Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 06.02.2008, Az.: 4 B 19/08
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 06.02.2008
- Aktenzeichen
- 4 B 19/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 45041
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2008:0206.4B19.08.0A
Verfahrensgang
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 4. Kammer - am 6. Februar 2008 beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 04. Februar 2008 (4 A 18/08) gegen den Widerruf der dem Antragsteller erteilten Duldung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2 500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen den Widerruf einer Duldung.
Der 1983 geborene Antragsteller reiste 1999 in das Bundesgebiet ein. Er gab an, staatenloser Kurde aus Syrien zu sein. Ein Asylverfahren blieb erfolglos. Mit Bescheid vom 27. Juli 2001 drohte ihm das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Abschiebung nach Syrien an. Die Antragsgegnerin duldete den Antragsteller zunächst wegen fehlender Heimreisedokumente. Die vom Antragsteller vorgelegte rote Karte als Nachweis der behaupteten Staatenlosigkeit erwies sich als Fälschung. Die Antragsgegnerin beschaffte daraufhin Auszüge aus dem Personenstandsregister in Syrien, mit dessen Hilfe der Antragsteller im Dezember 2007 einen Personalausweis erhalten konnte.
Der Antragsteller ist seit dem 24. Oktober 2004 nach yezidischem Recht mit einer 1989 geborenen Frau mit ungeklärter Staatsangehörigkeit verheiratet, die mit ihrer Familie in Ahlen/Landkreis Warendorf wohnt. Aus der Beziehung ist ein am C. geborener Sohn hervorgegangen. Der Antragsteller hat die Vaterschaft anerkannt und übt die Personensorge gemeinsam mit der Kindesmutter aus. Anträge des Antragstellers, eine zusätzliche Duldung mit Ziel der Umverteilung in den Landkreis Warendorf zu erhalten, wurden abgelehnt.
Am 18. Januar 2008 erhielt der Antragsteller eine bis zum 18. Juli 2008 befristete Duldung mit Beschäftigungserlaubnis. Bereits am 24. Januar 2008 richtete die Antragsgegnerin ein Abschiebungsersuchen an die zuständige Behörde und widerrief am 29. Januar 2008 die dem Antragsteller erteilte Duldung. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig. Nach Ingewahrsamnahme des syrischen Personalausweises am 06. Dezember 2007 seien die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Es bestehe ein öffentliches Interesse daran, dass ausreisepflichtige Personen, die insbesondere ihren Mitwirkungspflichten im Rahmen der Passbeschaffungsmaßnahmen nicht nachgekommen seien, das Bundesgebiet schnellstmöglichst verlassen. Weitere Duldungsgründe lägen nicht vor.
Am 04. Februar 2008 hat der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und Klage erhoben (4 A 18/08). Er vertritt die Auffassung, die Antragsgegnerin habe die familiären Bindungen zu seiner Frau und seinem Kind nicht hinreichend berücksichtigt.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen
und erwidert: Der Antragsteller soll am 07. Februar 2008 abgeschoben werden. Hinweise darauf, dass die Ehefrau oder das gemeinsame Kind dringend auf den Antragsteller angewiesen seien, seien nicht ersichtlich. Die erst 18jährige Kindesmutter und ihr Sohn leben in der Großfamilie ihrer Eltern. Somit sei eine familiäre Betreuung gewährleistet. Eine gemeinsame Wohnung könne auch außerhalb des Bundesgebietes bezogen werden.
II.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Widerruf der Duldung erhobenen Klage ist begründet mit der Folge, dass die dem Antragsteller zunächst bis zum 18. Juli 2008 erteilt Duldung wieder auflebt. Die Kammer kann nämlich nicht feststellen, dass der angefochtene Bescheid eindeutig rechtmäßig ist mit der Folge, dass das öffentliche Interesse an dem sofortigen Vollzug der Verfügung dem privaten Interesse am vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet überwiegt.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Duldung zur Vorbereitung der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung des Antragstellers ergeben sich hier bereits daraus, dass es an einer hinreichend aktuellen Abschiebungsandrohung fehlen dürfte. Denn die zur Rechtmäßigkeit der Abschiebung erforderliche Abschiebungsandrohung datiert bereits aus dem Jahr 2001 und war bei Inkrafttreten von § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG n.F. nicht mehr wirksam. Die Kammer hat in einem vergleichbaren Fall mit Beschluss vom 06. November 2006 (4 B 575/06 ) entschieden:
Auf den Erlass einer Abschiebungsandrohung konnte auch nicht wegen der im Asylverfahren erlassenen asylrechtlichen Abschiebungsandrohung verzichtet werden. Denn diese entfaltet keine Rechtsfolgen mehr. Die im Februar 1995 rechtskräftig gewordene Abschiebungsandrohung galt nur für zwei Jahre. Die Geltungsdauer der im Asylverfahren erlassenen Abschiebungsandrohung ist nicht ausdrücklich geregelt. Sie ergibt sich aber aus dem Regelungszusammenhang der zum Asylfolgeverfahren gehörenden Vorschrift des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG a.F.. Danach bedurfte es zum Vollzug einer Abschiebung keiner erneuten Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer, nachdem eine frühere Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist, innerhalb von zwei Jahren einen Folgeantrag stellt, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt. Zwar wurde die Zweijahresfrist mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 01. Januar 2005 aus dem Gesetz gestrichen (vgl. Art. 15 Abs. 3 Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004, BGBl.S. 1950). Allerdings gilt die unbefristete Fortgeltung der Abschiebungsandrohung nicht rückwirkend. Die dem Antragsteller erteilte Abschiebungsandrohung wurde bereits 1997 wirkungslos. Deshalb findet § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG n.F. auf ihn keine Anwendung.
Selbst wenn die Kammer die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes im vorliegenden Fall für wirksam halten würde, müsste dem Antrag stattgegeben werden. Die Verhinderung der Abschiebung ist angezeigt, weil gegenwärtig noch unklar ist, ob eine Abschiebung des Antragstellers nach Syrien zu einer dauerhaften Trennung von seiner nach yezidischem Recht getrauten Ehefrau und dem gemeinsamen Kind und zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK führt. Damit überwiegt das private Interesse des Antragstellers am vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet dem öffentlichen Vollzugsinteresse.
Die Antragsgegnerin wird deshalb, ggf. unter Einbeziehung des Landkreises Warendorf, für das Hauptsacheverfahren zu prüfen haben, ob eine gemeinsame oder zumindest nur kurzfristig getrennte Rückführung der Familie (Antragsteller, Ehefrau und Kind) nach Syrien oder in einen anderen zur Aufnahme bereiten Staat möglich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. Gründe für eine Zulassung der Streitwertbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung liegen nicht vor.