Landgericht Braunschweig
Urt. v. 25.05.1983, Az.: 2 O 605/82
Staatshaftung bei Verursachung eines Unfalls in öffentlichen Verkehrsmitteln durch den Fahrer eines Postwagens; Postfahrer als Auslöser für die Notbremsung des Busses; Sturz durch abruptes starkes Abbremsen des Busses; Mitverantwortlichkeit des Postwagenfahrers an dem Sturz bei Einfahren in die Bushaltestellenbucht vor dem Bus mit gesetztem Blinklicht und unter Betätigung der Stotterbremse
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 25.05.1983
- Aktenzeichen
- 2 O 605/82
- Entscheidungsform
- Schlussurteil
- Referenz
- WKRS 1983, 13441
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:1983:0525.2O605.82.0A
Rechtsgrundlagen
- § 839 Abs. 1 BGB
- Art. 34 GG
- § 847 BGB
- § 4 StVO
- § 35 Abs. 7 StVO
Verfahrensgegenstand
Schmerzensgeldforderung
Prozessführer
der ...
Prozessgegner
1. ...
2. ...
Sonstige Beteiligte
...
In dem Rechtsstreit
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 1983
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,
den Richter am Landgericht ... und
die Richterin am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Nebenintervention, die der Streitverkündeten auferlegt werden.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; der Klägerin und der Streitverkundeten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 800,- DM abzuwenden, sofern nicht zuvor die Beklagte zu 1. Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Klägerin wird gestattet, eine von ihr zu erbringende Sicherheit durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Sparkasse zu leisten.
Tatbestand
Die Klägerin verunglückte am 2.6.1982 gegen 8.50 Uhr im Bus der Linie 22. Bei der Annäherung an die Haltestelle Sonnenstraße war die 74-jährige Klägerin aufgestanden, um sich für den Ausstieg vorzubereiten. Durch eine plötzliche Bremsung des Busses kam sie zu Fall. Mit der Klage verlangt sie die Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeldes, mindestens jedoch 4.000,- DM nebst Zinsen.
Die Klägerin behauptet, daß die abrupte Abbremsung des Omnibusfahrers durch den Beklagten zu 2., den Fahrer eines Bundespostfahrzeuges im Zustelldienst, veranlaßt war. Die von ihr gegen den Bundespostkraftfahrer selbst, dem Beklagten zu 2., erhobene Klage wurde gemäß Teilurteil vom 26.1.1983 rechtskräftig abgewiesen. Sie nimmt nunmehr allein die Oberpostdirektion Hannover-Braunschweig mit der Klage in Anspruch.
Die Klägerin verkündete der Braunschweiger Verkehrs-AG den Streit, die dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beitrat.
Zum Unfallhergang führt die Klägerin weiter aus:
Das Bundespostfahrzeug habe den Linienbus der Braunschweiger Verkehrs-AG überholt und sei dann kurz vor dem Bus, ohne zu blinken, in die Haltestellenbucht eingefahren und habe dort angehalten. Durch dieses gefährliche Manöver sei der Omnibusfahrer gezwungen gewesen, eine Notbremsung vorzunehmen. Trotzdem sie sich an einem Haltegriff festgehalten habe, sei sie aufgrund des Bremsruckes erst auf eine Sitzlehne gefallen und von dort lang niedergeschlagen. Sie habe sich bei dem Sturz einen Lendenwirbel gebrochen und sich deshalb 6 Wochen in stationärer Krankenhausbehandlung befunden. Sie habe bei brütender Hitze im Sommer 826 Wochen lang auf dem Rücken liegen müssen. Es sei noch nicht abzusehen, ob die Unfallfolgen komplikationslos ausheilen würden oder eine Dauerbeeinträchtigung eintrete. Aufgrund des langen, mit großen Schmerzen und Strapazen verbundenen Krankenhausaufenthaltes und der unfallbedingten Konsequenzen stehe ihr ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von mindestens 4.000,- DM zu.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu 1. zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 4.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10.10.1982 zu zahlen.
Die Streitverkündete stellte keinen Antrag.
Die Beklagte zu 1. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor:
Ein schuldhaftes Verhalten des Postfahrzeugfahrers, des Beklagten zu 2. habe nicht vorgelegen. Er habe nach überqueren der Kreuzung Sonnenstraße die Fahrgeschwindigkeit seines Dienstfahrzeuges verlangsamt, den rechten Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und sei dann mit Schrittgeschwindigkeit in die Haltestellenbucht eingefahren. Sodann habe er das Postfahrzeug in Ausübung seines Sonderrechtes gem. § 35 Abs. 7 StVO auf dem Bürgersteig abgestellt.
Er sei bereits deshalb mit einer sehr geringen Geschwindigkeit gefahren und habe normal abgebremst, da er das Fahrzeug durch das Überfahren der Bordsteinkante nicht habe beschädigen wollen. Erst nach Zustellung der EIL-Sendung und dem Besteigen des Fahrzeuges, sei der Stadtbusfahrer auf ihn zugekommen und habe behauptet, daß er den Busfahrer zu einer Notbremsung veranlaßt habe.
Wenn es überhaupt zu einer Notbremsung gekommen sei, so sei dies einzig und allein aufgrund einer Unaufmerksamkeit oder fehlerhaften Reaktion des Busfahrers T. passiert. Eine polizeiliche Aufnahme des Vorfalls sei nicht veranlaßt worden. Rein vorsorglich werde vorgetragen, daß die Klägerin ein erhebliches Mitverschulden treffe, da sie sich nicht ausreichend durch Festhalten gegen einen Sturz geschützt habe.
Wegen weiterer Einzelheiten des Partei Vorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluß vom 26.1.1983 Beweis erhoben durch Vernehmung von drei Zeugen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Vernehmungsniederschrift vom 4.5.1982 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Klägerin steht kein Schmerzensgeldanspruch gem. den §§ 839 Abs. 1, 847 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegen die Beklagte zu 1. zu. Aufgrund der Beweisaufnahme ist nicht erwiesen, daß sich der Fahrer des Postwagens, der Beklagte zu 2., verkehrswidrig verhielt. Es ist nicht feststellbar, daß durch seine Fahrweise Veranlassung für den Busfahrer der Linie 22, den Zeugen T., bestand, sein Fahrzeug abrupt abzubremsen. Der Beklagte zu 2. war unstreitig im Zustelldienst tätig. Für Seine Teilnahme am Straßenverkehr geschah in Ausübung hoheitlicher Gewalt, da sie in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Fahrer im Zustelldienst stand (vgl. BGH VersR. 71, 934).
Der Staat haftet grundsätzlich gem. § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG für Unfallschäden, die von seinen Beschäftigten auf einer Dienstfahrt schuldhaft verursacht werden.
Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht erwiesen, daß der Postkraftfahrer Vogel durch seine Fahrweise mit dazu beigetragen hat, daß die Klägerin im Bus stürzte. Ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO ist nicht belegt. Danach darf der Vorausfahrende im Straßenverkehr nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen. Dem korrespondiert die Verpflichtung des nachfahrenden Fahrzeugs, den Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß zu bemessen, daß hinter diesem gehalten werden kann, wenn plötzlich abgebremst wird.
Die Behauptung der Klägerin, daß der Fahrer des Postwagens den Bus der Linie 22 zunächst überholt und dann kurz vor dem Bus in die Haltestellenbucht eingefahren sein soll, wurde von den Zeugen nicht bestätigt. Nach der Aussage des Zeugen T., des Fahrers des Linienbusses, hielt der Postwagen vor dem Bus in derselben Fahrspur bereits vor der Ampel Güldenstraße/Sonnenstraße. Die Fahrtabläufe nach Eintritt der Grünphase werden von den Zeugen T. und Vogel, dem Beklagten zu 2, unterschiedlich geschildert. Der Zeuge T. führte aus, daß das Postauto vor ihm zügig Richtung "Alter Bahnhof" angefahren sei und dann plötzlich in Höhe der ersten 5 m der Parkbucht noch auf der Geradeausspur abgebremst habe, um dann ohne Setzen des Blinkers in die Bucht einzufahren und das Fahrzeug auf dem Bordstein und dem Radweg zu parken. Er führte aus, daß er das Fahrverhalten des Postfahrers als erhebliche Belästigung empfunden habe. Dem gegenüber sagte der Zeuge Vogel aus, daß er bereits auf der Mitte der Kreuzung den rechten Blinker gesetzt habe, da er zum Arbeitgeberverband fahren wollte. Er sei zu Anfang der Bucht sehr langsam und mit Stotterbremse gefahren, da er über den Bordstein zum Parken fahren wollte. Einen Bus hinter ihm hatte er nicht bemerkt.
Keiner der beiden Aussagen kann eine größere Glaubwürdigkeit beigemessen werden.
Beide Zeugen waren die betroffenen Kraftfahrer und stellen somit keine völlig unabhängigen Zeugen dar. Die darüber hinaus vernommene Zeugin Frau Ludwig konnte keine Angaben dazu machen, wie es zur starken Abbremsung des Busses kam. Die Fahrweise des Bundespostkraftfahrers ist nicht zu beanstanden, wenn er mit gesetztem Blinklicht und unter Betätigung der Stotterbremse langsam in die Bushaltestellenbucht einfuhr. Die Benutzung der Parkbucht ist ihm aufgrund des Sonderrechts des § 35 Abs. 7 StVO gestattet. Es fehlt am Nachweis seitens der Klägerin, daß der Postfahrer der Auslöser für eine Notbremsung des Busses war. Fraglich ist, ob der Fahrer des Busses der Linie 22 den gebotenen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einhielt und verkehrsgerecht auf den voranfahrenden Verkehr reagierte.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 101 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.