Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 25.07.2017, Az.: 1 A 272/16

Anrechnung; Brandmeister; Gleichwertigkeit; Probezeit; Rettungssanitäter; Verkürzung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
25.07.2017
Aktenzeichen
1 A 272/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54118
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die berufliche Tätigkeit als Rettungssanitäter ist nach Art und Bedeutung der des Brandmeisters gleichwertig im Sinne von § 19 Abs. 2 Satz 2 Niedersächsisches Beamtengesetz.

2. Die Anrechnung der Ausbildung zum Rettungsassistenten im Rahmen des Vorbereitungsdienstes steht der Anrechnung der späteren beruflichen Tätigkeit auf die Probezeit nicht entgegen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verkürzung seiner Probezeit als Beamter im Feuerwehrdienst (Brandmeister).

Der Kläger ist 33 Jahre alt. Er beendete im Oktober 2010 erfolgreich die staatliche Prüfung zum Rettungsassistenten. Von November 2010 bis Oktober 2011 war er als Rettungsassistent in Hessen und im Anschluss daran bis zum Jahresende 2013 - insgesamt also für 3 Jahre und 2 Monate - als Rettungsassistent in Niedersachsen tätig. Zum 01.01.2014 wurde er in das Beamtenverhältnis auf Widerruf im Vorbereitungsdienst für Brandmeister-Anwärter berufen. Der zweijährige Vorbereitungsdienst wurde im Hinblick auf seine Ausbildung als Rettungsassistent um sechs Monate verkürzt, so dass der Kläger bereits am 01.07.2015 zum Brandmeister ernannt wurde.

Den Antrag des Klägers, seine Probezeit als Beamter zu verkürzen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.10.2016 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für die Verkürzung lägen nicht vor. Die frühere berufliche Tätigkeit des Klägers sei nicht mit der als Brandmeister gleichwertig. Sie entspreche nicht mindestens überwiegend den Tätigkeiten als Brandmeister, sondern mache nur etwa die Hälfte dieser Tätigkeiten aus. Sie sei auch von der Bedeutung her nicht gleichwertig, weil eine Umrechnung seiner tariflichen Bezahlung als Rettungssanitäter eine Entsprechung mit der Beamtenbesoldung von A4 bis A5 ergebe, er als Brandmeister jedoch in A7 eingruppiert sei.

Der Kläger hat am 24.11.2016 Klage erhoben. Er macht im Wesentlichen geltend, die Vergütung als Rettungsassistent lasse sich nicht mit der des Brandmeisters vergleichen, weil er durch seinen Arbeitgeber, den L. -M. -N., zu niedrig eingruppiert worden sei. Von einer Eingruppierungsklage habe er seinerzeit abgesehen, um keine Spannungen in das Arbeitsverhältnis zu bringen. Im Übrigen sei er nicht zu einer Klage verpflichtet gewesen. Er werde auch nicht im Rahmen eines Ausbildungsstatus eingesetzt, sondern sei Ausbilder und Verantwortlicher beim Einsatz im Rettungsdienst. Im Übrigen sei auch bei einem Kollegen die Probezeit wegen seiner Vorerfahrungen als Rettungssanitäter verkürzt worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2016, Aktenzeichen 11.1.2., zu verurteilen, auf den Antrag des Klägers vom 06.10.2016 unter Anrechnung von dessen Vordienstzeiten die Probezeit auf das mindestzulässige Maß zu verkürzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend zu ihrem Bescheid macht sie geltend, die Tätigkeit als Rettungssanitäter des Klägers könne nicht doppelt zu seinen Gunsten angerechnet werden. Sie sei bereits bei der Verkürzung des Vorbereitungsdienstes berücksichtigt worden. Auf den Fall eines anderen Kollegen könne sich der Kläger nicht berufen, weil in jenem Fall die Probezeit zu Unrecht verkürzt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet (hierzu 1.); im Übrigen ist sie unbegründet (hierzu 2.).

1.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags auf Verkürzung der Probezeit; insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 24.10.2016 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.

Anspruchsgrundlage für die Verkürzung der Probezeit ist § 19 Abs. 2 Satz 2 Niedersächsisches Beamtengesetz - NBG - in Verbindung mit § 7 Abs. 5 Satz 1 Niedersächsische Laufbahnverordnung - NLVO -.

Die Probezeit ist nach § 19 Abs. 1 NBG die Zeit im Beamtenverhältnis auf Probe, während der sich die Beamtin oder der Beamte nach Erwerb oder Feststellung der Befähigung für die Laufbahn bewähren soll. Die regelmäßige Probezeit dauert nach § 19 Abs. 2 Satz 1 NBG drei Jahre. Nach § 19 Abs. 2 Satz 2 NBG können Zeiten beruflicher Tätigkeit innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes auf die Probezeit angerechnet werden, soweit die Tätigkeit nach Art und Bedeutung der Tätigkeit in der Laufbahn gleichwertig ist. Diese Regelung wird durch § 7 Abs. 5 NLVO konkretisiert; danach kann eine Anrechnung erfolgen, wenn die Tätigkeit nach Art und Bedeutung der Tätigkeit in der Laufbahn gleichwertig ist und weder Voraussetzung für den Erwerb der Befähigung war noch als Ausbildungszeit berücksichtigt wurde. Maßgeblich ist die tatsächlich ausgeübt Tätigkeit; sie muss ihrer Qualität nach mindestens einer Tätigkeit in einem Amt der betreffenden Laufbahn entsprechen (Kümmel, Beamtenrecht, Bd. 2, Stand 118. EL 2017, § 19 NBG, Rz. 8, mit Hinweis auf OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 14.06.2007 - 1 L 98/07 -). Art der Tätigkeit bedeutet dabei eine fachliche Typisierung wie zum Beispiel förderliche oder vergleichbare Verwaltungstätigkeiten oder technische Aufgabenstellungen, während die Bedeutung der Tätigkeit die Wertigkeit wie etwa Mitarbeit auf Weisung, eigenständige Sachbearbeitung, Wahrnehmung einer Führungsposition oder Projektleitung beschreibt (Kümmel, ebd.). Wenn eine Tätigkeit außerhalb des öffentlichen Dienstes angerechnet werden soll, kann für die Frage nach der Bedeutung der Tätigkeit nicht allein auf die tarifrechtliche Einstufung abgestellt werden, da sich Statusamt und Dienstpostenbewertung in vielen Fällen nicht entsprechen (Kümmel, ebd., mit Hinweis auf VG Lüneburg, Urt. v. 19.03.2003 - 1 A 164/02 -, veröffentlicht in juris).

Die Voraussetzungen für eine Anrechnung der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Rettungssanitäter in der Zeit von November 2010 bis Dezember 2013 auf die Probezeit als Brandmeister liegen nach diesen Maßstäben hier vor.

Die Art der Tätigkeit als Rettungssanitäter ist der des Brandmeisters im Falle des Klägers gleichwertig im Sinne von § 19 Abs. 2 Satz 2 NBG. Die Tätigkeit des Rettungssanitäters macht nach dem Vortrag der Beklagten im schriftlichen Verfahren sowie in der mündlichen Verhandlung etwa die Hälfte der Tätigkeiten als Brandmeister aus. Die vom Kläger vorgelegte Stundenerfassung für den Zeitraum vom 28.07.2014 bis 30.04.2015 zeigt sogar einen Überhang von Einsätzen im Rettungsdienst gegenüber dem Feuerwehrdienst von 52,5 Schichten zu 41,5 Schichten. Dass die Tätigkeit nach dem Beklagtenvortrag im Durchschnitt nicht mehr als die Hälfte der Einsätze als Brandmeister ausmacht, hält die Einzelrichterin nicht für entscheidend. Unter Berücksichtigung des dienstrechtlichen Ziels von § 19 Abs. 2 Satz 2 NBG, für den öffentlichen Dienst qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber mit geeigneter Berufserfahrung auch aus der Privatwirtschaft zu gewinnen (LT-Drs. 16/655, S. 101), kann es für die Frage nach der Gleichwertigkeit von Tätigkeiten nur auf eine wertende Betrachtung ankommen, nicht auf einen mathematisch zu berechnenden Überhang.

Die hohe Bedeutung, die der Tätigkeit im Rettungsdienst für die Aufgabe eines Brandmeisters zukommt, spiegelt sich auch in der Ausbildung zum Brandmeister. Die Verordnung über die Ausbildung und Prüfung für die Laufbahnen der Fachrichtung Feuerwehr - APVO-Feu - regelt in § 5 Abs. 1 Satz 2 und der Anlage 1 die Dauer der einzelnen Ausbildungsabschnitte. Die Ausbildung im Rettungswesen ist mit (grundsätzlich) 38 Wochen einer der Schwerpunkte der Ausbildung. Demgegenüber nimmt der Grundausbildungslehrgang mit den Schwerpunkten feuerwehrtechnische Ausbildung und technische Hilfeleistung (nur) 26 Wochen in Anspruch. Die Tätigkeit als Rettungssanitäter ist damit jedenfalls mitprägend für die Tätigkeit als Brandmeister. Die Bedeutung von Kenntnissen im Rettungswesen hebt auch die APVO-Feu hervor: Wer zum Führen der Berufsbezeichnung „Rettungsassistent“ berechtigt ist, erfüllt eine Zugangsvoraussetzung für die Zulassung zum Vorbereitungsdienst als Brandmeister-Anwärter (§ 3 Nr. 2 APVO-Feu). Für diese Personengruppe wird außerdem der Vorbereitungsdienst um sechs Monate verkürzt, weil die Ausbildung nicht im Ausbildungsabschnitt 2 „Ausbildung im Rettungswesen“ nachgeholt werden muss. Daraus folgt, dass der Verordnungsgeber bereits die bloße Ausbildung als Rettungsassistent für förderlich für die Tätigkeit als Brandmeister hält.

Auch die Bedeutung der Tätigkeit ist gleichwertig. Es ist nicht zu erkennen, dass im Einsatz ein Rettungsassistent im Hinblick auf Verantwortung oder Entscheidungsspielraum eine untergeordnete Tätigkeit gegenüber einem Brandmeister ausübt. Vielmehr ergibt sich aus der dienstlichen Beurteilung vom August 2016 (BA Bl. 59), dass der Kläger „entsprechend seiner Ausbildung von Beginn an regelmäßig als Fahrzeugführer auf den Einsatzfahrzeugen im Rettungsdienst“ eingesetzt worden ist. Den Umstand, dass eine „Umrechnung“ der tariflichen Entlohnung des Klägers im Dienste des früheren Arbeitgebers (L. -M. -N.) in eine Beamtenbesoldung hier rein rechnerisch nach dem Vortrag der Beklagten eine Eingruppierung in die Besoldungsgruppen A 4 bis A 5 ergibt, zieht die Einzelrichterin demgegenüber nicht entscheidend heran. Die tarifliche Eingruppierung kann allenfalls ein Indiz für oder gegen die Gleichwertigkeit von Tätigkeiten sein. Bei einer Gesamtbetrachtung überwiegen hier die Gründe, die für eine Gleichwertigkeit auch in der Bedeutung der Tätigkeiten sprechen.

Die berufliche Tätigkeit als Rettungssanitäter ist auch nicht durch die Verkürzung der Vorbereitungszeit des Klägers „verbraucht“. Zeiten beruflicher Tätigkeit innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes können auf die Probezeit nach § 7 Abs. 5 Satz 1 NLVO dann nicht angerechnet werden, wenn sie Voraussetzung für den Erwerb der Befähigung sind oder als Ausbildungszeit berücksichtigt wurden. Die Zeiten der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Rettungssanitäter von November 2010 bis Dezember 2013 wurden hier nicht entsprechend berücksichtigt. Vielmehr wurde nur die Ausbildung des Klägers zum Rettungsassistenten berücksichtigt. Für Anwärter, die zum Führen der Berufsbezeichnung „Rettungsassistent“ oder „Notfallsanitäter“ berechtigt sind, dauert der Vorbereitungsdienst für das zweite Einstiegsamt der Laufbahngruppe nach § 5 Abs. 2 Satz 1 APVO-Feu nicht 24, sondern nur 18 Monate. Der Ausbildungsabschnitt 2 (Ausbildung im Rettungswesen) ist für diese Personengruppe von 38 Wochen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 APVO-Feu) auf zwölf Wochen reduziert (§ 5 Abs. 2 Satz 3 APVO-Feu).

Bei der Ermessensentscheidung über den Umfang der Anrechnung der beruflichen Tätigkeit des Klägers auf die Probezeit als Brandmeister nach § 19 Abs. 2 Satz 2 NBG i.V.m. § 7 Abs. 5 NLVO wird die Beklagte den Inhalt und Zweck der Probezeit zum Maßstab nehmen, wie er sich aus § 19 Abs. 1 NBG und insbesondere § 7 Abs. 1 NLVO ergibt: Die Beamtin oder der Beamte soll in der Probezeit zeigen, dass sie oder er die übertragenen Aufgaben erfüllen kann sowie die erforderlichen Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz besitzt, um die Anforderungen der Laufbahn erfüllen zu können. Es sollen außerdem Erkenntnisse gewonnen werden, für welche Verwendung sich die Beamtin oder der Beamte besonders eignet. Die Beamtin oder der Beamte soll während der Probezeit auf mehreren Dienstposten eingesetzt werden. Im Fall des Klägers wird demnach auch zu berücksichtigen sein, ob und inwieweit er sich nicht nur im Rettungsdienst, sondern auch im feuerwehrtechnischen Dienst und technischen Hilfsdienst bewährt hat oder ob Anlass besteht, seine Eignung in diesen Aufgabenbereichen weiter zu überprüfen. Gegebenenfalls wird ihm Gelegenheit zu geben sein, in der Probezeit noch andere Dienstposten - etwa in der Verwaltung - zu besetzen, um seine Verwendungsbreite beurteilen zu können.

2.

Ein Anspruch auf Verkürzung der Probezeit auf das gesetzliche Mindestmaß von sechs Monaten (§ 19 Abs. 2 Satz 3 Hs. 1 NBG), die der Kläger beantragt hat, kommt ihm indes nicht zu. Ein solcher Anspruch setzte voraus, dass das Ermessen der Beklagten bei der Entscheidung über die Verkürzung der Probezeit auf Null reduziert ist, mithin allein die Verkürzung auf sechs Monate rechtmäßig wäre. Gründe, die dafür sprechen könnten, sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Allein der Umstand, dass der Kläger rechnerisch eine berufliche Tätigkeit als Rettungsassistent im Umfang von 3 Jahren und 2 Monaten ins Feld führen kann, genügt nach dem oben Gesagten nicht aus, weil der Inhalt und Zweck der Probezeit hierbei nicht berücksichtigt würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe, die Berufung zuzulassen (§§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO), liegen nicht vor.