Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 12.02.2008, Az.: 2 A 292/06
Ausbildungsförderung; Einkommen der Eltern; Einkommensverhältnisse; Einkünfte; Eltern; Eltern des Auszubildenden; Elternteil; Ersatzpflicht der Eltern; Erstattungsanspruch; fahrlässige Falschangabe; fahrlässiges Handeln; Fahrlässigkeit; Falschangabe; falsche Angaben; Fehlverhalten des Steuerberaters; nicht feststehende Einkommensverhältnisse; Sorgfalt; Steuerberater; unterlassene Angaben; Ursächlichkeit; Vorbehalt der Nachprüfung; zu Unrecht geleistet; Zweckmäßigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 12.02.2008
- Aktenzeichen
- 2 A 292/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 54964
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 20 Abs 1 Nr 4 BAföG
- § 36 BAföG
- § 47a S 1 BAföG
Tatbestand:
Die Tochter G. des Klägers studierte seit dem Wintersemester 2003/2004 Agrarwissenschaften an der Beklagten. Sie beantragte auch für den Bewilligungszeitraum Oktober 2004 bis September 2005 Ausbildungsförderungsleistungen bei dem in diesen Angelegenheiten namens und im Auftrage der Beklagten handelnden Studentenwerk E.. Aufgrund ihrer eigenen Angaben und derjenigen des Klägers erhielt sie in diesem Bewilligungszeitraum insgesamt Leistungen von der Beklagten in Höhe von 6.572.- Euro.
Der Kläger war im Streitzeitraum als selbständiger Urologe tätig. Über sein Vermögen war durch Beschluss des Amtsgerichts Uelzen vom 4. Februar 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Auf Beschluss der Gläubigerversammlung vom 10. April 2003 erhielten die vom Kläger getrennt lebende Ehefrau und die bei dieser lebenden gemeinsamen Kinder (neben G. noch ein Sohn) monatlich 1.500,00 Euro Unterhalt aus der Insolvenzmasse. Durch weiteren Beschluss des Amtsgerichts Uelzen vom 4. April 2006 wurde dem Kläger Restschuldbefreiung unter Anordnung einer Wohlverhaltensperiode bis zum 4. Februar 2009 gewährt.
Am 21. Juli 2004 beantragte die Tochter des Klägers für den Bewilligungszeitraum Oktober 2004 bis September 2005 bei dem Studentenwerk E. Ausbildungsförderungsleistungen. Gleichzeitig stellte sie hinsichtlich des Einkommens sowohl ihrer Mutter als auch des Klägers einen Aktualisierungsantrag nach § 24 Abs. 3 BAföG. Auf dem von ihm unterschriebenen Antragsformular, gab der Kläger dabei seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit in den Jahren 2004 und 2005 mit je 10.379.- Euro an. Der Steuerberater des Klägers vermerkte auf diesem Antrag handschriftlich, dem Kläger flössen aufgrund der Insolvenz keine höheren Beträge zu. Das Finanzamt Lüchow teilte dem Studentenwerk auf dessen Auskunftsersuchen hin am 28. September 2004 mit, die Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit hätten im Jahr 2002 124.641.- Euro betragen. Mit inhaltsidentischem Aktualisierungsantrag vom 19. Oktober 2004 wiederholte der Kläger seine Angaben. Auf Nachfrage des Studentenwerks E. bei dem Steuerberater des Klägers erklärte dieser, laut betriebswirtschaftlicher Auswertung erziele der Kläger seit 1. April 2004 monatlich durchschnittlich 1.531,98 Euro (entspricht im Jahr 18.383.- Euro) an Einkünften aus selbständiger Tätigkeit. Der Kläger habe bis zum 31. März 2004 mit einem Kollegen eine Gemeinschaftspraxis geführt und sei danach in Einzelpraxis selbständig tätig gewesen. Am 17. August 2004 stellte die Tochter des Klägers darüber hinaus hinsichtlich des Einkommens ihres Vaters einen Vorausleistungsantrag nach § 36 BAföG.
Mit Bescheiden vom 31. Dezember 2004, 31. März und 31. Mai 2005 bewilligte die Beklagte der Tochter des Klägers daraufhin für den Bewilligungszeitraum Oktober 2004 bis September 2005 Ausbildungsförderungsleistungen (von Oktober 2004 bis März 2005 585,00 Euro monatlich und von April 2005 bis September 2005 521,00 Euro monatlich. Dabei wurden der Berechnung monatliche Einkünfte des Klägers in Höhe von 1.531,91 Euro zugrunde gelegt. Nach Abzug der gesetzlichen Freibeträge ergab sich eine Einkommensanrechnung nicht. Die Bewilligung erfolgt jeweils unter dem Vorbehalt der Rückforderung, u.a. weil sich das Einkommen des Klägers noch nicht abschließend feststellen ließe. Mit dem Bescheid vom 31. Dezember 2004 entschied die Beklagte zugleich, dass der Antrag der Tochter des Klägers auf Vorausleistung vom 17. August 2004 abgelehnt werde, weil Einkommen ihres Vaters nicht angerechnet worden sei.
In einem vom Kläger am 8. Mai 2005 unterschriebenen weiteren formularmäßigen Aktualisierungsantrag gab der Kläger seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Jahr 2004 schließlich mit 70.430,00 Euro an. Des weiteren befindet sich eine handschriftliche Anmerkung seines Steuerberaters auf dem Formular, wonach der Kläger laut betriebswirtschaftlicher Auswertung durch die Insolvenz monatlich 2.769,00 Euro bekomme. Diese Zahlung wurde durch schriftliche Bestätigung des Insolvenzverwalters vom 13. April 2005 untermauert.
Nach vorheriger Anhörung forderte die Beklagte dann mit Bescheid vom 4. Juli 2006 6572,00 Euro zuzüglich gesondert zu beziffernder Zinsen in Höhe von 6 % ab dem Zeitpunkt der zu Unrecht erfolgten Ausbildungsförderungsleistung vom Kläger zurück. Zur Begründung berief sich die Beklagte auf § 47 a Satz 1 BAföG. Der Kläger habe mindestens fahrlässig falsche Angaben zu seinem Einkommen im Jahre 2004 gemacht, das der Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen an seine Tochter zugrunde gelegt worden sei. Soweit er sich hinsichtlich der Richtigkeit der Angaben auf seinen Steuerberater verlassen habe, müsse er sich dessen Fehlverhalten zurechnen lassen. Es sei klar und eindeutig gewesen, dass die Angabe der steuerlich relevanten Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit anzugeben gewesen seien, nicht die dem Kläger tatsächlich infolge der Insolvenz in deutlich geringerer Höhe tatsächlich zufließenden Beträge. Unterhaltsrechtliche Belange spielten bei dieser Entscheidung keine Rolle.
Hiergegen hat der Kläger am 7. August 2006 Klage erhoben.
Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er habe weder vorsätzlich noch fahrlässig falsche Angaben gemacht. Aus den auf den jeweiligen Formularen angebrachten Anmerkungen seines Steuerberaters sei deutlich hervorgegangen, dass die angegebenen Einkünfte in Höhe von 10.379,00 Euro der Betrag gewesen sei, der ihm tatsächlich zugeflossen sei. Zudem seien seine Angaben, wenn sie den falsch gewesen sein sollten, nicht allein ursächlich für die Auszahlung von Förderleistungen an seine Tochter. Er habe nämlich monatlich 1.500,00 Euro Unterhaltszahlungen an seine Ehefrau und zwei seiner Kinder geleistet. Auf seine Tochter G. seien hiervon 327,45 Euro entfallen. Diesen Betrag hätte sie als Einkünfte bei der Beantragung von Ausbildungsförderungsleistungen angeben müssen. Da sie das nicht getan habe, sei es zu einer Auszahlung von Leistungen auch durch deren Fehlverhalten gekommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Steuerberater des Klägers habe trotzt mehrfacher expliziter Fragestellung mindestens fahrlässig falsche Angaben zum Einkommen des Klägers im Jahre 2004 gemacht. Dieses Verhalten müsse sich der Kläger zurechnen lassen. Durch die Falschangabe sei es zur Auszahlung von Ausbildungsförderungsleistungen gekommen. Bei richtiger Angabe hätte ein Leistungsanspruch nicht bestanden. Darauf, ob der Kläger seiner Tochter G. Unterhalt gezahlt habe, was zweifelhaft erscheine, komme es ebenso wenig an, wie darauf, dass sie, die Beklagte, auch nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG hätte vorgehen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ergeben sich aus der Insolvenz des Klägers keine Einschränkungen. Ihm ist durch Beschluss des Amtsgerichts Uelzen vom 4. April 2006 Restschuldbefreiung erteilt worden. Im Zeitpunkt der Klageerhebung bestanden daher etwaige Einschränkungen nach §§ 167 VwGO i.V.m. 240 ZPO nicht - mehr -.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2006 ist rechtmäßig und der Kläger durch ihn nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Anspruchsgrundlage der von der Beklagten gegen den Kläger geltend gemachten Forderung in Höhe der im Bewilligungszeitraum Oktober 2004 bis September 2005 an dessen Tochter ausgezahlter Ausbildungsförderung in Höhe von 6.572,00 Euro ist § 47 a Satz 1 BAföG. Die Zinsforderung findet ihre Grundlage in Satz 2 dieser Vorschrift.
Gemäß § 47 a Satz 1 BAföG haben u.a. Eltern des Auszubildenden den Betrag, der nach § 17 Abs. 1 und 2 für den Auszubildenden als Förderungsbetrag zu Unrecht geleistet worden ist, dem Land zu ersetzen, wenn sie die Leistung dadurch herbeigeführt haben, dass sie vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht haben. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die Tochter des Klägers hat im Bewilligungszeitraum Oktober 2004 bis September 2005 zu Unrecht Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von 6.572,00 Euro erhalten. Denn hätte der Kläger, wie schließlich geschehen, sein Einkommen schon bei Antragstellung im Juli 2004 zutreffend in Höhe von 70.430,00 Euro, bestehend aus Einkünften aus selbständiger Arbeit, angegeben, hätte die Tochter des Klägers einen Anspruch auf Ausbildungsförderungsleistungen nicht gehabt. Dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht unumstritten. Die Leistungsbewilligung beruht daher auf falschen Angaben. Diese hat der Kläger fahrlässig gemacht.
Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
Sowohl im Juli als auch im Oktober 2004 gab der Kläger, eigenhändig unterschrieben, an, im Jahre 2004 Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 10.379,00 Euro erzielt zu haben. Auf die Daten des Jahres 2004 kam es infolge des gestellten Aktualisierungsantrags an. Wie sich schon aus dem Antragsformular ergibt, bei etwaigen Zweifeln jedenfalls durch einfache Nachfrage beim Studentenwerk E. hätte in Erfahrung gebracht werden können, waren entsprechend der Regelung in § 21 BAföG die Einkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes anzugeben. Nicht maßgeblich waren, und das ist bei Anspannung der gebotenen Sorgfalt für jeden sofort erkennbar, die Beträge, die dem Kläger infolge der Insolvenzverpflichtungen tatsächlich zugeflossen sind. Nur nachrichtlich sei angemerkt, dass der Kläger auch diese Beträge offensichtlich im Jahre 2004 nicht korrekt angegeben hat. Sie betrugen nämlich nicht, wie angegeben, 1.531,98 Euro monatlich, sondern 2.769,00 Euro. Dieser Sachverhalt hätte schon dem Kläger selbst aufgehen können und müssen, auf jeden Fall aber seinem Steuerberater, der an der Ausfüllung der Vordrucke offensichtlich beteiligt war und dessen Angaben der Kläger übernommen zu haben scheint. Es gehört zum Basiswissen eines Steuerberaters, dass wenn nach Einkünften gefragt ist, nicht der tatsächlich zufließende, sondern derjenige, sich aus § 2 EStG ergebende Betrag gemeint ist. Auf ausdrückliche Nachfrage der Beklagten vom 18. November 2004 erklärte der Steuerberater zudem mit Telefax vom 22. November 2004 die durchschnittlichen monatlichen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit mit 1.531,98 Euro und gab dafür eine vermeintliche Erklärung, nämlich die Auflösung der bis zum 1. April 2004 bestehenden Praxisgemeinschaft des Klägers mit einem Kollegen. Der Kläger muss sich das Fehlverhalten seines Steuerberaters als eigenes zurechnen lassen, da er sich bei der Erfüllung seiner Erklärungspflichten dessen Hilfe bedient hat. Der Kläger hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße vermissen lassen.
Gegen den somit begründeten Anspruch nach § 47 a Satz 1 BAföG vermag der Kläger nicht mit Erfolg einzuwenden, die Leistungsgewährung an seine Tochter beruhe mindestens zum Teil auch auf unterlassenen Angaben ihrerseits. Unabhängig von der, nicht aufklärungsbedürftigen, Frage, ob die Tochter des Klägers Unterhaltszahlungen als ihr eigenes Einkommen hätte angeben müssen, ist der Anspruch nach § 47 a Satz 1 BAföG nicht dadurch ausgeschlossen oder eingeschränkt, dass der Auszubildende selbst durch eigene Angaben oder deren Unterlassen eine rechtswidrige Leistung bewirkt hat (Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4. Aufl., § 47 a Rn. 3; Rothe/Blanke, BAföG, § 47 a Anm. 8).
Schließlich scheitert der Anspruch auch nicht daran, dass die Beklagte auch die Möglichkeit gehabt hätte, nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG vorzugehen. Zwar sind die Bewilligungsbescheide für die Tochter des Klägers betr. den Bewilligungszeitraum Oktober 2004 bis September 2005 unter anderem wegen der nicht feststehenden Einkommensverhältnisse des Klägers unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen, so dass der Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG eröffnet gewesen wäre. Indes ist es der Leistungsbehörde für den Fall, dass sowohl § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG als auch § 47 a Satz 1 BAföG einschlägig sind, gestattet, unter Zweckmäßigkeitsgesichtpunkten zu entscheiden, nach welcher Vorschrift vorgegangen werden soll (Ramsauer u.a., a.a.O., Rn. 5; Rothe/Blanke, a.a.O., Anm. 11). Es ist für das Gericht nichts dafür ersichtlich, dass unter diesem Gesichtspunkt die Inanspruchnahme des Klägers rechtswidrig sein könnte. Denn Zweckmäßigkeitserwägungen unterliegen nicht der gerichtlichen Kontrolle. Geht die Behörde, wie hier, nach § 47 a Satz 1 BAföG gegen einen Elternteil vor, kann dieser gegen die Forderung nicht mit unterhaltsrechtlichen Argumenten gehört werden. Dies wäre anders, wenn die Beklagte den Weg über § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG beschritten und sich herausgestellt hätte, dass der Kläger das bei der Leistungsberechnung angerechnete Einkommen nicht zur Unterhaltsgewährung an seine Tochter eingesetzt hätte. Dann wäre der Weg für eine, von der Tochter des Klägers beantragte Vorausleistung nach § 36 BAföG frei gewesen und auf die Beklagte wären entsprechende Unterhaltsansprüche übergegangen, die, wie offenbar für die Bewilligungszeiträume vor und nach dem streitgegenständlichen geschehen, zivilrechtlich gegen den Kläger geltend zu machen gewesen wären. Gerade dieser für die Beklagte umständliche und im Erfolg unsichere Weg spricht unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten für den von ihr beschrittenen und vom Kläger mit der Klage erfolglos angegriffenen Weg des § 47 a Satz 1 BAföG.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Da die Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (§§ 166 VwGO i.V.m. 114 ZPO.