Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 04.08.1998, Az.: 5 U 66/98

Aufklärungsumfang bei Sympathicusblockade; Anforderungen an die Aufklärungspflicht eines Arztes; Risikoaufklärung über die Möglichkeit von Nervenschädigungen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
04.08.1998
Aktenzeichen
5 U 66/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 28902
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:0804.5U66.98.0A

Fundstellen

  • MedR 1999, 69
  • NJW-RR 1999, 390-391 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 1999, 7-8
  • VersR 1999, 1422-1423 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Aufklärungsumfang bei Sympathicusblockade - Aufklärungspflichtig ist auch der eine der Therapieempfehlung abgebende Arzt - Entscheidungskonflikt bei Sorge wegen Vorerkrankung.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt 20.000,00 DM Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für jedwede Schäden im Zusammenhang mit einer am 02.08.1994 wegen des Verdachts auf Morbus Raynaud durchgeführten Sympathicusblockade und der seit dem beklagten Beschwerden im rechten Bein.

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Nach dem zurückverweisenden Urteil des Senats vom 27.05.1997 - 5 U 3/97 -, auf das hinsichtlich des weiteren Sachverhalts Bezug genommen wird, hat das Landgericht nach Vernehmung des Beklagten zu 1) als Partei und Anhörung der Klägerin sowie sachverständiger Beratung (Einholung eines schriftlichen neurologischen Gutachtens und Anhörung des Gutachters) der Klage insgesamt stattgegeben. Zwar sei den Beklagten ein Behandlungsfehler nicht vorzuwerfen und es könne auch offen bleiben, ob die nicht angesprochene Möglichkeit einer konservativen Therapie einen Aufklärungsmangel bedeute; vorzuwerfen sei dem Beklagten aber, dass die Klägerin über das Risiko einer alkoholtoxischen Nervenschädigung nicht aufgeklärt worden sei, sodass es an einer wirksamen Eingriffseinwilligung der Klägerin fehle.

3

Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgen die Beklagten ihr Klagabweisungsbegehren in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

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Zu Recht hat das Landgericht eine Schadensersatzpflicht der Beklagten in dem erkannten Umfang gemäß §§ 823 Abs. 1, 847, 31 BGB wegen der nicht durch eine wirksame Einwilligung der Klägerin gerechtfertigten Sympathicusblockade bejaht. Insoweit kann gemäß § 543 Abs. 1 2. Halbsatz ZPO auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung (LGU 7,3. Abs. - LGU 9 3. Abs.), die auch gegenüber den Berufungsangriffen standhalten und die sich der Senat zu Eigen macht, verwiesen und von einer rein wiederholenden Darstellung abgesehen werden.

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Zu den Berufungsangriffen sei lediglich folgendes ergänzend ausgeführt:

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Auch der Senat war nicht gehalten, die Frage zu erörtern, inwieweit echte alternative Behandlungsmethoden mit anderen Risiken in Betracht gekommen wären, über die die Klägerin dann vor dem Eingriff hätte aufgeklärt werden müssen. Denn jedenfalls war die Risikoaufklärung unzureichend.

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Die Parteivernehmung des Beklagten zu 1) hat die nach der Vernehmung der Zeugen Dr. ... und Dr. ... zumindest bestehengebliebenen Zweifel, ob die jetzt auf Grund der Schädigung des benachbarten Nervengeflechtes bestehenden Dauerbeschwerden mit hinreichender Deutlichkeit als seltenes aber immerhin mögliches Risiko dieses Eingriffs der Klägerin vor Augen geführt worden sind, nicht beseitigen können. Der von dem Beklagten zu 1) lediglich bestätigte Hinweis, dass unter Umständen "brennende Schmerzen" zurückbleiben können ohne Erwähnung von evtl. Nervenschäden, ist nicht geeignet, einer Patientin Umfang und Ausmaß möglicher Dauerbeschwerden, wie sie jetzt von der Klägerin beklagt werden, deutlich zu machen. dass darüber auf diese Weise aufzuklären ist, steht nach dem Sachverständigengutachten fest. Eine Dokumentation einer solchen Aufklärung ist - wie sogar der Zeuge Dr. ... bestätigt - versäumt worden. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Krankenkarteikarte vom 01.08.1994 und der schriftlichen Bestätigung des Zeugen Dr. ... vom 18.04.1995 gegenüber der Beklagten zu 3), in der er lediglich seine übliche Praxis bei der Patientenunterrichtung angibt. Eine ausreichende Risikoaufklärung durch diesen Zeugen selbst ist angesichts des bekundeten Fehlens jeglicher konkreter Erinnerungen an ein Aufklärungsgespräch oder anderer sich darauf beziehender Indizien mit dem bloßen Hinweis auf eine entsprechende Übung bei dem Beklagten zu 3) nicht zu belegen. Mangels des Nachweises einer ausreichenden Aufklärung muss daher von einem haftungsbegründenden, weil nicht durch eine wirksame Einwilligung gedeckten, Eingriff ausgegangen werde.

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Die Klägerin hat auch substantiiert plausibel dargelegt, dass sie bei einer den vorgenannten Anforderungen entsprechenden Risikoaufklärung über die Möglichkeit von Nervenschädigungen vor einem Entscheidungskonflikt gestanden und deswegen weitere zusätzliche ärztliche Beratung vor einer evtl. Zustimmung zu dieser Behandlung in Anspruch genommen hätte. Mit dem Hinweis auf die jahrelangen Beschwerden der Klägerin im Fuß und Bein rechts und die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen vermag die Berufung das nicht in Zweifel zu ziehen. Damit wird zunächst für die Beurteilung eines Entscheidungskonflikts darauf abgestellt, was medizinisch vernünftig gewesen wäre. Das ist aber nicht der maßgebliche Beurteilungsmaßstab. Die Klägerin hat bei ihrer mündlichen Anhörung demgegenüber deutlich gemacht, dass sie wegen ihrer Vorerkrankung (Hirninfarkt) Sorge vor Komplikationen bei einem erneuten Eingriff gehabt hätte und sie bei Unterrichtung über das Risiko von Beschwerden der jetzt vorhandenen Art zunächst weitere medizinische Informationen vor einer Entscheidung eingeholt hätte. dass ihr dabei ggfls. auch nur das mitgeteilt worden wäre, was sie schon erfahren hatte, und dass es dazu keine Alternativen gebe, ist entgegen der Berufung unerheblich. Entscheidend ist, ob die Klägerin den Konflikt bei Treffen einer selbstbestimmten Entscheidung nach einer ausreichenden Risikoaufklärung nachvollziehbar dargelegt hat. Das ist ihr nach dem Ergebnis der erneuten Anhörung jedenfalls gelungen, nachdem sie bereits früher - worauf der Senat schon in seiner ersten Entscheidung in dieser Sache hingewiesen hat - nicht unberechtigt erscheinende Zweifel gegenüber einer unbedingten hypothetischen Einwilligung wegen der für sie bestehenden Zweifel an der richtigen Diagnosestellung angemeldet hatte.

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Nach den sachverständigen Erläuterungen bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken gegenüber dem Kausalzusammenhang von Eingriff und Beschwerdebild der Klägerin. Bei verständiger Gesamtwürdigung der gutachterlichen Einschätzung der medizinischen Zusammenhänge ist diese Kausalität nicht in Zweifel zu ziehen. Die nach dem Eingriff entstandenen Nebenwirkungen, bei denen eine evtl. Besserung nicht zu prognostizieren ist, werden von dem Gutachter klar auf den Eingriff bezogen. Lediglich im Hinblick auf die zeitliche Verzögerung bis zum Auftreten der Beschwerden bestand wegen des insoweit eher ungewöhnlichen Verlaufs Erklärungsbedarf, dem der Gutachter nachgekommen ist. Der Sachverständige hat aber im Ergebnis den Kausalzusammenhang nicht angezweifelt oder gar offengelassen. Die nach den Angaben der Klägerin vom Sachverständigen angenommenen zwei bis drei Tage bis zum Beginn der Beschwerden bedeuten erkennbar keine exakte einen Kausalzusammenhang im Übrigen ausschließende Grenzziehung, sodass auch die von der Berufung hervorgehobene Karteikarteneintragung - Schmerzen seit 07.08.1994 - keinen Anlass für eine andere Beurteilung gibt.

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Abgesehen davon handelt es sich bei den aufgetretenen Nebenwirkungen um sog. Sekundärschäden - nach dem schädigenden weil nicht durch eine Einwilligung gedeckten Eingriff selbst und seinen unmittelbar dabei aufgetretenen Beschwerden als sog. Primärschaden -, für die der Beweismaßstab des § 287 ZPO gilt. Für das auf Grund dieser Beweiserleichterung auszuübende Ermessen liefert das Sachverständigengutachten jedenfalls hinlängliche Anknüpfungstatsachen, die die Kausalität zwischen dem Haftungsgrund und den geltend gemachten Schadensfolgen belegen.

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Zu Recht hat das Landgericht auch den Beklagten zu 1) als aufklärungspflichtig bezüglich der Eingriffsrisiken angesehen, weil er die Therapieentscheidung mitgetragen habe. Der Versuch der Berufung, die aus dieser Beteiligung an der Behandlung der Klägerin abzuleitende eine deliktische Haftung begründende Garantenstellung auf den Sonderfall zu beziehen, in der ein Einweisungsarzt zugleich Chefarzt der Abteilung ist, in dem der Eingriff durchgeführt wird, geht fehl. Die Pflicht zur umfassenden Risikoaufklärung wird schon dadurch begründet, dass ein Arzt einen Teil der Behandlung mit übernimmt, indem er - wie hier nach dem Ergebnis der Parteivernehmung geschehen - eine Therapieempfehlung abgibt und dabei auch über Art und Umfang des Eingriffs und mit ihm verbundenen Risiken unterrichtet. Die von der Berufung geforderte personelle Verbindung mit der Operationsabteilung ist für die so übernommene Mitverantwortung unerheblich (vgl. BGH MDR 1980, 218 f; NJW 1980, 1905 ff; VersR 1992, 960 f [BGH 07.04.1992 - VI ZR 192/91]; Senat VersR 1996, 1111 [OLG Oldenburg 25.04.1995 - 5 U 186/94] = OLGR OL 95, 217 = NJW 1996, 1601). Diese Behandlungsbeteiligung bedingt die Mitverantwortlichkeit des Beklagten zu 1) bei unvollständiger Aufklärung, wenn andere Ärzte die Klägerin dann ohne wirksame Einwilligung operieren, weil er mittelbar die rechtswidrige Körperverletzung mitverursacht hat.

13

Angesichts des ungeklärten Einflusses von Vorerkrankungen auf die eingriffsbedingte Nervenschädigung und der noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Beschwerden greifen schließlich auch die Angriffe gegen die Höhe des ausgeurteilten Schmerzensgeldes und des zugesprochenen Feststellungsantrages nicht durch.