Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 17.02.2010, Az.: 6 B 342/09
Einstweiliger Rechtsschutz gegen das Aussprechen von Hausverboten für verschiedene Kirchorte; Aussprechen eines Hausverbots zur Sicherstellung einer ungestörten Wahrnehmung religiöser Aufgaben; Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in eigenen Angelegenheiten als ein Grundprinzip der staatskirchenrechtlichen Ordnung des GG
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 17.02.2010
- Aktenzeichen
- 6 B 342/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 16660
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2010:0217.6B342.09.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- Art. 137 Abs. 1 WRV
- § 40 VwGO
- Art. 4 Abs. 1 GG
- Art. 4 Abs. 2 GG
- Art. 19 Abs. 4 GG
Verfahrensgegenstand
Kirchenrecht (Hausverbot)
Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 6. Kammer -
am 17. Februar 2010
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
- 2.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.
- 3.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, mit dem sich die Antragstellerin gegen ein von der Antragsgegnerin ausgesprochenes Hausverbot für fünf Kirchorte wendet und den (vorläufigen) Zugang zu diesen Orten begehrt, hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist unzulässig. Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht eröffnet, da eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 40 Abs. 1 VwGO nicht gegeben ist. Das Begehren der Antragstellerin unterliegt keiner Kontrolle seitens einer staatlichen Gerichtsbarkeit, da die begehrte Verpflichtung der Antragsgegnerin eine rein innerkirchliche Angelegenheit betrifft, über die zu entscheiden die staatlichen Gerichte nicht befugt sind.
Nach Art. 137 Abs. 3 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), der gemäß Art. 140 des Grundgesetzes (GG) Bestandteil des Grundgesetzes ist, ordnet und verwaltet jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Hierdurch wird den Kirchen das Recht zur eigenständigen Ordnung und Gestaltung ihrer inneren Angelegenheiten verfassungsrechtlich gewährleistet. Dieses Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in eigenen Angelegenheiten ist neben der Religionsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG und der Trennung von Staat und Kirche gemäß Art. 137 Abs. 1 WRV ein Grundprinzip der staatskirchenrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes (vgl. BVerwG, U. v. 30.10.2002 - 2 C 23/01 -, NJW 2003, 2112). Dort, wo die Kirchen über das Recht zur Selbstbestimmung verfügen, unterliegen sie nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit. Dem stehen Art. 19 Abs. 4 GG und § 40 VwGO nicht entgegen. Diese Vorschriften ermöglichen den Rechtsschutz gegen Akte staatlicher Gewalt. Ist eine Kirche nur im internen Bereich innerkirchlicher Angelegenheiten tätig geworden, kann zwar ein Aktöffentlicher, nicht aber ein Akt staatlicher Gewalt vorliegen. Maßnahmen, die eine Kirche in Ausübung des ihr verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts getroffen oder zu treffen hat, stellen deshalb selbst dann keine öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten im Sinne des § 40 VwGO dar, wenn die Kirche den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft gemäß Art. 137 Abs. 5 WRV besitzt (vgl. BVerfG, B. v. 17.02.1965 - 1 BvR 732/64 -, BVerfGE 18, 385, 387 [BVerfG 17.02.1965 - 1 BvR 732/64]; BVerwG, a.a.O.; Nds. OVG, U. v. 09.01.1997 - 8 K 4934/95 -; VG München, U. v. 24.05.2000 - M 29 K 99.5270 -). Nur soweit Kirchen vom Staat verliehene Befugnisse ausüben oder soweit ihre Maßnahmen den kirchlichen Bereich überschreiten und unmittelbare Wirkung in dem vom Staat zu ordnenden Bereich haben, gilt das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht nicht (vgl. BVerwG, a.a.O.; VG München, a.a.O.; BVerfG, B. v. 21.09.1976 - 2 BvR 350/75 -, BVerfGE 42, 312, 334).
Rein innerkirchliche, das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften betreffende Angelegenheiten sind solche Maßnahmen, die materiell, der Natur der Sache oder der Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheiten der Kirchen oder Religionsgemeinschaften anzusehen sind. Zu diesem Selbstbestimmungsbereich sind jedenfalls all diejenigen Tätigkeiten zu zählen, die erforderlich sind, um die religiöse Aufgabe zu erfüllen, insbesondere die Verkündung des Glaubens, die Spendung der Sakramente und die Verehrung Gottes in Form von Gottesdiensten (vgl. BVerwG, a.a.O.; Niedersächsisches OVG, a.a.O.; VG München, a.a.O.). Die Art und Weise, wie eine Religionsgemeinschaft diesen geistig-religiösen Auftrag auffasst, erfüllt und sicherstellt, ist staatlicher Reglementierung nicht zugänglich. Auch den staatlichen Gerichten ist deshalb eine Einflussnahme in diesem Bereich versagt.
Die staatliche Justizgewährungspflicht begründet ebenfalls nicht die Befugnis der staatlichen Gerichte, über kircheninterne Maßnahmen zu entscheiden. Aufgrund der Justizgewährungspflicht sind die Gerichte nur zur Entscheidung solcher Rechtsfragen berufen, die sich nach staatlichem Recht richten. Im Bereich der kircheninternen Angelegenheiten ist jedoch kein die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften beschränkendes staatliches Recht zulässig (vgl. BVerwG, a.a.O.; für alles Vorstehende VG Braunschweig, B. v. 05.11.2007 - 6 B 207/07 -).
Das Begehren der Antragstellerin betrifft eine rein innerkirchliche Angelegenheit. Mit dem gegenüber der Antragstellerin ausgesprochenen Hausverbot vom 18.08.2009 beabsichtigt die Antragsgegnerin die Sicherstellung einer ungestörten Wahrnehmung religiöser Aufgaben. Aus der Begründung des Hausverbotes ergibt sich, dass mit dieser Maßnahme eine (weitere) Störung der Gottesdienste und anderer kirchlicher Feiern, insbesondere auch der Zeremonie der Austeilung der Kommunion, in den betroffenen Kirchorten durch die Antragstellerin verhindert werden soll. Die Feier und Ausgestaltung von Gottesdiensten sowie die Spendung von Sakramenten wie der Kommunion gehören zum "geistlichen Selbstbestimmungsbereich" der katholischen Kirche. Sie dienen der Erfüllung der religiösen Aufgabe der Kirche. In diesem Bereich kommt den Kirchen und ihren zur örtlichen Rechtssetzung befugten Gliederungen, den Kirchengemeinden, die ausschließliche Regelungskompetenz zu. Dementsprechend beruft sich die Antragsgegnerin zur Begründung des Hausverbotes auf Vorschriften des Codex Iuris Canonici (CIC = Codex des kanonischen Rechtes vom 25.01.1983) als dem geltenden Gesetzbuch der katholischen Kirche. Insbesondere wird Bezug genommen auf die Regelungen in can. 1214 und 1271 CIC, nach denen der Zugang zu einer Kirche zur Zeit gottesdienstlicher Feiern frei und kostenlos sein muss, jedoch nur der Ausübung des Gottesdienstes dienen darf. Unter Berufung auf can. 562 CIC wird zur Begründung des Hausverbotes weiterhin angeführt, dass das Verhalten der Antragstellerin in den betroffenen Kirchen "mit der Heiligkeit des Ortes und der dem Hause Gottes gebührenden Erfurcht unvereinbar ist". Bei der Beurteilung, ob das Verhalten der Antragstellerin tatsächlich den Vorstellungen der katholischen Kircheüber gottesehrfürchtiges Verhalten widerspricht, handelt es sich daher um eine rein innerkirchliche Angelegenheit, die sich nach kirchlichem Recht und nicht nach staatlichem Recht richtet. Das gegenüber der Antragstellerin ausgesprochene Hausverbot überschreitet auch nicht den kirchlichen Bereich; es entfalte keine unmittelbare Wirkung in einem vom Staat zu ordnenden Bereich, wodurch es zu einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 40 VwGO geworden sein könnte (vgl. BVerwG, a.a.O.).
Es kann dahinstehen, ob bzw. welche Möglichkeiten der Antragstellerin zur Verfügung stehen, sich gegen das ausgesprochene Hausverbot zu wenden (vgl. Codex des kanonischen Rechtes, Buch VII, Prozesse). Selbst wenn der Antragstellerin insoweit keine Möglichkeit offenstünde ihr Begehren vor einem Kirchengericht oder in einem in anderer Weise ausgestalteten Verfahren überprüfen zu lassen, könnte sie deswegen mit ihrem Begehren vor einem staatlichen Gericht kein Gehör finden und sich insbesondere auch nicht auf eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG berufen, zumal diese Vorschrift - wie zuvor dargelegt - auf innerkirchliche Angelegenheiten nicht anwendbar ist (vgl. VG Braunschweig, a.a.O.).
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ergibt sich aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO.
2.
Die beantragte Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den oben genannten Gründen keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Die Kostenentscheidung beruht insoweit auf § 1 Abs. 1 GKG i.V.m. § 166 VwGO und § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
3.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG und beläuft sich auf die Hälfte des hier in einem Hauptsacheverfahren festzusetzenden Regelstreitwertes (vgl. den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327 ff., II. Nr. 1.5 Satz 1).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft.
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