Landgericht Hildesheim
Urt. v. 24.10.1985, Az.: 1 S 113/85

Anwendbarkeit der Grundsätze des Anscheinsbeweises bei einem Auffahrunfall; Ernsthafte Möglichkeit eines vom gewöhnlichen Verlauf abweichenden Gang des Geschehens; Fahrstreifenwechsel in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
24.10.1985
Aktenzeichen
1 S 113/85
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1985, 31351
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:1985:1024.1S113.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hildesheim - 03.06.1985 - AZ: 19 C 97/85

Fundstellen

  • NJW-RR 1986, 253-254 (Volltext mit red. LS)
  • VersR 1987, 575 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Schadensersatz aus Verkehrsunfall

In dem Rechtsstreit
...
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim
auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 1985
durch
den Präsidenten des Landgerichts sowie
die Richter am Landgericht und
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3. Juni 1985 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hildesheim geändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits mit Ausnahme eines Fünftels der erstinstanzlichen Kosten, das den Beklagten auferlegt wird.

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

1

Die Beklagten haften dem Kläger über den gezahlten Betrag hinaus zu keinem weiteren Schadensersatz, denn sie sind gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, die Beklagte zu 2. i.V.m. § 3 Abs. 1 PflVersG, nur verpflichtet, dem Kläger 50 % seines Schadens zu ersetzen.

2

Mit zutreffender Begründung, auf die die Kammer verweisen kann, hat das Amtsgericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme die Einzelheiten den Unfallherganges für ungeklärt gehalten. Es hat indessen zu Unrecht angenommen, daß im vorliegenden Fall ein Anscheinsbeweis dafür streitet, daß der Beklagte zu 1. entweder durch Unaufmerksamkeit oder durch Nichteinhaltung des gebotenen Sicherheitsabstandes zu dem Unfall beigetragen hat. Dem Amtsgericht. ist zwar einzuräumen, daß die unstreitige Tatsache, daß der Beklagte zu 1. auf das Fahrzeug den Klägers aufgefahren ist, zunächst den Anschein der schuldhaften Verursachung des Unfalles begründet. Es hat jedoch unter Verkennung der Bedeutung des Anscheinsbeweises gemeint, Wenn ein solcher Beweis für eine Prozeßpartei streite, sei es Sache der anderen Partei, einen vollen Gegenbeweis zu führen. Das wird indessen von der absolut herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht erwartet. Von dem, gegen den ein Anscheinsbeweis spricht, wird vielmehr nur verlangt, daß er die ernste Möglichkeit eines vom gewöhnlichen Verlaufs abweichenden Gang des Geschehens beweist. Er muß nicht den vollen Gegenbeweis führen, sondern den Anscheinsbeweis erschüttern. Für den Fall des auf ein anderes Kraftfahrzeug auffahrenden Kraftfahrers ist bereits mehrfach entschieden, daß die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensverlaufes dann feststeht, wenn bewiesen ist, daß der Kraftfahrer, auf dessen Fahrzeug aufgefahren wurde, in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat; (OLG Celle VersR 75, 965; OLG Düsseldorf VersR 83, 40; KG VRS 65, 190). Daß der Kläger aber in dem Bereich von längstens 150 Metern vor dem Unfallort den Fahrstreifen nach links gewechselt hat, entspricht seinem eigenen Vortrag, so daß dem Beklagten zu 1. durch dieses Verhalten des Klägers möglicherweise der Anhalteweg verkürzt wurde und der Unfall unter diesen Umständen allein darauf zurückgehen wurde, Es bleibt mithin dabei, daß keiner Partei eine erhöhte Betriebsgefahr anzurechnen ist.

3

Bei Unaufklärbarkeit des Unfallgeschehens ist dann aber eine hälftige Haftung Jedes Kraftfahrzeughalters angemessen. Nach dieser Quote hat die Beklagte zu 2, Jedoch unstreitig reguliert, so daß die weitergehende Klage insgesamt abzuweisen war.

4

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 und 91 a ZPO. Hinsichtlich des erledigten Teils der Klageforderung waren die Kosten, wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, den Beklagten aufzuerlegen, weil sie insofern zur Zahlung Verpflichtet waren. Der Rechtsgedanke des § 93 ZPO konnte nicht zur Anwendung kommen, Weil die Beklagten Anlaß zur Klage gegeben haben.