Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.03.1981, Az.: 2 Sa 79/80

Anspruch auf Kopie eines Berichts; Zugehörigkeit zu Personalakte; Korrespondenz mit Rechtsanwalt

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
31.03.1981
Aktenzeichen
2 Sa 79/80
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1981, 14662
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1981:0331.2SA79.80.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Celle - 29.05.1980 - AZ: Ca 151/80

In dem Rechtsstreit
hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. März 1981
durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts sitzendem sowie
die ehrenamtlichen Richter und als Beisitzern
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der Berufung im übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 29. Mai 1980 - Ca 151/80 -abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger in eine Durchschrift des von der Beklagten im Frühjahr 1978 verfaßten Berichts über den Kläger an das Niedersächsische ... Einsicht und Gelegenheit zur Abschrift oder zur Kopie auf seine Kosten zu geben.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist zusammen mit seiner Ehefrau seit Oktober 1976 bei der Beklagten in den "..." als Gruppenerzieher beschäftigt. Bei den "..." handelt es sich um Ausbildungsstätten (Heimsonderschule, Ausbildungsstätte für behinderte Kinder und Jugendliche, Lehrwerkstätten), deren Inhaberin und Leiterin die Beklagte ist. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat.

2

Klagende Partei war ursprünglich die Ehefrau des Klägers, Frau ... Mit am 2. Mai 1980 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 30. April 1980 erklärte der Kläger, er "trete für die Klägerin in den Rechtsstreit ein".

3

Der Kläger stellte bei einer Einsichtnahme in seine Personalakte Ende 1979 fest, daß sich darin unter anderem folgende Schreiben befanden:

  1. 1)

    Ein Bericht der Beklagten an das ... Sozialamt als Heimaufsichtsbe ... vom Frühjahr 1978.

    Hierbei ging es im wesentlichen um die Erziehungsmethoden des Klägers und seiner Ehefrau.

  2. 2)

    Ein Schreiben der Beklagten an ihren Rechtsanwalt,

  3. 3)

    ein Antwortschreiben des Anwalts.

4

Diese Korrespondenz stammte aus dem Jahr 1978 und bezog sich auf die Erörterung rechtlicher Möglichkeiten zur Kündigung des Klägers und seiner Ehefrau.

5

Als der Kläger später erneut Einsicht in die Personalakte nahm, befanden sich diese Schreiben nicht mehr darin.

6

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte könne nicht einen zur Personalakte genommenen Vorgang wieder entfernen und so dem Einsichtsrecht entziehen. Er folgert aus dem Einsichtsrecht auch ein Recht zur Herstellung von Fotokopien, da Fotokopieren nichts weiter sei als eine durch die Technik erleichterte Form der Herstellung einer Abschrift.

7

Er hat daher beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger

  1. 1)

    in eine Durchschrift des von der Beklagten im Frühjahr 1978 verfaßten Berichtes über den Kläger an das ...

  2. 2)

    in zwei Schreiben aus einem

    Briefwechsel zwischen der Beklagten und der Anwaltssozietät ... Einsicht und Gelegenheit zur Kopie zu gewähren,

    hilfsweise,

    Einsicht und Gelegenheit zur Abschrift zu gewähren.

8

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie stimmt dem Parteiwechsel nicht zu und rügt ihn als unzulässig.

10

In der Sache hat die Beklagte die Ansicht vertreten, die klagegegenständlichen Schreiben gehörten nicht zur Personalakte und brauchten daher dem Kläger auch nicht zugänglich gemacht zu werden.

11

Das Arbeitsgericht Celle hat nach streitiger Verhandlung folgendes Urteil verkündet:

"Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger in eine Durchschrift des von der Beklagten im Frühjahr 1978 verfaßten Berichts über den Kläger an das ... Einsicht und Gelegenheit zur Abschrift zu gewähren.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 1/2, die Beklagte 1/2 zu tragen.

Der Streitwert wird auf 1.500,- DM festgesetzt."

12

Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Arbeitsgericht näher dargelegt, die Klage sei zulässig, aber nur teilweise berechtigt. Der Wechsel einer Partei stelle eine Klageänderung dar. Die Klageänderung sei hier sachdienlich, weil der Streitstoff im wesentlichen derselbe geblieben sei und durch die Klageänderung einem neuen Prozeß vorgebeugt werde. - Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Einsichtnahme in das Schreiben an das ... und auch einen Anspruch auf Gelegenheit zur Abschrift. Das ergebe sich aus § 83 Abs. 1 BetrVG. Nach dieser Vorschrift habe der Arbeitnehmer das Recht, in die über ihn geführten Personalakten Einsicht zu nehmen. Das Schreiben der Beklagten an das ... vom Frühjahr 1978 gehöre zur Personalakte. Denn sein Inhalt beziehe sich unmittelbar auf die Arbeit des Klägers und sei im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis der Parteien von Bedeutung, weil das ... als Aufsichtsbehörde aufgrund von Informationen der Beklagten über die Arbeit des Klägers Möglichkeiten habe, auf das Arbeitsverhältnis einzuwirken. - Dem Einsichtsrecht stehe nicht entgegen, daß sich dieses Schreiben nicht mehr in dem Aktenstück befinde, welches die Beklagte als Personalakte angelegt habe. Entscheidend sei nämlich der materielle Personalaktenbegriff. Danach gehörten zur Personalakte alle Vorgänge, die unmittelbare Beziehung zum Arbeitsverhältnis hätten. - Soweit der Kläger über die Einsichtnahme hinaus Gelegenheit zur Kopie von der Beklagten verlange, sei die Klage unbegründet. Für diesen Anspruch fehle es an einer Grundlage. § 83 BetrVG, der lediglich das Recht auf Einsichtnahme bestimme, biete keinen Anspruch auf Anfertigung von Kopien. Die Beklagte habe dem Kläger aber Gelegenheit zur Abschrift des Schreibens an das ... zu geben.

13

Denn nach herrschender Meinung umfasse das Recht auf Einsichtnahme auch das Recht, sich Aufzeichnungen zu machen.

14

Die Klage sei abzuweisen gewesen, soweit der Kläger Einsicht in die Korrespondenz der Beklagten mit ihrem Anwalt sowie Gelegenheit zur Fotokopie oder auch zur Abschrift begehre. Diese Schreiben besäßen keine Personalaktenqualität. Sie bezögen sich lediglich auf eine inhaltliche Information über eine Kündigungsmöglichkeit gegenüber dem Kläger. Solche Unterlagen aufgrund derer sich der Arbeitgeber ein Urteil erst noch bilden wolle gehörten nicht zur Personalakte. - Der Kläger könne ein Einsichtsrecht auch nicht aus dem Umstand herleiten, daß die Beklagte die anwaltliche Korrespondenz zunächst in der Personalakte abgeheftet habe. Denn der Grundsatz der Vollständigkeit der Personalakte beziehe sich nur auf solche Vorgänge, die Personalaktenqualität hätten. Die Anwaltskorrespondenz besitze jedoch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine solche Qualität. Die Beklagte habe deshalb diese Korrespondenz, die sie fälschlicherweise der Personalakte zugeordnet gehabt habe, wieder entnehmen dürfen.

15

Das Urteil ist den Parteien am 20. Juni 1980 zugestellt worden. Der Kläger hat dagegen durch seinen prozeßbevollmäcntigten Rechtsanwalt am Montag, dem 21. Juli 1980 Berufung einlegen und das Rechtsmittel am 18. August 1980 nach Maßgabe des Schriftsatzes gleichen Datums begründen lassen. Der Kläger bleibt dabei, in die umstrittenen Schreiben Einsicht nehmen zu dürfen und auch Fotokopien davon verlangen zu können.

16

Der Kläger beantragt deshalb,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen,

  1. 1.

    dem Kläger Einsicht in zwei Schreiben zwischen der Beklagten und ihrem Anwalt von 1978 zu gewähren, in denen die Frage der Kündigung des Klägers and seiner Ehefrau erörtert wird, und ihm Gelegenheit zur Kopie zu geben bzw. ihm auf seine Kosten Kopien zu überlassen, hilfsweise ihm Gelegenheit zur Abschrift zu gewähren,

  2. 2.

    dem Kläger auch bezüglich des Berichts der Beklagten vom Frühjahr 1978 über den Kläger an das ... Gelegenheit zur Kopie zu geben bzw. ihm auf seine Kosten Kopien zu überlassen.

17

Die Beklagte bittet dagegen,

die Berufung zurückzuweisen.

18

Sie verteidigt mit ihrer Berufungsbeantwortung vom 1./2. September 1980 das angegriffene Erkenntnis.

19

Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt des erstinstanzlichen Urteils und der von den Parteien in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

20

Die statthafte Berufung des Klägers ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und rechtzeitig vorschriftsmäßig begründet worden (§§ 64 Abs. 1, 2, 66 Abs. 1 ArbGG; 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB; 222 Abs. 1, 2, 518, 519 ZPO; Baumbach-Lauterbach, Komm. z. ZPO, 39. Aufl., Übers, vor § 1 Anm. G 3). Die Berufung ist damit zulässig (§§ 19 b ZPO), aber nur zum Teil berechtigt.

21

Das Arbeitsgericht hat dem Kläger zugebilligt, die Durchschrift des von der Beklagten im Frühjahr 1978 verfaßten Berichts über den Kläger an das ... einzusehen und abzuschreiben. Die Beklagte hat sich gegen dieses Urteil nicht gewehrt. Wenn dem Kläger aber Gelegenheit zur Abschrift zu gewähren ist, dann ist ihm nach Auffassung der Berufungskammer auch eine Fotokopie zuzugestehen. Denn die Fotokopie ersetzt aufgrund des technischen Fortschrittes und derzeitigen Standes lediglich eine manuelle Abschrift.

22

Im übrigen folgt das Berufungsgericht der angefochtenen Entscheidung (§ 543 Abs. 1 ZPO).

23

Der Schriftwechsel zwischen der Beklagten und ihren Rechtsanwälten betrifft zwar das Arbeitsverhältnis der Parteien. Er gehört aber nicht in die Personalakte des Klägers. Denn die Beklagte hat bei ihren Rechtsanwälten lediglich einen Rat über die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses eingeholt. Eine derartige Information unterliegt jedoch der Geheimhaltung; sie fällt unter die Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte und entzieht sich der Einsichtnahme des Klägers. - Auch wenn der diesbezügliche Schriftwechsel zunächst irrtümlich in der Personalakte des Klägers abgeheftet worden ist, war die Beklagte nicht gehindert, ihn wieder daraus zu entfernen. Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Personalakte hat darunter nicht gelitten.

24

Demgemäß war mit der Kostenfolge aus § 92 Abs. 1 ZPO zu erkennen, wie geschehen.

25

Es bleibt bei dem Streitwert der ersten Instanz, § 69 Abs. 2 ArbGG.

26

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 72. Abs. 1, 2 ArbGG.