Landgericht Stade
Urt. v. 05.08.2010, Az.: 8 O 24/10
Qualifizierung eines faktischen Geschäftsführers einer Handelsgesellschaft mit beschränkter Haftung trotz mangelnder Gesellschafterbestellung aufgrund eigener Betitelung als "Verkaufsdirektor" und "Ansprechpartner"; Anforderungen an den Haftungsausschluss des Geschäftsführers nach Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung in Bezug auf die Erkennbarkeit und ordentliche Sorgfalt des Kaufmannsverhaltens
Bibliographie
- Gericht
- LG Stade
- Datum
- 05.08.2010
- Aktenzeichen
- 8 O 24/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 29226
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGSTADE:2010:0805.8O24.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 46 Nr. 5 GmbHG
- § 64 S. 1 bis 3 GmbHG
Fundstelle
- ZInsO 2010, 1797-1799
In dem Rechtsstreit
...
hat die 8. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Stade
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Ganzemüller sowie
die Handelsrichter Stelling und Hintelmann
auf die mündliche Verhandlung vom 17.6.2010
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 16.059,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 18. Mai 2010 zu zahlen.
Den Beklagten wird weiter vorbehalten, nach Erstattung des Verurteilungsbetrages an die Masse ihre Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrigen Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Kläger als Insolvenzverwalter zu verfolgen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtstreits als Gesamtschuldner.
Dieses Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der im Jahre 1996 gegründeten Schuldnerin, der Exxx Handelsgesellschaft mbH mit Sitz in Stade, die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung in Höhe von 16.059,10 EUR in Anspruch.
Der Beklagte zu 1.) ist seit dem 15.10.2002 Geschäftsführer der Schuldnerin. Der Beklagte zu 2.) war bei der Schuldnerin mit einem Monatsgehalt von 650,00 EUR brutto beschäftigt. Er wurde zudem als ihr Subunternehmer tätig.
Gemäß den Gewinn- und Verlustrechnungen aus den Jahresabschlüssen 2006 bis 2008 bzw. der betriebswirtschaftlichen Auswertung Juni 2009 betrug der Verlust im Jahre 2006 8.001,84 EUR, 2007 13.696,87 EUR, 2008 6.152,10 EUR sowie bis Juni 2009 16.845,09 EUR. Der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin wurde spätestens Ende 2008 endgültig stillgelegt. Bis dahin wurden noch kleinere Restaufträge abgearbeitet. Der Umsatz im Jahr 2008 betrug 20.558,82 EUR, danach wurde bis Juni 2009 kein Umsatz mehr erwirtschaftet.
Am 06.02.2009 zahlte die Schuldnerin an den Beklagten zu 2) einen Betrag von 12.000,00 EUR für Subunternehmerleistungen zum Bauvorhaben xxx aus, nachdem die Bauherrin auf die Rechnung vom 10.12.2008 15.470,00 EUR am 30.01.2009 in die Barkasse der Schuldnerin eingezahlt hatte.
Der Kläger macht geltend, die Schuldnerin sei spätestens Ende 2008 überschuldet gewesen und habe gleichwohl noch fünf Monatsgehälter an den Beklagten zu 2.) in Höhe von insgesamt 2.659,10 EUR (5 x 531,82 EUR netto) geleistet.
Frau xxx hatte der Schuldnerin mit Vertrag vom 25.10.2005 eine Eigentumswohnung zur Büronutzung in Lübeck / Travemünde vermietet. Gem. Mietaufhebungsvertrag vom 14.01.2009 bestand ein Rückstand von 17.260,00 EUR. Unter Abzug der Miete für Januar 2009 in Höhe von 1.235,00 EUR und der Mietsicherheit von 3.030,00 EUR ergeben sich damit zum Jahresende 2008 Mietschulden in Höhe von 12.995,00 EUR, die ebenso wenig wie die Verbindlichkeit von 12.000,00 EUR gegenüber dem Beklagten zu 2.) in der Handelsbilanz zum 31.12.2008 aufgeführt sind.
Am 29.05.2009 zahlte die Schuldnerin 1.400,00 EUR auf rückständige Mieten für ihre Betriebsräume in Stade an die Firma xxx GmbH als Vermieterin.
Die geltend gemachte Klagforderung von 16.059,10 EUR setzt sich zusammen aus den Zahlungen an den Beklagten zu 2.) über 12.000,00 EUR und 2.659,10 EUR sowie weiterhin der Zahlung an die Firma xxx GmbH über 1.400,00 EUR.
Der Kläger nimmt den Beklagten zu 2.) als vermeintlich faktischen Geschäftsführer in Anspruch, wegen der Zahlung von 12.000,00 EUR weiterhin unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung aus § 133 Abs. 1 InsO.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten zu 1.) und 2.) als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihm einen Betrag von 16.059,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Den Beklagten bleibt vorbehalten, einen Gegenanspruch, der sich aus der Zahlung der beantragten 16.059,10 EUR nebst Zinsen ergibt, nach Bezahlung an den Kläger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Exxx Handelsgesellschaft mbH, Stade (Amtsgericht Stade - 71 IN 83/09) zur Insolvenztabelle anzumelden.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten bestreiten eine rechnerische Überschuldung zum Ende des Geschäftsjahres 2008 bzw. zum Zeitpunkt der Auszahlungen im Feb. 2009.
Bei den Verbindlichkeiten laut der Handelsbilanz auf den 31.12.2008 sei eine Forderung der Steuerberatungsgesellschaft von 4.231,13 EUR enthalten, die nicht ernsthaft eingefordert worden sei und nicht in der Insolvenztabelle gelistet sei.
Weiter macht der Beklagte zu 2) geltend, lediglich als Arbeitnehmer bei der Schuldnerin beschäftigt gewesen zu sein. Einziger Geschäftsführer sei der Beklagte zu 1.) gewesen. Er sei nicht als faktischer Geschäftsführer anzusehen. Sofern er als Verkaufsdirektor genannt worden sei, spreche dies selbst bei einem sehr kleinen Unternehmen gerade nicht für eine Geschäftsführertätigkeit. Seine Aufgabe sei die Verkaufstätigkeit gewesen. Er habe sich zu keiner Zeit um steuerliche und ähnliche Aspekte des Unternehmens gekümmert. Der Geschäftsbetrieb sei nicht im Jahre 2009 bereits faktisch stillgelegt gewesen. Er habe sich weiterhin engagiert um weitere Geschäfte bemüht.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist gegen beide Beklagten in vollem Umfang begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagten de geltend gemachte in Zahlungsanspruch in Höhe von 16.059,10 EUR aus § 64 S. 1 GmbHG zu.
Die Schuldnerin war Ende des Jahres 2008 überschuldet. Die hier in Rede stehenden Zahlungen sind nach Eintritt der Überschuldung erfolgt.
Zwar ergibt sich nach der Handelsbilanz vom 31.12.2008 keine bilanzielle Überschuldung. Den Aktiva von insgesamt 19.567,31 EUR stehen Passiva in Höhe von 18.625,56 EUR demnach gegenüber. Zu den ernsthaft eingeforderten und damit auch zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten gehört auch die Forderung der Steuerberatungsgesellschaft in Höhe von 4.231,13 EUR. Insoweit haben die Beklagte keine Stundung oder ein sonst wie geartetes Stillhalteabkommen belegt.
Die Handelsbilanz ist jedoch zu berichtigen um die Verbindlichkeit gegenüber dem Beklagten zu 2.) in Höhe von 12.000,00 EUR für Subunternehmerleistungen aus dem Jahr 2008 (siehe Rechnung gegenüber der Bauherrin vom 10.12.2008) und die Mietverbindlichkeiten von 12.995,00 EUR, so dass sich die Passiva auf 43.620,56 EUR erhöhen. Demgemäß lag eine Insolvenzreife Ende des Jahres 2008 vor. Die in Rechnung gestellten Subunternehmerleistungen waren bereits im Jahre 2008 ausgeführt worden. Auch die Mietverbindlichkeiten datieren noch aus dem Jahre 2008.
Die Ersatzpflicht des Beklagten ist nicht nach § 64 S. 2 GmbHG ausgeschlossen. Die Zahlungen waren nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbart. Die Zahlungen waren nicht zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs erbracht worden. Das Unternehmen ist nicht im Jahre 2009 fortgeführt worden, Umsätze sind nicht mehr neu generiert worden. Die hier in Rede stehenden Zahlungen sind auch nicht erbracht worden, um Gesellschaftsgläubiger zu veranlassen, der Gesellschaft weiter Leistungen zur Verfügung zu stellen. Dass aufzulösende stille Reserven vorhanden seien, wird auch von den Beklagten nicht geltend gemacht.
Der Beklagte zu 2.) haftet als faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin. Der Beklagte zu 2.) war nur faktischer Geschäftsführer, weil er nicht durch Beschluss der Gesellschafterversammlung zum Geschäftsführer bestellt worden war,§ 46 Nr. 5 GmbHG.
Das Auftreten des Beklagten zu 2.) für die Schuldnerin ist nicht als ein solches eines engagierten Angestellten zu werten. Der Beklagte zu 2.) ist als "Verkaufsdirektor" aufgetreten, der in der Gesellschaft die finanziellen Belange regelt. Er hatte seinerzeit schon die Büroräumlichkeiten in Travemünde für die Schuldnerin angemietet und auch den Mietaufhebungsvertrag unterzeichnet. Auf dem Briefkopf der Schuldnerin ist er als sog. "Ansprechpartner" mit seiner Handy-Nr. aufgeführt. Eine Telefonnummer für den Beklagten zu 1.) fehlt dagegen etwa auf den Ausgangsrechnungen, siehe Anlagen K 8, 12 und 13. Zahlungen der Kunden hat er für die Schuldnerin entgegengenommen, vgl. Anlagen K 8 und K 12. Er hat die Barkasse der Schuldnerin verwaltet und sich um den gesamten operativen Geschäftsbetrieb der Schuldnerin, einschl. der Akquise, gekümmert. Von dem früheren Geschäftsführer Herrn Bxxx war er schon mit einer Generalvollmacht für die Schuldnerin ausgestattet worden. Unwidersprochen existiert eine solche Vollmacht auf Seiten des Beklagten zu 1.). Damit war der Beklagte zu 2.) wie ein Geschäftsführer in der Lage, für die Schuldnerin tätig zu werden. Faktisch ist der Beklagte zu 1.) wie ein Geschäftsführer aufgetreten und hat auch als solcher gehandelt.
Der Beklagte zu 2) kann ebenso wenig wie der Beklagte zu 1) geltend machen, die Überschuldung sei für ihn nicht erkennbar gewesen. Dem Beklagten zu 2.) sind die geschäftlichen Verhältnisse und geschäftlichen Transaktionen vollständig bekannt gewesen. Selbst wenn man nicht von einer positiven Kenntnis des Beklagen zu 2.) hinsichtlich der Überschuldung ausgehen wollte, würde ihn zumindest der Vorwurf der Fahrlässigkeit treffen, was im Rahmen der Haftung nach § 64 GmbHG ausreicht. Als sog. Verkaufsdirektor hätte er auch sein Augenmerk auf eine Überschuldung legen müssen. Demgemäß waren die Zahlungen des Beklagten zu 2.) nicht mit der "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes" im Sinne des § 64 S. 3 GmbHG vereinbar. Er hat jedenfalls die Frage der Überschuldung nicht im Auge behalten.
Das schadensrechtliche Bereicherungsgebot, das auch für den Ersatzanspruch nach § 64 Abs. 2 GmbHG gilt, gebietet aber noch eine Reduzierung der Haftung um die sich am Schluss des Insolvenzverfahrens etwa ergebene Insolvenzquote. Vor diesem Hintergrund ist noch der Vorbehalt, für dessen redaktionelle Fassung sich die Kammer an BGH ZIP 2005, 1550 [BGH 11.07.2005 - II ZR 235/03] orientiert, zugunsten der Beklagten ohnehin von Amts wegen in den Tenor aufzunehmen gewesen.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB; § 41 InsO.
Die Nebenentscheidungen finden ihre Rechtsgrundlage in §§ 91, 709 S. 1 ZPO.
Handelsrichter Stelling und Hintelmann können aus geschäftlichen Gründen nicht unterschreiben. Ganzemüller