Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 11.08.1998, Az.: 5 U 23/98
Sudecksche Erkrankung nach konservativer Behandlung; Behandlungsfehler bei einer Radiusfraktur; Grenzen des Anhörungsrechts auf Grund des Sachverständigengutachtens; Schuldhafte Versäumung einer rechtzeitigen Therapie
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 11.08.1998
- Aktenzeichen
- 5 U 23/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 28912
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1998:0811.5U23.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 402 ZPO
- § 397 ZPO
Fundstellen
- ArztR 1999, 79
- Chefarzt 2000, 1
- NJW-RR 1999, 178-179 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 1998, 320-322
Amtlicher Leitsatz
Eine Sudecksche Erkrankung nach konservativer Behandlung einer Radiusfraktur deutet nicht auf Behandlungsfehler hin. - Grenzen des Anhörungsrecht
Tatbestand
Die Klägerin begehrt mit der Behauptung eines Behandlungsfehlers von der Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld wegen einer im Verlauf einer konservativen Behandlung einer Radiusfraktur des linken Handgelenks eingetretenen Sudeckschen Erkrankung.
Das Landgericht hat auf Grund des Beschlusses vom 31.5.1996 Beweis erhoben durch Vernehmung des Ehemanns der Klägerin, durch Einholung schriftlicher Erklärungen der Ärzte Dr. Ellringmann und Henke sowie eines schriftlichen Gutachtens des Facharztes für Plastische Chirurgie und Handchirurgie Dr. med M..., der sein Gutachten vom 30.12.1996 am 13.6.1997 schriftlich ergänzt hat. Sodann hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Behandlung der Fraktur einschließlich der Reposition sei fehlerhaft erfolgt und es sei nicht bewiesen, dass die Ärzte das Entstehen der Sudeck`schen Erkrankung zu spät erkannt hätten. Auch die Behandlung der Sudeck`schen Erkrankung sei fachgerecht durchgeführt worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, denn der Klägerin steht aus der medizinischen Behandlung der 1991 erlittenen Radiusfraktur gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch zu. Die auf Grund der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nach sachverständiger Beratung zu treffenden Feststellungen belegen keinen Behandlungsfehler, der zu der Sudeck- Distrophie und den hieraus resultierenden Körperschäden geführt hat.
1.
Auf Grund des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen Dr. .... steht fest, dass die Ärzte bei der Behandlung der Radiusfraktur keine Fehler begangen haben, sondern dass es sich bei der Sudeckschen Erkrankung, die nach der Radiusfraktur bei der Klägerin aufgetreten ist, um ein schicksalhaftes Ereignis handelt, das weder durch die Behandlung der Fraktur hervorgerufen oder auch nur mitverursacht wurde noch von den Ärzten im Verlauf der weiteren Behandlung zu vermeiden war.
a)
Auf die Beanstandung der Klägerin das erstinstanzlich eingeholte Gutachten gehe von einer Prädisposition der Klägerin aus, auf der die Sudecksche Erkrankung beruhe, der Nachweis hierfür sei aber nicht geführt worden, kommt es für die Frage eines Behandlungsfehlers nicht an.
Die Entstehungsursachen einer solchen Erkrankung sind auch heute noch weitgehend unbekannt. Nach den Äußerungen des erstinstanzlich herangezogenen Sachverständigen und des Schlichtungsgutachters spielen bei dieser Art der Reflexdistrophien neurogene Faktoren eine Rolle, die zunächst zu einer groben Störung der Durchblutung und einer vermehrten Durchblutung führen, sich dann in einer zumeist sehr schnell verlaufenden Entwicklung zu einer abakteriellen Entzündung ausbilden, in deren Verlauf sich eine auffällige Minderung des Kalksalzgehalts der betroffenen Skelettanteile entwickelt. Ursache der Erkrankung ist stets eine grobe Gewalteinwirkung und ein hierdurch hervorgerufenes akutes, schmerzhaftes Ödem. Ob eine entsprechende Prädisposition der Klägerin oder andere Faktoren für den Ausbruch der Sudeck-Distrophie maßgeblich waren, ist hier deshalb nicht von Bedeutung, weil jedenfalls nicht bewiesen ist, dass eine nicht fachgerechte medizinische Behandlung für die Entstehung der Erkrankung ursächlich war. Der Sachverständige hat hierzu überzeugend ausgeführt, dass sowohl die Ersteinrichtung des Bruchs als auch die Reposition geboten waren. Die Ersteinrichtung wurde dabei nach der Einschätzung des Sachverständigen in korrekter Weise durchgeführt. Ebenso war die erforderlich gewordene Nachreposition und die dadurch zwangsläufig neu auftretende Schwellung im Frakturbereich nicht kausal für die Entstehung der Sudeckschen Erkrankung. Zwar hat der Sachverständige beanstandet, dass nach der erneuten Dislokation der Radiusbasisfragmente keine percutane Kirschnerdrahtosteosynthese zur Fixation dieser Fragmente unternommen wurde. Hierdurch ist der Heilverlauf aber nur geringfügig verzögert worden, ein erhöhtes Risiko für die Entstehung der Sudeckschen Erkrankung wurde durch diese Art der Behandlung indes nicht geschaffen.
Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass Ersteinrichtung der Fraktur und Reposition nicht unter Anästhesie durchgeführt worden sind und hierdurch die Sudecksche Erkrankung jedenfalls mitverursacht wurde. Zwar ist - im Gegensatz zu der Reposition- eine Anästhesie bei der Ersteinrichtung nicht dokumentiert; jedoch hat das Landgericht auf Grund der Angaben der behandelnden Ärzte zu Recht davon ausgehen dürfen, dass eine solche Anästhesie stattgefunden hat. Soweit die Klägerin behauptet, bei der Reposition unter starken Schmerzen gelitten zu haben, beweist dieser Vortrag nicht, dass die Ersteinrichtung des Bruchs ohne Anästhesie durchgeführt wurde. Den dazu erfolgten Beweisantritten brauchte der Senat daher nicht nachzugehen. Im Übrigen hat der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt, dass auch eine fachgerechte Reposition selbst unter Bruchspaltanästhesie Schmerzen hervorrufen kann.
b)
Aufgrund des Sachverständigengutachtens kann nicht als bewiesen angesehen werden, dass die behandelnden Ärzte die eingetretene Sudeck- Distrophie vorwerfbar zu spät erkannt und eine rechtzeitige Therapie schuldhaft versäumt haben. Zwar ist der Sachverständige davon ausgegangen, dass bereits auf den Röntgenaufnahmen vom 22.2.1991 für eine beginnende Sudeck- Distrophie typische Veränderungen des Kalksalzgehalts des Handgelenks erkennbar waren. Daraus folgt aber kein schuldhaftes Versäumnis der Behandlungsseite. Denn die Beurteilung der Röntgenaufnahme war durch die Schichten des Gipsverbands erschwert und eine sichere Diagnose nur in Kenntnis des späteren Krankheitsverlauf möglich. Eine fehlerhafte Diagnostik ergibt sich auch nicht aus dem vom Zeugen David bekundeten Umstand, dass nach der Reposition eine Schwellung und Verfärbung aller Finger der linken Hand aufgetreten sei, da eine solche Schwellung bei konservativer Wiedereinrichtung von Frakturen zu erwarten ist und damit kein bedeutsames Symptom für eine entstehende Sudecksche Erkrankung darstellt. Im Übrigen war die Sudecksche Erkrankung aus Sicht des Sachverständigen schon seit dem 8.2.1991 nicht mehr in vollem Umfang rückgängig zu machen, wird erst recht auch bei einer am 22.2.1991 eingeleiteten Therapie nicht zu verneinen gewesen. Die erst später einsetzende Therapie hatte lediglich den Heilverlauf geringfügig verzögert.
c)
Auch der Heilverlauf und die Folgen der Sudeckschen Erkrankung werden nicht maßgeblich von dem Umstand beeinflusst, dass die Nachreposition konservativ und nicht im Wege einer Kirschnerdraht- Osteosynthese vorgenommen wurde. Die erneute Dislokation der Fragmente nach erfolgter Nachreposition bildet nach der Einschätzung des Sachverständigen nur eine geringere Teilursache der später gefundenen, bleibenden funktionellen Einschränkung des Handgelenks, die durch die Sudecksche Erkrankung verursacht wurde. Der von dem Sachverständigen angesprochene wahrscheinliche Beitrag der unterbliebenen Osteosynthese an der Verzögerung des Heilverlaufs der Dystrophie bildet hier - unabhängig von der Frage, ob insoweit ein ursächlich gewordener Behandlungsfehler festgestellt werden kann - keine einem Immaterialienausgleich zugängliche Beeinträchtigung.
d)
Schließlich greift die Rüge der Klägerin, das Landgericht habe aus der unterlassenen Aufklärung vor Einrichtung und Reposition der Fraktur keine Konsequenzen gezogen, nicht durch. Auf das Unterbleiben einer Aufklärung der Klägerin über das Risiko einer Sudeckschen Erkrankung könnte es allenfalls dann ankommen, wenn die Kausalität zwischen den ärztlichen Eingriffen und der Sudeck- Distrophie bewiesen wäre. Der Patient hat die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Schadensfolge, für die er Ersatz verlangt, auch wirklich durch den eigenmächtigen Eingriff des Arztes verursacht worden ist und nicht auf andere Ursachen zurückgeht (BGH NJW 1992, 754; OLG Celle VersR 1990, 658 [OLG Celle 20.03.1989 - 1 U 51/88]; OLG Hamm VersR 1995, 709 [OLG Hamm 08.12.1993 - 3 U 80/93]; Steffen- Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rdn. 447, 570). Beweiserleichterungen greifen in diesem Zusammenhang nicht ein. Die Klägerin hat aber - wie ausgeführt - gerade nicht bewiesen, dass die Sudeck- Distrophie durch die Einrichtung der Fraktur oder die spätere Nachreposition verursacht worden ist.
2.
Angesichts der klaren und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen bestand für den Senat keine Veranlassung, die von der Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz beantragte mündliche Anhörung anzuordnen.
Zwar steht der Klägerin nach §§ 397, 402 ZPO grundsätzlich das Recht zu, den Sachverständigen mündlich befragen zu können (BGHZ 26, 391, 398 [BGH 05.03.1958 - IV ZR 307/57]; 35, 370 [BGH 19.09.1961 - VI ZR 259/60]; BGH NJW 1983, 340; 1986, 2886 [BGH 13.05.1986 - VI ZR 142/85]; BGH NJW- RR 1987, 339, 340; BGH VersR 1996, 211; vgl. auch Ankermann NJW 1985, 1204). Voraussetzung dafür ist aber, dass es um offen gebliebene medizinische Fragen oder um die Erläuterung von Unklarheiten oder Widersprüchen innerhalb der einzelnen Äußerungen des Sachverständigen geht. Das Anhörungsrecht bezieht sich nicht auf Fragen, die für die zu treffende Entscheidung unerheblich oder eindeutig beantwortet sind, ohne dass insoweit ein Erläuterungsbedarf besteht oder zumindest nachvollziehbar geltend gemacht wird (Senat U. v. 18.3.1997 -5 U 3/96 = NdsRpflege 1998, 27)). Soweit die Klägerin die Anhörung des Sachverständigen zu ihrer Prädisposition hinsichtlich einer Sudeckschen Erkrankung, der Erforderlichkeit einer Dokumentation einer durchgeführten Anästhesie sowie der behaupteten unterlassenen Aufklärung über das Risiko einer Sudeckschen Erkrankung begehrt hat, kam es auf diese Fragen nicht an. Hinsichtlich der Vorwerfbarkeit der verzögerten Therapie der SudeckDistrophie besteht auf Grund der eindeutigen sachverständigen Äußerungen kein weiterer Erläuterungsbedarf. Auch die pauschale Behauptung der Klägerin, dass der Einsatz eines Bildwandlers das Entstehen der Distrophie rechtzeitig hätte erkennen lassen, gibt vor dem Hintergrund der dem Senat aus dem in der Berufungsbegründung in Bezug genommenen Zivilrechtsstreit bekannten Anwendungsmöglichkeiten eines Bildwandlers keinen Anlass, den Sachverständigen hierzu anzuhören. Daher konnte eine zusätzliche Anhörung des Sachverständigen nach der erstinstanzlich an die Stelle der Anhörung getretenen schriftlichen Ergänzungsbegutachtung insgesamt unterbleiben.