtslage hat sich weiter verbessert, bleibt aber in einigen Teilbereichen noch nicht befriedigend. Dies betrifft die Gesetzgebung und insbesondere Implementierung bestehender Gesetze.

- Positiv zu vermerken ist, dass keine staatliche Beschränkung der Aktivitäten von Vertretern der Zivilgesellschaft oder eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zu beobachten ist. Beeindruckend ist, wie zurückhaltend sich die Sicherheitskräfte anlässlich der Demonstrationen im April/Mai 2018 verhalten haben. Aber auch die Demonstranten waren bedacht, keinerlei Anlass zum Eingreifen der Sicherheitskräfte zu bieten.

- Die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit wird unter der Regierung Pashinyan nicht mehr durch Anwendung des Gesetzes über administrative Haft und des Versammlungsgesetzes eingeschränkt.

- In der armenischen Verfassung ist das Verbot von Folter sowie von unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung festgeschrieben. Es sollen aber weiterhin vereinzelt körperliche Misshandlungen in Polizeigewahrsam vorkommen. Das armenische Strafgesetzbuch wurde mittlerweile um eine Definition und die Kriminalisierung von Folter ergänzt (in Übereinstimmung mit der VN Konvention gegen Folter). Die Situation in den Strafanstalten des Landes entspricht nur in Teilen den internationalen Mindeststandards der Häftlingsbetreuung.

- Die Verfassung gewährt Religionsfreiheit. Diese unterliegt in der Praxis jedoch gewissen Einschränkungen. Die privilegierte Stellung der armenisch-apostolischen Kirche führt in der Praxis zuweilen zu einer Zurücksetzung anderer Religionsgemeinschaften.

Insgesamt lässt sich danach kein Bedrohungsszenario der Schutzlosigkeit der Kläger bei gedachter Rückkehr ableiten, die sich auf internen Schutz verweisen lassen müssen, so insbesondere auf die Schutzfähigkeit und -willigkeit des armenischen Staates und ferner darauf, dass sie sich an andere Orte begeben können, an denen sie sich unbehelligt aufhalten könnten (sog. inländische Fluchtalternative).

Dementsprechend hat auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (VG Gelsenkirchen, Urteil vom 22. August 2014 - 6a K 2888/11.A -, juris) überzeugend darauf abgestellt, dass selbst dann, wenn die Angaben über angebliche Übergriffe Dritter bei gedachter Rückkehr nach Armenien zutreffen sollten, solche Übergriffe dem armenischen Staat nicht zuzurechnen wären, weil er Schutz vor Verfolgung bieten kann, wobei das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (ebenda) zutreffend festhält, dass der „Umstand allein, dass die staatliche Organe trotz prinzipieller Schutzbereitschaft nicht immer in der Lage sind, die Betroffenen vor Übergriffen wirkungsvoll zu schützen,“ nicht dafür ausreicht, von Schutzunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit auszugehen, und insoweit wörtlich festhält (VG Gelsenkirchen, Urteil vom 22. August 2014 - 6a K 2888/11.A -, juris, RNn 48ff.):

„Kein Staat vermag einen schlechthin perfekten, lückenlosen Schutz zu gewähren und sicherzustellen, dass Fehlverhalten, Fehlentscheidungen einschließlich sog. Amtswalterexzesse oder bei der Erfüllung der ihm zukommenden Aufgabe der Wahrung des inneren Friedens nicht vorkommen. Deshalb lässt weder eine Lückenhaftigkeit des Systems staatlicher Schutzgewährung überhaupt noch eine im Einzelfall von den Betroffenen erfahrene Schutzversagung als solche schon staatliche Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit entfallen. Umgekehrt ist eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates zu bejahen, wenn die zum Schutz der Bevölkerung bestellten (Polizei-)Behörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten sind.
Dies ist in Armenien der Fall. Im Falle von Straftaten gegen Angehörige der ... Bevölkerungsminderheit ermitteln die armenischen Behörden zwar häufig sehr lange, dies ist aber auch dann der Fall, wenn die Verfahren ausschließlich armenische Volkszugehörige betreffen.
... Sofern eine Straftat vorliegt und ... zur Anzeige gebracht wird, wird die Polizei Ermittlungen einleiten und Maßnahmen zum Opferschutz treffen. ... Daher ist nach den vorliegenden Erkenntnismitteln davon auszugehen, dass der armenische Staat willens und in der Lage ist, wirksamen - wenn auch nicht lückenlosen - Schutz vor Verfolgung zu bieten (§ 3d AsylVfG).
... Dem Kläger ist auch nicht gemäß § 4 Abs. 1 AsylVfG subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Subsidiär schutzberechtigt ist nach dieser Vorschrift, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die vorgenannten Gefahren müssen dabei gemäß § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3c AsylVfG in der Regel von dem in Rede stehenden Staat oder den ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen. Die Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure kann hingegen nur dann zu subsidiärem Schutz führen, wenn der betreffende Staat selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist Schutz zu gewähren. Bei der Prüfung, ob dem Kläger im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, gilt ebenfalls der dargelegte Prüfungsmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
Anhaltspunkte für das Vorliegen einer entsprechenden Gefahr sind ... nicht ersichtlich.
Auch die Voraussetzungen eines (zielstaatsbezogenen) Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 AufenthG vermag das Gericht nicht festzustellen. In Betracht kommt vorliegend allenfalls das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Dass der Kläger im Falle seiner Abschiebung nach Armenien einer extremen Gefahrenlage in dem dargelegten Sinne ausgeliefert wäre, vermag das Gericht aus den ausgeführten Gründen ebenfalls nicht zu erkennen.“

So liegt der Fall hier und dem ist nichts hinzuzufügen. Die bloße Bekundung der Kläger in der mündlichen Verhandlung, sie hätten die Polizei erfolglos informiert, die Lage habe sich danach noch verschlechtert, greift nach allem Voranstehenden nicht durch. Ein solcher schlichter Versuch wäre nicht hinreichend gewesen; außerdem wirkt diese (nachträgliche) Behauptung aufgesetzt, stellt gesteigertes Vorbringen dar und überzeugt das Gericht nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 167 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.