Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 05.10.2010, Az.: 1 Ss 151/10

Fehlerhafte Beweiswürdigung im Zusammenhang mit der Veranstaltung einer Versammlung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
05.10.2010
Aktenzeichen
1 Ss 151/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 25993
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2010:1005.1SS151.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Wittmund - 21.05.2010 - AZ: 9 Cs 66/10

Redaktioneller Leitsatz

Allein der Umstand, dass jemand auf Handzetteln, die während einer - nicht angemeldeten - Demonstration verteilt werden, als im Sinne des Presserechts "Verantwortlicher" fungiert, macht diesen noch nicht zum Veranstalter der Versammlung.

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Wittmund vom 21. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Wittmund zurückverwiesen, die auchüber die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

Gründe

1

Der Angeklagte ist mit Urteil des Amtsgerichts Wittmund vom 21. Mai 2010 wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt worden.

2

Hiergegen richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

3

Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

4

Nach den - insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen des Amtsgerichts fand am Montag, dem 2. November 2009 auf der Insel L... die feierliche Verabschiedung des Landrates des Landkreises W... statt, zu der ca. 300 geladene Gäste per Schiff vom Fähranleger B... nach L... reisten. In den Wochen zuvor hatte sich auf regionaler Ebene eine rege öffentliche Diskussion über die Kosten der geplanten Veranstaltung entzündet. In der regionalen Presse wurde darüber berichtet. Am Sonntag, dem 1. November 2009 hielt der Kreisverband der Partei ´X...´ in W... eine Sitzung ab, an der auch der Angeklagte, der Vorstandsmitglied der Ortsgruppe und Mitglied des Kreistages ist, teilnahm. Es wurde beschlossen, am nächsten Tag am Fähranleger in B... sowie am Bahnhof der Insel L... Demonstrationen abzuhalten. Es wurden Handzettel mit der Überschrift ´Abschiedsparty auf Kosten der Steuerzahler?´ gedruckt, die mit dem Namen des Angeklagten und dem Zusatz ´verantwortlich´ schließen. Außerdem wurden Transparente gefertigt, die den in den Handzetteln enthaltenen Slogan ´Wir sind nicht eingeladen, müssen aber wie immer die Zeche zahlen´ aufnahmen.

5

Nachdem eine vorherige Anmeldung der Veranstaltungen bei dem Landkreis W... als zuständiger Behörde nicht erfolgt war, begab sich der Angeklagte am 2. November 2009 mit zwei Parteifreunden, ausgerüstet mit den zuvor gefertigten Handzetteln, einem Transparent und einer Parteifahne, nach L..., um dort ab ca. 13.00 Uhr am Bahnhof bei der Ankunft des Landrats und der Gäste zu demonstrieren. Der Angeklagte verteilte Handzettel an Passanten. Die beiden mitgereisten Parteifreunde hielten das Transparent. Zuvor hatten sich - entsprechend der zuvor getroffenen Absprache - ab ca. 12.00 Uhr sieben oder acht Parteifreunde des Angeklagten am Fähranleger in B... versammelt und dort mit einem Transparent und durch das Verteilen von Handzetteln demonstriert.

6

Das Amtsgericht ist darüber hinaus zu der Feststellung gelangt, für die Planung und Durchführung der Demonstration sei in erster Linie der Angeklagte verantwortlich gewesen, der sich durch die Nichtanmeldung der von ihm veranstalteten Versammlung gemäß § 26 Nr. 2 VersammlG strafbar gemacht habe.

7

Diese Überzeugung begründet das Gericht´insbesondere´ mit dem Umstand, dass die von dem Angeklagten selbst hergestellten und verfassten Handzettel, die er verteilt habe, ihn als ´verantwortlich´ auswiesen. Ferner komme ihm innerhalb der Partei als einziges Kreistagsmitglied eine herausgehobene Stellung zu. Schließlich habe er die Materialien für die Anfertigung der Transparente und der Handzettel zur Verfügung gestellt (UA S. 4 oben).

8

Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters und durch das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Der Prüfung durch den Senat unterliegt es aber, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtfehler unterlaufen sind, also die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. MeyerGoßner, StPO, 53. Aufl., § 337 Rz. 27).

9

Gemessen hieran halten die Ausführungen des Amtsgerichts in mehrfacher Hinsicht rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

10

Das Amtsgericht hat zunächst nicht berücksichtigt, dass die erhobenen Beweise mehrere Deutungsmöglichkeiten zulassen. Das Urteil führt aus, es sei nicht ersichtlich, weshalb die Angabe des Namens Angeklagten als ´verantwortlich´ auf den Handzetteln gewählt worden sein sollte, wenn dieser bei der Organisation und Planung lediglich eine untergeordnete Rolle eingenommen haben sollte (UA S. 4 oben). Dabei hat das Gericht aber nicht bedacht, dass die Namensangabe auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass nach § 8 Abs. 1 des Nds. Pressegesetzes auf jedem Druckwerk der Name des Verfassers anzugeben ist. Die Angabe des Namens des Angeklagten auf den Handzetteln könnte daher auch allein deshalb erfolgt sein, um nicht gegen diese Vorschrift zu verstoßen, was gemäß § 22 Abs.1 Nr. 1 Nds. Pressegesetz eine Ordnungswidrigkeit darstellen würde. Die Prüfung nur einer von mehreren Auslegungsmöglichkeiten begründet die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung (MeyerGoßner, aaO., Rz 32).

11

Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung auch deshalb lückenhaft, weil nicht alle aus dem Urteil ersichtlichen Umstände gewürdigt sind, die Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zulassen (vgl. Meyer Goßner, a.aO. Rz. 29). Das Urteil teilt zwar zunächst die - durch die übrige Beweiserhebung nicht in Frage gestellte - Einlassung des Angeklagten mit, er habe in der Nacht mit Parteifreunden die Handzettel gedruckt und die Transparente gefertigt (UA S. 3 oben). Im Rahmen der Beweiswürdigung geht das Amtsgericht aber davon aus, dass er selbst hergestellte und verfasste Handzettel verteilt habe. Soweit dass Gericht damit zum Ausdruck bringen wollte, dass auch der Angeklagte Handzettel hergestellt habe, vermag dieses eine Verantwortlichkeit als Veranstalter der Versammlung nicht zu begründen. Falls das Gericht dagegen seine Feststellungen zur Verantwortlichkeit des Angeklagten darauf gestützt haben sollte, dass nur der Angeklagte die Handzettel hergestellt habe, widerspricht dieses dem tatsächlichen Beweisergebnis.

12

Soweit schließlich das Amtsgericht seine Überzeugung davon, dass der Angeklagte als Veranstalter anzusehen sei, damit begründet, dass der Angeklagte innerhalb der Partei als einziges Kreistagsmitglied eine herausgehobene Stellung innehabe, legt das Gericht seiner Beweiswürdigung einen nicht bestehenden Erfahrungssatz zugrunde. Denn einen dahingehenden Erfahrungssatz, dass als Veranstalter stets dasjenige Parteimitglied anzusehen ist, das an anderer Stelle eine besondere Funktion ausübt, gibt es nicht.

13

Angesichts dieser Umstände vermochte allein die von dem Angeklagten eingeräumte Tatsache, dass er das Papier zum Drucken der Handzettel und Bettlaken zur Fertigung von Transparenten zur Verfügung gestellt hat, den durch das Amtsgericht gezogenen Schluss auf ein Tätigwerden des Angeklagten als Veranstalter der Versammlungen nicht zu begründen.

14

Aufgrund der Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten waren deshalb das Urteil aufzuheben und - da weitergehende Feststellungen nicht vollends ausgeschlossen erscheinen - die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.