Landgericht Hannover
Beschl. v. 19.10.2015, Az.: 33 Qs 51/15

Vergütung der Beiordnung eines Rechtsanwalts als Terminsvertreter; Begründung eines eigenständigen öffentlich-rechtlichen Beiordnungsverhältnisses

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
19.10.2015
Aktenzeichen
33 Qs 51/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 35404
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2015:1019.33QS51.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 20.07.2015

Fundstelle

  • RVGreport 2016, 385

Amtlicher Leitsatz

Der dem Angeklagten anstelle des verhinderten Pflichtverteidiger beigeordnete Rechtsanwalt hat nur Anspruch auf die Terminsgebühr.

In der Strafsache
gegen pp.
wegen gefährlicher Körperverletzung
hier: Kostenfestsetzung
hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Hannover auf die sofortige Beschwerde des Verteidigers Rechtsanwalt Schmidt gegen den Erinnerungsbeschluss des Amtsgerichts Hannover vom 20. Juli 2015 am 19. Oktober 2015 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts Benjamin Schmidt gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 20. Juli 2015 wird als unbegründet verworfen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

Die weitere Beschwerde gegen diesen Beschluss wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.

Gründe

Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 bis 8 RVG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen folg.

Dem Beschwerdeführer stehen die von ihm geltend gemachte Grund- und Verfahrensgebühr sowie die Post- und Telekommunikationspauschale nicht zu, weil er am 06. Januar 2015 nicht als zweiter Pflichtverteidiger, sondern als Terminsvertreter des am Erscheinen gehinderten Pflichtverteidigers Rechtsanwalt W. beigeordnet worden war.

Dass der Beschwerdeführer lediglich als Terminsvertreter beigeordnet wurde, folgt daraus, dass er ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls ausdrücklich für den Hauptverhandlungstermin am 06. Januar 2015 dem Angeklagten M. als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde und die Beiordnung allein deshalb erfolgte, weil der Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt W., wegen Krankheit nicht erscheinen konnte. Es handelte sich mithin um eine typische Vertretungssituation.

Ob und in welcher Höhe (d. h. welche Gebührentatbestände zur Anwendung gelangen) einem wegen der Abwesenheit des Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin beigeordneten Verteidiger eine Vergütung für seine Tätigkeit zusteht, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet.

Nach der wohl vorherrschenden Meinung ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts lediglich als Terminsvertreter grundsätzlich zulässig und hat die gebührenrechtliche Konsequenz, dass insgesamt nur ein Pflichtverteidigermandat abzurechnen ist. Bezüglich der darauf folgenden Frage, ob dem Vertreter hinsichtlich des von ihm wahrgenommenen Termins ein eigener Vergütungsanspruch zusteht oder ob unter Berücksichtigung von § 5 RVG grundsätzlich nur der vertretene Pflichtverteidiger die im Rahmen seiner Vertretung angefallenen Gebühren abrechnen darf, bestehen wiederum divergierende Auffassungen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 15. Juli 2015, Az.: 1 Ws 103115, ; KG Berlin, Beschluss vom 29. Juni 2005, Az.: 5 Ws 164/05, Rn. 11-13; OLG Gelle, Beschluss vom 19. Dezember 2008, Az.: 2 Ws 365/08, Rn. 12, 15; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 10. September 2009, Az.: 2 Ws 125/09, Rn. 24 f.; OLG Bremen, Beschluss vom 14. Dezember 2009, Az.: Ws 119/09, BeckRS 2011, 03437; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29. Juli 2010, Az.: 1 Ws 82/10, Rn. 5 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Februar 2011, Az.: 4 Ws 195/10, Rn. 13, 16; OLG Rostock, Beschluss vom 15. September 2011, Az.: I Ws 201/11, Rn. 36, 46; Hanseatisches OLG, Beschluss vom 17. September 2012, Az.: 3 Ws 93/12, Rn. 15; OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Oktober 2012, Az.: 2 Ws 759/12, Rn. 14; OLG Oldenburg, Beschluss vom 13. Mai 2014, Az.: 1 Ws 195/14, Rn. 14).

Nach der gegenteiligen Ansicht begründet die Bestellung eines Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers auftritt, stets ein eigenständiges öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis, zumal die Strafprozessordnung keine isolierte Beiordnung eines Terminsvertreters kennt, so dass der Vertreter als weiterer Pflichtverteidiger am Verfahren teilnimmt und ihm dadurch ein eigener Vergütungsanspruch zusteht, der alle im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände umfasst (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23. März 2006, Az.: 3 Ws 586/05 - Rn. 14; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Juli 2008, Az.: 3 Ws 281/08 - Rn. 6; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Oktober 2008, Az.: 111-1 Ws 318/08 Rn. 4; OLG Köln, Beschluss vom 26. März 2010, Az.: 2 Ws 129/10 Rn. 6 - 8; Thüringer OLG, Beschluss vom 8. Dezember 2010, Az.: 1 Ws 318/10 Rn. 8 f.; OLG Bamberg, Beschluss vom 21. Dezember 2010, Az.: 1 Ws 700/10 Rn. 8 f.; OLG München, Beschluss vom 27. Februar 2014, Az.: 4c Ws 2/14 Rn. 16 f.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. November 2014 - Az.: 2 Ws 553/14 - BeckRS 2014, 22546; Saarländisches OLG Saarbrücken, Beschluss vom 10.11.2014, Az.: 1 Ws 148/14, ).

Die Kammer schließt sich bezüglich der Beantwortung dieser Rechtsfrage der wohl vorherrschenden Meinung an. Zwar enthält die Strafprozessordnung keine Hinweise, ob eine Terminsvertretung bei einer notwendigen Verteidigung des Angeklagten i. S. d. § 140 Abs. 1 StPO zulässig ist oder nicht. Auch ist zu berücksichtigen, dass sich die Tätigkeit des Terminsvertreters nicht nur auf seine bloße Anwesenheit in der Hauptverhandlung beschränken darf, sondern dass er den Angeklagten im Termin eigenständig ordnungsgemäß zu verteidigen hat, um dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Interesse des Angeklagten an einer wirksamen Verteidigung genügend Rechnung zu tragen. Daraus folgt aber nicht, dass die eingeschränkte Beiordnung des anstelle des Pflichtverteidigers auftretenden Verteidigers zum Terminsvertreter mit den entsprechenden gebührenrechtlichen Konsequenzen grundsätzlich unzulässig ist. Gleiches gilt für die Tatsache, dass sich der Pflichtverteidiger nicht eigenmächtig eines Unterbevollmächtigten bedienen darf (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014, Az.: 4 StR 346/13, Rn. 2), weil er die personengebundene öffentlich-rechtliche Pflicht hat, die Verteidigung selbst eigenverantwortlich zu führen und diese Aufgabe nicht selbst auf andere übertragen darf (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 58. Auflage 2015, § 142 Rn. 15). Daraus folgt lediglich, dass die Vertretung des Pflichtverteidigers durch einen weiteren Verteidiger der Zustimmung des Gerichts bedarf, zumal dieses auch über die Beiordnung eines bestimmten Verteidigers entscheidet (vgl. §§ 141 Abs. 4, 142 Abs. 1 StPO). Daher erscheint es zudem als konsequent, dass das Gericht nicht nur darauf beschränkt ist, die Benennung des Vertreters zu genehmigen, sondern auch befugt ist, von sich aus oder auf Antrag des bisher bestellten Verteidigers eine andere Person zu dessen Vertreter zeitlich beschränkt zu bestellen (vgl. OLG Braunschweig a. a. O., Rn. 19; KG Berlin, a. a. O., Rn. 13; OLG Stuttgart, a. a. O., Rn 14).

Gebührenrechtlich hat die Beiordnung eines anderen Verteidigers als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers zur Folge, dass insgesamt nur ein Pflichtverteidigermandat abzurechnen ist. Sämtliche Gebühren entstehen daher nur einmal. Anderenfalls könnte ein Pflichtverteidiger, der sich an verschiedenen Sitzungstagen durch verschiedene Verteidiger vertreten lässt, zahlreiche Gebührentatbestände entstehen lassen, ohne dass dafür ein sachlicher Grund bestände (OLG Braunschweig a. a. O., Rn. 20). Dies würde sich in unangemessener Weise zum Nachteil des Angeklagten, der im Falle seiner Verurteilung die Verteidigergebühren zu tragen hat (§ 465 Abs. 1 StPO) oder zum Nachteil der Staatskasse, die zunächst für die Pflichtverteidigervergütung aufzukommen hat (§ 55 Abs. 1 RVG), auswirken.

Danach hat der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall bereits deshalb keinen Anspruch auf die Grund- und Verfahrensgebühr mit Zuschlag nach Nr. 4101 und Nr. 4107 VV RVG und auf die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG, weil diese Gebühren zugunsten des vertretenen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt W. auf dessen Antrag festgesetzt wurden.

Soweit das Amtsgericht darüber hinaus auf die Erinnerung der Landeskasse die zu zahlende Vergütung auf 251,33 Euro festgesetzt hat und die Wiedereinziehung des überzahlten Betrages von 48,79 Euro angeordnet hat, wird auf die zutreffende und im Hinblick auf die obigen Ausführungen konsequente Begründung im Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Juli 2015 Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 RVG.

Im Hinblick auf die uneinheitliche obergerichtliche Rechtsprechung sowie die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014, Az.: 4 StR 346/13, und vom 13.08.2014, Az.: 2 StR 573/13, ) hat die Kammer gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG die weitere Beschwerde zugelassen.