Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 19.07.2023, Az.: 1 A 575/23

Fahrerlaubnis; Gebühren; MPU; Neuerteilung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
19.07.2023
Aktenzeichen
1 A 575/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 30620
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2023:0719.1A575.23.00

Tenor:

Der Bescheid vom 6. März 2023, mit dem die Kosten zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf 73,73 Euro festgesetzt wurden, wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Kostenerhebung für die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.

Er befuhr am 26. Mai 2022 gegen 1:29 Uhr mit seinem Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen G. öffentliche Straßen. Dabei war er an einer Lichtzeichenanlage irrig der Annahme, dass diese auf Grünlicht wechselte, sodass er mit seinem Kraftfahrzeug anfuhr, wodurch es zu einer Kollision mit dem vor ihm stehenden Kraftfahrzeug kam. Nachdem ein bei dem Kläger durchgeführter Atemalkoholtest einen Wert von 1,10 Promille ergab, veranlassten die Polizeibeamten des Polizeikommissariats H. eine Blutuntersuchung zur Bestimmung des Blutakoholgehalts. Auf den Untersuchungsantrag (Bl. 56 d. BA001) sowie die Dokumentation der physischen und psychischen Auffälligkeiten (Bl. 59 ff. d. BA001) wird Bezug genommen. Das Institut für Rechtsmedizin der I. (J.) wies in der dem Kläger um 3:14 Uhr entnommenen Blutprobe einen Blutalkoholwert von 1,09 Promille nach. Mit Strafbefehl vom 12. Juli 2022 (Az.: K.) verurteilte das Amtsgericht H. den Kläger zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 50 Euro, entzog ihm die Fahrerlaubnis und zog seinen Führerschein ein. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, dem Kläger vor Ablauf von 12 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Nachdem der Kläger fünf Sitzungen bei einer Verkehrspsychologin absolvierte, hob das Amtsgericht H. auf Antrag des Klägers die in dem Strafbefehl vom 12. Juli 2022 festgesetzte Frist von 12 Monaten, vor deren Ablauf die Verwaltungsbehörde keine neue Fahrerlaubnis erteilen dürfe, mit Beschluss vom 10. Januar 2023 auf. In dem Beschluss heißt es u.a.:

"Derartige Zweifel am weiteren Fortbestand der Ungeeignetheit bestehen hier. Der Verurteilte hat 5 Sitzungen zu jeweils 90 Minuten bei der Verkehrspsychologin Dipl-Psych. L. absolviert. Die Verkehrspsychologin hat dem Gericht bescheinigt, dass sie mit dem Verurteilten die individuellen Hintergründe und Ursachen der Trunkenheitsfahrt sowie Rückfallstrategien erarbeitet und auf Alltagstauglichkeit überprüft hat. Sie hat dem Verurteiltem weiter bescheinigt, dass er die Lerninhalte erfolgreich internalisieret habe. Er habe aufgeschlossen, selbstkritisch und äußert motiviert mitgearbeitet und die Maßnahme erfolgreich beendet. (...)

Hinzu kommt, dass es bei dem Verurteilten keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass er Gewohnheitstrinker ist und somit eine erhebliche Alkoholgewöhnung oder gar von einem missbräuchlichen Alkoholumgang auszugehen ist. Das Anfahren an einer Ampel stellt eine erhebliche Ausfallerscheinung dar, die bei der eher moderaten Alkoholisierung bei einem Gewohnheitstrinker eher nicht zu erwarten wäre. (...)." [sic!]

Am 16. Januar 2023 beantragte der Kläger die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, AM, L, C1 und C1E.

Mit Schreiben vom 6. März 2023, zugestellt am 10. März 2023, forderte der Beklagte den Kläger auf, bis zum 6. Juni 2023 ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Das Gutachten solle folgende Fragen beantworten:

"Kann Herr M. trotz der Hinweise auf vorliegenden Alkoholmissbrauch ein Kraftfahrzeug der beantragten Klasse/n BE/C1E sicher führen? Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass der Untersuchte ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird und/oder liegen als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vor, die das Sichere Führen eines Kraftfahrzeuges der beantragten Klasse/n in Frage stellen? Sind Einschränkungen vorhanden, die es erforderlich machen, die Fahrerlaubnis zu beschränken, zu reduzieren oder ggf. mit Auflagen zu versehen? Empfehlungen von Auflagen/Beschränkungen sind nachvollziehbar zu begründen." [sic!]

Zur Begründung führte der Beklagte unter Bezugnahme auf den Vorfall am 26. Mai 2022 im Wesentlichen aus, aus dem Blutentnahmeprotokoll ergebe sich, dass keinerlei bzw. nur wenige alkoholbedingte Ausfallerscheinungen vorgelegen hätten. Dies spreche unter Berücksichtigung der Ziffer 3.13.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung für das Vorliegen eines Alkoholmissbrauchs, was die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließe. Mithilfe des medizinisch-psychologischen Gutachtens solle die Kraftfahreignung abschließend beurteilt werden. Die Auffassung des Amtsgerichts H. in seinem Beschluss vom 10. Januar 2023 teile er, der Beklagte, nicht. Die Entscheidung, ob die Fahreignung wieder gegeben sei, obliege in Verfahren auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisbehörde. Insofern entfalte die Entscheidung des Amtsgerichts H. über die Aufhebung der Sperrzeit keine Bindungswirkung.

Der Beklagte übersandte eine Liste mit einer Auswahl von Begutachtungsstellen und wies gleichzeitig darauf hin, dass keine Verpflichtung bestehe, eine in dieser Liste aufgeführte Begutachtungsstelle auszuwählen. Zudem bat er den Kläger um Rücksendung der beigefügten Einverständniserklärung bis zum 27. März 2023 unter Angabe der ausgewählten Begutachtungsstelle. Nach Eingang der Erklärung werde die Fahrerlaubnisakte an die ausgewählte Begutachtungsstelle übersandt werden. Vorab bestehe die Möglichkeit, diese einzusehen. Schließlich wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass er im Falle einer Weigerung des Klägers, sich untersuchen zu lassen oder bei nicht fristgerechter Beibringung des Gutachtens berechtigt sei, auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen, was die Ablehnung des Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis zur Folge haben könne. Gleichzeitig setzte er, der Beklagte, Kosten in Höhe von 73,73 Euro für die Anordnung gemäß der Ziffer 208 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr fest. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 6. März 2023 verwiesen.

Am 11. März 2023 übersandte der Kläger die von ihm unterschriebene Einverständniserklärung an den Beklagten. Dieser übersandte am 6. April 2023 die Unterlagen an die von dem Kläger ausgewählte Begutachtungsstelle N.. Nach der Untersuchung des Klägers am 22. Mai 2023 fertigte die Begutachtungsstelle N. das angeforderte Gutachten vom 31. Mai 2023. Auf das Gutachten vom 31. Mai 2023 wird Bezug genommen.

Zuvor hat der Kläger am 31. März 2023 gegen die Kostenfestsetzung in Höhe von 73,73 Euro in dem Schreiben vom 6. März 2023 Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, er wende sich mit seiner Klage - anders als der Beklagte vortrage - nicht gegen die Beibringungsanordnung, sondern gegen die Kostenentscheidung/Festsetzung. Diese sei rechtsfehlerhaft, da die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung ermessensfehlerhaft angeordnet worden sei. Unzutreffend habe der Beklagte angenommen, er, der Kläger, sei ungeeignet, weil er bei einer BAK von 1,1 Promille keine Ausfallerscheinungen gezeigt habe. Das Amtsgericht H. habe insoweit zutreffend festgestellt, dass das Anfahren an einer Ampel eine erhebliche Ausfallerscheinung darstelle. Weiterhin habe es auch bei der ärztlichen Blutentnahme Ausfallerscheinungen gegeben.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 6. März 2023 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sofern sich der Kläger gegen die Beibringungsanordnung vom 6. März 2023 richte, sei diese als reine Verfahrenshandlung nicht isoliert anfechtbar. Mittlerweile habe die streitgegenständliche Untersuchung am 22. Mai 2023 stattgefunden, aus der sich ergeben habe, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen derzeit nicht gegeben sei. Nachdem der Kläger den Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gemäß § 70 FeV, an dem er teilnehme, absolviert habe, könne eine Fahrerlaubnis erteilt werden, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt seien. Bei der Kostenfestsetzung sei versehentlich die falsche Gebührenziffer 208 genannt worden. Die Grundlage für die erhobenen Kosten sei die Nummer 202.3 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr. Die Höhe der Kosten sei indes zutreffend ermittelt worden, sodass der Bescheid im Ergebnis rechtmäßig sei.

Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 17. Juli 2023 der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die die Einzelrichterin im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]) entscheiden kann, hat Erfolg.

Die streitgegenständliche Kostenfestsetzung vom 6. März 2023, mit dem der Beklagte für die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens Kosten in Höhe von 73,73 Euro festgesetzt hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zwar ist die der Kostenerhebung zugrunde liegende Beibringungsanordnung rechtmäßig (hierzu unter 1.), allerdings ist die Gebührenerhebung rechtswidrig (hierzu unter 2.).

Rechtsgrundlage für die Kostenfestsetzung ist § 6a Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt). Nach § 6a Abs. 1 Nr. 1 a) StVG werden Kosten für Amtshandlungen nach diesem Gesetz und den auf diesem Gesetz beruhenden Rechtsvorschriften erhoben.

1.

Ob für die Rechtmäßigkeit der Kostenfestsetzung Voraussetzung ist, dass die zugrunde liegenden Amtshandlung - hier die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens - ihrerseits rechtmäßig ist (so VGH BW, Urt. v. 12.12.2016 - 10 S 2406/14 -, juris Rn. 26; NK-GVR/Thomas Kreusch, 3. Aufl. 2021, StVG § 6a Rn. 4; Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 6a StVG (Stand: 01.12.2021) Rn. 100), oder ob es einer solchen sog. Inzidentprüfung der zugrunde liegenden Amtshandlung nur dann bedarf, wenn keine abschließende Sachentscheidung ergeht (Nds. OVG, Beschl. v. 04.12.2006 - 12 LA 426/05 -, juris Rn. 9), kann im Ergebnis offen bleiben (offenlassend auch: Bay. VGH, Beschl. v. 14.12.2020 - 11 ZB 20.2015 -, juris Rn. 15). Denn die Gutachtenanordnung vom 6. März 2023 war rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Gutachtenanordnung war § 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 11, 13 Satz 1 Nr. 2 a) Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis die Vorschriften über die Ersterteilung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Die Eignung besitzt nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG sowie § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 a) FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen (§ 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 1 FeV) oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (§ 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV). So liegt hier der Fall.

Die Gutachtenanordnung vom 6. März 2023 war formell rechtmäßig. Der Beklagte hat die durch das Gutachten zu beantwortende Frage nach der Kraftfahreignung des Klägers unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 der FeV ordnungsgemäß festgelegt. Durch die konkrete Fragestellung war für den Kläger nämlich erkennbar, welche Problematik in welcher Weise geklärt werden soll (BVerwG, Beschl. v. 05.02.2015 - 3 B 16/14 -, juris 8 f.). Auch hat der Beklagte den Kläger auf die Möglichkeit der Akteneinsicht hingewiesen, eine Liste von geeigneten Begutachtungsstellen übersandt sowie eine angemessene Frist zur Vorlage des Gutachtens bestimmt, § 11 Abs. 6 FeV. Des Weiteren hat der Beklagte für den Fall, dass der Kläger die Begutachtung verweigert oder das Gutachten nicht fristgerecht vorlegt, auf die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 FeV hingewiesen. Gegenteiliges hat auch der Kläger nicht geltend gemacht.

Die Gutachtenanordnung erweist sich auch als materiell rechtmäßig. Es lagen Tatsachen vor, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, § 13 Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV. Solche Tatsachen lagen zur Überzeugung der Einzelrichterin vor, weil der Kläger am 26. Mai 2022 gegen 1:29 Uhr ein Kraftfahrzeug mit mehr als 1,09 Promille geführt hat und trotz dieses hohen Blutalkoholgehalts nahezu keine Ausfallerscheinungen festgestellt wurden. Insoweit ist zwar richtig, dass der Kläger gegenüber den Polizeibeamten des Polizeikommissariats H. selbst angegeben hat, dass er angenommen habe, dass die Lichtzeichenanlage auf Grün gewechselt habe bzw. wechseln werde, weshalb er mit seinem Kraftfahrzeug angefahren sei. Dem stehen indes die nachvollziehbaren Dokumentationen der physischen und psychischen Auffälligkeiten des Arztes (Bl. 59 d. BA001) sowie des feststellenden Polizeibeamten (Bl. 60 d. BA001) entgegen. Insoweit ist ärztlich dokumentiert, dass der Kläger trotz des o.g. hohen Blutalkoholwertes keine Gleichgewichtsstörungen, eine sichere/unauffällige Motorik sowie einen sicheren Gang, eine deutliche Aussprache, eine ruhige bzw. unauffällige Stimmung bzw. Verhalten sowie ein klares und orientiertes Bewusstsein bzw. Denkablauf aufwies. Des Weiteren ist ärztlich dokumentiert, dass seine Reaktion unauffällig war und auch im Übrigen keine körperlichen Auffälligkeiten aufgetreten sind. Sowohl der Geh- und Drehtest als auch die Kehrtwende wurden von dem Arzt als "sicher" bezeichnet und selbst das Stehen auf einem Bein gelang dem Kläger, indem er mit den Armen balancierte. Die Konvergenzreaktion war unauffällig und auch die Pupillen waren unauffällig und eine Reaktion auf Licht erfolgte promt. Auch war weder ein Tremor noch Horizontalnystagmus vorhanden. Diese nachvollziehbar dokumentierten Umstände rechtfertigen bei einer Gesamtbetrachtung die Annahme, dass insgesamt trotz des hohen Blutalkoholgehalts alkoholbedingte Ausfallerscheinungen nicht vorlagen. Bei solchen Anhaltspunkten für eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung und eine damit einhergehende Wiederholungsgefahr begründen sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch (BVerwG, Urt. v. 17.03.2021 - 3 C 3/20 -, BVerwGE 172, 18-37 -, juris Rn. 11, 16, 47).

Zu keinem anderen Ergebnis führen die Feststellungen des Amtsgerichts H. in dem Beschluss vom 10. Januar 2023, mit welchem die mit Strafbefehl vom 12. Juli 2022 festgesetzte Frist von 12 Monaten, vor deren Ablauf die Verwaltungsbehörde keine neue Fahrerlaubnis erteilen dürfe, aufgehoben wurde. Denn ein solcher Sperrfristverkürzungsbeschluss entfaltet keine Bindungswirkung für die Fahrerlaubnisbehörde. Dies gilt schon deshalb, weil nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG die Bindungswirkung der Verkehrsbehörde nur im Rahmen eines Verfahrens auf Entziehung einer Fahrerlaubnis eintritt, was hier nicht der Fall ist (vgl. Scheufen/Müller-Rath: Bindungswirkung strafgerichtlicher Sperrfristverkürzungsbeschlüsse (NZV 2006, 353); VGH BW, Urt. v. 27.07.2016 - 10 S 77/15 -, juris Rn. 33).

Da nach dem Wortlaut des § 13 Satz 1 Nr. 2 a) FeV die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch- psychologischen Gutachtens anordnet ("ordnet...an"), bestand für den Beklagten bei der Beibringungsanordnung vom 6. März 2023 - anders als der Kläger meint - kein Ermessensspielraum. Eine Prüfung von Ermessensfehlers kommt daher nicht in Betracht.

2.

Allerdings ist die Kostenerhebung zu beanstanden. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 der u.a. auf § 6 Abs. 2, Abs. 3 StVG gestützten Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) werden Gebühren nach dieser Verordnung erhoben und ergeben sich die gebührenpflichtigen Tatbestände und die Gebührensätze aus dem der Gebührenordnung als Anlage beigefügten Gebührentarif für Maßnahmen im Straßenverkehr.

Der Beklagte konnte die Gebührenfestsetzung in Höhe von 73,73 Euro nicht auf Ziffer 203 des Gebührentarifs stützen. Danach dürfen Gebühren bei der Anordnung von Maßnahmen zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung oder die Einschränkung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Auflagen nach § 46 FeV; Anordnung von Maßnahmen zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung nach § 48 Abs. 9 FeV in einem Rahmen von 12,80 Euro bis 25,60 Euro erhoben werden. Diese Voraussetzungen liegen - wie selbst der Beklagte einräumt - nicht vor. Denn die hier getroffene Maßnahme, namentlich die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, hat hier nicht einer in Ziffer 208 des Gebührentarifs genannten Entscheidung gedient, sondern der Entscheidung über die (Neu)Erteilung einer Fahrerlaubnis (Nds. OVG, Beschl. v. 18.05.2017 - 12 LA 166/16 -, juris Rn. 9).

Der Beklagte konnte die Gebührenfestsetzung auch nicht auf Ziffer 202.3 des Gebührentarifs stützen. Danach dürfen u.a. bei Erteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Versagung oder Entziehung der in- oder ausländischen Fahrerlaubnis oder Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, nach vorangegangenem Verzicht auf die in- oder ausländische Fahrerlaubnis oder nach Verhängung einer Sperrfrist Gebühren in einem Rahmen von 34,50 bis 257,30 Euro erhoben werden. Zur Auslegung dieses Gebührentarifs hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 18. Mai 2017 (Az.: 12 LA 166/16 -, juris Rn. 11) ausgeführt:

"Die Annahme des Beklagten, eine Gebührenerhebung könne sich hier an den Gebührentatbestand der Gebühren-Nummer 202.3 anlehnen, beruht schon auf einem Missverständnis dieser Gebühren-Nummer. Die Gebühren-Nummern 202.1 bis 202.3 enthalten Varianten des in der Gebühren-Nummer 202 beschriebenen Gebührengrundtatbestands. Dabei stellt die Gebühren-Nummer 202.2 Fälle zusammen, in denen gegenüber der Gebühren-Nummer 202.1 eine Privilegierung angezeigt ist, weil ein typischerweise geringerer Verwaltungsaufwand anfällt. Demgegenüber erfasst die Gebühren-Nummer 202.3 (in abschließender Aufzählung) bestimmte Fälle, in denen der Verwaltungsaufwand typischerweise erhöht ist. Den Gebühren-Nummern 202.1 bis 202.3 ist nach dem Grundtatbestand des 202 aber gemeinsam, dass - anders als hier - eine Fahrerlaubnis erteilt worden sein muss (unklar insoweit VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.12.2016 - 10 S 2406/14 -, VRS 131, 160 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 25). Denn die zuständige Landesbehörde soll in der Regel nur bei wichtigen, eine abschließende rechtliche Regelung enthaltenden, verwaltungsgerichtlich anfechtbaren Amtshandlungen zur Gebührenerhebung ermächtigt sein. Daneben sind nur wenige Amtshandlungen für gebührenpflichtig erklärt worden, die eine abschließende Entscheidung lediglich vorbereiten (vgl. OVG Lüneburg Urt. v. 28.1.1987 - 12 A 191/85 -, NJW 1987, 2457 [OVG Bremen 24.03.1987 - 1 BA 7/87]). Anordnungen von Maßnahmen zur Vorbereitung der Entscheidung in Verwaltungsverfahren zur Ersterteilung einer (deutschen) Fahrerlaubnis gehören nicht dazu. Das erscheint nach der Eigenart solcher Amtshandlungen auch verständlich, wenn sie - wie hier - lediglich in einer Aufklärungsanordnung, und damit in einer unselbstständigen Maßnahme der Beweiserhebung, bestehen. Wird eine solche Aufklärungsanordnung von dem Fahrerlaubnisbewerber befolgt und seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gutachterlich festgestellt, bleibt der Fahrerlaubnisbewerber mit den eigenen Kosten der Eignungsbegutachtung belastet. Da er aber einen erfolgversprechenden - und letztlich auch erfolgreichen - Antrag gestellt hat, erscheint es angemessen, ihm den verursachten erhöhten Verwaltungsaufwand regelmäßig nur maßvoll in Rechnung zu stellen, d. h. lediglich im engen Rahmen des in der Gebühren-Nummer 202.1 vorgesehenen "Zuschlags" von 10,20 EUR bis 35,80 EUR, und solchen Aufwand nur in den Fällen der Gebühren-Nummer 202.3 etwa stärker zu berücksichtigen, und zwar durch eine Erhöhung der Gebühr innerhalb des dortigen größeren Gebührenrahmens von 33,20 EUR bis 256,00 EUR. Der letztgenannte weite Gebührenrahmen gilt auch bei einer Versagung der Fahrerlaubnis, d. h. bei einer Gebührenerhebung gemäß der Gebühren-Nummer 206, und ermöglicht es so ebenfalls, den erhöhten Verwaltungsaufwand stärker zu berücksichtigen. Dies rechtfertigt sich dort dadurch, dass die Gebührenerhebung, die als weitere Belastung neben den eigenen finanziellen Aufwand des Fahrerlaubnisbewerbers für die Eignungsbegutachtung tritt, einen ungeeigneten und im Ergebnis erfolglosen Antragsteller trifft."

So liegt auch hier der Fall. Zwar ist vorliegend der Tatbestand der Ziffer 202.3 des Gebührentarifs insoweit erfüllt, als eine Sperrfrist durch das Amtsgericht H. mit Strafbefehl vom 12. Juli 2022 verhängt wurde. Es fehlt indes an der in Ziffer 202 des Gebührentarifs grundsätzlichen Voraussetzung, die - wie gesehen - auch im Rahmen der Ziffer 202.3 des Gebührentarifs erfüllt sein muss, dass - was hier gerade nicht der Fall ist - eine Fahrerlaubnis erteilt wurde.

Da nach alledem - unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung vom 6. März 2023 - die Gebührenerhebung rechtswidrig war, weil es an einem einschlägigen Gebührentatbestand fehlt, war der Bescheid, mit dem der Beklagte Kosten in Höhe von 73,73 Euro festgesetzt hat, aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.