Landgericht Hannover
Urt. v. 27.01.2005, Az.: 39a 17/04

Nachträgliche Anordnung der Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung; Vollstreckung in einer gesicherten Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses ; Begehung einer Körperverletzung mit Todesfolge; Folgen einer Erkennbarkeit der Wiederholungsgefahr erst während des Strafvollzugs ; Gefahr der Begehung von weiteren vergleichbaren Taten auf Grund einer vorliegenden Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert oder einer sich schleichend entwickelnden chronischen Schizophrenie ; Verfassungskonforme Auslegung einer Vorschrift; Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Vollstreckung einer Sicherungsverwahrung

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
27.01.2005
Aktenzeichen
39a 17/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 28901
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2005:0127.39A17.04.0A

Fundstelle

  • NStZ 2005, VI Heft 7 (amtl. Leitsatz)

Tenor:

Die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wird nachträglich angeordnet mit der Maßgabe, dass die Vollstreckung in einer gesicherten Abteilung eines psychiatrischen Landeskrankenhauses zu erfolgen hat.

Der Verurteilte trägt die Kosten des Verfahrens.

Angewendete Vorschriften: § 66b StGB

Tatbestand

1

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)

2

I.

Der Verurteilte ist durch Urteil der erkennenden Kammer NBR - wegen gefährlicher Körperverletzung in 2 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung und wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt worden. Die Einzelstrafen sind auf 6 Jahre Freiheitsstrafe für die Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Bedrohung, 2 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe für die gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung und 2 Jahre Freiheitsstrafe für die gefährliche Körperverletzung festgesetzt worden.

3

Der Verurteilte war in dieser Sache ...vorläufig festgenommen worden. Am ... war gegen ihn Haftbefehl erlassen worden. Mit Eintritt der Rechtskraft am ... hat der Verurteilte die Strafhaft angetreten. Strafende war am ...

4

Am ... hat die Justizvollzugsanstalt Salinenmoor bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg gemäß § 1 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 4 NUBG die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus beantragt. Nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung hat sich die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss ... für unzuständig erklärt. Am ... hat die Staatsanwaltschaft Hannover die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB und den Erlass eines Unterbringungsbefehls gemäß § 275a StPO beantragt. Die einstweilige Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ist angeordnet worden.

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II.

Der am .. geborene Verurteilte hat zunächst den Beruf des Maurers und später während der Verbüßung einer Jugendstrafe den Beruf des Tischlers erlernt. Vor seiner letzten Inhaftierung war er arbeitslos. Er ist ledig und hat keine Kinder.

6

Der Verurteilte ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:

7

1.

Am ... wurden vom Amtsgericht Brilon -...- wegen gemeinschaftlichem schweren Diebstahls Freizeitarreste gegen ihn verhängt.

8

2.

Am ... wurde er vom Landgericht Osnabrück - ... - wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 8 Jahren verurteilt, die er bis zum 27.6.1989 teilweise verbüßt hat.

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In dem Urteil des Landgerichts Osnabrück ist zum Sachverhalt ausgeführt, der Verurteilte habe am .. den Entschluss gefasst, wegen zahlreicher Fehlschläge in beruflicher und persönlicher Hinsicht sowie wegen gesundheitlicher Probleme, die er mit seinem damaligen Wohnort ... in Verbindung gebracht habe, diesen Ort zu verlassen und in seinen Geburtsort ... zurückzukehren. Er habe sich in diesen Plan hineingesteigert, ohne zu erkennen, dass seine Probleme durch die "Flucht" ... nicht zu lösen gewesen seien. Da er nicht mehr über eigene Geldmittel verfügt habe, habe er sich entschlossen, sich das für die "Flucht" erforderliche Geld von seiner Mutter zu beschaffen. Ihm sei bekannt gewesen, dass seine Mutter Geld aus dem Verkauf von Bier im Kleiderschrank in einer Kassette verwahrt habe. Als der Verurteilte das Schlafzimmer betreten habe, sei seine Mutter hinzugekommen und habe ihn gefragt, ob er stehlen wolle. Der Verurteilte habe erwidert, dass er Geld brauche. Seine Mutter habe ihm das Geld verweigert und ihn, als er insistiert habe, mit ihm bereits aus früheren Beschimpfungen vertrauten Ausdrücken, wie "Hurensohn", beschimpft. Der Verurteilte sei daraufhin in Wut geraten und habe das Schlafzimmer verlassen mit dem Vorsatz, sich nunmehr - auch in Erinnerung an früher erlittene Niederlagen im häuslichen Bereich - gegen seine Mutter durchzusetzen. Er habe sich entschlossen seine Mutter zu bedrohen und damit ihren Widerstand zu brechen. Zu diesem Zwecke habe er einen Fäustel vom Dachboden geholt. Den Fäustel in der erhobenen Hand haltend sei der Verurteilte drohend auf seine im Bereich der Schlafzimmertür stehende Mutter zugegangen. Seine Mutter habe versucht, die Tür zu schließen. Es sei dem Verurteilten jedoch gelungen, die Tür wieder aufzustoßen. Er sei weiter mit dem erhobenen Fäustel auf seine Mutter zugegangen, die in Richtung auf die dem Fenster zugewandte Seite des Ehebettes zurückgewichen sei. Auf die Forderung des Verurteilten "Geld raus" habe seine Mutter erwidert, dass er kein Geld bekomme. Der Verurteilte sei weiter ein bis zwei Schritte auf seine Mutter zugegangen, die ihrerseits zurückgewichen sei und ihm dann zur Bestärkung ihrer Ablehnung und, um ihn zur Besinnung zu bringen, einen Backenstreich verabreicht habe. Durch den Schlag sei der Verurteilte in noch größere Wut geraten. Außerdem sei ihm bewusst geworden, dass die Drohung mit dem Hammer nicht ausreichend gewesen sei, den Widerstand seiner Mutter zu überwinden. Da er entschlossen gewesen sei, dass Geld auf jeden Fall an sich zu bringen, habe er einer Mutter mit voller Kraft - wie wenn er Stemmarbeiten ausführte - auf die rechte Seite des Schädeldaches geschlagen, so dass seine Mutter blutend auf ihr Bett gefallen sei. Sie habe laut gestöhnt, wie "Ah, aua, ... was machst du" und habe die Hand über die Schlagstelle am Kopf gehalten, als wenn sie sich vor weiteren Schlägen habe schützen wollen. Der Verurteilte habe weitere dreimal mit voller Kraft mit dem Fäustel auf den Kopf seiner Mutter geschlagen, weil er auf Grund der Schmerzäußerungen und des Schutzes durch die Hand angenommen habe, dass seine Mutter zu weiterer Gegenwehr fähig gewesen sei. Er habe mit Sicherheit jeder weiteren Gegenwehr vorbeugen und um keinen Preis auf das Geld verzichten wollen. Er habe sich ein für alle Mal gegen seine Mutter durchsetzen wollen und dabei ihren Tod bewusst billigend in Kauf genommen, weil ihm die Erlangung des Geldes äußerst wichtig gewesen sei. Die Schläge hätten zu drei Impressionsbrüchen des Schädeldachs, einer Hirnquetschung und Hirnrindenprellung mit Zerreißung der harten Hirnhaut und korrespondierender Massenblutung der weichen Hirnhäute geführt. Jeder der Schläge gegen den Kopf sei geeignet gewesen, den Tod herbeizuführen. Eine Rettung des Lebens der Mutter des Verurteilten sei nach den Schlägen ausgeschlossen gewesen.

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Der Verurteilte habe von weiteren Schlägen gegen den Kopf seiner Mutter abgesehen, weil er nunmehr bemerkt habe, dass seine in der anderen Ehebetthälfte liegende sechsjährige Schwester ... wach geworden sei und dem Geschehen zugesehen habe. Das Kind sei aufgestanden und laut schreiend auf den Flur in Richtung des Kinderschlafzimmers gelaufen. Der Verurteilte sei darüber erschrocken gewesen und habe befürchtet, dass seine Schwester den Bruder oder andere Personen hätte alarmieren können mit der Folge, dass seine Flucht verhindert worden wäre. Er habe daher eine vor dem Bett der Mutter liegende Kordel ergriffen und sei damit hinter ... hergelaufen, um sie zum Schweigen zu bringen, bis er mit dem Geld der Mutter das Haus verlassen habe. Er habe ... den Mund zugehalten und sie in die Küche getragen. Dort habe er sie auf den Boden gelegt, ihr die Kordel um den Hals gelegt und die Kordel etwa 1,5 Minuten zugezogen, um seine Schwester zur Bewusstlosigkeit zu bringen und die von ihr ausgehenden Gefahren für seine Flucht auszuschließen. Der Verurteilte habe nach einiger Zeit des Drosselns bemerkt, dass der Körper seiner Schwester schlaff geworden sei, dass ... aber gleichwohl noch laut geatmet habe. Er habe daraufhin die Kordel gelöst, weil er richtigerweise davon ausgegangen sei, dass S. bewusstlos gewesen sei.

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Der Verurteilte habe sich sodann zum Schlafzimmer begeben, um das Geld seiner Mutter an sich zu bringen. Bereits an der Tür habe er bemerkt, dass seine Mutter aufrecht am Fußende ihres Bettes gesessen und sich so bewegt habe, als ob sie habe aufstehen wollen. Er habe erneut Angst bekommen, dass seine Mutter ihm wiederum das Geld verweigern und damit seine Flucht ... unmöglich machen könnte; ferner sei er wütend darüber gewesen, dass seine Mutter sich als derart zäh und nachhaltig streitbar erwiesen habe, dass sie trotz ihrer Kopfverletzungen noch Widerstand geleistet habe. Da er außerdem enttäuscht darüber gewesen sei, mit den Hammerschlägen nicht den vorgestellten Erfolg erzielt zu haben, habe er sich entschlossen, jeden Widerstand der Mutter endgültig auszuschalten und sie zu töten. Gleichzeitig habe ihn die Angst überkommen, dass seine Schwester ... möglicherweise nicht mehr bewusstlos sei und das Haus hätte verlassen können. Um dies zu unterbinden, gleichzeitig aber auch den Plan, seine Mutter zu töten, in die Tat umzusetzen, habe der Verurteilte seine Mutter mit einer Hand in den Kopfhaaren ergriffen und die andere Hand unter ihr Kinn gelegt und sie in Bauchlage durch das Schlafzimmer und den Flur in die Küche geschleift. Dort habe er mit Erleichterung festgestellt, dass ... noch bewusstlos gewesen sei und weiter laut geatmet habe. Er habe seine Mutter auf den Bauch quer über die Füße seiner Schwester gelegt und seinen Ledergürtel aus der Hose gezogen, um seine Mutter bis zum sicheren Tode zu drosseln. Er habe ihr den Gürtel um den Hals gelegt und auf ihrem Rücken kniend über Kreuz mit aller Kraft etwa 4 Minuten zugezogen. Dann habe er bemerkt, dass die Augen seiner Mutter geöffnet und starr gewesen seien und dass sie nicht mehr geatmet habe. Er habe zwar richtigerweise erkannt, dass seine Mutter tot gewesen sei. Um jedoch sicher zu gehen und nicht erneut eine böse Überraschung zu erleben, habe er sein Ohr auf den Rücken seiner Mutter gelegt und befriedigt festgestellt, dass seine Mutter nicht mehr geatmet habe.

12

Der Verurteilte habe sich dann das Blut seiner Mutter von Armen und Händen abgewaschen, seinen Ledergürtel wieder in die Schlaufen seiner Hose gezogen und sich ins Schlafzimmer begeben. Er habe im Schrank in einem Plastikbehälter ... DM vorgefunden und eingesteckt. Ferner habe er in einer Plastiktüte Kleidungsstücke mitgenommen, um später seine Kleidung zu wechseln.

13

Während des Strafvollzugs in jenem Verfahren war der Verurteilte anfangs in sich gekehrt und hielt keinen Kontakt zu anderen Personen. Er nahm dann jedoch an pädagogisch-sozialtherapeutisch orientierten Maßnahmen in Groß- und Kleingruppen teil. Ferner wurden im Rahmen der Therapie die Straftaten des Verurteilten und seine Neigung zum Alkoholkonsum aufgearbeitet. Außerdem begann der Verurteilte während der Inhaftierung eine Lehre zum Tischler, die er auch erfolgreich beendete. Die therapeutischen Maßnahmen führten zu einer Stabilisierung der Persönlichkeit des Verurteilten, so dass dieser schließlich in der Lage war, Kontakte zu anderen Personen herzustellen und auch zu halten. Mit Rücksicht auf diese günstigen Umstände wurde die Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe mit Beschluss des Amtsgerichts Hameln ... zur Bewährung ausgesetzt; der Verurteilte wurde ... entlassen.

14

3.

Am ... wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Hameln wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 35,00 DM verurteilt.

15

4.

Am ... wurde er vom Amtsgericht Hameln wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20,00 DM verurteilt.

16

5.

Zuletzt ist der Verurteilte von der erkennenden Kammer wie eingangs aufgeführt verurteilt worden.

17

Zum Sachverhalt ist in dem Urteil ausgeführt, bei dem Verurteilten sei im Jahre ... trotz seines starken Alkoholkonsums noch keine Alkoholabhängigkeit eingetreten gewesen. Am ... hätten der Verurteilte und der damals mitangeklagte ... sich im Zimmer des in derselben Unterkunft ... in Hameln wohnenden Zeuge ... getrunken und Alkohol getrunken. Es sei zu Unstimmigkeiten zwischen ... und ... gekommen; ... habe sich durch Stänkereien des Zeugen provoziert gefühlt. ... habe das Zimmer des Zeugen verlassen, und der Verurteilte sei ihm gefolgt, ...sei dann jedoch zum Zimmer des Zeugen ... zurückgekehrt, um vor diesem nicht als Feigling dazustehen. Er habe einen im Hausflur liegenden Hammer ergriffen und damit gegen die Tür geschlagen. Als der Zeuge ... die Tür geöffnet habe, habe ... ihm sogleich mit dem Hammer einen Schlag gegen den Kopf versetzt. Als ... leicht zurückgewichen sei, habe ... ihm weitere Schläge mit dem Hammer versetzt Der Verurteilte habe ebenfalls wieder das Zimmer des Zeugen... betreten, dort eine Sektflasche ergriffen und diese mit derartiger Wucht auf den Kopf des Zeugen geschlagen, dass sie zerbrochen sei. Anschließend habe der Verurteilte Verbandsmaterial besorgt und dann mit...das Zimmer des Zeugen verlassen. Am ... seien ... und der Verurteilte nach einem Discothekenbesuch in angetrunkenem Zustand übereingekommen, die Hausmitbewohner ...und ... aufzusuchen, um sie zur Rede zu stellen, nachdem die Zeugin ... geäußert hatte, sie werde Anzeige erstatten, wenn man ihr ... etwas antue. Der Verurteilte habe sich mit einem etwa 75 cm langen Stuhlbein bewaffnet und ... mit einem Schrubber. Nach Betreten des Zimmers sei ... auf Frau ... zugegangen und der Verurteilte auf Uwe ... .Während ... zu ... gesagt habe "Du dummes Schwein, Du willst uns bei der Polizei anzeigen", habe der Verurteilte zu Uwe ... gesagt: "Pass auf, dass ... nicht immer so hetzt." Zur Bekräftigung ihrer Äußerungen, mit denen sie .-.. und ... hätten einschüchtern wollen, habe ... mit dem Schrubber auf Frau ... und der Verurteilte mit dem Stuhlbein auf Herrn ... eingeschlagen. Jürgen ... habe Frau ... zur Schlafcouch gedrängt und auf die Couch gedrückt und anschließend mit dem Schrubber auf Herrn ... eingeschlagen. Nachdem der Schrubberstiel infolge der Schläge in mehrere Teile zerbrochen gewesen sei, habe der Verurteilte einen Teil des Stiels ergriffen und damit auf ... Bein geschlagen. Sodann habe er sich auf den vor der Schlafcouch stehenden Tisch gesetzt und der unmittelbar vor ihm sitzenden Frau ... beiden Füßen ins Gesicht getreten. Beim Verlassen des Zimmers hätten ... und der Verurteilte schließlich gedroht: "Wenn Ihr etwas sagt, machen wir euch tot." Dann seien sie in ihr Zimmer gegangen und hätten sich schlafen gelegt. Uwe ...infolge der Schläge an Verbluten nach innen und außen verstorben.

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III.

Anders als die Vollstreckung der Jugendstrafe nahm die Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil vom ... einen ungünstigen Verlauf. Die Entwicklung ging, wie der Zeuge ... erklärt hat, "in die falsche Richtung". Der Verurteilte war zunächst motiviert, später war er einerseits gewillt, an Problemen zu arbeiten, verfiel dann anderseits aber immer wieder in eine Verweigerungshaltung. Es fiel auf, dass er wieder - wie in früheren Zeiten - Schwierigkeiten hatte, Kontakte herzustellen.

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Im Rahmen des Einweisungsverfahrens war empfohlen worden, den Verurteilten in einer sozialtherapeutischen Anstalt unterzubringen, weil bei ihm mit sozialtherapeutischen Maßnahmen gute Erfolge erzielt worden waren, er insbesondere aus der Isolation befreit worden war. Der Verurteilte war mit einer derartigen Unterbringung einverstanden und hoch motiviert, eine Therapie zu machen. Da für ihn aber kein Platz in einer sozialtherapeutischen Anstalt zu bekommen war, musste die Strafvollstreckung in der Justizvollzugsanstalt erfolgen. Um der bei dem Verurteilten bestehenden Behandlungsnotwendigkeit Rechnung zu tragen, sollte eine Einzeltherapie durchgeführt werden. Der erste Versuch scheiterte Mitte des Jahres 2002 nach der fünften Sitzung, weil es der Therapeutin nicht gelang, Zugang zu dem Verurteilten zu finden. Ein Therapieversuch mit einem anderen Therapeuten scheiterte von vornherein. Der Verurteilte zog sich immer mehr zurück und war nicht bereit, an einer von dem Therapeuten empfohlenen Begutachtung durch einen externen Psychiater mitzuwirken. Daraufhin unternommene Versuche, den Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt Hannover zu überstellen und dort durch den Leiter der psychiatrischen Krankenabteilung begutachten zu lassen, scheiterten ebenfalls. Der Verurteilte stimmte zunächst mehrfach einer Überstellung in die Justizvollzugsanstalt ... zu, weigerte sich dann aber immer wieder, sich verlegen zu lassen. Der Verurteilte zog sich zurück und richtete sich darauf ein, die Strafe voll zu verbüßen und im Anschluss daran eine Alkoholtherapie zu machen.

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Für die Zeit nach der Entlassung aus der Strafhaft äußerte der Verurteilte nicht nur den Wunsch, an einer Therapie teilzunehmen. Bei ihm verfestigten sich auch konkrete Forderungen bezüglich seiner Lebensverhältnisse, die nach seinen Vorstellungen von der Allgemeinheit zu erfüllen seien. So äußerte er im Rahmen eines Vorgesprächs zur Vollzugsplankonferenz gegenüber dem Zeugen ... er verlange, dass ihm nach seiner Entlassung Wohnraum zur Verfügung gestellt werde und nicht lediglich eine Obdachlosenunterkunft - dafür habe der Staat Sorge zu tragen. Falls seine Forderungen nicht erfüllt würden, werde er in alte Verhaltensweisen zurückfallen, und es sei ihm gleichgültig, wenn dabei "jemand auf der Strecke bleibe", er habe "den § 21" und könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Auf den Hinweis des Zeugen ... auf die Eigenverantwortlichkeit beharrte der Verurteilte darauf, dass "man" sich um ihn zu kümmern habe.

21

Bei einer Entlassung des Verurteilten zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht die Gefahr, dass er erneut vergleichbare Straftaten begeht wie diejenigen, die Gegenstand des Urteils vom 4.3.1997 waren. Eine psychologische Beurteilung des Verurteilten ergab bereits am 16.4.2003, dass bei diesem Hinweise auf eine organisch bedingte Persönlichkeitsstörung vorliegen. Dem Gutachten des Sachverständigen ... zufolge ist bei dem Verurteilten - unter Vorbehalt einer endgültigen Diagnose nach längerer Behandlung im Krankenhaus - eine Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und organischen Anteilen zu diagnostizieren, die ohne Behandlung dazu führt, dass der Verurteilte gleichartige Straftaten begehen wird. Der Sachverständige ... hat ebenfalls ausgeführt, dass es keinen Zweifel gebe, dass der Verurteilte psychisch krank sei und dass auf Grund der Erkrankung die Gefahr bestehe, dass er wieder Alkohol konsumiere und dann erneut schwer wiegende Straftaten begehe. Zu einer eindeutigen Diagnose sah der Sachverständige ... sich jedoch ohne längere eingehende Beobachtung des Verurteilten nicht in der Lage; in Betracht kommen eine schwere psychoseartige Persönlichkeitsstörung oder eine sich schleichend entwickelnde chronische Schizophrenie. Beide Sachverständige sehen die Behandlung des Verurteilten im Maßregelvollzug als zwingend geboten an zur Abwehr weiterer Gefahren. Bei einer Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ist - so der Sachverständige ... - wegen der fehlenden Behandlung eine Verschlechterung des Krankheitsbildes zu erwarten.

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IV.

Nach den getroffenen Feststellungen ist gemäß § 66b Abs. 2 StGB nachträglich die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Nachdem der Verurteilte u.a. wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Einzelfreiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt worden ist, sind während des Strafvollzugs Tatsachen erkennbar geworden, die darauf hinweisen, dass der Verurteilte nach seiner Entlassung aus der Haft - jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt - weitere vergleichbare Taten begehen wird.

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Ferner wird angeordnet, dass die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in einer gesicherten Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses zu erfolgen hat. Den Gutachten der Sachverständigen ...und ... zufolge besteht bei dem Verurteilten auf Grund einer bei ihm vorliegenden Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert oder einer sich schleichend entwickelnden chronischen Schizophrenie die Gefahr, dass er weitere schwer wiegende Straftaten begehen wird; zur Abwehr der Gefahr ist die Unterbringung im Maßregelvollzug zwingend geboten. Ein Behandlungserfolg ist nicht ausgeschlossen.

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Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist zwar nach § 66b StGB nicht vorgesehen. Eine verfassungskonforme Auslegung des der Vorschrift gebietet indes eine derartige Anordnung. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10.2.2004 -...- ist ausgeführt worden, die Strafvollstreckungskammern müssten bei Anwendung der - mit dem Urteil für verfassungswidrig erklärten -Landesgesetze der Länder Bayern und Sachsen-Anhalt über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter, solange diese Gesetze trotz Verfassungswidrigkeit fortgelten, eine Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten, seines Verhaltens und seiner Entwicklung im Strafvollzug vornehmen , die dem hohen Rang des Freiheitsrechts gerecht werde, und die Fortdauer der Freiheitsentziehung sei nur als letztes Mittel gerechtfertigt. Die Landesgesetze erwiesen sich in einigen Punkten als ungünstiger als die bundesrechtlich geregelte Sicherungsverwahrung; so sähen die Gesetze keine dem § 67a Abs. 2 StGB entsprechende Möglichkeit vor, den Verurteilten nachträglich in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt zu überweisen, wenn die Resozialisierung dadurch besser gefördert werden könne. Eine derartige Möglichkeit müsse im Interesse des Freiheitsgrundrechts bereits während der Übergangszeit gewährleistet sein; die Betroffenen müssten sich auf Vorschriften berufen können, die ihrer Resozialisierung dienten und ihrer Chance auf Wiedererlangung der Freiheit verbessern könnten. Weiter hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Vollstreckungsgerichte bei der bisherigen Anwendung der Landesgesetze möglicherweise von einer den aufgeführten Grundsätzen widersprechenden Auslegung ausgegangen seien, so dass die Gerichte unverzüglich zu prüfen hätten, ob bereits angeordnete Unterbringungen bei verfassungskonformer Auslegung der zugrundeliegenden Bestimmungen aufrechterhalten bleiben könnten.

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Den in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Anforderungen genügt die Bestimmung des § 66b StGB nicht (vgl. Calliess, Die "Entwicklung des Verurteilten im Strafvollzug" und die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ohne Vorbehalt, ZfStrVo 2004, 135ff.). Anders als bei der "Erstanordnung" einer Maßregel der Besserung und Sicherung ist nach § 66b StGB ausschließlich die Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung vorgesehen, ohne dass geprüft werden kann, ob eine weniger einschneidende Maßnahme, die der Resozialisierung dient - wie etwa die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - angeordnet werden kann. Um dem Freiheitsgrundrecht und dem Anspruch eines Verurteilten auf Resozialisierung genüge zu tun, bedarf es einer verfassungskonformen Auslegung des § 66b StGB dahingehend, dass unter entsprechender Anwendung des § 67a Abs. 2 StGB mit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung auch angeordnet werden kann, dass diese in der gesicherten Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses zu vollstrecken ist. Eine Überweisung von Sicherungsverwahrung in den Vollzug einer Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus könnte gemäß § 67a Abs. 2 StGB sofort nach Rechtskraft der Anordnung der Sicherungsverwahrung durch die Strafvollstreckungskammer erfolgen. Wenn diese Möglichkeit des Übergangs von einer Maßregel zur anderen im Rahmen der Strafvollstreckung besteht, kann das erkennende Gericht nicht darauf beschränkt sein, die im Einzelfall als falsch erkannte und das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten berührende Sicherungsverwahrung nachträglich anzuordnen. Vielmehr muss es dem erkennenden Gericht auch bei der Maßnahme nach § 66b StGB möglich sein, die als richtig erkannte und den Verurteilten weniger beeinträchtigende Maßregel sofort festzusetzen, ohne darauf vertrauen zu müssen, dass die Strafvollstreckungskammer die bereits vom erkennenden Gericht als richtig erkannte Maßregel im Rahmen der Vollstreckung anordnen wird.