Landgericht Aurich
Urt. v. 09.09.2003, Az.: 5 S 207/03
Schadensersatzpflicht nach Verkehrsunfall; Ersatzfähigkeit der Mehrwertsteuer sowie einer Nebenkostenpauschale im Rahmen des Schadensersatzes nach einem Unfall; Anspruch auf die Mehrwertsteuer bei Nichtwiederbeschaffung eines PKW
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 09.09.2003
- Aktenzeichen
- 5 S 207/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 32031
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGAURIC:2003:0909.5S207.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Norden - 02.05.2003 - AZ: 5 C 40/03
Rechtsgrundlage
- § 249 Abs. 2 S. 2 BGB
Fundstelle
- MDR 2003, 1414-1415 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich
auf die mündliche Verhandlung
vom 19.8. 2003
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...
den Richter am Landgericht ... und
den Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Norden vom 02.05.2003 (5 C 40/03) unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 537,93 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.11. 2002 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Beklagten sind der Klägerin nach dem Verkehrsunfall vom 24. 8. 2002 voll ersatzpflichtig. Der Schaden ist weitgehend ausgeglichen. Die Klägerin verlangt jedoch von den Beklagten auch die auf die vorgetragenen Wiederbeschaffungspreis nach wirtschaftlichem Totalschaden vom Sachverständigen angesetzte Mehrwertsteuer sowie eine Nebenkostenpauschale von 26 EUR.
Das Amtsgericht hat die Klage auf Ersatz der Mehrwertsteuer als nicht ersatzfähigen Schaden abgewiesen, weil die Klägerin keine Ersatzbeschaffung vorgenommen habe. Die Kostenpauschale sei mit 20 EUR angemessen.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Berufung der Klägerin, die meint, auch nach der Novelle des Schadensersatzrechts sei die beanspruchte Mehrwertsteuer ersatzfähig.
Die Berufung ist bis auf die übersetzte Kostenpauschale und für einen Tag zu viel verlangte Zinsen begründet.
1.)
Gemäß § 251 Abs. 1 BGB kann die Klägerin den zur Ersatzbeschaffung für das zerstörte Fahrzeug erforderlichen Betrag verlangen, denn die Beklagten haben von der ihnen eingeräumten Befugnis zum Wertersatz Gebrauch gemacht, als sie auf der Basis des vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswertes und nicht auf Reparaturkostenbasis abgerechnet haben. Der zu ersetzende Betrag umfaßt dasjenige, was die Klägerin bei einem seriösen Gebrauchtwagenhändler für ein dem zerstörten vergleichbares Fahrzeug bezahlen müsste (vgl. BGH VersR 1966, 830).
2.)
Auf eine Naturalrestitution kommt es nach der Auffassung der Kammer bei dieser Fallgestaltung nicht an.
Die Kammer verkennt dabei nicht, daß der Bundesgerichtshof auch in neuerer Zeit noch entschieden hat, daß auch bei einem sogenannten wirtschaftlichem Totalschaden eines Kraftfahrzeugs dem Geschädigten der Herstellungsanspruch aus BGB § 249 verbleibt, wenn es ihm möglich ist, sich mit wirtschaftlich vernünftigem Aufwand ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug zu beschaffen (BGHZ 115, 375 [BGH 15.10.1991 - VI ZR 67/91]-382).
Gerade an dieser Möglichkeit der Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs fehlt es aber. Im Anschluß an die Schrifttumsmeinung von Roth (JZ 1994, 1091 ff.) ist bei einem neun Jahre alten Pkw mit einer Laufleistung von über 140.000 km in einem so hohen Maße auf die individuelle Funktionstüchtigkeit des Fahrzeugs abzustellen, daß die Beschaffung irgendeines "gleichwertigen Ersatzfahrzeugs" keine Naturalrestitution mehr darstellen kann. Denn es kann bei der Beschaffung des Ersatzfahrzeugs mit solchem Alter und solcher Laufleistung auch mit sachverständiger Hilfe nicht hinreichend verlässlich festgestellt werden, ob das Ersatzfahrzeug denjenigen Zuverlässigkeitsanforderungen und Bedürfnissen genügt, von deren Erfüllung der Geschädigte auf Grund der mit dem zerstörten Fahrzeug gemachten Erfahrungen ausgehen konnte.
3.)
Gerade vor dem Hintergrund der Verkürzung des Ersatzanspruchs um den Mehrwertsteueranteil, wie ihn die Novellierung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB im Falle der Abrechnung eines sogenannten wirtschaftlichen Totalschadens auf Gutachtensbasis vorsieht, gebietet es die Billigkeit, das Erfordernis der Beschaffung eines "gleichwertigen Ersatzfahrzeugs" besonders streng zu beurteilen (vgl. Medicus, Schuldrecht, Allgerneiner Teil, 14. Auflage, Rdn. 623 a). Dies gilt umso mehr, als der Geschädigte von dem um die Mehrwertsteuer gekürzten Ersatzbetrag dann aber bei der Verwendung des Geldes für eigene Zwecke regelmäßig wieder Umsatzsteuer entrichten muß (vgl. Medicus, aaO).
4.)
Wegen der Kostenpauschale ist die Berufung unbegründet. Insofern sind die ausgeurteilten 20 EUR angemessen und ausreichend, § 287 Abs. 1 ZPO. Darauf, was "viele Haftpflichtversicherer zahlen", kommt es nicht an. Die tatsächlich mit der Pauschale abgedeckten Kosten dürften sogar im Regelfall deutlich niedriger liegen.
5.)
Entsprechend § 187 Abs. 1 BGB kann die Klägerin die beanspruchten Zinsen erst seit dem 12. 11. 2002 verlangen, da sie den Beklagten eine Zahlungsfrist bis zum 11. 11. 2002 gesetzt hatte.
6.)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 9t Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt analog § 708 Nr. 10 ZPO.
7.)
Die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
[...].
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert beträgt 543,93 EUR.