Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 28.09.2010, Az.: 1 Ws 464/10

Voraussetzungen für die Gewährung eines vorübergehenden Vollstreckungsaufschubs nach § 456 Strafprozessordnung (StPO)

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
28.09.2010
Aktenzeichen
1 Ws 464/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 43806
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2010:0928.1WS464.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 06.09.2010 - AZ: 50 StVK 204/10

Amtlicher Leitsatz

Ein vorübergehender Vollstreckungsaufschub nach § 456 StPO kann nur vor Beginn einer Strafvollstreckung gewährt werden. Eine solche Situation liegt nicht vor, wenn mehrere Strafen zu vollstrecken sind und unmittelbar nach Unterbrechung der Vollstreckung einer Strafe zu deren 2/3-Zeitpunkt eine Anschlussvollstreckung einsetzt. Insoweit ist auch eine analoge Anwendung von § 456 StPO nicht möglich.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 1. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Oldenburg vom 6. September 2010, durch den die Einwendungen des Verurteilten gegen die am 3. August 2010 von der Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) verfügte Ablehnung einer Haftunterbrechung als unbegründet zurückgewiesen worden sind, wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Der Verurteilte verbüßt seit dem 20. Februar 2010 in der Justizvollzugsanstalt O... Freiheitsstrafen aus mehreren Verurteilungen. Sein auf dringende familiäre Gründe gestützter Antrag auf eine viermonatige Strafunterbrechung in entsprechender Anwendung von § 456 Abs. 1 StPO ist durch staatsanwaltliche Verfügung vom 3. August 2010 mit der Begründung abgelehnt worden, § 456 StPO lasse lediglich einen Strafaufschub, aber keine Strafunterbrechung zu.

2

Die gegen diese Entscheidung gerichteten Einwendungen des Verurteilten, mit denen er eine Anwendung von § 456 StPO jedenfalls für den Zeitpunkt der Unterbrechung der Vollstreckung einer der vollstreckten Strafen zum 2/3Zeitpunkt geltend macht, sind durch den angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer mit der Begründung zurückgewiesen worden, dem Anliegen des Verurteilten könne nach dem eindeutigen Wortlaut des § 456 StPO nicht Rechnung getragen werden. für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift fehle es schon an einer Regelungslücke.

3

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig, aber nicht begründet.

4

Die Möglichkeit eines Vollstreckungsaufschubs besteht nur vor Beginn einer Vollstreckung. Die Anwendung des einen solchen Aufschub regelnden § 456 StPO setzt voraus, dass sich der Verurteilte im Zeitpunkt der Antragstellung nicht oder nicht mehr im Gewahrsam der Vollstreckungsbehörde befindet, vgl. BGHSt 19, 148 (150). Bringewat, Strafvollstreckung, Kommentar zu §§ 449-463d StPO, Rdn. 3 zu § 456 m. w. Nachw.. Mit Vollstreckung im Sinne des § 456 StPO ist zudem nicht die Vollstreckung jeder einzelnen Freiheitsstrafe, auf die durch ein Urteil erkannt wurde, gemeint. Aus Wortlaut und Sinn des § 456 StPO, durch den in Härtefällen Nachteile verhindert werden sollen, die dem Verurteilten oder seiner Familie durch eine sofortige, also eine noch nicht begonnene, sondern erst bevorstehende, Freiheitsentziehung entstehen, ergibt sich bereits, dass die Anschlussvollstreckung einer anderen Freiheitsstrafe unmittelbar im Anschluss an die Unterbrechung der Vollstreckung einer anderen Strafe zum 2/3Zeitpunkt kein Ansatzpunkt für einen Strafaufschub nach § 456 StPO sein kann.

5

Auf Härtegründe i. S. v. § 456 StPO, die während des Strafvollzuges, also nach Beginn der Vollstreckung, eintreten, kann § 456 StPO auch nicht entsprechend angewendet werden, vgl. OLG München NStZ 1988, 294, a. A. Volckart NStZ 1982, 496. Denn zum einen liegt insoweit schon keine einer erst bevorstehenden Freiheitsentziehung vergleichbare Lage vor, deren Nachteile durch ein vorübergehendes Zuwarten mit dem Beginn der Vollstreckung zu verhindern wären. Auch weist die ausdifferenzierte gesetzliche Regelung keine durch eine Analogie zu schließende Lücke auf, wie sich namentlich aus der begrifflich trennscharfen Unterscheidung des Gesetzes zwischen "Aufschub" und "Unterbrechung" der Vollstreckung ergibt. Auch zeigt die erst zum 1. Mai 1986 geschaffene Vorschrift des § 455 Abs. 4 StPO, die ausdrücklich regelt, unter welchen Voraussetzungen eine Strafunterbrechung aus in der Person des Verurteilten liegenden Gründen möglich ist und den hier in Rede stehenden Sachverhalt gerade nicht erfasst, dass von einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke nicht ausgegangen werden kann.

6

Eine Vollstreckungsunterbrechung aus den in § 456 Abs. 1 StPO bestimmten oder ähnlichen persönlichen Gründen kommt nach alledem nur aufgrund einer Gnadenentscheidung in Betracht.

7

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.